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Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)

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Präsentation zum Thema: "Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)"—  Präsentation transkript:

1 Leib, Körper, Gehirn Zur Theorie der Verkörperung (WS 2016/2017)
Thomas Fuchs

2 Die Welt im Kopf? 8

3 Selbst = Gehirn? „Wir sind mentale Selbstmodelle informationsverarbeitender Biosysteme ... Werden wir nicht errechnet, so gibt es uns nicht“ (Metzinger 1999). „Diese einfache Tatsache macht klar, dass Sie Ihr Gehirn sind. Die Neuronen, die in seinem gewaltigen Netzwerk verbunden sind – das sind Sie“ (M. Gazzaniga 2005). „Sie haben Ihr Gehirn nicht, Sie sind Ihr Gehirn“ (Spitzer 2005). 8

4 Der Ego-Tunnel „Bewusstes Erleben gleicht einem Tunnel. … Zuerst erzeugt unser Gehirn eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als ein Bild in unserem eigenen Geist erkennen können. Dann generiert es ein inneres Bild von uns selbst als einer Ganzheit … Wir stehen also nicht in Kontakt mit der Wirklichkeit oder mit uns selbst. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“ (Metzinger 2010) 8

5 Das „Gehirn im Tank“ „Im Prinzip könnten wir dieses Erlebnis [der Welt] also auch ohne Augen haben, und wir könnten es sogar als entkörpertes Gehirn in einer Nährlösung haben.“ (Metzinger 2010) 8

6 Geltungsansprüche der Neurowissenschaften
„Neuro-Philosophie“, „Neuro-Ethik“, „Neuro-Pädagogik“, „Neuro-Psychotherapie“, „Neuro-Theologie“, „Neuro-Ökonomie“ usw. Umsturz der lebensweltlichen Erfahrung 8

7 Das naturwissenschaftliche Programm
Konzeption der Natur, aus der alle qualitativen, ganzheitlichen, also nicht einzeln zählbaren Bestimmungen als bloß subjektive oder anthropomorphe Zutaten eliminiert sind z.B. „Wärme“ 8

8 Das naturwissenschaftliche Programm
Descartes: Wahrnehmung basiert auf einer physikalischen Teilchenbewegung, die sich von den Dingen bis ins Gehirn fortpflanzt „... wir denken, wir sähen die Fackel selbst und wir hörten die Glocke selbst, während wir nur die Bewegungen empfinden, die von ihnen ausgehen“ (Discours de la Méthode). Reinigung der Welt von allen subjektiven, anthropomorphen Anteilen 8

9 Das naturwissenschaftliche Programm
Neurobiologie: Auch das subjektive Erleben, das Bewusstsein selbst soll nun naturalisiert, d.h. auf physikalische Prozesse zurückgeführt werden. Die „Entanthropomorphisierung“ der Natur geht über in die Naturalisierung des Menschen. 8

10 Vom Kopf auf die Füße John Searle (1993): Die Abtrennung des jeweils Subjektiven von den Phänomenen ist nicht mehr anwendbar, wenn es um die Reduktion der Subjektivität selbst geht. erkenntnistheoretische Aporien Wie soll das Gehirn sich selbst erkennen? Die Rede über Gehirne setzt voraus, was an-geblich von ihnen hervorgebracht werden soll: bewusste und sich miteinander verständigende Personen. 8

11 Vom Kopf auf die Füße Die alltäglich erlebte und vertraute Welt, in der wir gemeinsam leben, bleibt unsere primäre und eigentliche Wirklichkeit. Das Subjekt ist im Gehirn nicht zu finden. Das Gehirn ist ein Beziehungsorgan. Personen: leibliche/verkörperte und seelisch-geistige Wesen 8

12 Zentrale Thesen Die Funktionen des Gehirns setzen die Einheit des Menschen als Lebewesen voraus und sind nur von ihr her zu verstehen. Dazu müssen wir einen adäquaten Begriff des Lebendigen entwickeln. Zentral für eine Verständnis des Lebendigen ist die Konzeption der Verkörperung, als Verknüp-fung zweier Ansätze: Phänomenologie der Leiblichkeit und Theorie des autopoietischen Organismus, oder „Leib“ und „Körper“. 8

13 Zentrale Thesen Die höheren Gehirnfunktionen setzen den Lebensvollzug des Menschen in der gemein-samen sozialen Welt voraus. Dazu bedarf es einer Konzeption menschlicher Entwicklung als kontinuierlicher Verankerung von Erfahrungen in den psychischen und zugleich zerebralen Strukturen des Indivi-duums, im Sinne einer „biographischen Biologie“. 8

14 Zentrale Thesen Gehirn als Organ eines „zõon politikón“, eines Lebewesens, das bis in seine biologischen Struk-turen hinein durch seine Sozialität geprägt ist. 8

15 Vorbemerkungen zu Verkörperung und Enaktivismus
Bewusstsein = Funktion und Äußerung eines lebendigen Organismus in seiner systemischen Gesamtheit grundlegende Kontinuität von „Leben“ und „Geist“ („life-mind continuity“) Autoren: Francisco Varela („The Embodied Mind“; 1991), Evan Thompson („Life in Mind“, 2007), Alva Noe („Out of our Heads“, 2009), Ezequiel di Paolo, u.a. 8

16 Vorbemerkungen zu Verkörperung und Enaktivismus
Zentral: verkörperte Theorie der Wahrnehmung kein Prozess der Abbildung sensorischer Stimuli auf ein inneres Modell der Welt, sondern fortlaufenden sensomotorischen Interaktion eines eigenbeweglichen und handelnden Wesens mit seiner Umwelt (O’Regan & Noë 2001, Noë 2004) 8

17 Verkörperung und Enaktivismus
Vorläufer und wichtige Denker: theoretische Biologie: „Funktionskreis“ und „Umweltlehre“ Jakob von Uexkülls (1920), Psychosomatik: „Gestaltkreis“ Viktor von Weizsäckers (1940) Philosophische Biologie: Hans Jonas (1972) Leibphänomenologie: E. Husserl, M. Merleau-Ponty (1945), H. Schmitz (1965ff.), u.a. 8

18 Verkörperung und Enaktivismus
Doppelaspekt: Theorie des gelebten Leibes (subjektive Erfahrung, 1. Person-Perspektive) Theorie des lebendigen Körpers (Organismus, 3. Person-Perspektive) Organismus als autopoietisches, sich selbst erhaltendes und reproduzierendes System 8

19 „Enactive Cognition“ (Varela et al. 1991, Thompson 2007 u.a.)
Der lebendige Organismus bringt aktiv seine Welt hervor und nimmt sie nicht nur passiv wahr. Interaktion statt Repräsentation: Der Organismus repräsentiert nicht eine vorgegebene Welt, sondern im Zug sensomotorischer Interaktionen konstituiert sich seine artspezifische Umwelt. Kritik des „Mentalen“ 8

20 Enactive Cognition Kognition resultiert aus der Geschichte einer resonanten Koppelung und gegenseitigen Bestimmung von Organismus und Umwelt. In sensomotorischen Interaktionen entsteht Bedeutsamkeit, d.i. ein Bezug zur Umwelt, der in ihr relevante Muster erfasst (sense-making). Ökologische Nische: wechselseitige Bestimmung und Koppelung von Organismus und Umwelt 8

21 Organismus-Umwelt-Koppelung: Chemotaxis von Bakterien als „sense-making“
8

22 Enactive Cognition Die Geschichte der Koppelung bestimmt die Muster, die ein Organismus erkennt, ebenso wie die Muster seines Ver-haltens in der Umwelt. „Relationale Ontologie“: Beispiele Nahrung, Farben oder Töne als emergente Eigenschaften 8

23 Verkörperung und Enaktivismus
Zusammenfassung: Verkörperung = „embodiment“ und „Leiblichkeit“ Das leiblich vermittelte „Zur-Welt-Sein (Merleau-Ponty) lässt sich als Pendant zu den Interaktionen des Organismus mit seiner Umwelt begreifen. 8

24 Verkörperung und Enaktivismus
Grundlage dafür ist ein Begriff des Lebens, der Lebendiges als Selbstsein betrachtet: Doppelaspekt der leiblichen Subjektivität und der autopoietischen Struktur des Organismus: Die Phänomenologie des Leibes und die systemisch-enaktive Theorie des Organismus richten sich auf komplementäre Aspekte desselben Lebensprozes-ses, der Subjekt und Welt ebenso verbindet wie Gehirn, Körper und Umwelt. 8

25 Vorarbeit: Kritik des neurowissenschaftlichen Reduktionismus
Kritik der neurokonstruktivistischen Erkenntnistheorie (Wirklichkeit als Konstrukt des Gehirns, „Kosmos im Kopf“) Kritik des „Gehirns als Subjekt“: Irreduzibilität der Subjektivität 8

26 Überblick: Leib, Körper, Gehirn
aspektdualistische Konzeption der Person als Einheit von „Leib“ und „Körper“. ökologische Theorie des lebendigen Organismus Gehirn als Organ eines Lebewesens in seiner Umwelt Menschliches Gehirn als „Beziehungsorgan“ 8

27 1. Kosmos im Kopf? Kritik der neurophilosophischen Erkenntnistheorie
8

28 Ego-Tunnel und Kopfkino
„Bewusstes Erleben gleicht einem Tunnel. … Zuerst erzeugt unser Gehirn eine Simulation der Welt, die so perfekt ist, dass wir sie nicht als ein Bild in unserem eigenen Geist erkennen können. Dann generiert es ein inneres Bild von uns selbst als einer Ganzheit … Wir stehen also nicht in Kontakt mit der Wirklichkeit oder mit uns selbst. Wir leben unser bewusstes Leben im Ego-Tunnel.“ (Metzinger 2010) „Die geistige Multimedia-Show ereignet sich, während das Gehirn externe und interne Sinnesreize verarbeitet ...“ (Damasio 2002). 8

29 Ego-Tunnel und Kopfkino
„Unsere Wahrnehmungswelt wirkt so vollkommen, daß wir sie unreflektiert mit der realen Welt identifizieren, ohne uns bewusst zu sein, wie fragwürdig unsere Sinneswahrnehmungen sind (...). Wir befinden uns gewissermaßen in einer Dunkelkammer und sehen uns darin eine Show an, deren Beiträge aus den Verrechnungsprodukten unserer Seh-, Gehör-, Geschmacks-, Riech- und Tastnerven bestehen. Wir können aus diesem Gefängnis nicht heraus, können nicht durch die Nerven nach außen dringen, um in die ,wahre‘ Wirklichkeit zu gelangen (...) 8

30 Ego-Tunnel und Kopfkino
…. Die ganze Show aber lässt uns diesen Innenraum so überwältigend hell und differenziert erscheinen, dass es uns irreal, ja gespenstisch vorkommt, ihn nicht für den realen Außenraum zu halten“ (Wolf 1987). „Unsere Wahrnehmung ist (...) eine Online-Simulation der Wirklichkeit, die unser Gehirn so schnell und unmittelbar aktiviert, dass wir diese fortwährend für echt halten“ (Siefer u. Weber 2006). 8

31 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Farbe gibt es nur der herkömmlichen Meinung nach, und ebenso Süß und Bitter; in Wirklichkeit gibt es nur die Atome und das Leere“ (Demokrit) „Nähme man die Ohren, die Zunge und die Nüstern weg, dann würden Gestalt, Zahl und Bewegungen übrig bleiben, aber nicht die Gerüche, die Geschmäcker oder die Klänge, die ohne Lebewesen, wie ich glaube, nichts als Namen sind.“ (G. Galilei) 8

32 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
John Locke: primäre, quantitative – sekundäre, qualitative Eigenschaften der Objekte Bewusstsein als Innenraum: „ideae“ (Descartes) „impression“, „ideas“ (Locke, Hume) „Vorstellungen“ (Kant) Idealismus und Repräsentationalismus 8

33 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Denn meines Erachtens ist der Verstand einem Kabinett gar nicht so unähnlich, das gegen das Licht vollständig abgeschlossen ist und in dem nur einige kleine Öffnungen gelassen wurden, um äußere, sichtbare Ebenbilder oder Ideen von den Dingen der Umwelt einzulassen.“ John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand (1690) 8

34 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Allein Erscheinungen sind nur Vorstellungen von den Dingen, die, nach dem, was sie an sich sein mögen, unerkannt da sind. Als bloße Vorstellungen aber stehen sie unter gar keinem Gesetze der Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt.“ Kant, Kritik der reinen Vernunft (1774) 8

35 René Magritte, La condition humaine (1933)
8

36 Das idealistische Erbe der Hirnforschung
„Das Problem des Fensters ergab ,La condition humai-ne‘. Ich stellte vor das Fenster, das vom Inneren des Raumes zu sehen war, ein Bild, das genau das Land-schaftsstück darstellte, das von der Leinwand verdeckt war. Der Baum, der auf der Leinwand dargestellt war, verbarg den Baum, der hinter ihm außerhalb des Raumes stand. Für den Betrachter befand er sich also zugleich im Inneren des Raumes auf dem Bild und, in der Vorstellung (pensée), außerhalb in der wirklichen Landschaft. Genau so sehen wir die Welt, wir sehen sie außerhalb unserer selbst und dennoch haben wir nur eine Vorstellung (représentation) von ihr in uns.“ René Magritte (1938) 8

37 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Die Wahrnehmung räumlicher Tiefe entsteht nur in Ver-bindung mit dem Vermögen, sie auch zu durchmessen und die Gegenstände abhängig von unserer Eigenbewe-gung unter verschiedenen Aspekten zu erfassen. Die Verkörperung kommt nicht zur Wahrnehmung noch äußerlich hinzu, sondern sie wohnt ihr inne: Wir müssen schon leiblich in der Welt sein, mit ihr in Beziehung stehen, uns bewegen und agieren können, damit wir überhaupt etwas von ihr wahrnehmen. 8

38 Repräsentationen: Die Welt im Kopf „Zange!“

39 Verkörperung: In-der-Welt-Sein /-Handeln
Neuronale Netzwerke als „offene Schleifen“ Wahrnehmen Senso-motorischer Funktionskreis „zuhanden“ Handeln

40 Verkörperung: In-der-Welt-Sein /-Handeln
Wahrnehmen „zuhanden“ Funktions kreis Handeln Ein Objekt zu erkennen bedeutet zu wissen, wie man mit ihm umgeht.

41 (2) Interaktion von Gehirn, Körper und Umwelt: Verknüpfung von Kognition und Aktion
Wahrnehmung Objekt Körper Bewegung Sensomotorischer Funktionskreis (J. v. Uexküll) 8

42 (2) Verknüpfung von Kognition und Aktion
Held und Hain (1963): “aktive” und “passive” Kätzchen  Raumwahrnehmung entwickelt sich nur durch Bewegung im Raum.  Die erlebte Welt entsteht durch Interaktion. 8

43 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Wahrnehmend steht ein Lebewesen nicht der Welt gegenüber, sondern ist immer schon in ihr tätig und in sie verstrickt. („wahr-nehmen“ oder „per-zipieren“, von capere = ergreifen) Die Verkörperung kommt nicht zur Wahrnehmung noch äußerlich hinzu, sondern sie wohnt ihr inne: Wir müssen schon leiblich in der Welt sein, mit ihr in Beziehung stehen, uns bewegen und agieren können, damit wir überhaupt etwas von ihr wahrnehmen. 8

44 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
Wahrnehmen heißt immer schon, an der Welt teilzu-nehmen, sie zu berühren und von ihr berührt zu werden. Es beruht auf leiblicher Praxis. 8

45 „Embodied Cognitive Science“
(Varela 1991, Clark 2000, Thompson 2007 u.a.)  Bewusstsein ist verkörpert in der senso-motorischen Aktivität des Organismus in seiner Umwelt („embodied, embedded, enactive“)  Verknüpfung von Wahrnehmung und Bewegung Die erlebte Welt entsteht im Dialog zwischen der Aktivität des Lebewesens und den Antworten seiner Umgebung. 8

46 Ist die Verkörperung nur eine Illusion?
Argument der Phantomglieder, Rubberhand-Illusion, Out-of-Body-Experiences, u.a. „Ihr eigener Körper ist ein Phantom (…), das Ihr Gehirn aus rein praktischen Gründen vorübergehend konstruiert hat“ (Ramachandran u. Blakeslee 2001). Der subjektive Körper ist „... nichts als eine Hülle, die Sie vorübergehend erschaffen, um Ihre Gene erfolgreich an Ihre Nachkommenschaft weiterzugeben“ (ebd., 119). 8

47 Gummihand-Illusion 8

48 Koextension von Leib und Körper
Räumliche Übereinstimmung oder Syntopie von Leiblichem und Körperlichem Projektion? Die früher noch üblichen Projektionskonzepte sind in den kognitiven Neurowissenschaften weitgehend zugunsten eines einheitlichen virtuell-phänomenalen Raums, eines „Phenospace“ aufgegeben worden. 8

49 Koextension von Leib und Körper
Intersubjektive Situation, z.B. Arztbesuch Intersubjektive Syntopie: Beide sehen den gleichen Fuß, der schmerzt und verletzt ist. Der von beiden Personen übereinstimmend gemeinte Körper kann kein subjektives Scheingebilde mehr sein. Er befindet sich im gemeinsamen, intersubjektiven und insofern objektiven Raum. 8

50 Koextension von Leib und Körper
Ließe sich Wahrnehmung restlos als ein physikalischer Prozess beschreiben, der sich jeweils zwischen einem Gegenstand und einem Gehirn abspielt, dann könnten zwei Menschen nicht gemeinsam ein- und densel-ben Gegenstand betrachten. Sehend befinden wir uns immer schon in einem gemeinsamen Raum mit anderen. 8

51 Koextension von Leib und Körper
Evolutionär gesehen war der ganze Körper ursprünglich ein Sinnes- und Fühlorgan. Die elementare Sensibilität beginnt an der Peripherie des Körpers. Das leibliche Bewusstsein stellt das „Integral“ über dem lebendigen Organismus insgesamt dar, nicht ein im Gehirn produziertes Phantom. 8

52 Koextension von Leib und Körper
Eine bloße „zentrale Verrechnung“ im Gehirn könnte niemals leisten, was die unmittelbare Präsenz des Subjekts in seiner Hand ermöglicht, nämlich die Verknüpfung von Wahrnehmung, Bewegung und Objekten in einem gemeinsamen Raum: „Mein Leib ist da, wo er etwas zu tun hat“ (Merleau-Ponty 1966). Flexibilität der Koextension bzw. der Ausdehnung des subjektiven Leibes 8

53 Koextension von Leib und Körper
Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß wehtut? „Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Schmerzen sich im physikalischen Raum innerhalb unseres Körpers befinden (...) Doch wissen wir nun, dass dies falsch ist. Das Hirn bildet ein Körperbild, und Schmerzen – wie alle körperlichen Empfindungen – gehören zum Körperbild. Der Schmerz-im-Fuß ist buchstäblich im physikalischen Raum des Hirns“ (John Searle 1993) 8

54 Koextension von Leib und Körper
Wo ist nun der Schmerz, wenn mir der Fuß wehtut? Er ist im „Fuß-als-Teil-des-lebendigen-Körpers“, denn dieser einheitliche lebendige Körper bringt – wesentlich vermittels des Gehirns – auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. → Der subjektive Leibraum und der objektive Raum meines Körpers kommen syntopisch zur Deckung. 8

55 Koextension von Leib und Körper
„Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten und vorläufig sagen: wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin ebenso unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich ein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Erfahrung lehrt mich, (...) mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen im Gehirn zu versperren, um von da aus den Hebezug meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen zu werden (...) Meine Seele ist ganz im gan-zen Körper und in jedem seiner Teile.“ (Kant 1766) 8

56 Koextension von Leib und Körper
Descartes wandte dagegen ein, der Körper sei im Prinzip eine Gliedermaschine und daher teilbar wie ein Leichnam, während die Seele schließlich ein unteilbares Ganzes darstelle. Jedoch: Der lebendige Organismus selbst stellt ein Funktionsganzes dar, das als solches unteilbar und gleichwohl im physikalischen Raum ausgedehnt ist – in Parallele zum subjektiven Leib und dessen unteilbarer Ausdehnung. 8

57 Koextension von Leib und Körper
Wir sind keine abgeschlossenen Monaden mehr, denen ein Bild der Welt vorgespiegelt wird, sondern wir bewohnen unseren Leib und durch ihn die Welt. Die Phänomenologie kann damit unsere primäre Erfahrung wieder in ihr Recht setzen, als inkarnierte Wesen in der Welt zu sein 8

58 Zusammenfassung 8

59 Zweite Kritik: Die Objektivität der phänomenalen Welt
8

60 Der Raum der Wahrnehmung
Nehmen wir nur Bilder wahr, Ausstaffierungen unseres Bewusstseinsinnenraums? Ich nehme nicht „Sehempfindungen“ oder Bilder wahr, sondern den Schreibtisch, das Fenster, den Himmel usw. Wolfgang Prinz (1992): Warum nehme ich eigentlich nicht die Reizungen meiner Netzhaut, die Aktionspotenziale meiner Sehnerven oder direkt meine Hirnzustände wahr, wenn sie doch das tatsächliche Substrat meiner Wahrnehmung sind? 8

61 Der Raum der Wahrnehmung
Antwort Prinz: Das Gehirn erzeugt einen virtuellen Raum zur Angleichung von Datenformaten Positiv gewendet: ein intermodaler Aktionsraum, der meinem In-der-Welt-Sein und Handeln-Können als leibliches Wesen entspricht. 8

62 Objektivierende Leistung der Wahrnehmung
Husserl: Die Wahrnehmung des Tisches „appräsentiert“ andere mögliche Perspektiven oder Ansichten des Tisches. Antizipation von Handlungsmöglichkeiten Mehr noch: Der Tisch, den ich dort sehe, ist der Ge­genstand, den gleichzeitig an­dere von anderen Seiten sehen könnten. → „Hori­zont möglicher eigener und fremder Erfahrung“ oder „offene Intersubjektivität“ (Husserl) 8

63 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Aufhebung der Subjektivität der Wahrnehmung Die von mir wahrgenommenen Dinge sind zugleich immer auch für andere grundsätz­lich wahrnehmbar und für eine gemeinsame Praxis verfügbar. Durch die implizite Teilnehmerperspektive („wir“-Per-spektive) erhält meine subjek­tive Wahrnehmung ihre prinzipielle (wenn auch im Einzelfall widerleg­bare) Objektivität. 8

64 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
“Ob ich diesen Tisch oder diesen Baum oder dieses Stück Mauer allein oder in Gesellschaft betrachte, immer ist der Andere da als eine Schicht konstituierter Bedeutungen, die dem von mir betrach-teten Gegenstand selbst angehören; kurz, als der wirkliche Bürge seiner Gegenständlichkeit. (….) So erscheint jeder Gegenstand – weit davon entfernt, wie bei Kant durch ein einfaches Verhältnis zum Subjekt konstituiert zu werden – in meiner konkreten Erfah-rung als vielwertig, er ist ursprünglich gegeben als Träger der Sys-teme von Verweisungen auf eine unendliche Vielheit von Bewusst-seinsindividuen; bei dem Tische und bei der Mauer entdeckt sich mir der Andere als das, worauf sich der betrachtete Gegenstand fortwährend beruft, und zwar genauso, wie wenn Peter und Paul konkret in Erscheinung treten.“ (Sartre, Das Sein und das Nichts) 8

65 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
„Sobald ich sehe, muss das Sehen mit einer komplementären oder anderen Sicht synchronisiert sein: mit der Sicht meiner selbst von außen, so wie ein Anderer mich sehen würde, der sich inmitten des Sichtbaren eingerichtet hat und dieses von einem bestimmten Ort aus sieht.“ (Merleau-Ponty, 1964) → Distanzierung und Objektivierung → „zuhandene“ werden „vorhandene“ Objekte 8

66 Implizite Intersubjektivität der Wahrnehmung
Aporie des Neurokonstruktivismus: Ließe sich Wahrnehmung restlos als ein physikalischer Prozess beschreiben, der sich jeweils zwischen einem Ge­genstand und einem Ge­hirn bzw. in diesem Gehirn abspielt, dann könnten zwei Menschen nicht gemeinsam ein- und den­selben Gegenstand betrachten. Die gemeinsame Intentionalität oder „wir-Intentionalität“ der Wahrnehmung hebt ihre primäre Subjektivität auf. „naiver Realismus“ → lebens­weltli­cher Realismus 8

67 Objektivierungsleistung der Wahrnehmung
Einwand der Wahrnehmungsillusionen Illusionen entstehen aufgrund der optimalen Anpassung der Wahrnehmung an Orientierung, Kohärenz und Handlungserfordernisse. 8

68 Illusionen? - Müller-Lyersche Täuschung
8

69 Müller-Lyersche Täuschung
Die Müller-Lyer-Illusion tritt signifikant seltener in Rundhütten-Kulturen auf. 8

70 Objektivierungsleistung der Wahrnehmung
Wir nehmen nicht Reize oder Bilder wahr, sondern Gestalt- und Sinneinheiten. Wahrnehmung bedient sich der vermittelnden Prozesse, um eine unmittelbare Beziehung zu den Dingen herzustellen – eine vermittelte Unmittelbarkeit (Hegel). 8

71 Objektivierungsleistung der Wahrnehmung
Interpersonale Wahrnehmung: Meine integrierende, gestaltbildende Wahrnehmung zeigt mir andere Menschen als das, was sie in Wirklichkeit auch sind. Wahrnehmung stellt eine Koexistenz zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen her. 8

72 Dritte Kritik: Die Realität der Farben
8

73 Die Realität der Farben
Die Tatsache, dass elektromagnetische Wellen selbst nicht farbig und Schallwellen nicht laut sind, ist kein Grund, die Wirklichkeit von Farben und Töne zu bestreiten. Farben und Töne sind relationale Qualitäten (vgl. die räumliche Wahnehmung eines Rechtecks) 8

74 Kitaokas Illusion 8

75 Kitaokas Illusion 8

76 Kitaokas Illusion 8

77 Kitaokas Illusion 8

78 Die Realität der Farben
Freilich hätte es in einer rein physikalischen Welt keinen Sinn, von Farben oder Tönen zu sprechen. Aber eine solche Welt ist nur eine gedachte Abstraktion von der Welt, die wir als Lebewesen bewohnen und erfahren. Die Sinnesqualitäten sind Resultate der Beziehung eines Lebewesens zu seiner Umwelt; doch diese Beziehung hat einen welterschließenden und insofern durchaus objektiven Charakter. 8

79 Die Realität der Farben
Mit der Entwicklung des Lebens veränderte sich auch die Welt; es traten neue, emergente Beziehungen und entsprechende relationale Eigenschaften auf. Lebewesen erzeugen qualitative aus quantitativen Unterschieden, und damit verwandeln sie die Welt, denn die spezifischen Beziehungen von Farbeigenschaften und Farbwahrnehmung gehört nun als solche zu ihren objektiven Merkmalen. 8

80 Zusammenfassung 8

81 2. Das Gehirn als Erbe des Subjekts
2. Das Gehirn als Erbe des Subjekts? Kritik der neurophilosophischen Bewusstseinstheorie oder Die Irreduzibilität von Subjektivität 8

82 Gehirn als Erbe des Subjekts?
In ihrem „Manifest“ behaupten namhafte Hirnforscher, „... dass sämtliche innerpsychischen Prozesse, zum Beispiel, Imagination, Empathie, das Erleben von Empfindungen und das Treffen von Entscheidungen ... grundsätzlich durch physikochemische Wechselwirkun-gen beschreibbar sind. ... Geist und Bewusstsein – wie einzigartig sie auch von uns empfunden werden – fügen sich also in das Naturgeschehen ein und übersteigen es nicht.“ („Das Manifest“, Monyer et al. 2004). 8

83 Gehirn als Erbe des Subjekts?
„So sieht sich die Neurobiologie des Bewusstseins zumindest zwei Problemen gegenüber: der Frage, wie der Film-im-Gehirn erzeugt wird, und der Frage, wie das Gehirn das Gefühl erzeugt, dass es einen Eigentümer und Beobachter dieses Films gibt (...) Tatsächlich läuft die zweite Frage darauf hinaus, wie das Auftreten eines Eigentümers und Beobachters des Films innerhalb des Films bewerkstelligt wird.“ (Damasio 2000) 8

84 Selbstmodelltheorie „Phänomenales Bewusstsein ist eine Simulation, in der ein ganzheitliches Modell der Welt und des Selbst in ihr erzeugt wird. In manchen Fällen wird diese Simulation als ein Werkzeug zur Verhaltenssteuerung benutzt, in anderen nicht.“ (Metzinger 2001, 457) Der Wachzustand ist eine Form des „online-Träumens“. Das Gehirn ist ein „Weltsimulator“ und zugleich ein „Selbstsimulator“. 8

85 Erste Kritik: Die Irreduzibilität von Subjektivität
8

86 (a) Phänomenales Bewusstsein
Thomas Nagel: „What it is like to be a bat“ (1974) Prinzipielle Erkenntnisgrenze der Neurowissenschaften: Subjektive oder Erlebnistatsachen, die nur aus einer je einmaligen Perspektive zugänglich sind, lassen sich nicht restlos in objektive Tatsachen überführen, die von verschiedenen Individuen beobachtet werden können. 1.-Person-Perspektive  3.-Person-Perspektive 8

87 (a) Phänomenales Bewusstsein
Das elementare Selbstgewahrsein oder die leibliche Selbstaffektion (Michel Henry 1963) begründet die Existenz von subjektiven oder Erlebnistatsachen. „Ich habe Schmerzen“ ≠ „Thomas Fuchs hat Schmerzen.“ Die Wirklichkeit meines Schmerzes ist von ontologisch anderer Art als die Wirklichkeit objektiver physiologischer Tatsachen. Subjektivität begründet eine absolute epistemische Asymmetrie von Tatsachen. 8

88 (a) Phänomenales Bewusstsein
Subjektivität begründet auch die performative Funktion bestimmter Sprachhandlungen: Die Aussage „Ich verspreche dir, dich morgen zu besuchen“ ist nicht äquivalent mit der Aussage: „Jemand verspricht dir, dich morgen zu besuchen, und derjenige, der das verspricht, ist Otto Müller.“ Aus der absoluten epistemischen Asymmetrie von Tatsachen resultiert auch eine absolute performative Asymmetrie von bestimmten Sprachhandlungen. 8

89 (b) Intentionalität Erlebniszustände, die intrinsisch auf etwas gerichtet sind, also Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche, Vorstellun-gen oder Erinnerungen, besitzen das Merkmal der Intentionalität. Intentionale Akte lassen sich als bloß mentale Zustände nicht adäquat definieren, denn zu ihrer Definition gehört das, was in ihnen gemeint oder beabsichtigt ist – also ein bewusstseinstranszendenter Kontext. 8

90 (b) Intentionalität Versuch der Reduktion durch Aufspaltung von Bewusst-sein in Qualia und Intentionen → Qualia als „hard problem of consciousness“ (Chalmers 1996) Jedoch: Subjektivität ist mehr als qualitatives Erleben. Subjektivität und Bedeutung lassen sich nicht voneinander trennen. 8

91 (b) Intentionalität „Bedeutung“ ist nicht nur die zweistelligen Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem, oder von Repräsentant und Repräsentandum. Intentionalität ist eine dreistellige Relation: Etwas bedeutet etwas für jemanden. „Bedeutung hat immer damit zu tun, dass etwas für jemanden etwas bedeutet. Aus diesem Grund bedeutet in einer Welt ohne Erleben nichts irgendetwas. Es gäbe keine mögliche Bedeutung, daher auch keine mögliche Intention und daher auch keine mögliche Intentionalität auf einem Planeten ohne Erleben.“ (Galen Strawson 1994) 8

92 (b) Intentionalität Begriff der „Repräsentation“ in den Neurowissenschaften: Neuronale Repräsentationen – als Basis „mentaler Repräsentationen“ – sollen einen externen Sachverhalt in einem neuronalen System so abbilden, dass sie diesen in den kognitiven Operationen des Systems funktional vertreten können. z.B. Repräsentat < Löwe > → Output < Flucht > → Intentionalität als rein funktionaler Input-Output-Prozess 8

93 (b) Intentionalität Dagegen: Searles „Chinese Room“-Argument
Man stelle sich vor, dass jemand, der kein Wort Chine-sisch versteht, in ein Zimmer eingeschlossen wird, in dem sich ein Programm mit sämtlichen Regeln zur Beantwor-tung von chinesischen Fragen befindet. Der Mann erhält nun von einem Chinesen chinesische Schriftsymbole in das Zimmer gereicht („Input“ ins System) und erarbeitet mit Hilfe des Programms völlig zutreffende Antworten, die er nach draußen gibt („Output“ des Systems) – freilich rein regelkonform und ohne das Geringste zu verstehen. 8

94 (b) Intentionalität Nehmen wir an, das Programm sei so gut und die Antwor-ten seien so adäquat, dass selbst der Chinese draußen die Täuschung nicht bemerken würde. Dennoch könnte man weder von dem Mann im Zimmer noch von einem irgendeinem anderen Teil des Systems sagen: Er versteht Chinesisch. Der semantische Gehalt der Sprache enthält also mehr als ihre bloße Grammatik und Syntax. → Ein Bedeutungszusammenhang lässt sich nicht auf funktionale Abläufe zurückführen, ohne dass es jeman-den gibt, der diesen Zusammenhang versteht. 8

95 (b) Intentionalität Ist das Ziel eines Torpedos in seinem Steuerungssystem „repräsentiert“? Die Repräsentationsfunktion ergibt sich nur für uns, nämlich aus der Vorgeschichte unserer Konstruktion und Programmierung, die das Torpedo in einen regelhaften Zusammenhang mit einem Zielobjekt bringt. Es wäre unsinnig zu sagen, dass das Torpedo „sein Ziel sucht“, also tatsächlich über eine intentionale und zeitübergreifende Beziehung zu seinem Zielobjekt verfügt. 8

96 (b) Intentionalität → Nur wir selbst können die Repräsentation eines Sachverhaltes durch einen anderen überhaupt fest-stellen; sie besteht nicht an sich. Nur für uns repräsentiert der Rauch das Feuer, oder die Ringe im Holzquerschnitt die Lebensjahre eines Baums. Gäbe es Repräsentationen „an sich“, in der subjektlosen Natur, so gäbe es sie überall und nirgends. 8

97 (b) Intentionalität Jede Zeichenrelation ist notwendig dreistellig: Etwas stellt für jemand ein Zeichen für etwas dar. Daher findet auch in einem Computer an sich nichts weiter statt als Übergänge von einem elektrischen Zustand zum anderen. Nur der Benutzer kann diese Prozesse als „Symbol“- manipulationen oder „Informations“verarbeitung interpretieren und ihnen damit Bedeutung verleihen. In einer Welt ohne subjektives Erleben gibt es Zeichen ebensowenig wie Symbole oder Informationen, Reprä- sentationen oder Metarepräsentationen, Bedeutung oder Sinn. 8

98 Repräsentation ohne Subjekt?
„(Mentale) Repräsentation ist ein Prozess, der für ein System die innere Beschreibung eines Repräsentan- dums durch die Erzeugung eines als Repräsentat fungierenden Zustands leistet.“ (Metzinger 1999). Repräsentate sind „innere Werkzeuge, ... die von Systemen zum Erreichen bestimmter Ziele eingesetzt werden“ (ebd.) Doch weder ein künstliches noch ein biologisches System als solches hat ein „Interesse“ am „Erreichen bestimmter Ziele“. Weder für einen Thermostaten noch für ein Gehirn ist es im Raum „zu kalt“, und sie hätten es lieber wärmer. 8

99 Repräsentation ohne Subjekt?
„(Mentale) Repräsentation ist ein Prozess, der für ein System die innere Beschreibung eines Repräsentan- dums durch die Erzeugung eines als Repräsentat fungierenden Zustands leistet.“ (Metzinger 1999). Doch was heißt hier „für“? 8

100 Repräsentation ohne Subjekt?
Repräsentate sind „innere Werkzeuge, ... die von Systemen zum Erreichen bestimmter Ziele eingesetzt werden“ (ebd.) Doch weder ein künstliches noch ein biologisches System als solches hat ein „Interesse“ am „Erreichen bestimmter Ziele“. Weder für einen Thermostaten noch für ein Gehirn ist es im Raum „zu kalt“, und sie hätten es lieber wärmer. 8

101 Repräsentation ohne Subjekt?
Man kann zwar argumentieren, dass im Gegensatz zu Maschinen das lebendige System insgesamt untergeht, wenn seine Repräsentationen nicht funktional adäquat sind (evolutionäre Selektion). Doch ohne Subjektivität ist es auch den lebendigen Systemen an sich gleichgültig, ob sie untergehen oder nicht. Damit entfällt aber das „für“, das heißt die Vorausset- zung für einen dreistelligen Repräsentationsbegriff, der auf ein System als solches bezogen werden könnte. 8

102 Repräsentation ohne Subjekt?
Man kann zwar argumentieren, dass im Gegensatz zu Maschinen das lebendige System insgesamt untergeht, wenn seine Repräsentationen nicht funktional adäquat sind (evolutionäre Selektion). Doch ohne Subjektivität ist es auch den lebendigen Systemen an sich gleichgültig, ob sie untergehen oder nicht. Damit entfällt aber das „für“, das heißt die Vorausset- zung für einen dreistelligen Repräsentationsbegriff, der auf ein System als solches bezogen werden könnte. 8

103 Repräsentation ohne Subjekt?
Fazit: Neuronale Aktivierungsmuster sind keine Symbole für Objekte, sie repräsentieren sie nicht, bedeuten sie nicht und stellen sie nicht dar – ebensowenig wie ein Baum in seinen Wachstumsringen seine Lebensjahre darstellt. Im Gehirn gibt es keinen Homunculus, der in der Lage wäre, neuronale Aktivätsmuster als Repräsentationen aufzufassen, als Abbilder zu sehen oder als Erinnerungsspuren zu lesen. 8

104 Repräsentation ohne Subjekt?
Natürlich kann ein Neurowissenschaftler bestimmte neuronale Erregungsbereitschaften auf frühere Erfah-rungen kausal zurückführen und damit Entsprechungen feststellen. Ähnlich vermag ein Dendrologe aus den Wachstumsringen eines Baumes Informationen über die Regenmenge vor zehn Jahren zu gewinnen, oder ein Fährtensucher aus den Spuren im Schnee auf die Bewegung eines Tiers vor drei Tagen zu schließen. 8

105 Repräsentation ohne Subjekt?
Doch weder die Ringe im Baum noch die Eindrücke im Schnee noch die neuronalen Verschaltungsmuster sind als solche „Repräsentationen“ vergangener Ereignisse. Ein zulässiger Begriff von Repräsentation in den kognitiven Neurowissenschaften müsste den Beobachterstandpunkt einbeziehen. Neuronale Zustände als solche haben keine Stellvertretungsfunktion. 8

106 Repräsentation ohne Subjekt?
Da dem neurowissenschaftliche Repräsentationsbegriff jedoch der fälschliche Anschein objektiver Gegebenheit kaum noch abzustreifen ist, scheint es sinnvoller, ihn überhaupt zu ersetzen, etwa durch den Begriff des Musters bzw. der Musterresonanz. 8

107 Fazit Intentionalität gibt es nicht ohne Subjektivität.
Der Vollzug intentionaler Akte ist zwar an bestimmte organische Strukturen eines Lebewesens gebunden; ihr Gehalt, nämlich „etwas als etwas aufzufassen“, geht jedoch in keiner physikalischen oder physiologischen Beschreibung auf. Es gibt keine Bedeutung, keinen Sinn ohne Subjekte. Der Begriff der Repräsentation kann eine subjekt-abhängige Intentionalität nicht ersetzen. 8

108 Zweite Kritik: Kategorienfehler 1) Mereologischer Fehlschluss (Bennett u. Hacker 2003)
8

109 „Peters Gehirn überlegte angestrengt, was es
nun tun sollte. Als es keine Lösung fand, entschied es sich, erst einmal abzuwarten.“ 8

110 Der Mensch denkt, nicht das Gehirn. (Erwin Straus 1956)
8

111 Mereologischer Fehlschluss
Latenter Cartesianismus: Das „Ich“ wird von den Neurowissenschaftlern substanzialisiert gedacht, als vermeintlich autonomes, frei waltendes Entscheidungszentrum, dann aber, da eine solche Ich-Instanz im Gehirn nicht vorfindbar ist, für nicht existent erklärt: „Nicht das Ich, sondern mein Gehirn hat entschieden“. Doch Gehirne denken oder entscheiden ebensowenig wie körperlose „Iche“ – in beiden Fällen wird ein Teil fälschlich an die Stelle des Ganzen gesetzt. 8

112 Mereologischer Fehlschluss
Dies ändert sich auch nicht dadurch, dass man das cartesianische Ich durch den Begriff des Bewusstseins oder des „Mentalen“ ersetzt. Das Gehirn „hat Bewusstsein“. Doch Bewusstsein ist keine eigene Entität, keine Innenwelt, sondern es ist eine Eigenschaft von Lebewesen, genauer: eine Weise ihres Lebensvollzugs. 8

113 Mereologischer Fehlschluss
John Searle (1993): „geistige Phänomene sind Merkmale des Hirns“, und Bewusstsein „... eine höherstufige und emergente Eigenschaft des Hirns.“ „Überzeugungen, Wünsche usw. sind immer jemandes Überzeugungen und Wünsche“ (ebd). Doch jemand, das ist eine Person; nicht „ein Ich“, „ein Bewusstsein“, erst recht kein Gehirn, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. 8

114 Mereologischer Fehlschluss
Das Gehirn mag der zentrale Ort bewusstseinsrelevanter physiologischer Prozesse sein, aber Bewusstsein hat es nicht. Denn es nimmt nicht wahr, es bewegt sich nicht, es ärgert oder freut sich nicht, es überlegt oder grübelt nicht – das alles sind allein Tätigkeiten von Lebewesen, die bei Bewusstsein sind. 8

115 Zweite Kritik: Kategorienfehler 2) Lokalistorischer Fehlschluss
8


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