Heinz D. Kurz Institut für Volkswirtschaftslehre und

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Einführung in die VWL.
Advertisements

NAHRUNG FÜR DIE OHREN MUSIK.
Düsseldorf, 20. März 2011.
Schäden durch Kartelle: Die theoretische Perspektive
D. ZAMANTILI NAYIR – 8. SEMESTER
Finanzkrise – Symptom einer Systemkrise? 5. Dezember 2011 ao.Univ.-Prof. Dr. Franz Hörmann
Vorstellung des Faches SoBi
Momentum 12 Track #3: "Recht, Freiheit und Demokratie" How liberalism lost its concept of democracy Jakob Kapeller, Universtität Linz, Institut für Philosophie.
Handel zwischen zwei Ländern ist vorteilhaft,
Religionskritik.
Warum über Sorgen nachdenken? Weil sie eine große Macht auf uns ausüben. Wenn Du sie nicht im Griff hast, haben sie Dich im Griff!
9. Jan: Klassen und Schichten
IX. Christliche Sozialethik als Strukturenethik
Neue Politische Ökonomie: Comparative Politics Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg SS 2008 Prof. Dr. Lars P. Feld Ruprecht-Karls-Universität.
Grundwissen: Rousseau Direkte Demokratie
Grundkurs praktische Philosophie 10
Grundkurs praktische Philosophie 17
liquide Mittel für Investitionen bereitstellen
Die Theorie David Ricardos:
Sozialpolitik.
Dr. Hugo Portisch Was jetzt Das Buch – Die Veranstaltung Eine Arbeitshilfe für den Unterricht erstellt von Fritz Lošek, Landesschulrat für NÖ
Warum Berufsunfähigkeitsversicherungen mit verzinslicher Ansammlung oder Beitragsrückgewähr keinen Sinn machen.
Haushalts- und Konsumökonomik
100 Sekunden Oktober Violaine Dernoncourt Jean Roederer Antoine Djondo.
11 Verantwortung
© 2009 Burghof 1 Zum Versagen der Ratingunternehmen in der Finanzkrise: Was muss sich ändern? Prof. Dr. Hans-Peter Burghof Lehrstuhl für Bankwirtschaft.
Krisen mit Keynes erklärt
Kapitel 17 Erwartungen, Wirtschaftsaktivität und Politik
Quelle Graphik: [Zugriff ]
Exkurs: Eugen von Böhm-Bawerk
Interdependenz und Handelsvorteile
Einführung in die Volkswirtschaftslehre
Agrar- und Ernährungspolitik III
Ideologie und Wirklichkeit Von der Finanzarktkrise zur Schuldenkrise
VWL: Says Gesetz und die Erklärung der Krisen
und das Modell der direkten Demokratie
Übersicht Ausgangslage
Freiheit und Verantwortung – wie gehen wir Tabler damit um?
Kapitalistische Prinzipien und Wachstumszwang
Extreme Armut Verschuldung.
Die neuen Jakobiner Über Werte im Netz.
Konflikte. Enduring Freedom: r ealistischer und liberaler Ansätze Vorbereitet von Alexander Ermakov Natalia Davidova Nikita Födorov.
Wozu Theorien der politischen Ökonomie?
Die soziale Marktwirtschaft
Wdhlg. AVWL 2: Das Mundell-Fleming Modell
Theorie des Neoliberalismus
Hauptziel Motive Werte Finanzierung & Gewinn Kunden & Preise
VO D6/G6 H. Gottweis - SoSe 2oo7: (4) Klassische Policy-Modelle VO D6/G6: Einführung in die Politikfeldanalyse 6. Stunde am 3. Mai 2007: Policy Lernen.
Sozialverträglichkeit Überproduktion und Folgen
Staatstheorien.
Klassische Politische Ökonomie
Vorlesung Geschichtswissenschaft:
1 Korinther – Teil II GBS-Minden
1 STRAFRECHT BT STRAFRECHT BT BRANDSTIFTUNG (ART.221) FS 2008 Prof. Dr. H. Vest Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern.
Grundkurs praktische Philosophie 20. Dezember 2004 Politische Freiheit
Universität Innsbruck Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik free to choose e c o n o m i c s.
© 2005 KPMG Deutsche Treuhand-Gesellschaft AG, the German member firm of KPMG International, a Swiss cooperative. All rights reserved. KPMG and the KPMG.
Emanzipation und Freiheit
Kann Politik ehrlich sein? D‘ Sunne schiint für alli Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Wirtschaftliche Entwicklung
Pikettys Formeln Resümee. Pikettys „Weltformel“ r > g g ist die Wachstumsrate des Volkseinkommens (VE) bzw. des Nationaleinkommens (in etwa gleich) Es.
Regionalökonomie Hochschule Neubrandenburg WS 2015/2016 Dr. Rainer Land Thünen-Institut Bollewick Folien, Unterlagen, Materialien auf
Gedanken G.W
Wirtschaftliche Bedingungen und Stadtentwicklung I
Immanuel Kant: Siebenter Satz „Das Problem der Errichtung einer vollkommenen bürgerlichen Verfassung ist von dem Problem eines gesetzmässigen äusseren.
Marxismus. Inhalt ● 1. Karl Marx ● 2. Friedrich Engels ● 3.Marxismus als Ideologie.
Wirtschaftspolitik im Spiegel ökonomischer Paradigmen
Die Zukunft von Zuwanderung und Integration
Wirtschaftsordnung 1)Wirtschaftsordnung
 Präsentation transkript:

Kapital, Profit und Zins Ein theorie- und wirtschaftsgeschichtlicher Streifzug Heinz D. Kurz Institut für Volkswirtschaftslehre und Graz Schumpeter Centre Universität Graz heinz.kurz@uni-graz.at

Was ist Kapital? Geld zur Finanzierung von Investitionen Geldvermögen (Ersparnisse) Wertpapiere Produzierte Produktionsmittel - zirkulierendes Kapital - fixes Kapital Sachkapital Humankapital Lohnkapital Akkumulierbare Ressource

Warum gibt es Profit und Zins? „Was am Kapitalzins überhaupt zum Nachdenken herausfordert, ist sein arbeitsloses Hervorquellen aus einem gleichsam zeugenden Muttergut“ (Böhm-Bawerk, 1921: 9). Karl Marx (1905-1910), Theorien über den Mehrwert Eugen von Böhm-Bawerk (1884), Kapital und Kapitalzins, Erste Abteilung, Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorien

Zins als Wucher: Aristoteles und die Kirchenväter Das Gute ist seiner Natur nach begrenzt, nicht so die Bereicherung, der Erwerb um des Erwerbs willen – unnatürliche Erwerbskunst (Chrematistik) Zins ist Wucher, weil er „aus dem Geld selbst den Erwerb zieht“. Diese Art des Gelderwerbs sei „am meisten gegen die Natur“ Geld ist unfruchtbar Gott hat allen Menschen Zeit geschenkt habe, das bloße Verstreichen von Zeit rechtfertigt keine Zinsnahme. Der Christenmensch soll jenen helfen, die in Not geraten sind, und deren Lage nicht durch die Einhebung von Zinsen ausnutzen Im Zentrum steht der Konsumentenkredit

Geschichte der Menschheit auf einen Blick

Innovationen (und wirtschaftliches Wachstum) „... die überragende Tatsache in der Wirtschaftsgeschichte der kapitalistischen Gesellschaft“ (Joseph A. Schumpeter, 1911) (Vgl. H.D. Kurz und R. Sturn (2012), Schumpeter für jedermann. Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus, FAZ Verlag) Industrielle Revolution und „Große Divergenz“ Näherungswert für die Zeit (T), die eine Größe bei gegebener Wachstumsrate (g) benötigt, um sich zu verdoppeln: T ≈ 73/g

Klassische Ökonomik: Adam Smith und David Ricardo Adam Smith (1776), An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (Vgl. H.D. Kurz und R. Sturn (2013), Smith für jedermann, FAZ Verlag) Profit und Zins (und Grundrente) ein „Abzug“ vom Ertrag der Arbeit Bei freier Konkurrenz (Abwesenheit von Markteintritts- und Marktaustrittsschranken): Herausbildung einer tendenziell einheitlichen Profitrate „Kornmodell“: Saatgut = 3.000 t; Löhne = 12.000 t; Kapitalvorschuss = 15.000 t; Output = 18.000 t; Profit = 3.000 t; Profitrate = 3.000 t/15.000 t = 0.2 = 20%

Klassische Ökonomik David Ricardo (1817), Principles of Political Economy and Taxation: „Je größer der Anteil des Arbeitsergebnisses, der an die Arbeiter gegeben wird, desto kleiner ist die Profitrate, und umgekehrt“ (Fundamentales Gesetz der Einkommensverteilung) ___ Je größer für gegebenen Lohnanteil der Anteil des Volkseinkommens ist, der an das Finanzkapital geht, desto geringer der Anteil, der an das Realkapital geht. (Ackermann)

Nichtintendierte Konsequenzen menschlichen Tuns Smith ist kein Gegner von Profit und Zins – aber ... Eigen- vs. Gesamtinteresse (Fairness, Gerechtigkeit) Umdeutung von Profit und Zins unter Rückgriff auf die nichtintendierten Konsequenzen (eigeninteressierten/selbstsüchtigen) menschlichen Tuns Kritik an Bernard Mandevilles (1705) These: „Der Allerschlechteste sogar - für das Gemeinwohl tätig war“ (The worst in all the multitude / did something for the common good.) (Conard, E.W. (2012): Unintended Consequences: Why Everything You've Been Told About the Economy Is Wrong.) Smith: Circulus virtuosus: Profitmotiv – Kapitalakkumulation – Ausdehnung der Märkte – Vertiefung der Arbeitsteilung – Steigerung der Arbeitsproduktivität – Steigerung des Volkseinkommens und der Profite ... da capo al fine (Taten vs. Intentionen)

„Unsichtbare Hand“ Smith: Dem Kapitaleigner geht es “nur um seinen eigenen Vorteil, und dabei wird er, wie in vielen anderen Fällen auch, von einer unsichtbaren Hand geleitet, einem Zweck zu dienen, der nicht in seiner Absicht lag. ... Indem er sein eigenes Interesse verfolgt, fördert er häufig (frequently) das der Gesellschaft wirksamer, als wenn er sich wirklich vornimmt, es zu fördern.” (WN) Edwin Cannan (1929): “Die Wirkungsweise des Eigeninteresses ist nicht wegen einer natürlichen Übereinstimmung zwischen dem Eigeninteresse eines jeden Einzelnen und dem für alle Guten segensreich, sondern weil menschliche Institutionen idealerweise so eingerichtet sind, dass sie das Eigeninteresse dazu zwingen, in Richtungen zu wirken, in denen es segensreich ist.”

„Unsichtbare Hand“ David Hume: “Hier ist also ein hinlänglicher Ansporn in jedem Staat, mit dem größten Eifer jene Formalien und Institutionen zu erhalten, mit denen die Freiheit gewahrt, dem Gemeinwohl gedient und Habsucht und Ehrgeiz einzelner Männer kontrolliert und gestraft werden” (1742). Friedrich August von Hayek (1963): “Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit erwartet er [Hume] nicht von der Tugend der Menschen, sondern von den Institutionen, die ‘vermochten, dass es selbst im Interesse schlechter Menschen lag, im Sinne des allgemeinen Wohls zu handeln’.”

Regulierung des Bankgewerbes Vor dem Hintergrund der bis dahin größten Innovation im Finanzsektor („Dädalusflügel des Papiergeldes“) und dem offenbar gewordenen Problem asymmetrischer Information und moralischen Risikos schreibt Smith: “Diejenige Ausübung der natürlichen Freiheit einiger weniger, welche die Sicherheit der ganzen Gesellschaft gefährden könnte, wird und muss von den Rechtsordnungen aller Staaten verhindert werden – der freiesten ebenso wie der despotischsten. Die Verpflichtung zur Errichtung von Brandmauern, um das Übergreifen von Bränden zu verhüten, ist ein Verstoß gegen die natürliche Freiheit von genau der gleichen Art wie die hier vorgeschlagenen Regulierungen des Bankgewerbes” (WN).

Effizienzmarkthypothese und Modigliani-Miller Theorem Asymmetrische Information und moralisches Risiko – „toxische“ Wertpapiere Ansteckung und Herdenverhalten Modigliani-Miller: Für den Marktwert von Aktiengesellschaften und großen Firmen spielt deren Finanzpolitik und Finanzstruktur (Fremd- vs. Eigenkapital) keine Rolle. Auf die Bewertung der Firma durch den Markt sei immer Verlass. Die Aufgabe der Manager besteht darin, den Marktwert der Firma zugunsten der Aktionäre, den sogenannten Shareholder Value, zu maximieren.

Ansteckung und Herdenverhalten

Blasenbildung in der Wirtschaft Finanz- und einige andere Märkte (Immobilien, Gold): – Abweichungen vom Gleichgewicht aktivieren zentrifugale Kräfte, die über positive Rückkopplungen zu einem wachsenden Ungleichgewicht (einer „Blase“) führen – Dieses entlädt sich irgendwann in einem großen Knall mit beträchtlichen Folgen Kindleberger, Charles (1978), Manias, Panics, and Crashes. A History of Financial Crises. Reinhardt, Carmen S., und Rogoff, Kenneth S. (2009), This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly.

Intelligenz bewahrt vor Schaden nicht: “I can calculate the motion of the heavenly bodies, but not the madness of people.“ (Sir Isaac Newton) Auf Finanzkrisen folgen häufig Souveränitätskrisen – Anstieg der Staatsverschuldung – Verlust an Glaubwürdigkeit, die Schulden bedienen und zurückzahlen zu können – Staatsbankrotte

Jüngere Entwicklung, 1997-2007: „Financialization“ Gemäß WTO wuchsen internationale Transaktionen von Gütern und Dienstleistungen auf das 11-fache Finanztransaktionen wuchsen auf das 175-fache, wenn man nur geläufige Produkte berücksichtigt ... auf das 281-fache, wenn Derivate etc. berücksichtigt werden Anstieg des Gewinnanteils am Volkseinkommen. Hauptnutznießer: der Finanzsektor

Umverteilung I % des Volkseinkommens der 1% Bestverdiener in den USA

Einkommenswachstum in den USA Umverteilung II Einkommenswachstum in den USA

Wachstum der Einkommensanteile verschiedener Fraktile in Österreich 1995-2006

Finanz- und/oder Schuldenkrise?

Geld und Macht Von der Demokratie zur Pekuniokratie? Paul Krugman, Jeffrey Sachs, Joseph Stiglitz Wenn ein Abgeordneter x U.S. $ kostet, wie viele U.S. $ kostet ein Parlament? Casino-Kapitalismus (J.M. Keynes, 1936) – Fehlallokation von Ressourcen

Zur bedeutenden Rolle des Finanzsektors Lenkung liquider Mittel in die ertragreichsten Aktivitäten; Risikostreuung; Versicherung etc. Robert J. Shiller (2012), Finance and the Good Society

Graz Schumpeter Economic Policy Forum 23.01.2013, 16 Uhr, , RESOWI-Zentrum, KFU: „Gelingt die Regulierung des Finanzsektors?“ Vortrag von Prof. Dr. Jan P. Krahnen (Frankfurt School of Finance) mit anschließender Podiumsdiskussion