Vorlesung Behindertenrecht HS 13 Dr. iur. Caroline Hess-Klein.

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 Präsentation transkript:

Vorlesung Behindertenrecht HS 13 Dr. iur. Caroline Hess-Klein

Vorlesung 1 A.Einführung in die Vorlesung / Überblick Schweizer Behindertenrecht B.Begriff der Behinderung

Einstiegsbeispiele

Beispiel 1 Ein Museum wird umgebaut. Geplant ist insbesondere eine neue Halle am Eingang, welche ausschliesslich durch Stufen erreichbar ist. In dieser Halle sollen unterschiedliche Informationen zur Verfügung stehen, später allenfalls auch Getränkeautomaten. Das Museum will Menschen im Rollstuhl, welche die Eingangshalle nicht erreichen können, Personal zur Verfügung stellen. Dieses soll Menschen im Rollstuhl den Zugang zur Information und zur Verpflegung ermöglichen. Themenbereich: Öffentlich zugängliche Bauten – Tragweite des BehiG

Beispiel 2 Ein Gruppe von fünf Kindern mit geistiger und körperlicher Behinderung wollen in Begleitung von drei Mitarbeitenden ihrer Heilpädagogischen Schule den Nachmittag in einem Heilbad verbringen. Dieses weigert sich, sie zuzulassen mit der Begründung, andere Gäste würden sich durch die Anwesenheit der Kinder mit Behinderung gestört fühlen. Dies könne sich das Bad aufgrund seiner wirtschaftlichen Ausrichtung nicht leisten. Themenbereich: Grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistung Privater – Diskriminierungsbegriff gemäss BehiG

Beispiel 3 A. möchte einen Film anschauen, welcher nur in einem bestimmten Kinosaal ausgestrahlt wird. Als er das Eintrittsbillet kaufen will, informiert ihn die Kinomitarbeiterin, dass ihm der Zutritt aus Sicherheitsgründen verwehrt sei. Der Saal sei nur durch ein paar Treppenstufen erreichbar und als Rollstuhlfahrer könne er im Brandfall nicht selbstständig aus dem Gebäude heraus. Zudem würde das Kino für den Fall, dass eine hilfsbereite Drittperson sich verletzen würden, haftpflichtig. Themenbereich: Grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistung Privater – Diskriminierungsbegriff gemäss BehiG

Beispiel 4 Die Weisungen zur Benutzung der Schweizerischen Nationalbibliothek halten fest, dass die Mitnahme von Tieren in die Bibliothek verboten ist. S. ist blind und kann sich ohne die Anwesenheit ihres Blindenführhundes nicht autonom bewegen. Themenbereich: Grundsätzlich von jedermann beanspruchbare Dienstleistung des Gemeinwesens – Verbot der Benachteiligung gemäss Art. 8 Abs. 2 BV / BehiG

Beispiel 5 C. ist 8 Jahre alt und hat Asperger Autismus. Seit Beginn seiner Schulung hat er eine Regelklasse besucht, mit sonderpädagogischer Unterstützung. Vor Beginn des neuen Schuljahres verfügt die Schulbehörde jedoch, dass C. neu in der heilpädagogischen Schule geschult werden muss. Der Aufwand für seine sonderpädagogische Unterstützung in der Regelklasse sei unverhältnismässig. Themenbereich: Anspruch auf genügenden Grundschulunterricht – Geltungsbereich BehiG

Beispiel 6 D. will Medizin studieren. Er ist Dyslexiker und braucht als Folge davon im Durchschnitt 1/3 mehr Zeit, um einen Text zu lesen. Aufgrund eines Arztzeugnisses stellt er deshalb bei der zuständigen Behörde ein Gesuch um Verlängerung der Prüfzeit beim Eignungstest für das Medizinstudium (EMS). Die zuständige Behörde lehnt generell zeitliche Anpassungen des EMS ab mit der Begründung, es handle sich um ein Reihungsverfahren (und nicht um eine Fachprüfung), welches insbesondere die Stressresistenz der Kandidaten überprüfen solle. Durch eine zeitliche Anpassung der Prüfungsdauer würde dieses Ziel vereitelt. Themenbereich: Aus- und Weiterbildung – Geltungsbereich BehiG – Anpassung an die Bedürfnisse von Studierenden mit Behinderung

Beispiel 7 E. arbeitet in einem privaten Unternehmen. Er ist blind und hat Epilepsie. Auf die unmittelbare Anwesenheit seines Führhundes ist E. insbesondere deshalb angewiesen, weil dieser ihn vor einem bevorstehenden Epilepsieanfall warnen kann. Der Arbeitgeber weigert sich trotz ärztlichem und tierärztlichem Zeugnis, den Hund im Büro von E. zuzulassen. Hunde könnten bei denjenigen Personen, welche sich im Büro von E. aufhalten, Ängste und Allergien auslösen. Themenbereich: Erwerb – privatrechtliches Arbeitsverhältnis

Beispiel 8 Die SBB schafft neue Doppelstockwagen an. Geplant ist insbesondere auch ein Restaurantwagen. Das Restaurant befindet sich im ersten Stock. Dieses ist für Menschen im Rollstuhl nicht erreichbar. Themenbereich:Öffentlicher Verkehr – Dienstleistung – Verbot der Benachteiligung gemäss BehiG

Beispiel 9 F. muss von Zürich nach Barcelona fliegen um dort einen beruflichen Termin wahrzunehmen. Sie begibt sich zum Check- in der Fluggesellschaft mit ihrem bereits vor längerer Zeit gekauften Flugticket. Der Check-in Mitarbeiter und anschliessend auch der Flugkapitän weigern sich, F. ohne Begleitperson an Bord zuzulassen, weil sie im Rollstuhl ist. Daraufhin sieht sich F. gezwungen, unter den anderen Flugpassagieren eine Begleitung zu finden. Die Fähigkeit der hilfsbereiten Person, F. in einem Notfall konkret zu unterstützen, wird von der Fluggesellschaft nicht geprüft. Themenbereich: Öffentlicher Verkehr – Dienstleistung – Verbot der Benachteiligung gemäss BehiG – EG-Verordnung über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität

Beispiel 10 Für ihre drei Kinder stellt das Ehepaar Z. ein Einbürgerungsgesuch. Zwei der Kinder werden eingebürgert, für das dritte Kind, den 14-jährigen I.Z. wird hingegen das Gesuch abgelehnt. Die Begründung lautet unter anderem, I.Z. vermöge Unterschiede betreffend Nationalität nicht genügend zu erkennen. Zudem seien ihm weder die Tragweite noch die Auswirkung einer Einbürgerung bekannt und er könne sich diesbezüglich keine Meinung bilden, bzw. eine solche zum Ausdruck bringen. I.Z. ist geistig behindert, mit einem geschätzten IQ von 45. Themenbereich: Einbürgerung – verfassungsrechtliches Diskriminierungsverbot – Revision Bürgerrechtsgesetz

Überblick über das Schweizer Behindertenrecht

Begriff der Behinderung

Art. 2 Abs. 1 BehiG Begriff der Behinderung in der Schweiz „In diesem Gesetz bedeutet Mensch mit Behinderungen (Behinderte, Behinderter) eine Person, der es eine voraussichtlich dauernde körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung erschwert oder verunmöglicht, alltägliche Verrichtungen vorzunehmen, soziale Kontakte zu pflegen, sich fortzubewegen, sich aus- und fortzubilden oder eine Erwerbstätigkeit auszuüben.“

Art. 8 ATSG „Invalidität ist die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde ganze oder teilweise Erwerbsunfähigkeit.“

BGE 135 I 49 Begriff der Behinderung in der Schweiz „Es zählen dazu Personen, die in ihren körperlichen, geistigen oder psychischen Fähigkeiten auf Dauer beeinträchtigt sind und für welche die Beeinträchtigung je nach ihrer Form schwerwiegende Auswirkungen auf elementare Aspekte der Lebensführung hat.“

UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung Präambel e) in der Erkenntnis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern, Art. 1 Abs. 2 Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.

42 U.S.C , §12102 Begriff der Behinderung in den USA As used in this chapter: (1) Disability Definition of disability The term “disability” means, with respect to an individual (A) a physical or mental impairment that substantially limits one or more major life activities of such individual; (B) a record of such an impairment; or (C) being regarded as having such impairment (…).

Urteil US Supreme Court Bragdon v. Abbott, 524 U.S. 624 (1998) Sidney Abbott muss sich einer Zahlbehandlung unterziehen. Sie informiert ihren Zahnarzt darüber, dass sie HIV positiv sei. Der Zahnarzt lehnt eine Behandlung in seiner Praxis ab, bietet sie dafür zum gleichen Preis im Spital an. Frau Abbott müsste die Spitalgebühren übernehmen. Sie rügt letztinstanzlich vor dem US Supreme Court eine Diskriminierung wegen ihrer Behinderung aufgrund des ADA.

42 U.S.C , §12102 Begriff der Behinderung in den USA (4) Rules of construction regarding the definition of disability The definition of „disability“ in paragraph (1) shall be construed in accordance with the following: „(A) The definition of disability in this Act shall be construed in favor of broad coverage of individuals under this chapter, to the maximum extent permitted by the terms of this chapter. (...) (C) An impairment that substantially limits one major life activity need not limit other major life activities in order to be considered a disability. (D) An impairment that is episodic or in remission is a disability if it would substantially limit a major life activity when active. (E)(i) The determination of whether an impairment substantially limits a major life activity shall be made without regard to the ameliorative effects of mitigating measures (...)“

Behindertengleichstellungsgesetz (seit 2002 in Kraft) / Begriff der Behinderung in Deutschland § 3 Behinderung Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Begriff der Behinderung und Disability Studies