Kaiser und Reich – Fürsten und Land Deutsche Staatlichkeit im späten Mittelalter 31.03.2017 Helga Schultz
Gliederung Ende der Staufer und Interregnum Der ständische Reichsverband Aufstieg der Fürsten Ständestaat 31.03.2017 Helga Schultz
1. Ende der Staufer und Interregnum 31.03.2017 Helga Schultz
Das Ende der Staufer Die universale Kaiserpolitik erreichte unter den Staufern Friedrich I. Barbarossa ( 1152-1190) und seinem Enkel Friedrich II. (1212-1250) ihren Höhepunkt. Sie führt zu endlosen Kämpfen mit den italienischen Stadtrepubliken und dem Papsttum. Das Ende der Staufer bringt daher das Fiasko der universalen Reichsidee. 31.03.2017 Helga Schultz
Friedrich des II. Palast von Melfi 31.03.2017 Helga Schultz
Interregnum Eine ältere, staatsfixierte Geschichtsschreibung sah das nachfolgende Interregnum als Tiefpunkt deutscher Geschichte: „Die kaiserlose, die schreckliche Zeit“. Gerade das Jahrhundert zwischen dem Ende der Staufer und dem Schwarzen Tod (etwa 1250 bis 1350) ist die hohe Zeit des Landesausbaus und neuer Stadtkultur. Es ist die Zeit des Ausbaus der Fürstenmacht. 31.03.2017 Helga Schultz
Reich und Regnum Indem das Reich seinen universalen Anspruch verliert, wird es mehr und mehr identisch mit dem Regnum, dem deutschen Königtum. Erst am Ende des Mittelalters wird es als Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation mit dem Staat der Deutschen gleichgesetzt. Die Deutschen Lande weichen gleichzeitig dem neuen terminus Teutschland. 31.03.2017 Helga Schultz
2. Der ständische Reichsverband 31.03.2017 Helga Schultz
Reichsverfassung Goldene Bulle Die Goldene Bulle wurde 1356 von Karl IV. erlassen, nachdem er erfolgreich Gegenkönige ausgeschaltet und die Kaiserkrone gewonnen hatte. Sie beendet das Interregnum, die deutschen Thronwirren und bleibt in Kraft bis zum Ende des Alten Reiches 1806. Dieses Reichsgesetz legt die deutsche Königswahl durch die Kurfürsten fest. Es sichert Einheit und Dauer des deutschen Königreiches, weil Doppelwahlen verhindert und der Einfluss des Papsttums ausgeschaltet werden. 31.03.2017 Helga Schultz
Das Reich 1347 31.03.2017 Helga Schultz
Böhmische Könige auf dem römischen Thron Karl IV. und sein Sohn Wenzel zu Seiten des heiligen Veit. Steinskulpturen von Peter Parler und seiner Werkstatt am Altstädter Brückenturm in Prag, um 1378 [Digitale Bibliothek Band 14: Propyläen-Weltgeschichte, S. 8238]. 31.03.2017 Helga Schultz
Die Goldene Bulle Exemplar im Stadtarchiv Frankfurt (Main) mit aufgeschla-gener Seite: Frankfurt wird zum ewigen Wahlort der Kaiserkrö-nung bestimmt. 31.03.2017 Helga Schultz
Die sieben Kurfürsten Der König von Böhmen Der Markgraf von Brandenburg Der Herzog von Sachsen Der Pfalzgraf bei Rhein Die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier (von rechts nach links) Aus dem CODEX BALDUINI (UM 1340) Quelle: www.uni-tuebingen.de/.../personen/ widder/ws9900/codex.htm 31.03.2017 Helga Schultz
Hausmacht Die materielle Grundlage der Königsgewalt konnte nicht mehr das Reichsgut sein, denn es war nach dem Ende der Staufer verloren und verpfändet. Grundlage wird nun die Hausmacht der herrschenden Dynastie (Luxemburger, Habsburger). Die Mehrung der Hausmacht wird darum viel gescholtenes erstes Ziel der Königspolitik. Die deutsche Königswahl wird nicht mehr durch Heeresmacht, sondern durch Finanzkraft entschieden, da die Kurfürsten durch Geldzahlungen gewonnen werden müssen. 31.03.2017 Helga Schultz
Reichsstände Die Reichsstände bilden sich heraus, denen alle Fürsten, reichsunmittelbaren Herren und Städte zugehören. Die Überzahl der Reichsstände sitzt im alten Zentrum des Reiches am Rhein und in den ehemals staufischen Besitzungen des Südwestens. Der Hoftag wird erst am Ende des Mittelalters zum Reichstag. 31.03.2017 Helga Schultz
Die territorialen Mächte des Heiligen Römischen Reiches Die territorialen Mächte des Heiligen Römischen Reiches. Holzschnitt von Hans Burgkmair, 1510. Nürnberg, Staatsarchiv. [Digitale Bibliothek Band 14: Propyläen-Weltgeschichte, S. 20001] 31.03.2017 Helga Schultz
3. Aufstieg der Fürsten 31.03.2017 Helga Schultz
Nationalgeschichte - Landesgeschichte Die Schwäche der Königsmacht während des Interregnum begünstigte den Aufstieg der Fürstenmacht. Dies ist von der nationalstaatlich fixierten Geschichtsschreibung negativ gesehen worden: als Beginn der deutschen Kleinstaaterei. Daneben bildete sich jedoch eine fruchtbare Landesgeschichtsschreibung heraus, die die Maßstäbe der Nationalgeschichte auf die Länder übertrug. 31.03.2017 Helga Schultz
Deutscher Landespatriotismus im 19. Jh. Dresdner Fürstenzug 31.03.2017 Helga Schultz
Landesherrschaft Die Herausbildung der Landesherrschaft ist der besondere deutsche Weg zur Verdichtung staatlicher Gewalt auf der Ebene des Fürstenstaates. Diese Verdichtung umfasst: Die Erhebung allgemeiner Steuern; Die (Ober-) Gerichtsbarkeit; Die Anfänge von Verwaltung Der Fürstenstaat des hohen und späten Mittelalters steht nur in einem losen Zusammenhang mit den Herzogtümern der ottonischen Zeit. 31.03.2017 Helga Schultz
Rechtstitel statt Gebietsherrschaft Die Landesherrschaft entsteht aus der Auflösung der alten Herzogtümer durch Arrondierung von Herrschaftsrechten und Besitztiteln Durch Erbschaft; Durch Heirat; Durch Unterwerfung; Durch Kauf und Pfandschaft. Was die alte Landesgeschichtsschreibung als Territorialpolitik beschreibt, war die schiere Gier. (Schubert). Nicht räumliche Ausdehnung und geschlossenes Territorium, sondern Maximierung verstreuter Einnahmequellen war das Ziel. 31.03.2017 Helga Schultz
Machtraum der Wittelsbacher um 1200 31.03.2017 Helga Schultz
Herrschaft der bayerischen Herzöge um 1350 Quelle: Vorlesung Prof. Schmidt: Bayern im Spätmittelalter: www.uni-regensburg.de/.../ Geschichte/w96vsmm5.html 31.03.2017 Helga Schultz
Dynastie und Biologie Die Landesherrschaft bildet sich dynastisch-biologisch zufällig: durch Überleben und Erben. Die Alternative: Aussterben und Teilen. Die regelmäßigen Erbteilungen und Verpfändungen von Besitztiteln bezeugen, dass eine geschlossene „Landesherrschaft“ nicht Ziel fürstlicher Politik war. 31.03.2017 Helga Schultz
Kurfürsten als Landesherren Die Goldene Bulle schreibt die ungeteilte Erbfolge des Erstgeborenen in den Kurfürstentümern fest (Primogenitur). Sie verleiht den Kurfürsten die unbeschränkte Gerichtshoheit in ihrem Herrschaftsbereich. Die Kurfürstentümer werden so zu Vorreitern der Landesherrschaft. 31.03.2017 Helga Schultz
Staat ohne geschlossenes Territorium Der Fürstenstaat des späten Mittelalters ist jedoch noch kein Territorialstaat im Sinne der Herrschaft über einen geschlossenen Raum (Territorium). Von „Landesherrschaft“ ist daher nur eingeschränkt zu sprechen. Kartographische Darstellungen als Flächenstaat mit klaren Grenzen sind eigentlich anachronistisch. 31.03.2017 Helga Schultz
Karte von G. Papay, Fachbereich Geschichte der Universität Rostock (http://www.rostock.igd.fhg.de/Mvhist/land13.html) 31.03.2017 Helga Schultz
4. Ständestaat 31.03.2017 Helga Schultz
Fürst und Land Die Landstände treten dem Landesfürsten gegenüber, wie die Reichsstände dem König. Sie begreifen sich gemeinsam als „das Land“, das dem Fürsten gegenübertritt. Die Landstände sind korporative Zusammenschlüsse. Sie bilden Kurien wie die Reichsstände: Geistlichkeit, Adel, Städte. 31.03.2017 Helga Schultz
Herrschaft als Grund der Landstandschaft Landstände sind nicht demokratisch legitimiert, sondern sie üben (ererbte) Herrschaftsrechte aus. Landstände sind die Versammlung der Obrigkeiten: Geistliche Herren. Adelige Herren, Die Bürgermeister der Landesstädte. Nur in Randlagen, wo alle Herrschaft schwach ist, wie im Gebirge und in den Marschen, haben auch Bauerngemeinden Vertreter im Landtag. 31.03.2017 Helga Schultz
Finanzgrundlagen ständischer Mitwirkung Die Landstände bewilligen Steuern (Bede, petitio), nicht als Recht des Fürsten, sondern als (freiwilligen) Beitrag des Landes. Dagegen erhalten sie vom Fürsten Zusicherung und Schutz ihrer Privilegien. Dieses „Budgetrecht“ der Stände führt also zu einer vormodernen Gewaltenteilung der Landesherrschaft. 31.03.2017 Helga Schultz
Landesverfassung Die Vielzahl der Rechte und Privilegien, die der Fürst im Laufe der Zeit seinen Ständen gewähren muss, wächst zur Landesverfassung. Die landständischen Verfassungen sind allerdings nicht vor dem 16. Jahrhundert ausgebildet. Um diese Rechte zu sichern, bewahren die Stände diese Einheit des Landes gegen die dynastischen Teilungen der Fürsten. 31.03.2017 Helga Schultz
Zusammenfassung Nach dem Scheitern der universalen Reichspolitik entwickelt sich die deutsche Staatlichkeit stärker auf mittlerer Ebene, in den Fürstenstaaten. Ständischer Korporatismus und genossenschaftliches Prinzip verhindern auf allen Ebenen die Ausbildung autokratischer Herrschaft: Kaiser und Reich; Fürst und Land; Rat und Bürgerschaft. 31.03.2017 Helga Schultz