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Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube

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Präsentation zum Thema: "Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube"—  Präsentation transkript:

1 Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube
Kirchengeschichte der Frühen Neuzeit Modul 2: Das Christentum in seiner Geschichte Toleranz und Intoleranz Die gleiche Epoche, die durch Hochleistungen in Kunst, Literatur und Theologie hervorsticht, trägt zugleich den Makel eines grausamen Aberglaubens: des Wahns, es gebe Menschen, insbesondere Frauen, die aufgrund eines Bundes mit dem Satan über übernatürliche Kräfte verfügten, kurz den Makel des Hexenwahns. Den Zauber, den solche Hexer oder Hexen angeblich ausübten, nannte man Schadenszauber, lat. maleficium. Hintergrund: Grien: Wetterhexen, verhexte Stallknecht – später mehr dazu Humanismus versus Fundamentalismus und Dämonenglaube Universität Duisburg-Essen, Winter-Semester 2006/07

2 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
Übersicht Hexenwahn und Inquisition Vom Einheitswahn zum Pluralismus Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing 1) der frühneuzeitliche Hexenwahn, der vor allem in Deutschland seine Opfer gefunden hat 2) Toleranz als Ausfluss politischer Klugheit 3) die geistige Überwindung der Arroganz der Wahrheit bzw. des Wahrheits-Fanatismus --- ad 1) Verbindung von Hexenwahn und Inquisition verweist darauf, dass Hexerei als geistliches Verbrechen angesehen wurde, als Häresie, ja als Apostasie, als Abfall von Gott, dem man in der Taufe sich verpflichtet hatte, als Hochverrat; entsprechend wurde ein solchen Verbrechen geahndet : mit der Todesstrafe. Der Begriff Inquisition verweist außerdem auf die Art des Prozessverfahrens hin. Um einen Prozess zu eröffnen, bedurfte es nicht einer Klage (Akkusations-Prozess), sondern der Inquisitor stellt selbst Nachforschungen an, sobald Verdachtsmomente auftauchen. Das Inquisitionsverfahren öffnete also der Denunziation Tor und Tür. Wie war es möglich, dass ein solcher absurder Wahn die Menschen befallen konnte, zudem in einer Zeit als die Vernunft sich zu emanzipieren begann? Darauf versuche ich nun, eine Antwort zu geben. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

3 1.1 der Hexenwahn - Voraussetzungen
biblischer Befund Exodus 22,18 römisches Recht Codex Iustinianus (IX, 16) die Akzeptanz der Folter Carolina 1532 Ein ganz modernes Gesetzbuch, das Reformwerk Kaiser Karls V. von 1532, nach ihm auch Carolina genannt. Die Carolina kennt – wie das Titelblatt ausweist – nicht nur ganz selbstverständlich die Folter als Mittel der Wahrheitsfindung, und die Todesstrafe als Sühne von sog. Kapitalverbrechen, sondern auch den Schadenszauber (lat. maleficium) als Straftatbestand. Schadenszauber gehörte im 16. Jh., als man noch die Wirklichkeit von Dämonen und Engeln durchdrungen erfuhr, zur allgemeinen Wirklichkeitserfahrung und war von den höchsten Autoritäten abgesegnet. > 2. Mose 22,18: maleficos (mask!) non patieris vivere – Zauberer (m) sollst Du nicht am Leben lassen > das römische Recht > diesen Autoritäten konnte sich auch das moderne Strafrecht nicht entziehen > Zum Wahn wurde die Verfolgung von Hexen vor allem aber durch die Verbindung mit der Inquisition --- Folter als Mittel der Wahrheitsfindung wurde erst ab Mitte 18. Jh. allmählich abgeschafft Hexenwahn und Inquisition Zuspitzung auf die malifica, die Frau Teufelsbund und Teufelsbuhlschaft (Apostasie) Hexensabbat KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

4 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
1.2 Hexenwahn bei Luther Wiewol alle Sünde sind ein Abfall von Gottes Werken, damit Gott greulich erzörnet und beleidiget wird; doch mag Zäuberei von wegen ihres Gräuels recht genannt werden crimen laesae Maiestatis divinae, eine Rebellion und ein solch Laster, damit man sich furnemlich an der göttlichen Majestät zum höchsten vergreift. ... [Wie bei Fahnenflucht], da sich einer von Gott, dem er gelobt und geschworen ist, zum Teufel, der Gottes Feind ist, begibt, so wird sie [die Zauberei] billig an Leib und Leben gestraft Die Reformatoren waren, was den Hexenwahn angeht, ganz und gar „Kinder ihrer Zeit“, besser: Kinder der Vorurteile ihrer Zeit; denn es gab – wie wir gleich sehen werden – durch aus Kinder ihrer Zeit, die dieses Vorurteil nicht teilten, sondern engagiert dagegen angingen. . Zauberei ist für die Reformatoren ein Verbrechen, eine Form der Apostasie, des Abfalls von Gott Bsp. Martin Luther, Tischreden, hg. v. Aurifaber (1536ca) , WATR 6,222 (nr.6836) - Haustein 126 > Folie kein Einzelfall und kein Lapsus der Tischreden; ebenso selbstverständlich in: Von Konzilien und Kirchen (WA 50,648,3-6) und in einer Predigt über Gal 5,20 [1536] (WA 41,683,34f) Lucas Cranach d. Ä, 1529, Galleria degli Uffici, Florenz Martin Luther, Tischreden, hg. v. Aurifaber (1536ca) , WATR 6,222 (nr.6836) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

5 1.3 der Schadenszauber im Bild
Wie bei Heiligen, bei Engeln und Dämonen hat die Ikonographie, das Bild, der Holzschnitt, die Graphik | das Seine dazu beigetragen, den Wahn als Wirklichkeit zu suggerieren: Ob Unwetter und Hagelschlag, der die Ernte verdirbt, oder ob Schlaganfall, der einen Menschen lähmt, die Erklärung durch Schadenszauber galt als die am ehesten plausible. Bsp im Bild: Zuspitzung des Schadenszaubers auf die Frau, Ziegenbock – Geilheit, Putte – Attribut übernatürlicher Macht, Glas, in dem der magische Stoff zubereitet wurde, im Hintergrund das Unwetter, das dadurch ausgelöst wird > Baldung Grien, Wetterhexen, 1523, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M. > weiteres Bsp.: der Stallknecht liegt vom Schlaganfall getroffen rücklings auf dem Boden; Ursache: der Fackelschlag der Hexe, rechts im Bild, diesmal als geile ältere Frau >Hans Baldung Grien, Der verhexte Stallknecht, Kupferstich, 1544 Hans Baldung Grien, Der verhexte Stallknecht, Kupferstich, 1544 Baldung Grien, Wetterhexen, 1523, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a.M. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

6 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
1.4 der Hexenhammer Malleus maleficarum maleficas earum heresim ut phramea potentissima conterens Hammer gegen die Hexen, der ihre Zauberwerke und ihre Häresie wie mit einem Super-Spieß zertrümmert Das klassische Handbuch zur kirchlichen Hexenverfolgung wurde von Jakob Sprenger , Prior des Kölner Dominikaner Konventes und Dekan der Theologischen Fakultät (sic!) verfaßt. Ausschnitt aus Gemälde der Rosenkranzbruderschaft, St. Andreas, Köln, Ende 15. Jh. => fromm, Kölner Brauchtum Während die päpstliche Bulle, die Sprenger sich besorgt hatte, noch beiden, von Hexer und Hexen spricht, > wird durch sein Handbuch, dem Hexenhammer, aus dem Hexer (2. Mose 22,18) die Hexe >Malleus maleficarum maleficas earum heresim ut phramea (=framea, Spieß Speer) potentissima conterens >Hammer gegen die Hexen, der ihre Zauberwerke und ihre Häresie wie mit einem Super-Spieß zertrümmert >Venundatur vico divi Jacobi sub lilio aureo et leone argento ab Joanne parvo >Er wird verkauft in der St. Jakobi Gasse unter dem Zeichen der goldenen Lilie und des silbernen Löwen von Jean Petit [Name des Verlegers] Er wird verkauft in der St. Jakobi Gasse unter dem Zeichen der goldenen Lilie und des silbernen Löwen von Jean Petit Venundatur vico divi Jacobi sub lilio aureo et leone argento ab Joanne parvo Jakob Sprenger O.P. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

7 1.5 Hexensabbat & Teufelsbuhlschaft
(Auszug aus dem Fragenkatalog des badischen Landrechts 1588) "Wann ihr der Teufel erschienen?" "Ob er auch Heirat oder allein Buhlschaft von ihr begehrt?" "Wie er sich genannt, was er für Kleider getragen habe?" "Ob sie nichts Teuflisches an ihm gesehen und wisse?" "Ob der Teufel nach dem Pakt mit der Angeklagten geschlafen habe?" "Auf welche Weise ihr der Teufel die Jungfräulichkeit geraubt habe?" "Wie der Penis des Teufels sei und wie sein Samen?" "Ob der Koitus mit dem Teufel ihr bessere und größere Lust bereitet habe als der mit einem natürlichen Mann?" "Ob der Teufel mit der Angeklagten es mehrfach in der Nacht getrieben habe?" "Ob er den Koitus immer in natürlicher Weise ausgeführt habe oder auch mit anderen Teilen des Körpers?" "Ob sie von anderen Männern auf natürliche Weise geschwängert worden sei?" "Was sie mit dem Säugling getan habe, ob das Kind gelebt habe?" "Auf welche Weise sie es getötet habe?" "Ob sie sich auch gegen die Natur versündigt habe?" Hexensabbat Gemälde von Frans Francken d.J., (1607), Kunsthistorisches Museum, Wien Im frühneuzeitlichen Gerichtsverfahren hatte das Geständnis des Angeklagten den höchsten Stellenwert. Ein Geständnis zu erzwingen, war bei Anwendung der Folter nicht sehr schwierig. Zum Hexenwahn der FNZ gehören die Vorstellungen von der Teufelsbuhlschaft (Beischlaf mit dem Teufel als Vollzug des Abfalls von Gott) und der Hexensabbat (eine Art schwarze Messe, zu der die Hexen durch den Teufel verpflichtet werden) > Hexensabbat Gemälde von Frans Francken d.J., (1607), Kunsthistorisches Museum, Wien Wegen des Hexensabbats mußte jeder Hexe wissen, wer außerdem noch Hexe ist. Es genügt die Folter, um die Namen zu erfahren; unter der Folter ist jedes Geständnis erpressbar. Nicht nur bornierte und perverse Kleriker waren von der Wahnvorstellung eines Teufelpaktes besessen, sondern auch die Juristen, wie der > Auszug aus dem Fragenkatalog des Badischen Landrechtes 1588 zeigt. > KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

8 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
1.6 Johann Weyer, um De praestigiis daemonum, et incantationibus ac ueneficiis, libri V. Basilea - per Ioannem Oporinum Über die Gaukeleien der Teufel und Zauberformeln und Giftmischereien „... dieweil lauter und klar bewiesen wirdt, daß die Kranckheiten sampt iren ursprungen ... symptomaten und zufällen, so bishero fälschlich den Unholden zugeschrieben worden, auß natürlichen ursachen, nach außweisung der Artzney, herkommen und entstanden seyen.“ (Vorwort) De Praestigiis Daemonum, & incantationibus ac veneficiis: Libri sex, postrema editione sexta aucti & recogniti. Basel - Orporinus Die Zahl der Kritiker des Wahns ist verschwindet gering. Der große Erfolg ihrer Bücher zeigt jedoch, dass der Zweifel an Richtigkeit der Hexenvorstellung doch ziemlich groß gewesen ist, auch wenn man sich nicht traute, ihn einzugestehen. Offensichtlich fanden viele ihre Zweifel in den kritischen Schriften gut formuliert wieder. Zwei Beispiele der bekanntesten Kritiker in Deutschland: . Johann Weyer, Leibarzt des Herzogs von Jülich, Kleve, Berg, Wilhelms V., Humanist und Arzt; hier ein Altersportrait > die 1. Aufl. seiner Kritik: De praestigiis daemonum, et incantationibus ac ueneficiis, libri V. Basilea - per Ioannem Oporinum Über die Gaukeleien der Teufel und Zauberformeln und Giftmischereien Von den vielen weiteren Auflagen ein Beispiel: >De Praestigiis Daemonum, & incantationibus ac veneficiis: Libri sex, postrema editione sexta aucti & recogniti. Basel - Orporinus > Ein Zitat aus einem weiteren Alterswerk des Arztes Johann Weyer, Von Teuffelsgespenst, Zauberern und Giftbereytern, Schwartzkünstlern, Hexen und Unholden (1586) Porträt von 1576 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

9 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
1.7 Friedrich von Spee S.J. Selber von seinem Orden zur Seelsorge bei den verurteilten Hexen abgeordnet, war Friedrich von Spee unmittelbar mit dem Elend der misshandelten Frauen konfrontiert: Friedrich von Spee > Titelblatt der Cautio criminalis, 2. Aufl (cautio=Behutsamkeit, Vorsicht) Cautio criminalis, seu de processibus contra sagas liber. Behutsamkeit bei Kriminalprozessen oder Buch über die Prozesse gegen die Zauberinnen. Ein Buch an die Magistrate in Deutschland, das in dieser Zeit höchst nützlich ist. Dann aber auch für Räte und Beichtväter der Fürsten, Inquisitoren, Richter, Advokaten, Beichtiger der Angeklagten, Prediger und andere höchst nützlich zu lesen. Von einem unbekannten römischen Theologen. Frankfurt, 2. Aufl., 1632 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

10 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
Übersicht Hexenwahn und Inquisition Vom Einheitswahn zum Pluralismus Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing 2) Toleranz als Ausfluss politischer Klugheit > Überschrift lesen die Haltung, dass die Vielfalt religiöser Ausdrucksformen zu begrüßen ist (Ficino, Pico della Mirandola – vgl. letzte Sitzung), ist eine Ausnahme. Normalerweise gilt die Einheit als der höhere Wert vor der Vielheit: die Einheit der Kirche, die Einheit im Glauben, nationale Einheit etc. Plurale Formen der Gottesverehrung waren nur dort durchzusetzen, wo dem gesellschaftlichen Frieden ein höherer Wert gegenüber religiöser Wahrheit zugesprochen wurde. Da konnten dann die Pfaffen noch so sehr über den Götzendienst schimpfen und mit dem Gräuel und der Abscheu vor Gott drohen, verantwortungsvollen Fürsten und Magistraten war der Frieden dann doch mehr Wert als der Beifall ihrer Pastoren. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

11 2.1 religiöser Dissens ist Aufruhr
Würde er aber davon nicht lassen [Abweichung des Predigers in Lehre und Leben] noch abstehen wollen und sonderlich zu erweckung falscher lere und des auffrhurs [in seiner Meinung beharren], so soll der Superattendens solch unverzuglich dem Amptman anzeigen, Welcher denn solchs furt unserm Gnedigsten Herrn dem churfürsten vermelden sol, Damit seine Churfürstliche Gnaden hirynn ynn der zeit billichen versehung [ein gerechtes Urteil] fürwenden mügen. Nach dem Albtraum des großen Bauernkrieges gibt Luther die Idee eines spontan wirkenden Wort Gottes auf. Die Vorstellung, dass es reicht, das Wort lauter und rein zu verkündigen, um dadurch eine Reformation an Haupt und Gliedern, an der Spitze wie an der Basis, herbei zu führen, hat sich als Illusion erwiesen. Gedeckt durch den Reichstagsabschied von Speyer, 1526, der die religiöse Option dem Gewissen des Fürsten anheim stellt, werden die ersten organisatorischen Maßnahmen für ein neues Kirchenwesen getroffen. Melanchthon schreibt eine „Anleitung“ zu einer umfassenden Evaluation der kirchlichen Zustände in Sachsen, Luther steuert ein Vorwort bei. Titelblatt verlesen >Zitat Wer in der Lehre, in Sitte und Brauch, von den offiziellen Vorgaben abweicht, macht sich der Aufruhr verdächtig, wird ermahnt und notfalls des Landes verwiesen Melanchthon, Unterricht der Visitatoren (1528) WA KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

12 2.2 Jacques-Bénigne Bossuet: Religionsfreiheit ist Irrtum
Der Fürst ist der Diener Gottes. Nicht umsonst führt er das Schwert (Röm 13,4): Wer Böses tut, soll ihn fürchten als den, der sein Verbrechen bestrafen wird. Er ist der Schützer der öffentlichen Sicherheit, und diese beruht auf der Religion. Er soll seinen Thron stützen, dessen Fundament die Religion ist. Diejenigen, die nicht leiden wollen, dass der Fürst in Dingen der Religion mit Strenge vorgeht, weil die Religion frei sein müsse, befinden sich in einem gottlosen Irrtum Noch ungenierter als bei den Reformatoren wird der Gedanke: religiöser Dissens ist auch politischer Dissens von den Beichtvätern und Prinzenerzieher, von denen, die an den Fürstenhöfen ihre Religion im Lande durchsetzen wollen, forciert. Jacques-Bénigne Bossuet – wir kennen ihn als Verfasser der Gallikanischen Artikel, als Verteidiger der nationalen Unabhängigkeit der frz. Kirche - spricht hier als Prinzenerzieher. Damit sein Zögling, der Dauphin, der spätere Ludwig XV. seine Lehren jederzeit nachlesen kann, hat er seinen Unterricht auch in schriftlicher Form vorgelegt: Politique tirée des propres paroles de l'Ecriture sainte, à Monsieur le Dauphin (1682) – Politik, abgeleitet aus den eigenen Worten der heiligen Schrift, an meinen Herrn, den Dauphin > Zitat , - GiQ 450 Politique tirée des propres paroles de l'Ecriture sainte, à Monsieur le Dauphin (1682) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

13 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
2.3 Typen von Toleranz pragmatische Toleranz Sie verzichtet darauf, den eigenen Werte- und Wahrheitsanspruch durchzusetzen, um eines zumindest momentan höher eingestuften Gutes willen (z.B. Frieden, gesellschaftliche Wohlfahrt).¹ Konsensus-Toleranz Sie sucht bei aller Divergenz in der äußeren Ausprägung nach Übereinstimmung im Kernbereich, um die nicht vergleichbaren Punkte als sekundär, äußerlich, adiaphorisch zu entschärfen.2 dialogische Toleranz Die Auseinandersetzung mit dem Häretiker oder mit dem Andersgläubigen ist nicht mehr apologetisch, missionarisch oder polemisch motiviert, sondern sucht in der ideellen Konkurrenz mit dem Andersgläubigen Austausch, Erweiterung und Bereicherung des eigenen Denkens und Fühlens.3 Bevor ich zu den frühen Formen der Toleranz komme, die sich trotz der generellen Höherwertigkeit der Einheitsvorstellung vor der Vielheit allmählich durchgesetzt haben, hier der Versuch, die vielfältigen Formen und Arten, die mit dem Begriff Toleranz wiedergegeben werden, in einer Typologie zusammenzufassen. > Folie 1) Sie ist die erfolgreichste und am meisten verbreitete Form von Toleranz. Ihrer Realitätsnähe wegen ist die pragmatische Toleranz nicht selten des Opportunismus bezichtigt worden. 2) Der klassische Ort dieser Form der Toleranz sind die Religionsgespräche der frühen Neuzeit sowie die philosophische Diskussion um die Natürliche Religion im Zeitalter der Aufklärung. Allerdings war der Consensus-Toleranz nie ein nachhaltiger Erfolg beschieden gewesen. Theologen sind, da sie es mit Wahrheit zu tun haben, eben nicht kompromißfähig 3) Sie setzt ein vom Historismus geprägtes Bewusstsein voraus, dass nämlich die Formulierung von Werten und Überzeugungen zeitbedingt, also historisch und kulturell variabel sind. Soweit ein solches Bewusstsein noch religiös verankert ist, weiß es zu unterscheiden zwischen einem unmittelbaren religiösen Ergriffensein und der historisch bedingten Form, in der ein solches Urerlebnis sich artikuliert und mitteilbar wird. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

14 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
2.4 Konsensus-Toleranz: tolerieren, was nicht entscheidungsrelevant ist Dann dies ist gnug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, daß da einträchtiglich nach reinem Verstand das Evangelium gepredigt und die Sakrament dem gottlichen Wort gemäß gereicht werden. Und ist nicht not zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche, daß allenthalben gleichförmige Ceremonien, von den Menschen eingesetzt, gehalten werden, ... Die Idee, dass wenn die Essentials stimmen, das äußere Erscheinungsbild nicht entscheidend ist, ist von humanistisch gesinnten Reformatoren wiederholt formuliert worden. > Letztlich basieren alle Religionsgespräche der frühen Neuzeit auf diesem Modell: Übereinstimmung in den Grundwahrheiten bei Vielfalt in den sekundären Momenten wie Liturgie, Gebräuche, Gewänder, Organisationsstruktur etc. Letztere Momente wurden von Melanchthon mit dem griechischen Begriff des adiaphoron belegt. So plausibel dieses Modell auch erscheinen mag, insgesamt war es nirgends erfolgreich. Allzu sehr hängen die Anhänger einer Religion an sichtbaren, an äußerlich identifizierbaren Merkmalen, die sie in bigottem Stolz vor aller Welt zur Schau tragen können. Philipp Melanchthon, Confessio Augustana (1530) , VII. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

15 2.5 Der Augsburger Religionsfriede – die pragmatische Toleranz obsiegt
Wo dann solche vergleichung [zwischen Lutheranern und Katholiken] durch die wege des generalconciliums, ... nit erfolgen würde, so [soll] alsdann nichts destoweniger diser friedstand in allen oberzelten puncten und articuln bei creften biß zu endlicher vergleichung der religion und glaubenssachen bestehn und pleiben; und sol also hiemit obberührter gestalt und sonst in alle wege ein beständiger beharlicher unbedingter, für und für, ewig werender fried aufgericht und beschlossen sein und pleiben Erfolgreichen in der Geschichte der frühen Neuzeit war hingegen die pragmatische Toleranz: die Aussetzung der Wahrheitsfrage, um ein als wertvoller angesehenes Gut, z.B. den Frieden, zu sichern: der Augsburger Religionsfriede von 1555 ist ein gutes Beispiel --- > Zitat die Kirchenspaltung galt auch der zweiten Generation noch als ein vorübergehender Zustand; gleichwohl wird bereits – und darin liegt das Neue des Augsburger Religionsfriedens von 1555 gegenüber den vielen früheren Friedensschlüssen – die Vorstellung des Scheiterns aller Religionsgespräche ins Auge gefasst. Politik bzw. politischer Friede hatte den Primat vor der Wahrheit der Religion eingenommen Augsburger Religionsfrieden (1555) , Art. 25 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

16 2.6 Edikt von Nantes, 1598, Art. VI, XI
Um keinen Anlass zu Unruhen und Streitigkeiten zwischen Unseren Untertanen bestehen zu lassen, haben Wir erlaubt und erlauben Wir den Anhängern der so genannten reformierten Religion, in allen Städten und Ortschaften Unseres Königreichs ... zu leben und zu wohnen, ohne dass ... sie bedrückt und belästigt und gezwungen werden, etwas gegen ihr Gewissen zu tun. ... Wir befehlen, dass in den Vorstädten einer Stadt ... die Ausübung der so genannten reformierten Religion öffentlich stattfinden kann ... Eine bedingte Gleichberechtigung wird nach einem jahrzehntelangem Bürgerkrieg den Protestanten auch in Frankreich eingeräumt. > > Volle Gleichberechtigung wird jedoch nur im Politischen und Sozialem erreicht Auf der Ebene des Kultes bleiben einige Privilegien für die römisch-katholische Konfession allerdings erhalten am Hof und in Paris verboten (14); exercitium publicum in der Armee nur bei reformierten Befehlshabern (15); [Entpolitisierung und Entmilitarisierung der Reformierten (83); allerdings geheimes Zusatzprotokoll: 8jährige Garantie fester Plätze] Art. 22: keine bürgerliche Benachteiligung wegen Konfession KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

17 2.7 das Edikt von Nantes, eine Allegorie, 1598
Heinrich IV. stützt sich auf die Religion um Frankreich den Frieden zu geben Une allégorie de l'édit de Nantes, 1598 : Henri IV s'appuyant sur la religion pour donner la paix à la France. --- [Das Edikt von Nantes, der Religionsfrieden in Frankreich nach 35 Jahren blutigen Bürgerkrieg ist das Verdienst dieses Herrschers: Protestantisch erzogen, konvertiert, um die Schwester des Königs zu heiraten, Zeuge des Massakers der Bartholomäusnacht schließlich der königlichen Schutzhaft entronnen wieder protestantisch, Anführer der protestantischen Truppen Erbe der Königskrone nach Erlöschen der Valois-Linie erneute Konversion zum Katholizismus, um Frankreich zu befrieden („Paris vaut bien une messe“)] Château de Pau KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

18 2.8 der Westfälische Friede 1648: Auf dem Weg zur Gewissensfreiheit
Ferner ist beschlossen worden, dass jene ..., welche nach Verkündigung des Friedens inkünftig eine andere Religion bekennen und annehmen werden als ihr Landesherr, nachsichtig geduldet und nicht gehindert werden sollen, sich mit freiem Gewissen zu Hause ihrer Andacht privat zu widmen, in der Nachbarschaft aber, wo und sooft sie es wollen, am öffentlichen Gottesdienst teilzunehmen oder ihre Kinder auswärtigen Schulen ihrer Religion oder zu Hause Privatlehrern zur Erziehung anzuvertrauen; ... Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 => 60 jährige Friedenszeit, wenn auch voller konfessioneller Spannungen. Der 1618 ausgebrochene 30jähriger Krieg war im Gegensatz zu Frankreich in der zweiten Hälfte des 16. Jh. kein Religionskrieg im eigentlichen Sinne; vielmehr war der 30jährige Krieg eine Folge ganz unterschiedlicher Kriege, in denen es eigentlich und in erster Linie um die Vorherrschaft in Europa ging, wobei allerdings die konfessionelle Komponente meist eingeschlossen war. neu im WF 1648: die freie Religionsausübung (exercitium privatum) für alle Hausväter; > … Dies war ein wichtiger Schritt hin zu einer allgemeinen Religionsfreiheit, wie sie sich nach der Französischen Revolution in nahezu allen europäischen Verfassungen im 19. Jh. durchgesetzt hat. ---- Soviel zu dem Kap.: Vom Einheitswahn zum Pluralismus. Europa auf dem Weg zur Religionsfreiheit. Wie wir gesehen haben, waren es politische, nicht religiöse Gründe, die den Prozeß vorangetrieben haben. Art. V, § 34 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

19 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
Übersicht Hexenwahn und Inquisition Vom Einheitswahn zum Pluralismus Anwälte der Toleranz: Castellio, Spinoza, Bayle, Lessing Die Mahnung zur Toleranz aus religiösen Gründen, und vor allem die Ablehnung von Gewalt in Religionsdingen, wurde im Zeitalter der Reformation nur von wenigen Außenseitern erhoben. Ihre Bemühungen um eine geistige Überwindung der Arroganz der Wahrheit bzw. des Wahrheits-Fanatismus wollen wir an einer Reihe kleinerer Portraits zu den Protagonisten des Toleranzgedankens in der Frühen Neuzeit festmachen > Namen verlesen KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

20 3.1 Sebastian Castellio, De haereticis, an sint persequendi, 1554
Über Ketzer, ob man sie verfolgen und überhaupt, wie man mit ihnen umgehen soll. Aussagen dazu von Luther, Brenz und vielen anderen aus alter und neuerer Zeit. Ein Buch, das in dieser so turbulenten Zeit höchst notwendig und für alle, für mächtige Fürsten wie für ihre Beamten, sehr nützlich ist, um daraus zu lernen, was in einer solch kontroversen wie auch gefährlichen Angelegenheit ihre Pflicht sei. Der, der aus dem Fleisch geboren war, verfolgte den, der aus dem Geist geboren war (Gal. 4,29) In Genf wurde 1553 ein spanischer Gelehrter auf Betreiben des Reformators Johannes Calvin hingerichtet, weil er nicht auf dem Boden der altkirchlichen Trinitätslehre stehe und deswegen eine Gefahr für das Heil der Seelen bedeute. Sebastian Castellio, inzwischen Prof. für alte Sprachen in Basel, klagt Calvin des Mordes an, da es für die Hinrichtung aus Glaubensgründen weder in der Schrift noch in der Tradition eine ausreichende Begründung für ein solches Vorgehen gebe. > … > Die Schrift, in der er diese Anklage gegen Calvin erhebt, lautet: … >Untertitel >Motto Kontext bei Paulus: folgende Gegensätze werden metaphorisch verschmolzen: Hagar / Sara; Sinai oder das jetzige Jerusalem / das himmlische Jerusalem; Gesatz / Evangelium; Fleisch / Verheißung oder Geist; Knechtschaft des Buchstabens / Freiheit des Geistes Für Castellio gehört Calvins Gottesstaat in Genf auf die Seite von Gesetz, Fleisch, Buchstaben; hingegen sind die Freien: die Anhänger eines mystisch spirituellen Humanismus, ob als italienische Evanglici, als Täufer, als Antitrinitarier etc. --- (De haereticis, an sint persequendi, et omnino quomodo sit cum eis agendum, Lutheri et Brentii, aliorumque multorum tum veterum tum recentiorum sententiae. Liber hoc tam turbulento tempore pernecessarius, et cum omnibus, tum potissimum principibus et magistratibus utilissimus, ad discendum, quodnam sit eorum in re tam controversa, tamque periculosa, officium. Is qui secundum carnem natus erat, persequebatur eum, qui natus erat secundum spiritum. Gal. 4 [29]. [Basileae 1554]) Johannes Calvin Michael Servet Reaktion Castellios auf die Hinrichtung des spanischen Humanisten Michel Servet in Genf auf Betreiben Calvins KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

21 3.2 Baruch Spinoza, Tractatus theologico-politicus, 1670
Continens Dissertationes aliquot, Quibus ostenditur Libertatem Philosophandi non tantum salva Pietate, & Republicae Pace posse concendi: sed eandem nisi cum Pace Reipublicae, ipsaque Pietate tolli non posse Hamburgi 1670 Der große Toleranz-Theoretiker des 17. Jh. heißt Baruch Spinoza, ein aus Portugal stammender und in Amsterdam lebender jüdischer Gelehrter. Sein Grundlegendes Werk in dieser Hinsicht ist sein Tractatus theologico-politicus, anonym und mit falscher Ortsangabe 1670 erschienen. > Das Titelblatt unterbreitet bereits die These, für dessen Belegung er diesen umfangreichen Traktat schreibt > übersetzt: … Dieses Werk ist zugleich die erste große biblische Hermeneutik: 1. Teil (Kap.1-15): Grundlegung einer historisch-kritischen Methode der Bibelinterpretation: die Bibel darf nur aus sich selbst heraus interpretiert werden; der innere Maßstab, den die Bibel entwickelt, ist die Gottes- und Nächstenliebe als Grundlage aller Religiösität. Von dieser Grundlage her ist Glaubenszwang nur als Widerspruch zum Geist der Bibel anzusehen. 2. Teil (Kap ): Grundzüge einer toleranten staatl. Religionspolitik: Toleranz destabilisiert nicht eine Gesellschaft, sondern im Gegensatz, sie wirkt stabilisierend, da Heuchelei und Unaufrichtigkeit vermieden wird. Theologisch-politischer Traktat, der mehrere Abhandlungen enthält, in denen gezeigt wird, dass die Freiheit zu philosophieren nicht nur unbeschadet der Frömmigkeit und öffentlichen Friedens eingeräumt werden kann, sondern dass sie nur auf Kosten des öffentlichen Friedens und auf Kosten der Frömmigkeit unterbunden werden kann. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

22 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
3.3 Pierre Bayle, Commentaire philosophique sur ces paroles de Jésus-Christ: contrain-les d'entrer, Teil I-II, 1686; Teil III, 1687. Philosophischer Kommentar über die Worte Jesu Christi: „Zwinget sie hereinzutreten“ ähnlich wie Spinoza in seiner Hermeneutik argumentiert, so argumentiert auch Bayle: es ist theologisch unstatthaft, Zitate zu isolieren, den Kontext unberücksichtigt zu lassen und gegen den Geist einer Schrift zu argumentieren; der Geist einer Schrift aber sind die zentralen Aussagen; im Falle des NT ist es die Identität von Gottes- und Nächstenliebe. Folie > Anlaß war die Aufhebung des Ediktes von Nantes im Edikt von Fontainebleau 1685 und die damit verbundene Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich. Die römischen Theologen hatten diesen Willkürakt mit der Heiligen Schrift zu begründen versucht: Compelle entrare Lk 14,23 (grosses Nachtmahl) Eine Kritik an den Theologen, die mit Berufung auf Augustin (compelle intrare Lk 14,23) die Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes durch Ludwig XIV. im Jahr 1685 begrüßten KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

23 3.4 Gotthold Ephraim Lessing
Personen: Sultan Saladin Sittah, dessen Schwester Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem Recha, dessen angenommene Tochter Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha Ein junger Tempelherr Ein Derwisch Der Patriarch von Jerusalem Ein Klosterbruder Ein Emir nebst verschiednen Mamelucken des Saladin Die Szene ist in Jerusalem Als ein Manifest der religiösen Toleranz im 18. Jh. kann das Theaterstück von Lessing: Nathan der Weise bezeichnet werden. Nachdem ihm auf Betreiben orthodoxer Lutheraner durch fürstliche Order untersagt wurde, sich weiter zu religiösen Fragen zu äußern, besann er sich auf seine alte Leidenschaft für das Theater. Er machte das Theater zu seiner Kanzel, wie er in einem Brief spöttisch bemerkte. Die Hauptdarsteller ... --- Die Schlüsselszene ist die so genannte Ringparabel, die Geschichte von den drei Ringen, die der Jude Nathan dem Sultan Saladin als Antwort auf die Frage erzählt: Welche der drei Religionen: Judentum, Christentum, Islam für ihn die größte Plausibilität besitze? Zum Zusammenhang des Zitates, das ich jetzt bringen werde: Nathan, ein reicher jüdischer Kaufmann und wegen seiner Weisheit allgemein geschätzt, ist von einer Geschäftsreise zurückgekehrt. Der Sultan von Jerusalem läßt ihn zu sich bitten. Nathan ist überzeugt, dass der Sultan mal wieder in Geldnöten ist. Doch er hat sich getäuscht. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

24 3.4.1 Nathan der Weise, III. Aufzug, 5. Auftritt
Saladin. Ich heische deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm [scilicet: nicht in Geschäftlichem, nicht in Politik] . - Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal - Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet? Nathan.       Sultan, Ich bin ein Jud'. Saladin.       Und ich ein Muselmann. Der Christ ist zwischen uns. - Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. - Ein Mann, wie du, bleibt da Nicht stehen, wo der Zufall der Geburt Ihn hingeworfen: oder wenn er bleibt, Bleibt er aus Einsicht, Gründen, Wahl des Bessern. Wohlan! so teile deine Einsicht mir Dann mit. Lass mich die Gründe hören, denen Ich selber nachzugrübeln, nicht die Zeit Gehabt. Lass mich die Wahl, die diese Gründe Bestimmt, - versteht sich, im Vertrauen - wissen, Damit ich sie zu meiner mache. Folie > > Der Sultan verläßt vorübergehen den Raum Nathan rätselt, was der Sultan denn letztlich will. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

25 Nathan der Weise in der Inszenierung von Karl-Heinz Stroux, 1956
Für díe Antwort, die Nathan dem Sultan gibt, habe ich eine Aufnahme mit Ernst Deutsch mitgebracht: > Ausführende Nathan, gesprochen von dem Schauspieler Ernst Deutsch, sinniert: > audio KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

26 KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz
Nathan. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten, Der einen Ring von unschätzbarem Wert Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein Opal, der hundert schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Dass ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring Von seinen Söhnen dem geliebtesten; Und setzte fest, dass dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. - Versteh mich, Sultan. Saladin.       Ich versteh dich. Weiter! 3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (1) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (2) Nathan. So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn, Auf einen Vater endlich von drei Söhnen; Die alle drei ihm gleich gehorsam waren, Die alle drei er folglich gleich zu lieben Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald Der dritte, - sowie jeder sich mit ihm Allein befand, würdiger Des Ringes; den er denn auch einem jeden Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen Es kam zum Sterben, und der gute Vater Kömmt in Verlegenheit Was zu tun? - Er sendet in geheim zu einem Künstler, Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes, Zwei andere bestellt, und weder Kosten Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich, Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt Dem Künstler. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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Da er ihm die Ringe bringt, Kann selbst der Vater seinen Musterring Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft Er seine Söhne, jeden insbesondre; Gibt jedem insbesondre seinen Segen, - Und seinen Ring, - und stirbt. - Du hörst doch, Sultan? Saladin (der sich betroffen von ihm gewandt). Ich hör, ich höre! - Komm mit deinem Märchen Nur bald zu Ende. ... Nathan.       Ich bin zu Ende. Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. - Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt, Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht Erweislich; - (nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)       Fast so unerweislich, als Uns itzt - der rechte Glaube. 3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (3) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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Saladin.       Wie? das soll Die Antwort sein auf meine Frage? ... Nathan.       Soll Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe Mir nicht getrau zu unterscheiden, die Der Vater in der Absicht machen ließ, Damit sie nicht zu unterscheiden wären. Saladin. Die Ringe! - Spiele nicht mit mir! - Ich dächte, Daß die Religionen, die ich dir Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären. ... Nathan. Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! - Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden? - Nicht? - Nun, wessen Treu und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen? 3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (4) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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Doch deren Blut wir sind? ... Wie kann ich meinen Vätern weniger Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? – ... ... Lass auf unsre Ring' Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter, Unmittelbar aus seines Vaters Hand Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! - ... Saladin. Und nun, der Richter? - Mich verlangt zu hören, Was du den Richter sagen lässest. ... Nathan. Der Richter sprach: Ich höre ja, der rechte Ring Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen; Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden Doch das nicht können! - Nun; wen lieben zwei Von Euch am meisten? Ihr schweigt? 3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (5) KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (6) ... Jeder liebt sich selber nur Am meisten? - Oh, so seid ihr alle drei Betrogene Betrüger! Eure Ringe Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring Vermutlich ging verloren. Den Verlust Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater Die drei für einen machen. Saladin.       Herrlich! herrlich! Nathan. Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt: Geht nur! - Mein Rat ist aber der: ihr nehmt Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von Euch jeder seinen Ring von seinem Vater: So glaube jeder sicher seinen Ring Den echten. - Möglich; dass der Vater nun Die Tyrannei des einen Rings nicht länger In seinem Hause dulden wollen! - Und gewiss; KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (7) Daß er euch alle drei geliebt, und gleich Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, Um einen zu begünstigen. - Wohlan! ... Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern: So lad ich über tausend tausend Jahre Sie wiederum vor diesen Stuhl. Dann wird Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der Bescheidne Richter. Saladin.       Gott! Gott! KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz

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3.4.2 Nathan der Weise, III.7 (8) Nathan.             Saladin, Wenn du dich fühlest, dieser weisere Versprochne Mann zu sein: ... Saladin (der auf ihn zustürzt und seine Hand ergreift, die er bis zu Ende nicht wieder fahren lässt).       Ich Staub? Ich Nichts? O Gott! Nathan.       Was ist dir, Sultan? Saladin.       Nathan, lieber Nathan! - Die tausend tausend Jahre deines Richters Sind noch nicht um. - Sein Richterstuhl ist nicht Der meine. - Geh! - Geh! - Aber sei mein Freund. Die tausend tausend Jahre seit dem Weggang des Richters Sind noch nicht um. Gleichwohl: Und doch wissen wir, wer der echte Ring ist; denn_ Der Stein hat die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trägt. - Wenn es denn der echte ist. KG der Frühen Neuzeit - WS 2006/07 - Toleranz und Intoleranz


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