Lebensphasenorientierte Zeitpolitik: Modelle und Ansätze

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 Präsentation transkript:

Lebensphasenorientierte Zeitpolitik: Modelle und Ansätze DGB – TU Berlin: Ringvorlesung: „Arbeitszeit und Lebenszeit in der digitalen Optimierungsgesellschaft –Zeit, darüber zu reden“ 17. November 2016 Lebensphasenorientierte Zeitpolitik: Modelle und Ansätze Prof. Dr. Ulrich Mückenberger ulrich.mueckenberger@uni-bremen.de 1

Eine neue Zeitpolitik in der Arbeit Inhalte… Eine neue Zeitpolitik in der Arbeit Widersprüchliche gesellschaftliche Zeitgestaltung Zeit zum Leben! Zeitpolitische Anforderungen Wie weiter? 2

1. Eine neue Zeitpolitik in der Arbeit IG Metall 2016 “Mein Leben. Meine Zeit”. Darin: “Mehr Selbstbestimmung.” Darin: “Arbeitszeit muss für die Beschäftigten planbar und beeinflussbar sein.” “Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben stärken – durch lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle.” IG BCE 2016 “Der berechtigte Wunsch vieler Beschäftigter ist es, mehr Freiheit für das Leben außerhalb der Arbeit zu erhalten” (Michael Vassiliadis) > Unterschiedliche Wochen-AZ im Lebensverlauf? EVG 2016 Teil der Tarifrunde in Geld, Teil in Zeit? Ver.di 2015 „Arbeitszeitgestaltung als Kernelement Guter Arbeit: Dazu gehört auch eine Arbeitszeitgestaltung, die unterschiedlichen Ansprüchen und Bedarfslagen in verschiedenen Lebensphasen und -situationen Rechnung trägt und bei denen neben familiären, persönlichen und gesellschaftlichen Anliegen auch berufliche Qualifikations- und Weiterbildungsbedarfe zu berücksichtigen sind.“ 3

2. Widersprüchliche gesellschaftliche Zeitgestaltung Arbeit Wirtschaft und Arbeit verändern grundlegend ihren Charakter. Sie werden räumlich und zeitlich „entgrenzt“ (ent-betrieblicht), flexibilisiert und für die beschäftigten Menschen z. T. immer unsicherer. Wissen und „Lernen-Lernen“, „Wissen vermarkten können“ werden für Individuen - Männer wie Frauen, Familien, eben auch Kinder - überlebenswichtig. Lebenszyklen verlieren dadurch ihre traditionellen Rhythmen und beschleunigen sich, Phasen der Beständigkeit und Ruhe werden zur Ausnahme. 4

Familien/Haushalte Ihnen weisen Flexibilisierung und Individualisierung mehr Arbeit an der Herstellung des sozialen Zusammenhalts zu (als Rückhalt für „flexible Menschen“, als „Puffer“ für bedrohte berufliche Lagen, als verlängerte Lern- und Arbeitsstätte). Zugleich mindern sie aber ihre Bindekraft (verändertes Geschlechterverhältnis, Scheidungsquoten, erhöhte Mobilität, Geburtenrückgang inländischer Bevölkerung, veränderte Haushaltsformen etc.). Die Organisation des Alltags wird zum zeitlichen Balanceakt. „Einheit des Alltages“ (Helga Krüger) ist kaum mehr erfahrbar. 5

Kommune/Gemeinwesen Die staatliche (vor Allem kommunale) Gemeinschaft wird zum „Lückenbüßer“ für diese Tendenzen. Zugleich werden ihr die Ressourcen entzogen, Abhilfe für die Verwerfungen von Arbeit und Familie zu schaffen. Informelle Netze von Familie und Nachbarschaft verlieren oft ihre Kraft oder lösen sich auf. Kommunen geraten durch Entstädterung in Gefahr. Sie verlieren Einwohner (nicht unbedingt „Nutzer“). Durch Konkurrenz mit anderen Wohn-, Arbeits- und Freizeitattraktoren, durch allseitige Kommerzialisierung geraten sie unter Beschleunigungs- und (Individual-) Verkehrsdruck und werden noch unattraktiver. 6

Mögliche Zukünfte Die Verwerfungen in Arbeit, Familien und örtlicher Gemeinschaft werden sich fortsetzen, gar beschleunigen. Die Entwicklungen in Erwerbsarbeit und Familien werden für kaum umkehrbar gehalten - wegen Zwängen der Globalisierung und wegen der Enttraditionalisierung von Lebensformen. Möglichen Alternativentwicklungen der lokalen Gemeinschaften dürfte besondere Aufmerksamkeit beizumessen sein. 7

3. Zeit zum Leben! Zeitpolitische Anforderungen 1. Zeit, das schwedische Modell der Vereinbarkeit von Beruf und Familie neu zu begreifen und den kontinental-europäischen Bedingungen angepasst bei uns umzusetzen. Dieses Modell setzt sich zusammen aus - einer familienfreundlichen Arbeitszeitpolitik, - einem einkommensbezogenen Elterngeld und - einer zeitpolitisch sensiblen lokalen Betreuungsinfrastruktur. 8

Optionalität ist nicht gleich Flexibilität 2. Im öffentlichen Diskurs müssen optionale Zeitgestaltungen zugunsten der Beschäftigten und flexible Arbeitszeiten für die Unternehmen klar unterschieden werden. Beide müssen gleiche Legitimität genießen – nicht die eine von der anderen „kolonisiert“ werden. 9

Mehr Zeit für nicht erwerbliche Arbeit 3. Beschäftigte sollten größere Optionen erhalten, Zeitanteile der Erwerbsarbeit für andere zum gesellschaftlichen Überleben gleichermaßen erforderliche Zwecke (wie Bildung, Gesundheit, Elternschaft, Ehrenamt) umwidmen zu können. 10

“Flexicurity” – ernst genommen 4. Auszubauen - zu allererst jedoch einmal zu verstehen und ernst zu nehmen - ist ein arbeitszeitpolitisches Modell der „Flexicurity“, das Geschmeidigkeit („flexibility“) und Verlässlichkeit („security“) miteinander verbindet und somit unternehmerischen wie Beschäftigteninteressen in gleicher Weise zugute kommt. 12

Zeitliche “Ziehungsrechte” 5. Erstrebenswert ist insgesamt die Entwicklung eines Systems der zeitlichen „Ziehungsrechte“ („drawing rights“), das einerseits Beschäftigten Optionsrechte für die zweckgebundene Freistellung von Erwerbsarbeit über die Biographie hinweg eröffnet und das andererseits die zweckgerechte Tragung der Lasten dafür fair regelt. 13

Abschied von der “Drei-Phasen-Biografie” 6. Erforderlich ist heute, Phasen des Lernens/der Sozialisation, des Arbeitens/der Regeneration und der Rekreation nicht mehr als sequentiell und einander ausschließend zu betrachten, sondern als miteinander verzahnt. Dem veränderten Lebenslauf muss ein verändertes Institutionensystem Raum geben. 14

Z. B. altersgerechte Arbeitsplätze 7. Das impliziert z. B., dass Arbeitsplätze altersgerecht ausgestaltet und dass damit älteren Menschen die Chance eröffnet wird, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen den nachfolgenden Generationen zu vermitteln. 15

Lokale Zeitpakte 8. Notwendig sind örtliche - sowohl ressortübergreifende als auch private und öffentliche Akteure einschließende - Aushandlungsprozesse zur Erzielung der Vereinbarkeit von Dienstleistungsangeboten und - nachfrage (z. B. „lokale Zeitpakte“, Mobilitätspakte). 16

Bürgerarbeit und Ehrenamt 9. Ohne Bürgerarbeit und Ehrenamt ist der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet. Sie sind daher auch aus zeitpolitischer Perspektive zu fördern. 17

Zeit für Zeit 10. Um zeitpolitischen Zielen Raum zu geben, ist - wie in allen gesellschaftlichen Bereichen - auch in der Arbeitswelt die Zeitkompetenz der Individuen zu stärken. Zu ihrer Ermutigung ist den Menschen „Zeit für Zeit“ zu verschaffen. 18

Zeitpolitisches Monitoring 11. Notwendig ist ein „zeitpolitisches Monitoring“, - das systematisch dem Verhältnis von zeitlichen Angeboten und zeitlicher Nachfrage nachgeht, - das Konflikte identifiziert, - das Kriterien für zeitliche Lebensqualität entwickelt sowie gesellschaftliche Maßnahmen zeitpolitisch evaluiert und - das normative Vorschläge zur Weitentwicklung von Zeitpolitik unterbreitet. 19

4. Wie weiter? Kampf um eine neue Zeitkultur („Zeitkompetenz“ oder „Zeitachtsamkeit“) Besseres Zeit-Management oder bessere und konsistentere Zeitpolitik? Ein neues Verhältnis zwischen Individuum, betrieblicher, tariflicher und gesetzlicher Arbeitszeit-Regulierung (national wie europäisch) Für eine koordinierte Strategie zwischen DGB und Mitgliedsgewerkschaften bei der Arbeitszeitgestaltung