Dr. med. Thomas Hummelsheim Düsseldorf,

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 Präsentation transkript:

Dr. med. Thomas Hummelsheim Düsseldorf, 29.08.2017 Rund um die Uhr erreichbar – der Krisendienst des Psychosozialen Trägervereins Solingen e.V. Dr. med. Thomas Hummelsheim Düsseldorf, 29.08.2017

Wofür Krisendienste? Der Krisendienst des PTV - Organisation, Praxis, Leistung und Grenzen Ausblick

Die Forderung nach Krisendiensten Niederschwellig verfügbare Krisenhilfen auch außerhalb der normalen werktäglichen Öffnungszeiten psychosozialer/psychiatrischer Dienste von Nutzern und Angehörigen gefordert Psychiatrische Krisenhilfe keine Aufgabe von Polizei, Feuerwehr oder Notarzt Psychosoziale/psychiatrische Krisenhilfe erfordert spezielle Kompetenzen, Wissen und Zeit

Alles Krise, oder was? Krisendefinition Krisenmodell versus Krankheitsmodell Psychosoziale Krisen - Psychiatrische Krisen – psychiatrischer Notfall

Ziele von Krisendiensten Suizidprävention Vermeidung von Krankenhauseinweisungen und Zwangsmaßnahmen Prävention von Eskalation, „Psychiatrisierung“, Chronifizierung, „Drehtürentwicklungen“ Einstieg in weitergehende Hilfen aus der Sicht von Nutzern und Angehörigen: Entlastung, Schaffung von Sicherheitsgefühl…

Krisendienste in NRW – Status quo In NRW 6 spezialisierte Krisendienste (Begleitforschung zum Landespsychiatrieplan NRW) Erreichbarkeit 24h/7 Tage nur zum Teil umgesetzt Ca. 8700 Kriseneinsätze/Jahr (ca. 200-3000/Krisendienst)

Der Psychosozialer Trägerverein Solingen Entwicklung eines möglichst umfassenden gemeindepsychiatrischen und klinischen Angebots für Solingen (ca. 160.000 Einwohner) seit 1978 Prinzipien u.a. Niederschwelligkeit, strenger Regionalbezug mit „Versorgungsverpflichtung“, Fokus auf die Menschen mit schweren psychischen Störungen Ca. 140 Mitarbeiter Gute Vernetzung in der Kommune

Psychosozialer Trägerverein Solingen Krisendienst rund um die Uhr Krisenwohngruppe Tagesklinik Institutsambulanz ambulante Beratung und Betreuung (Erstberatung, Betreutes Wohnen, Integrierte Versorgung) Tagesstätte, „Runder Tisch“ (offener Treff) Wohnbereich (Wohnheim) mit mehreren dezentralen Wohngruppen Berufsbegleitender Dienst beschützte Arbeitsplätze, Feststellungsmaßnahmen Ambulante Ergo-/Arbeitstherapie …

Krisendienst Psychosozialer Trägerverein Solingen e.V. Runder Tisch BeWo WOHNEN und LEBEN IV Tagesstätte 4 dezentrale Wohngruppen Pflegedienst? Krisentelefon Rufbereitschaft Notbett Integrations- firma Heranführung an Arbeit Tagesklinik Krisendienst ARBEIT und berufliche REHA- TATION Krisenwohn- gruppe KLINISCHER BEREICH Integrations- fachdienst Feststellungs- maßnahmen Institutsambulanz

Der Krisendienst des Psychosozialen Trägervereins 24-Stunden/7 Tage erreichbar 3-stufiger Krisendienst: Krisentelefon Mobiler Krisendienst Notbett Kein besonderer Bereich, sondern integriert in übriges Betreuungsangebot des Vereins Qualifizierte, sozialpsychiatrisch erfahrene Fachkräfte (Sozialarbeiter/-pädagogen, Pflege-MA, Ergotherapeuten…) Kein (fach-)ärztlicher Hintergrunddienst Zielgruppe: psychiatrische (und psychosoziale Krisen); Erwachsene; keine primäre Suchterkrankungen

Das Krisentelefon Normale werktägliche Arbeitszeiten: „telefonischer Hintergrund“ = therapeutische Mitarbeiter (ca. 30-40) aller Vereinsbereiche nach festem Plan, keine „Freistellung“ für Krisentätigkeit Nach 16.30 Uhr und am Wochenende: Mitarbeiter der Krisenwohngruppe und einer Wohngruppe Interventionsmöglichkeiten: entlastende Gespräche, Weiterleitung an weitere Beratungsangebote, Einschalten der mobilen Rufbereitschaft, Pat. zum Aufenthalt in den Räumlichkeiten des PTV einladen, Aufnahme in Notbett/Krisenwohngruppe

Die mobile Rufbereitschaft Ca. 15 MA vorwiegend aus ambulantem Betreuungsdienst; auch hier keine „Freistellung“ von üblichen Beschäftigungen 1 MA (Alleinarbeit), Handy, Fahrzeug Einsatzorte: Hausbesuch, Polizeiwache… Bei möglicher Fremdgefährdung primär gemeinsam mit Polizei Einarbeitung u.a. Einweisung, Fortbildung zu Suizidprävention, Gewaltprophylaxe, Hospitationen, Nachtbereitschaften auf Krisenwohngruppe, Satteldienste

Krisenbett und Krisenwohngruppe Notbettaufnahme praktisch ohne Voraussetzungen, sogar anonym; wenige Ausschlußkriterien (fehlende Absprachefähigkeit bei Aggressivität, Suizidalität; spezifische medizinische Situationen) bis zum nächsten Werktag 2 Tagesschichten: 3,5 VK, aufgeteilt auf 5 Mitarbeiter, zusätzlich 1 Aushilfe, 1 FSJ-Stelle Nachtbereitschaften multiprofessionell besetzt aus verschiedenen Vereinsbereichen Hinzuziehen der mobilen Rufbereitschaft möglich 2016: 129 Tage Belegung des Notbetts; 2954 Belegungstage der KWG insgesamt, davon ca. 1/3 in Kombination mit Tagesklinik, 121 Fälle, Verweildauer 25 Tage

Unser Notbettzimmer

Einige wichtige Prinzipien Individuelles Vorgehen Ressourcenaktivierend Einbeziehung des sozialen Umfelds, wo immer möglich Gefährdungsvermeidung (Selbst- und Fremdgefährdung, besonderer Blick auf Kinder) Kein Teildienst entscheidet über Maßnahmen des anderen Bereiches Begleitung in Klinik – auch bei Krankentransport Zugriff auf Kriseninformationen im Intranet

Typische Anliegen und Konstellationen im Krisendienst 43 J, w, ruft selber an: vor längerer Zeit PT, kennt „Skills“ zur Spannungsregulation, jetzt seit mehreren Stunden starkes Zittern, Gedankenkreisen, Herzrasen, Gefühl, verrückt zu werden, könne sich nicht mehr helfen 53 J, m, Ehefrau ruft an: er habe heute erfahren, dass seine Wohnung geräumt wird und Suizidgedanken geäußert, längere depressive Entwicklung nach Trennung, Post nicht mehr geöffnet, Alkoholmissbrauch 23 J, m, Sozialarbeiter aus Flüchtlingsunterkunft ruft an: Herr A. habe sich nach Streit in Unterkunft bd. Unterarme aufgeschnitten 38 J, w, Schwester ruft an: in Vergangenheit mehrere depressive und psychotische Phasen, jetzt seit ca. 2-3 Wochen kaum noch Schlaf, Chaos in der Wohnung, „Telefonterror“ bei Freund, aggressiv gegenüber den betagten Eltern, dort Situation heute eskaliert

Wovon Hilfesuchende profitieren Emotionale Entlastung durch Gespräche Aktivierung von Ressourcen (eigene und des sozialen Umfelds) Informationen, insbesondere weitere Angebote und Hilfsmöglichkeiten Vermittlung in weitere Hilfen (z.B. zeitnaher Arztkontakt) Wahlmöglichkeiten (Klinik, Krisenwohngruppe, kurzer Aufenthalt im Haus etc.) Existenz des Krisendienstes/Krisenbetts alleine gibt Sicherheit! Entscheidend: „relevanten und realistischen“ nächsten Schritt finden

Der Krisendienst 2016 in Zahlen

Der Krisendienst 2016 in Zahlen

Der Krisendienst 2016 in Zahlen

Finanzierung Städtischer Zuschuss Krisenwohngruppe: (Teil-)finanzierung durch Krankenkassen (häusliche Krankenpflege + Tagesklinikbudget) Bei BeWo-Klienten Abrechnung von Fachleistungsstunden Vertrag der Integrierten Versorgung (GPG-NRW)

Qualitätssicherung Auswahl der Mitarbeiter Einarbeitung Fortbildung Verbindliche Vereinbarung von Verfahren und Abläufen (QM) Nachbesprechung von Kriseneinsätzen Kooperationsbesprechungen

Besondere Herausforderungen Organisationsbezogen: Die Mitarbeiter „bei der Stange halten“ Gefährdung „Zusatzbelastung“ Besondere Patientengruppen Doppeldiagnosen „Heavy User“

Zukünftige Entwicklung des Krisendienstes Verbindlichere Kooperation mit Kooperationspartnern wie Ordnungsamt, Polizei etc. -> Projekt „Vermeidung von Zwang in psychiatrischen Hilfesystemen“ der BAG GPV Nach dem Kriseneinsatz: wie geht es weiter? ->Intensiv aufsuchende Behandlung („Home Treatment“)

Wenn wir bisher keinen Krisendienst hätten… „Die Forderung nach Krisendiensten behindert den Dienst in Krisen!“ (Reinhard Peukert, in Ortiz-Müller et al: Praxis Krisenintervention, 2010)

Zusammenfassung Der Krisendienst des PTV leistet eine wichtige Aufgabe in der Unterstützung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, in der Suizidprävention und der Gefahrenabwehr sowie für den Zugang zum Hilfesystem und in der Vermeidung ungünstiger Krisenentwicklungen Auch mit begrenzten Ressourcen lässt sich ein Krisendienst organisieren über Jahrzehnte betreiben Dies erfordert u.a. Kreativität in der Bündelung von Ressourcen, kontinuierliche Motivation der Mitarbeiter, Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!