Definition von Abschlüssen und Zertifikaten „In der Weiterbildung sind Abschlüsse und Zertifikate Nachweise über erbrachte Lernleistungen. Abschlüsse und Zertifikate sind mit Prüfungen verbunden und unterscheiden sich dadurch von Teilnahmebescheinigungen, die lediglich Auskunft über den Besuch einer Bildungsveranstaltung geben. Abschlüsse sind Lernnachweise, die von offiziellen Stellen (...) vergeben werden und oftmals gesetzlichen Regelungen unterliegen. Durch diesen höheren Grad an Formalisierung und öffentlicher Regulierung unterscheiden sich Abschlüsse von Zertifikaten, wenngleich eine klare Trennung in der Praxis schwer fallen kann. Neben Abschluss und Zertifikat existieren noch weitere Bezeichnungen für Lernnachweise in der Weiterbildung (z.B. Diplom, Pass), die eine regionale, sektor- bzw. themenspezifische Bedeutung haben.“ Käpplinger 2007, S. 19
3s research laboratory, Zertifikate oder Qualifikationen? Eine gängige Definition von Qualifikation „Qualifikation [ist] das formale Ergebnis eines Beurteilungs- und Validierungs- prozesses, bei dem eine dafür zuständige Stelle festgestellt hat, dass die Lern- ergebnisse einer Person vorgegebenen Standards entsprechen.“ Quelle: EMPFEHLUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen
Ca. jede fünfte Kursteilnahme in der dt. Erwachsenen- bildung schließt mit einem Zertifikat oder Abschluss ab Quelle: BMBF 2013, S. 12
Zertifikatstypologie (Berliner Studie) Quelle: Käpplinger 2007, S KurseStunden- volumen A)Weiterbildungszertifikate in Verknüpfung mit anderen Bildungsbereichen, z.B.: Nachholen von Schulabschlüssen, Mappenvor- bereitungskurse, bestimmte Sprachkurse für Universitäten 115 (2,4%) (1,7%) B) Weiterbildungszertifikate in Verknüpfung mit dem Berufsbildungsystem, z.B. Meisterkurse, Fortbildungsprüfungen, komplementäre Nachweise (43,5%) (82,1%) C) Weiterbildungszertifikate, die auf weiterbildungsspezifischen Systematiken basieren, z.B. IT-Kurse, Europäischer Sprachenrahmen, Träger-/Verbandzertifikate (54,1%) (16,2%) Total (100%) (100%)
3s research laboratory, Quelle: Markowitsch 2009www.3s.co.at Typologie von Qualifikationen Haupt- qualifikationen Teil-, Zusatz- oder Spezialqualifikationen Teil des öffentlichen-formalen Bildungssystems Reife- und Diplom- prüfung, akade- mische Grade, etc. Teilabschlüsse von Universitätslehrgänge oder der BRP Nicht Teil des öffentlich- formalen Bildungssystems, jedoch gesetzlich geregelt SchilehrerInnen-, TaxilenkerInnen-, ZiviltechnikerInnen- prüfung etc. Erste Hilfe Kurse sowie diverse Lenker- berechtigungen Nicht Teil des öffentlich- formalen Bildungssystems und nicht gesetzlich geregelt „SAP Business Process ManagerIn“, Yoga-TrainerIn, etc. Sprachenzertifikate (z.B. TOEFEL, etc.) oder IT-Zertifikate (z.B. ECDL)
3s Unternehmensberatung, Ein anderer Blick auf Zertifikate Sichtbarmachung Anerkennung Zertifizierung Validierung Bewertung des Lernens Zufälliges Lernen Informelles Lernen Non-formales Lernen Formales Lernen Zugang zum Arbeitsmarkt Gewerbeberechtigung, Befähigungsnachweise, Zertifizierungen gemäß EN ISO/IEC Zugang zum Bildungssystem Externistenprüfungen, Berufsreifeprüfung, Zugang zu Fachhochschulen und Universitätslehrgängen Betrieblicher Personalentwicklung Arbeitszeugnisse, firmeninterne Zertifizierungen Produkt-Schulungszertifikate, Individuelle Kompetenzentwicklung Portfolios, Bildungspässe, ProfilPASS, Kompaz, Schweizerische Qualifikations- handbuch
Abschlüsse und Zertifikate im Geflecht der Interessen Quelle: Käpplinger 2007, S. 13
Zertifikate in der Weiterbildung und Arbeitsmärkte - Faulstich/Vespermann (2001) verdeutlichen das sogenannte Poaching- Problem mit dem Zitats eines Personalverantwortlichen: „Da ich viel in ihn investiert habe, möchte ich das als Unternehmensvertreter gar nicht, sondern möchte ihn halten und wäre unter diesem Aspekt mit einer Zertifizierung eher zurückhaltend. Mir ist allerdings bekannt, dass die Mitarbeiter ein gegenteiliges Interesse haben.“ - Zertifikate bewegen sich mehrfach im „Zwischen“. Einerseits zwischen Bildungssystem und Arbeitsmärkten und andererseits z.B. zwischen verschiedenen Bildungsbereichen: „Zertifikate kommunizieren Selektionen.“ (Kade 2005, S. 506)
Verschiedene Interessen führen zu verschiedenen Funktionen von Zertifikaten und Abschlüssen Kell (1982, S. 291f) listet neun Funktionen von Nachweisen auf: 1. Lernanreizfunktion (Berechtigungen schaffen Motivation zum Lernen) 2. Beurteilungsfunktion (Zertifikate dokumentieren Urteile über Lernergebnisse) 3. Disziplinierungsfunktion (der Nichterwerb oder Erwerb eines Zertifikats erzeugt Leistungsdruck) 4. Informationsfunktion (Aussagen über die Lernenden und ihr Wissen) 5. Allokationsfunktion (Orientierung bei der Platzierung von Absolventen) 6. Selektionsfunktion (Zertifikate helfen bei der Bewerberauswahl) 7. Optionsfunktion (weitere Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsgängen und beruflichen Laufbahnen) 8. Monopolisierungsfunktion (Zertifikate begrenzen Zugänge und wirken so limitierend auf Konkurrenzsituationen) 9. Herrschaftsfunktion (Legitimierung der Besetzung von Machtpositionen)
Anforderungen an ein erwachsenengerechtes Zertifikatssystem (vgl. Schulenberg 1974) 1.Anpassungsfähigkeit der Zertifikatssysteme an neue gesellschaftliche Entwicklungen 2.Ausbaumöglichkeiten der Zertifikatssysteme bei neuen Bildungsbedarfen 3.Anschlussfähigkeit der Zertifikatssysteme an andere Bildungsbereiche 4.Sammeln von Zertifikaten über eine Akkumulation von Teilqualifikationen 5.Zeitliche und räumliche Unabhängigkeit bei der Sammlung von Teilqualifikationen 6.Räume der Eigenverantwortung und eigenverantwortlichen Schwerpunktsetzung für die Lernenden 7.Akzeptanzsicherung der Zertifikate bei Nachfragern im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt
Abschlüsse und Zertifikate: Umstrittene, aber nicht wegzudenkende Elemente von Bildungssystemen -„Abschlüsse, die wieder neue Lernanschlüsse generieren.“ (Nittel 1996) -„Die Gründe für die erneute Diskussion um Zertifikate und Abschlüsse sind eng verbunden mit der ökonomisch motivierten bildungspolitischen Debatte um das lebenslange Lernen.“ (Nuissl 2000, S. 111) -„Schicksalsstunden bestimmen hier über Lebenswege. Es sieht so aus, als ob manchesmal Minuten über Jahrzehnte entscheiden.“ (Tietgens 1984, S. 243) -Abschlüsse „waren ja das Vehikel der liberalen bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, um ständische und zunftgebundene Privilegien auszuhöhlen und zu beseitigen. Es ist damit auch ein Mittel des sozialen Aufstieges.“ (Oehler 1980, S. 125). -„In den vergangenen Jahrzehnten hat in Deutschland eine Angleichung an das altchinesische Bürokratiemodell dergestalt stattgefunden, dass die Höhe eines Bildungsabschlusses die zukünftigen Status- und Einkommenschancen reguliert.“ (Volkholz/Köchling 2001, S. 381) -„Bildung oder Qualifikation?“ (Kade 1983)
Was haben diese beiden Persönlichkeiten gemein? © ©wikipedia
Erwachsenenbildungseinrichtungen treten in Österreich seit etwa 15 Jahren verstärkt als Anbieter formaler (abschlussbezogener) Erwachsenenbildung auf: Vorbereitungskurse für den Hauptschulabschluss Berufsreifeprüfung berufsbegleitender Fachhochschul-Studiengänge Megatrends der Erwachsenenbildung Entgrenzung der Bildung, Pädagogisierung bzw. Universalisierung der Pädagogik, Professionalisierung, Ökonomisierung der Bildung, Vocationalism (Verberuflichung), Formalisierung … Beispiele für Formalisierungstrend
Wie soll sich die Erwachsenenbildung im stetig wachsenden Angebot der öffentlichen Zertifikate und Industriezertifikate positionieren? Welche Rolle spielen Zertifikate in der zunehmenden Verflechtung von formalen und non-formalen Lernen sowie Erstausbildung und Weiterbildung und welche Auswirkungen sind für die Erwachsenenbildung zu erwarten? Bedarf es national bzw. international eines Klassifizierungssystems der Qualifikationen? Und wenn ja, wie sollten Eckpunkte aussehen? Welche realen Auswirkungen haben Zertifikate auf Lehr- und Lernprozesse? Erhöhen Sie die Qualität der Lehrangebote? Befördern Sie rein instrumentell abschlussorientierte Lernhaltungen? Diskussionsanreize
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