Sprechen und Politik in egalitären/hierarchischen Gemeinschaften II

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Grundbegriffe der Pädagogik: Bildung, Sozialisation, Erziehung
Advertisements

H I N D U I S M U S ENTSTEHUNG und GESCHICHTE.
Von Christoph Drobnitza und Andreas Lenzen
Workshop Rickling 18. August 2012
Der Bayerische Landtag
DI ZI GUI Dankbarkeit & Liebe für die Umwelt Höflichkeit im Umgang mit Menschen.
A U S S T R A H L U N G Gedanken, Impulse.
Wenn Sie über einen Link hierher kommen, wählen Sie im Menu >Durchsuchen< „Ganzer Bildschirm“, um die Projektion im ganzen Bildschirm anzuzeigen.
Das politische System der USA
Soziale Interaktion und Alltagsleben
Wie entstehen neue Gesetze in Deutschland
Geschichte und Sozialkunde kombiniert
Sozialpolitik.
Dekolonisation Algeriens
Mehrherrschaft (Republik)
EuropaRAThaus Erklärung Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger „Wir einigen keine Staaten, wir verbinden Menschen“ (Jean Monnet) Anlässlich.
Pfarrgemeinderatswahl Pfarrgemeinderat Wer ist das? Der Pfarrgemeinderat besteht aus gewählten Frauen und Männern und dem Pfarrer sowie anderen.
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen!?
Eingewöhnung Krippe QUALITÄTSHANDBUCH
Workshop 2 Praktische Instrumente für den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen Dirk Klein:
Lebensraum Gruppe Was ist eine Gruppe bzw., aus wievielen
Moralische und psychische Herausforderungen des soldatischen Dienstes Einsatzbelastung: Verantwortung und Schuld Methodische Hinweise.
United States of America
Parteien in der Bundesrepublik Deutschland
Die Deutsche Politik.
Bildung Bildung ist wie ein bunter Strauß Blumen: Sie ist Vielfältig und bedeutet für jeden etwas anderes.
Artikel von Michael Lambek, 1985 Betrachtung Trance/Besessenheit: menschlich, sozial u. geschichtlich in kulturellen Kontexten, Produkt geschichtlicher,
Deutsches Institut Deskriptive Sprachwissenschaft
Politische Bildung im GWK-Unterricht der Sekundarstufe II ?
Materialien zur Politischen Bildung von Kindern und Jugendlichen
Umgang mit Konflikten Mag. Weber Adrian.
Religiöse Vielfalt – Bedrohung oder Chance?
Die UNO – Garantie von Frieden und Sicherheit
... den Kindern das Wort geben der Klassenrat ...
Freiheit und Verantwortung – wie gehen wir Tabler damit um?
Выполнила ученица 8 «Б» класса Баранкина Даша
Die Verfassung des deutschen Reiches vom 16
Die Berufung der Gemeinde Teil 1
Die Bundesrepublik Deutschland
ELP-TT Training teachers to use the European Language Portfolio EFSZ-Kurzprojekt ELP_TT2 Heike Speitz, Norwegen.
Kirchengeschichte I Von den Anfängen bis zur Reformation.
Interkulturelle Kommunikation
LEGISLATIVE POLITICS aus: Hix, Simon (2005). The Political System of the European Union Klikovits Mara/Kia Vainiomäki.
Gruppe IV © 2008 A.D. Backhaus, Kalpakidis, Schumann, Zimmer
Soziale Interaktion und Alltagsleben
法學德文名著選讀(一) Lektion 4 范文清 / 蕭雯娟.
VO D6/G6: Einführung in die Politikfeldanalyse
Rede der Bundes-Ministerin
Kleingruppen leiten in Konfi3
„Deutschland tritt seit langem für eine durchgreifende Reform …
Vorgeschichte „Gesprächsstau“ zwischen Bischöfen und Laien (DBK / ZdK) Missbrauchskrise Initiative EB Zollitsch, Sept „Im Heute glauben“ – Gesprächsprozess.
Inhaltsverzeichnis: Bundestag Bundesregierung Bundespräsident
Parlamentarische Demokratie in der BRD
Das Demokratiemodell des Grundgesetzes
Reality is Broken Jane McGonigal Universität zu Köln AM2: Medien zwischen Technologie und Gesellschaft Jonathan Simon.
Anfänge der Medienforschung
„Frauen fragen Frauen“ Präsentation zum Forschungsprojekt
Thesen zur Diskussion an der
Gemeinsamer Ausschuss und Bundesversammlung
Kann Politik ehrlich sein? D‘ Sunne schiint für alli Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
„Und plötzlich sind sie Teenager…“ Modul 3: Die Rolle der getrennt lebenden Eltern.
Die Dekolonisation Asiens
15/09/2013 Nadine Elabd
Patriotismus wird heute allgemein von Nationalismus und Chauvinismus unterschieden, insofern Patrioten sich mit dem eigenen Land und Volk identifizieren,
Politik Einführung Wer macht Politik Wie macht man.
 Verfassungsgesetze und Bestimmungen des Bundesrechtes › Gesetze › Einzelne Bestimmungen › Staatsverträge  Beschluss 1920  Unterbrechung
Grundprinzipien von Montessori
Wie mache ich ‚offenen Unterricht‘ von Anfang an?
Angewandter Glückskurs
Matthäus Teil 2.
 Präsentation transkript:

Sprechen und Politik in egalitären/hierarchischen Gemeinschaften II Ein Referat von: Doris Assfalg Robin Derschatta Stefan Plechinger

Literatur Duranti, Alessandro: Doing Things with Words: Conflict, Understanding and Change in a Samoan Fono. In: Watsen-Gegeo, K.; White, G. (Hg.): Disentangling: Conflict Discourse in Pacific Societies. Stanford 1990 Duranti, Alessandro: Lauga and Talanoaga: Two Speech Genres in a Samoan Political Event. In: Brenneis, D. L.; Myers, F. (Hg.): Dangerous Words. Language and Politics in the Pacific. New York 1984 www.wikipedia.de www.sscnet.ucla.edu/anthro/faculty/duranti/ www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laender/Samoa.html

Alessandro Duranti Professor für Anthropologie an der University of California in Los Angeles (UCLA) Direktor des “Center for Language, Interaction and Culture” (CLIC) forscht hauptsächlich über den politischen Diskurs, Ämter und Absicht (political discourse, agency and intentionality), Mündlichkeit und Bildung (orality and literacy), die Geschichte der linguistischen Anthropologie (the history of linguistic anthropology) und die Ästhetic des Jazzs (jazz aesthetics) Feldforschungen in West-Samoa und den USA

Samoa - Geographie Falefã

Samoa - Geschichte intensive Handelsbeziehungen mit Fiji und Tonga seit 1200 n. Chr. nachgewiesen Durch britische Missionare wird seit 1830 die europäische Vorherrschaft begründet 1900 West-Samoa wird zu einer Deutschen Kolonie durch den I. Weltkrieg kommt es zu einer Besetzung durch Neuseeland -> Widerstand und samoanische Unabhängigkeitsbewegung 1947 Erste gesetzgebende Versammlung 1960 Verabschiedung einer eigenen Verfassung seit 1976 Mitglied der UNO

Samoa - Politik Mit der 1962 erklärten eigenen Verfassung ist Samoa eine parlamentarische Demokratie (politische Macht geht von einer vom Volk gewählten Gruppe aus) Das samoanische Staatsoberhaupt wird vom Parlament (Vertreter der 11 Distrikte, eigenes fono) für eine Amtszeit von 5 Jahren ernannt Die Legislative liegt beim Parlament (fono), das 49 Abgeordnete umfasst, die für je 5 Jahre demokratisch gewählt werden Innerhalb des Volkes können alle Menschen ab 21 Jahren wählen, es können jedoch ausschließlich Matai gewählt werden Die Exekutive liegt bei der Regierung unter Vorsitz des Premierministers

Die Feldforschung von 1978 bis 1979 Falefã ist ein Bund von vier Dörfern mit insgesamt 1200 Menschen auf der Insel Upolu in West-Samoa ca. 100 Matai Aufnahme von mehreren Fonos Übersetzung durch Einheimische (Authentizität) Interviews mit „chiefs“ und „orators“ die Dorfbewohner leben in traditionellen samoanischen Häusern (fale), diese sind ohne Wände gebaut -> keine strikte Trennung zwischen öffentlichem und privatem Raum Häuser sind funktional angeordnet (ein Haus zum Schlafen, zum Kochen, etc.) Es wurden insgesamt 7 wichtige Fonos über einen viermonatigen Zeitraum aufgezeichnet Beobachtung persönliche Interviews mit den Teilnehmern der Fonos, besonders mit den „chiefs“ und „orators“

Die Bedeutung des Rangs Rang ist nicht fest als inhärente Eigenschaft an Personen gebunden Rang als ein Aspekt einer Situation, in der sich eine Person (immer, aber auch zeitlich begrenzt) befindet "in a travelling party in which no one has rank, some will be designated to act as talking chief" „Caregiver“ innerhalb einer Gemeinschaft z.B. Familie sind nicht der aktive Teil -> Prinzip der Seniorität wenn Matai unter sich sind, muss ein Matai die Rolle der untitled person übernehmen -> Hierarchie ist niemals fest gebunden, sondern situationsgebunden und kommunizierbar reziprokes Verhältnis

Die Bedeutung von Sprache Ambivalenz von Wort und Handlung „words create the world“ durch Sprache wird die Welt nicht nur beschrieben sondern vielmehr sozial geschaffen und gemeinschaftlich konstituiert Verantwortung (für das gesprochene Wort) Konflikte werden erst gemeinschaftlich relevant, wenn sie in einem Fono ausgesprochen werden Sprache kann zugleich machtvoll und auch gefährlich sein -> die Matai gehen deshalb sehr vorsichtig mit Aussagen und Anklagen um

Fono „high court“ und „politica arena“ Themen sind z.B. politische Allianzen, führende Mitglieder, soziale Regelbrüche und ähnliche Störungen aktive Teilnehmer sind die Matai (titled people) – „chiefs“ und „orators“ Ziel ist das Lösen eines Konflikts und die Bewahrung der Einheit des Dorfes („gegenseitige Liebe“) gesellschaftlicher Wandel als mögliches Ergebnis findet unregelmäßig statt

Grenzen räumlich innerhalb eines Hauses festgelegte Sitzordnung zeitlich Kava-Zeremonie zu Beginn (und teilweise am Ende) findet statt wenn nötig (morgens, meist an Samstagen) orators chiefs orators chiefs Front back high chief kava bowl

Sprechnormen nonverbale Regeln: 1. man sitzt im Schneidersitz auf Matten 2. der innere Kreis darf nur aus zeremoniellen Gründen betreten werden 3. will ein Matai einem anderen etwas geben, muss dies über einen Helfer geschehen 4. Augenkontakt zwischen Sprecher und Zuhörern wird eher vermieden verbale Regeln/Gewohnheiten: die Reihenfolge der Redner steht von Anfang an fest es darf nur der festgelegte Redner sprechen Zustimmung durch Zuschauer ist erlaubt es gibt ein spezielles „respect vocabulary“, wenn über Matais gesprochen wird viele Parallelismen und Metaphern, bildliche Sprache eher formelle Sprache Höherrangige werden indirekt angegriffen

Die Kava-Zeremonie Pflanze aus der Familie der Pfeffergewächse traditionelles Getränk des westpazifischen Raumes wird vor allem bei religiösen und kulturellen Anlässen konsumiert mindert Angst- und Spannungszustände, schmerzstillende und antioxidante Wirkung, führt zu leichter Euphorie und Gesprächigkeit http://www.sscnet.ucla.edu/anthro/faculty/duranti/audvis/kava.htm

Lãuga – die Aufteilung Einleitung Kava-Zeremonie Danksagung an Gott die Würde der Häuptlinge historische Ereignisse Grund der Versammlung Wunsch nach gutem und langen Leben („clearing of the sky)

Lãuga bezeichnet allgemein jede Art von zeremonieller Rede, die eine bestimmte Reihenfolge einhält, „Respekt-Vokabular“ und eine bildliche Sprache benutzt bezeichnet im Besonderen bestimmte Reden, die von bestimmten Rednern an einem bestimmten Punkt in einem sozialen Kontext (Fono) gehalten werden eher eine formelle, ritualisierte Rede betont allgemeine Werte und Harmonie, wiederholt bekannte Informationen Form und Inhalt sind vorhersehbar Tagesordnung wird genannt, aber nicht diskutiert das Fono beginnt mit einer oder mehreren Lãuga gehalten nur von Rednern aus der vorderen Reihe Zustimmung zur Form durch Zuhörer Dank an alle vorherigen Redner

Talanoaga bedeutet allgemein Gespräch oder Konversation steht in einem Fono für Diskussion betont persönliche Werte und Interessen und liefert neue Informationen hat das Talanoaga begonnen, darf es keine Lãuga mehr geben Beginn des Talanoaga wird von einem der „senior orators“ angekündigt alle Matai können mitreden Frage-Antwort-„Spiele“ sind möglich Zustimmung zum Inhalt durch die Zuhörer Dank an die wichtigsten Redner und den Vorgänger üblich teilweise wird Umgangssprache verwendet es gibt Vermittler

SPEAKING-Modell S ituation: soziale Unregelmäßigkeit, Hütte P articipants: Matai E nds: Widerherstellung der sozialen Harmonie A ct-Sequenz: Lãuga, Talanoaga (Form, Inhalt) K ey: Gestik, Mimik, Betonung I nstrumentarium: mündlich, formelle Sprache N orms: Sprechnormen G enres: Rede, Diskussion