Verfahrensabläufe im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt

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 Präsentation transkript:

Verfahrensabläufe im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Christel Pakoßnick, Kinderschutzfachkraft JA Frechen Sabine Türk, ASD Kreisstadt Bergheim 04.04.2017

1. Rechtliche Grundlagen des Schutzauftrages Artikel 1 GG: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. … Artikel 2 GG: (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt …... (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich……

1. Rechtliche Grundlagen des Schutzauftrages Artikel 6 GG: (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) … (5) Den nichtehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen …zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

§ 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Erziehungsberechtigten anzubieten.

§ 8a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (2) Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich… (3) Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger… (4) In Vereinbarungen mit den Trägern (…) (5) Werden einem örtlichen Träger gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt…

2. Meldungseingänge Eingänge häuslicher Gewalt: Schriftlich (Fax, e-mail, Brief): In der Regel Polizeibericht 2. Telefonisch: Polizei, Nachbarn, Kliniken, Familienangehörige, Ärzte, Frauenhäuser, Fördereinrichtungen, Schulen, Kitas, usw. 3. Persönlich: Betroffene selbst (Kinder, Jugendliche oder Elternteile)

3. Gefährdungseinschätzung gem. § 8a SGB VIII Im Jugendamt Frechen und bei der Kreisstadt Bergheim werden Meldungen häuslicher Gewalt grundsätzlich als § 8a-Fall (Kindeswohlgefährdung) behandelt , d. h. die bestehenden Verfahrensabläufe gem. § 8a SGB VIII werden in Gang gesetzt. Die Jugendämter unterscheiden sich in ihren eigenen Verfahrensabläufen, die durch die gegebenen Strukturen geprägt sind.

4. Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Dokumentation: a) Eingang Polizeibericht b) Meldung wird durch die ASD-Fachkraft aufgenommen

Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Einschätzung des Gefährdungsrisikos (mit mehreren Personen): - ist die Familie bekannt? - Alter der betroffenen Kinder - besteht eine Fallzuständigkeit? - ist bereits eine Hilfe installiert? - erstmalige Meldung? - Was ist der Inhalt der Meldung? - worin konkret besteht die Gefährdung? - wie akut ist die dargestellte Gefährdung? - sind Risikofaktoren bekannt? - welche Schutzfaktoren sind bekannt?

Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Planung des weiteren Vorgehens: unangekündigter Hausbesuch (sofort oder innerhalb von 24 Stunden) angekündigter Hausbesuch innerhalb von 5-7 Tagen Einladung ins Jugendamt Hintergrundrecherchen (Kita, Schule, Kinderarzt, eingesetzte Hilfe, etc.) Aufgabenverteilung bei evtl. notwendiger Inobhutnahme Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zur berücksichtigen: Die Maßnahme bzw. Vorgehen, darf nicht die Grundrechte verletzen. Damit eine Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, nicht rechtswidrig ist, muss sie dem kompletten Begriff der Verhältnismäßigkeit genügen. Dieser beinhaltet sowohl die Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne, was so zu verstehen ist, dass sie einen legitimen Zweck verfolgen, geeignet und erforderlich sein muss, sondern auch noch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, was bedeutet, dass die Maßnahme angemessen sein muss.

Voraussetzungen einer Maßnahme zur Erfüllung der Verhältnismäßigkeit Um festzustellen, ob die geplante Maßnahme die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit erfüllt, müssen folgende Punkte geprüft werden: Legitimer Zweck: Ist der Zweck, der die Maßnahme erforderlich macht, überhaupt legitim? Geeignetheit: Bewirkt (oder fördert) die Maßnahme das Erreichen des Zwecks? Erforderlichkeit: Steht kein anderes beziehungsweise milderes Mittel zum Erreichen des Zwecks zur Verfügung Wie stehen die Vorteile der Maßnahme im Zusammenhang mit deren Nachteilen?

Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Beispiel eines unangemeldeten Hausbesuches bei einer bisher nicht bekannten Familie a) Familie wird nicht angetroffen: - vorgefertigtes Schreiben wird hinterlassen mit der Bitte, sich umgehend oder innerhalb einer genannten Frist bei der zuständigen Fachkraft zu melden Ausnahme: Akute Gefährdung kann nicht ausgeschlossen werden. Ein sofortiger Eingriff ggf. mit Unterstützung der Polizei mit Zugang zu Wohnung muss herbeigeführt werden.

Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt b) Familie wird bei HB angetroffen: - Herstellung einer Gesprächsbasis und Transparenz des Anliegens - Verdeutlichung des eigenen Auftrages und Benennen des Anlasses - Konfrontation der Sorgeberechtigten mit den Inhalten der Meldung, ggf. Fakten - Gelegenheit zur Stellungnahme der Familie hierzu geben - Klarheit in den Sachverhalt bringen (Glaubwürdigkeit der Aussagen benennen und ggf. Zweifel ansprechen) - Häusliche Umgebung und anwesende Kinder/Jugendliche werden in Augenschein genommen

Verfahrensablauf im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt Beziehungs- und Interaktionsbeobachtung zwischen den Familienmitgliedern Erste mögliche Einschätzung: - Sind die Eltern einsichtig, kooperativ? - sind die Kinder akut gefährdet? Entscheidung: - Kinder bleiben in der Obhut der Familie - Kinder müssen in Obhut genommen werden

5. Zwischen Beratung, Hilfe zur Erziehung und Kinderschutz a) Eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung und Versorgung ist nicht vollständig gewährleistet, aber nicht gefährdend b) Eltern wollen und/oder können Hilfe nicht annehmen Hilfe zur Erziehung: a) Eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung und Versorgung ist nicht vollständig gewährleistet, aber nicht gefährdend b) Eltern sind einsichtig, haben Problembewusstsein, sie wollen und können Hilfe zur Abwendung der Gefährdung annehmen. Die Hilfe ist zur Abwendung der Gefährdung geeignet.

Zwischen Beratung, Hilfe zur Erziehung und Kinderschutz § 8a Schutzkonzept: a) Das Wohl des Kindes oder Jugendlichen ist gefährdet b) Eltern wollen und/oder können Hilfe zur Erziehung annehmen. Jugendamt kann Aufträge und Auflagen zur Abwendung der Gefährdung machen. § 8a SGB VIII Anrufung des Familiengerichtes, ggf. Antrag Teilentzug der elterlichen Sorge: b) Eltern sind nicht einsichtig, haben kein Problembewusstsein, sie wollen und können Hilfe zur Abwendung der Gefährdung nicht annehmen