Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften 31.05.2016Seite 1 Medien zwischen Freihandel, ökonomischer Orientierung und kultureller Vielfalt Prof. Dr.

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Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Seite 1 Medien zwischen Freihandel, ökonomischer Orientierung und kultureller Vielfalt Prof. Dr. Otfried Jarren IPMZ – Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung Universität Zürich

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Aufbau des Vortrages 1.Kontextfaktoren der Medienentwicklung 2.Schweizer Systembesonderheiten 3.Erstes Zwischenfazit 4.Kultureller Beitrag der Medien? 5.Kulturleistung: Medienpolitische Optionen 6.Kulturleistung: Medienpolitische Grenzen 7.Zweites Zwischenfazit 8.Schlussbemerkungen

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Kontextfaktoren der Medienentwicklung Nationalstaatliche Praxis in der Medienpolitik: Rahmensetzung, zunehmend durch internationale Übereinkommen beeinflusst; kleinstaatliche Dilemmata Medienfreiheit: ökonomische, institutionell-organisatorische, politische und kulturelle Autonomie bei zunehmenden ökonomischen Verflechtungen auf Ebene Industrien (auch: Werbung) Kleinstaatenproblematik ökonomisch: zunehmend vernetzte Strukturen mit gleichsprachigen ökonomisch dominanten Nachbarstaaten Kleinstaatenproblematik kulturell: Mehrsprachigkeit, Migrationseffekte und Regionalismen einerseits und steigender Einfluss durch ausländische Kultur-/Medieneinflüsse aus Nachbarstaaten andererseits Internationalisierung von Wirtschafts- und Kulturbeziehungen unter internationalen Regime: WTO/GATS, EU vs. EUROPARAT, UNESCO

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Schweizer Systembesonderheiten Bildung und Kultur: von den Kantonen traditionell geprägt und dominant beeinflusst (Föderalismus), Zunahme an Kooperation und Bundeseinfluss sowie Einfluss Privater Printmedien: noch verkoppelt mit den politischen Geltungsräumen Elektronische Medien: Private Medien verkoppelt mit politischen Geltungsräumen und öffentliche Medien (SRG) verkoppelt mit Sprach- bzw. Kulturräumen Hoher Marktanteil von Print- und elektronischen Medienangeboten in allen Sprach-/Kulturräumen der Schweiz: Nachbarstaaten „Abschottungseffekte“ zwischen Sprach-/Kulturräumen bei der einheimischen Bevölkerung: nur geringe Nutzung anderssprachiger Medienangebote aus dem eigenen Land (Rezeption), aber hohes Mass an symbolischer Integrationskommunikation national

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Erstes Zwischenfazit Offenheit gegenüber Medienprodukten und -inhalten aus dem gleichsprachigen Ausland und rezeptive Zurückhaltung gegenüber anderssprachigen Angeboten aus dem eigenen Land als kulturelles Grundmuster: Verständigungsdiskurse in eigener Sprache und Nutzung von (ausländischen) Beobachtungs- und Reflexionsangeboten aus einer „fremden“ Perspektiven vor allem in der eigenen Sprache und in vertrauten kulturellen Mustern. Kulturelle Selbstverständigung setzt eigene Medien (für die „Binnenkommunikation“) wie mediale Beobachtungs- und Reflexionsleistungen durch Drittmedien voraus. Da Beobachtungs- und Reflexionsleistungen kontextabhängig erbracht werden, kann nur durch Medienstrukturpolitik eine Vorsorge getroffen werden: Ermöglichung Anbieter- und Angebotsvielfalt und Zugang zu Medienangeboten

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Kultureller Beitrag der Medien? Medieninstitutionen sind mit politisch-kulturellen Räumen oder ökonomisch- kulturellen Gruppen verbunden und fungieren als Intermediäre, insoweit kommt ihnen eine kultur- und identitätsstiftende Funktion zu. Das Mediensystem ist funktional differenziert und entsprechend spezialisiert, wie die Gesamtgesellschaft: Es gibt weniger denn je „die Massenmedien“, wohl aber unterschiedliche „Leitmedien“, insbesondere für die allgemein-öffentliche Kommunikation. Je nach Position im medialen Gefüge bzw. im System der Öffentlichkeit entfalten Medien mit ihren Angeboten eine diversifizierende oder eine homogenisierende Wirkung oder sie tragen zur Tradierung bzw. der Herausbildung von kulturellen Stereotypen bei.

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Kulturleistung: Medienpolitische Optionen Medienpolitik kann nur pfadabhängig gesehen und konzipiert werden Strukturell gegebene Grundbedingungen Marktangebote Nichtmarktliche Angebote Im nichtmarktlichen Sektor kann strukturell und prozedural Einfluss genommen werden: Organisationsform (Regeln, Ressourcen, Personal); Leistungsauftrag: Leistungsvolumen/-ausrichtung; Qualitätssicherung Medien-/Kulturpolitik heisst dann: Technische Plattformen und Zugangsregelungen (must carry) Ermöglichung eines öffentlichen Rundfunks Produktionsförderung und Quotenvorgaben

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Kulturleistung: Medienpolitische Grenzen Medien-/kulturpolitischen Massnahmen sind enge Grenzen gesetzt: -Die Dilemmata eines mehrsprachigen Kleinstaats -das nationalstaatliche Interesse an der Erhaltung einer vielfältigen Printmedienkultur: „Förderverbot“ -das wirtschaftspolitische Interesse am Aufbau/Erhalt einer starken nationalen audiovisuellen Industrie (mit/ohne SRG) -die übernationalen Regelinstitutionen: EU; WTO/GATS; EUROPARAT und UNESCO -das faktische Interesse und Nachffageverhalten der Rezipienten -die faktischen Marktprozesse im europäischen und globalen Medien-/ Industriewettbewerb, zumal unter dem Einfluss von ökonomisch starken (gleichsprachigen) Nachbarländern

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Zweites Zwischenfazit Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist im mehrsprachigen und kulturell bereits diversen Kleinstaat, der zudem erheblichen Migrationsprozessen mit starken sozio-räumlichen Effekten (Agglomerationen vs. Peripherien) unterliegt, nur durch Bewahrung starker politischer Instanzen auf föderaler Ebene (Kantone) zu leisten: nur durch sie kann die kulturelle Eigenheit zur Geltung gebracht werden. Auf nationalstaatlicher Ebene kann allenfalls durch Infrastrukturpolitik (so öffentlicher Rundfunk) und durch Fördermassnahmen (Programmförderung subsidiär zu den Kantonen wie eigenständig) nachhaltig ein Beitrag zum Schutz und zur Förderung kultureller Ausdrucksformen geleistet werden. Aber: Kultur- und Medienförderung steht konträr zu den völkerrechtlichen verbindlichen Entscheidungen für den Freihandel (bei Dienstleistungen), löst kleinstaatliche Dilemmata nicht und kollidiert mit Konsuminteressen

Prorektorat Geistes- und Sozialwissenschaften Schlussbemerkungen Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen kann insbesondere im Kleinstaat nur partiell über eine Medienförderung gelingen. Strukturelle Konstante: Ereignis-, Kreativitäts-, Personal-, Werbe- und Verkaufs-/Vertriebsmärkte sind begrenzt. Vorrangig die aktive Förderung des öffentlichen Rundfunks ermöglicht die flexible Vergabe von Leistungsaufträgen und dient, unter föderalen Bedingungen, allgemein der Kulturförderung. Die Aufrechterhaltung und Förderung einer stark föderalistischen politischen Struktur wird sich als für die mediale Anbieter- und Angebotsstruktur förderlich erweisen und neue Träger (Gemeinden, Städte, Stiftungen) auch im Mediensektor hervorbringen (Communities). Die sogenannte Liberalisierung des Welthandels und ihre Ausdehnung auch auf sog. Dienstleistungen wird zu einer Kommerzialisierung des Mediensektors führen und vor allem den Kleinstaat betreffen.