Absetzen - aber wie? Fachtagung „Gratwanderung Psychopharmaka“

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 Präsentation transkript:

Absetzen - aber wie? Fachtagung „Gratwanderung Psychopharmaka“ 10. Oktober 2008 Dr. med. Martin Stokowy Oberarzt Tagesklinik Alteburger Straße Köln

Formen des Absetzens das einseitige Absetzen i.d.R. durch den Patienten mögliche Gründe: das fehlende Einverständnis mit der Medikation Unverträglichkeiten die Unwirksamkeit der Medikation Absetzen im Einverständnis die Unwirksamkeit, eine sog. Umstellung die Beendigung der (medikamentösen) Therapie

einseitiges Absetzen die Nichteinnahme verordneter Medikamente stellt eine sehr häufige Umgangsform mit der medikamentösen Therapie überhaupt dar das gilt für alle Medikamentengruppen und ist keine Besonderheit in der Behandlung psy- chischer Erkrankungen die Häufigkeit der Nichteinnahme liegt nach einer Schätzung der WHO für chronische Erkrankungen bei 50%

einseitiges Absetzen (2)‏ trotzdem wird das einseitige Absetzen der Medikamente oft als Ausdruck chronisch psychischer Erkrankungen, insbesondere aus dem schizophrenen Formenkreis dargestellt dabei gerät oft der Angebotscharakter von Seiten der Behandler aus dem Blick („mission to cure“)‏ die möglicherweise notwendige medikamentöse Behandlung einer kleinen Gruppe schwerst psychisch Kranker, deren Medikamenteneinnahme von außen überwacht wird, sollte nicht den Maßstab für den Umgang mit Medikamenten überhaupt darstellen

einseitiges Absetzen (3)‏ Probleme beim einseitigen Absetzen, vor allem wenn es verdeckt geschieht: zu rasches Absetzen =>Absetzphänomene, nicht nur bei Benzodiazepinen, sondern auch bei Antidepressiva und vor allem bei Neuroleptika; s. insbesondere auch bei alten Patienten mit Medikamenten-Mix Beziehungsstörung zum Behandler mit fruchtlosen Diskussionen über Wirkungen, Nebenwirkungen u.ä., obwohl die Medikamente schon längst nicht mehr eingenommen werden Beziehungsabbruch, gerade wenn Uneinigkeit über die Fortführung der Medikation besteht

einseitiges Absetzen (4)‏ es gibt kaum Forschung zu diesem Bereich mögliche Motive: unerträgliche Wirkungen (Abschirmung, Agitiertheit, Hemmung)‏ nicht zu tolerierende unerwünschte Wirkungen, oft Libidostörungen, über die nicht gesprochen wird Ambivalenz zur (med.) Therapie überhaupt, z.B. Angst vor Fremdbeeinflussung, Ambivalenz auch in der Familie des Patienten das Krankheitsmodell: “nehme ich Medikamente, bin ich krank, nehme ich keine, bin ich gesund”

einseitiges Absetzen (5)‏ Fazit: Gehen Sie als Behandler davon aus, dass die angebotenen Medikamente nicht oder nur vorübergehend genommen werden Sprechen Sie (als Arzt oder Patient) die Möglichkeit des Absetzens an Bieten Sie ggf. eine Probebehandlung mit verschiedenen Präparaten für eine bestimmte Zeit an oder erfragen Sie sie und treffen Sie so gemeinsam eine Entscheidung über eine medikamentöse Behandlung

Absetzen im Einverständnis Voraussetzung für den gegenseitigen, verant- wortlichen Umgang mit Medikamenten ist die g e t e i l t e V e r a n t w o r t l i c h k e i t überspitzt könnten zwei Positionen formuliert werden: 1. der Arzt entscheidet mit der gewählten therapeutischen Intervention über das Schicksal seines Patienten 2. der Patient entscheidet über das Schicksal der gewählten therapeutischen Intervention

Absetzen im Einverständnis (2)‏ mögliche Motive: es besteht keine Indikation zur Behandlung mehr die Unwirksamkeit des Medikamentes/Umsetzen untolerierbare UAW (unerwünschte Arzneimittel- wirkungen)‏ Auslassversuch beim Eindruck nicht ausreichender Wirksamkeit

Absetzen im Einverständnis (3)‏ zu beachten ist: die Absetzgeschwindigkeit sollte umso langsamer sein, je länger die Einnahmedauer, je höher die eingenommene Dosis ist und je stärker ausgeprägt die behandelte Symptomatik war/ist Unterscheidung von Absetzphänomenen zu Rezidiven über die Rücknahme der letzten Reduktionsschritte, wodurch Absetzeffekte um- gehend beendet werden sollten, im Unterschied zu einem beginnenden Rezidiv nicht zu viele (auch nicht medikamentöse) Änderungen auf einmal, da sonst die Zuordnung der Effekte von Änderungen schwierig wird

Absetzen im Einverständnis (4)‏ die Angabe von Zeiträumen für eine medi- kamentöse Behandlung mit Antidepressiva oder Neuroleptika stellen m.E. nur Orientierungen dar, differenzierte Untersuchungen zur Behand- lungsdauer mit diesen Medikamenten gibt es nicht Zielkriterium bei jeder Form von Auslass- versuch sollte die Stabilität der Situation des Patienten sein

Fazit das Weglassen verordneter Medikamente ist fast die Regel es ist kein Charakteristikum psychischer Störungen und führt oft zu Beziehungsstörungen zwischen Arzt und Patient bis hin zum Behandlungsabbruch wenn das Weglassen der Medikamente so häufig ist, stellt die gemeinsame Wahl einer Behandlungs- strategie einen wesentlichen Faktor eines offenen Umgangs zwischen Arzt und Patient dar Mittel zur Klärung der medikamentösen Behandlung könnte gerade bei Unsicherheiten von Seiten des Patienten oder seiner Familie die Probebehandlung sein