Universität und Wissenschaft: Die Städte der Welt und die Orte des Wissens Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, Vortragsreihe “Städte.

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 Präsentation transkript:

Universität und Wissenschaft: Die Städte der Welt und die Orte des Wissens Forum Internationale Wissenschaft der Universität Bonn, Vortragsreihe “Städte der Welt: Komplexität und funktionale Differenzierung” Rudolf Stichweh, 2. März 2016

Städte der Welt: Komplexität und funktionale Differenzierung Stadt Strukturbildungsform sui generis Gemeinschaft von Fremden, Indifferenz, Abwesenheit fällt nicht auf Stadt und Politik Bürgerstadt oder Einwohnerstadt Globale Stadt oder Nationale Stadt Stadt und Komplexität Zahl der Elemente, Selektivität der Verknüpfungen Homogenität und Heterogenität der Verknüpfungen Stadt und funktionale Differenzierung Genese und Progression funktionaler Differenzierung Funktional geprägte Stadt oder transfunktionale Metropole The Probable Diffusion of Great Cities (StadtLand)

The Probable Diffusion of Great Cities "Practically, by a process of confluence, the whole of Great Britain south of the Highlands seems destined to become such an urban region, laced all together not only by railway and telegraph, but by novel roads such as we forecast in the former chapter, and by a dense networks of telephones, parcels delivery tubes, and the like nervous and arterial connections.“ (H.G. Wells, Anticipations, 1902)

Ausgangskonstellationen von Stadt und Universität Institutionelle Dauerhaftigkeit von Stadt und Universität (keine Beschleunigung der Auflösung und Neugründung von Institutionen) Die ausschließliche Verknüpfung der Universität mit der Stadt (angesichts der Bedeutung der Stadt/Land- Unterscheidung in Europa überraschend) Vgl. demgegenüber: Klöster, Schulen Die Verknüpfung der Universität mit dem Namen der Stadt Die Seltenheit der Migration ganzer Universitäten

Stadt und Universität als Korporationen von Fremden Korporativer Charakter sowohl der Stadt wie der Universität – beide sind „universitates“. In der Stadt sind viele der dort Wohnenden, erst dadurch wird sie zur Stadt, füreinander Fremde, nicht von vornherein miteinander vertraut. Die Universität versammelt Personen, die aus allen Regionen Europas dorthin gewandert sind, die also füreinander Fremde sind. Für die Bewohner/Einwohner der Stadt sind die Mitglieder der Universität in zugespitztem Sinne Fremde.

Die Unilokalität der Universität im Unterschied zur Multilokalität des Unternehmens (MNU), der Kirchen etc. die Persistenz der Unilokalität der Universität. Einwand: föderale Universitäten, International Branch Campuses Unilokalität und der Charakter der Universität als Anwesenheitsgesellschaft der Campuscharakter der Universität, Präferenz für die Einheit möglichst eines Orts, Korrelation mit Status der Universität räumliche Schließung der Universität durch Hinzunahme des Wohnens auf dem Campus, erneut Korrelation mit Status

Die Stadt der Universität und die Funktionen/Funktionssysteme der Gesellschaft Distanz zu Politik, Hof, Residenz, Regierungssitz Distanz zu Garnisonsstadt, Militär Plazierung der Universität auf der Seite der Kirche, Bischofssitz Distanz zu Bürgerstadt, Handelsstadt, Handelshafen (Hamburg, Bremen, Stockholm) Universität, Wissen, Gelehrsamkeit als eine Funktion für sich selbst – konsequent die Ausbildung eines eigenen Stadttypus – die Universitätsstadt

Der Wandel der Stadt Aus der funktional geprägten Stadt wird die Stadt als Differenzmaschine, als Ort des Vollzugs funktionaler Differenzierung Offenheit der Stadt für die Aufnahme beliebiger Funktionen – Ausstattung der in der Stadt angesiedelten Funktionen mit komplexer Welthaltigkeit

Verschiebung des Typus der Universitätsstadt und die Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems Die kleine, funktional auf Gelehrsamkeit und Wissenschaft ausgerichtete Stadt gewissermaßen als Infrastruktur einer auf Autonomie und ‚purity‘ ausgerichteten Wissenschaftskultur in der Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems Die große, multifunktionale, alle Funktionen mit Welthorizont ausstattende Metropole als Ort einer Wissenschaft, die Autonomie als gesichert unterstellen kann und ihre vielfältige gesellschaftliche Einbettung über Responsivität der Wissenschaft zu sichern und zu symbolisieren vermag Aber nicht eine vollständige Ersetzung des einen durch den anderen Typus, vielmehr die Koexistenz des einen und des anderen Typus – als reale und symbolische Repräsentation einer bipolaren Wissenschaftskultur durch die Differenz der Stadt- und der Universitätstypen Die Metropole als Agent einer Dezentrierung von Gelehrsamkeit und Wissenschaft Man findet alle seine Beobachtungsmöglichkeiten dort und hat zugleich klares Bewußtsein der eigenen Relativität

Die Wiederkehr der mittelalterlichen Situation: Die Universität als eine willkommene und unwillkommene Institution Die Theorie des Humankapitals und der „creative class“ Die Universität und die Hoffnung auf „high technology“ und Ausgründungen durch „entrepreneurs“ Die Universität und die Informalisierung und Intellektualisierung der städtischen Kultur Die Universität und eine ökonomisch nichtrationale Nutzung knappen und extrem teuren städtischen Raums Kommunal schwer tolerable Steuerausfülle durch eine steuerlich privilegierte Universität Die Universität und die Gentrifizierung der Stadt, Verdrängung einkommensschwacher Schichten Die Bildungsschichten der Stadt, Schule, Musikkultur, zeitgenössische Kunst – die Fremdheit der analytischen Perspektiven der Universität Lokale Kulturen der Einbettung oder der Rejektion der Universität ergeben sich aus den Formen der Aushandlung dieser Konflikte

Wissenschaft und Stadt Die Zuspitzung der Fremdheit – Wissenschaft ist der Sache nach eine Ausdifferenzierung der Perspektive des Fremden Welt-Fremdheit als die der Wissenschaft eigene Form Bsp. Bartoli 1645: Die natürliche Wahrheit des Himmels ist das Faktum der Pilgerschaft der Erde – eine solche Wahrheit entdeckt nur, wer sich selbst (lebensgeschichtlich) auf Pilgerschaft begibt. Während für die einzelne Universität eine Bindung an eine einzelne Stadt eine historische Konstante ist, gilt diese Bindung für den einzelnen Gelehrten/Wisssenschaftler nicht.

Organisatorische Infrastrukturen und die Eigenstrukturen der Wissenschaft – Die Lösung von der einzelnen Stadt Wissenschaftler sind über Arbeitsplätze / Labors und über Beschäftigungsrollen an Universitäten und andere Wissenschaftsorganisationen gebunden. Aber dies begründet keine inhärenten Beziehungen zur Stadt. Individualismus der Wissenschaftler Mehrfachmitgliedschaft in Organisationen Temporale Parameter: Verkürzung der Aufenthaltszeiten – Sabbaticals, fellowships, Gaststatus Schwierigkeiten des Managements von Wissenschaft von den Organisationen aus Die Universität als pied-à-terre Kooperation und Koautorschaft als Netzwerkbildung jenseits der Universität und ihrer Leitung Globale small worlds als zugrundeliegende Sozialstruktur Wissenschaft als globale Arbeits- und Lebensform ohne Bindung an spezifische Städte Ähnlich wie Wissenschaftler Knotenpunkte und ‚hubs‘ in den Small World Netzwerken des Wissenschaftssystems sind, fungieren parallel Städte als Knotenpunkte und ‚hubs‘ in den Lebensformen, die der Wissenschaft zugrunde liegen

Die Ubiquität der Wissenschaft Die Bindung der Wissenschaft gerade an die extremen Orte der Welt Tiefsee Hochgebirge Weltall, Stratosphäre Unterirdische Teilchenbeschleuniger Ausgrabungen (i.e. nicht mehr existierende Städte) Von der Weltgesellschaft isolierte „tribes“ Soziale „microsettings“ (gerade auch in der Stadt) Antarktis