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Prof. Dr. Georg Pfleiderer Vorlesung: Was ist der Mensch? Anthropologie und Bioethik in theologischer und philosophischer Perspektive (Ethik des Christentums.

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1 Prof. Dr. Georg Pfleiderer Vorlesung: Was ist der Mensch? Anthropologie und Bioethik in theologischer und philosophischer Perspektive (Ethik des Christentums IV)

2 0329.09.Der geschöpfliche MenschBibel 0406.10.Das geteilte GeschöpfAlte Kirche, Mittelalter, Renaissance

3 3.2. Neues Testament: Begnadetes Geschöpf 3.2.1. Umwelt 3.2.2. Allgemeines 3.2.3. Das Menschenbild Jesu 3.2.4. Paulinische Anthropologie 3.2.5 Johanneische Anthropologie

4 0406.10.Das geteilte Geschöpf Alte Kirche, Mittelalter, Renaissance 0513.10.Das sündhafte Gottebenbild Reformation

5 4. Alte Kirche bis Renaissance 4.1. Alte Kirche: Das geteilte Geschöpf 4.1.1.Gottebenbildlichkeit und Sünde in der Alten Kirche 4.1.2.Seele und Körper 4.1.3.Die Entdeckung des inneren Menschen bei Augustin 4.2. Mittelalterliche Anthropologien 4.2.1.Thomas von Aquin 4.2.2 Mystik 4.2.3. Politische Anthropologie 4.2.4. Auf dem Weg in die Neuzeit 4.2.5. Indirekte Modernisierung? Das mittelalterliche Beichtinstitut 4.3.Renaissance und Humanismus: Der selbstbewusste Mensch

6 De Civitate Dei (XII, 22): „Dem Menschen.. hat er (sc. Gott) eine Natur gegeben gewissermassen in der Mitte zwischen Engel und Tier und hat ihn als einen und einzelnen erschaffen. Sofern er seinem Schöpfer als dem wahren Herrn ergeben blieb und in frommem Gehorsam sein Gebot befolgte, sollte er in die Gemeinschaft der Engel eingehen und ohne dazwischentretenden Tod die unbegrenzte selige Unsterblichkeit erlangen. Wenn er aber seinen Herrn und Gott durch Missbrauch seines freien Willens hochmütig und ungehorsam beleidigte, sollte er, dem Tode verfallen, tierisch leben, ein Sklave der Begehrlichkeit, nach dem Tode zu ewiger Pein bestimmt. Jedoch allein bleiben sollte der Mensch nicht: Gott liess ihn nicht ohne menschliche Genossenschaft, damit ihm auf diese Weise die Einheit seiner Genossenschaft und das Band der Eintracht um so dringlicher zum Bewusstsein gebracht werde, wenn die Menschen unter sich nicht nur durch Gleichheit der Natur, sondern auch durch verwandtschaftliche Zuneigung verbunden würden.“ „Sobald der Mensch nach dem Menschen und nicht nach Gott lebt, wird er dem Teufel ähnlich. Auch der Engel hatte nicht nach dem Engel, sondern nach Gott zu leben, um in der Wahrheit standzuhalten und aus dem, was Gottes ist, die Wahrheit zu reden und nicht aus dem Seinen Lüge... Lebt er aber nach sich selbst, ist das ein Leben nach dem Menschen und nicht nach Gott.... Wenn wir also gesagt haben, die beiden unter sich verschiedenen und entgegengesetzten Staaten seien dadurch entstanden, dass die einen nach dem Fleische, die anderen nach dem Geiste lebten, kann man statt dessen auch sagen: die einen leben nach dem Menschen, die anderen nach Gott.... Denn man kann das Ganze, das der Mensch ist, sowohl mit Seele als auch mit Fleisch, also mit Teilen des Menschen bezeichnen, und dann ist der seelische Mensch nichts anderes als der fleischliche, vielmehr sind beide derselben: der nach dem Menschen lebende Mensch.“

7 Generatianismus Kreatianismus Traduzianismus

8 Helmut Zander: Geschichte der Seelenwanderung in Europa: Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute

9 „Von meinen verborgenen Sünden reinige mich, Herr, und vor fremden Sünden behüte deinen Knecht! (Ps. 9, 13) – Hab ich dir nicht meine Sünden bekannt wider mich selbst, mein Gott, und hast du mir vergeben die Bosheit meines Herzens.“ (Ps. 32, 5) (28, teilw. kursiv) „Denn frei von der Sünde ist niemand vor Dir, auch nicht das Kind, dem einen kurzen Tag nur sein Erdenleben währt. Wer führt sie mir vor Augen? Jedes Kindlein von heute vielleicht, an dem ich sehe, wessen ich aus meienr Kindheit von damals mich nicht mehr entsinne? Was also habe ich damals gesündigt? Dass ich weinend nach der Mutterbrust verlangte?“ (31) „Wie weilte ich fern von den Freuden deines Hauses, damals, als mein Fleisch sechzehn Jahre zählte, da die wildeste Wollust über mich das Zepter führte...“ (51) „Dann riss mich das Theater in seinen Bann..“ (62) „Und ganz und gar nicht wusste ich, was das in unserm Innern sei, das uns gottähnlich macht, wie uns ja die Schrift nennt: geschaffen nach dem Bild Gottes (). Und ich kannte nicht die wahre innere Gerechtigkeit, die nicht nach Gewohnheit urteilt, sondern nach Gottes.. Gesetz...“ (70) „Ich.. hatte Keuschheit von dir erfleht und dir gesagt: Gib mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, doch gib sie mir nicht gleich. Ich fürchtete, du möchtest allzu schnell mein Flehen erhören und allzu schnell mich heilen von der Krankheit der Begierde, die lieber ich gesättigt wünschte als gelöscht.“ (187) „So sagte ich und weinte in der bittersten Zerknirschung meines Herzens. Und sieh, da hörte ich eine Stimme vom Nachbarhaus herüber, singenden Tons, die Stimme wie von einem Knaben oder Mädchen, die immer wieder rief: Nimm, lies! Nimm, lies! Da änderte sich meine Miene, ich begann/ achtsam mich zu besinnen... Ich dachte nichts anderes, als dass mir Gott befehle, ein Buch zu öffnen und zu lesen, worauf zuerst mein Auge stosse.“ (195f)

10 Thomas von Aquin: Der Mensch besitzt Gottebenbildlichkeit.....„Einmal insofern der Mensch die natürliche Eignung zur Gotteserkenntnis und zur Gottesliebe besitzt; und diese Eignung besteht in der Geistnatur selbst, die allen Menschen gemeinsam ist. Zweitens insofern der Mensch im Aktvollzuge oder dem Gehaben nach, allerdings auf unvollkommene Weise, erkennt und liebt; dies ist das Bild der auf der Gnade beruhenden Gleichförmigkeit. Drittens insofern der Mensch im Aktvollzuge Gott auf vollkommene Weise erkennt und liebt; damit ist das Ebenbild der [ewigen] Herrschaft gemeint.... Das erste Bild findet sich also in allen Menschen vor, das zweite nur in den Gerechten, das dritte jedoch nur in den Seligen. () Zu 1: Mit Bezug auf das, worin die Bewandnis des Bildes liegt, nämlich mit Bezug auf die Geistnatur, findet sich sowohl im Manne als auch in der Frau ein Bild Gottes vor.... Mit Bezug auf etwas Zweitrangiges liegt freilich im Manne ein Ebenbild Gottes vor, wie es sich im Weibe nicht findet. Denn der Mann ist Ursprung und Ziel des Weibes, wie Gott Ursprung und Ziel der gesamte Schöpfung ist.“ (Thomas v.A. ST 93, 4)

11 ex aversione voluntatis a deo consecuta est inordinatio in omnibus aliis animae viribus. sic ergo privatio originalis iustitiae, per quam voluntas subdebatur deo, est formale in peccato originali; omnis autem alia inordinatio virium animae se habet in peccato originale sicut quiddam materiale.... quae quidem inordinatio communi nomine potest dici concupiscentia. et ita peccatum originale materialiter quidem est concupiscentia, formaliter vero es defectus originalis iustitiae. (STh IIa 82, 3c)

12 4. Alte Kirche bis Renaissance 4.1. Alte Kirche: Das geteilte Geschöpf 4.1.1.Gottebenbildlichkeit und Sünde in der Alten Kirche 4.1.2.Seele und Körper 4.1.3.Die Entdeckung des inneren Menschen bei Augustin 4.2. Mittelalterliche Anthropologien 4.2.1.Thomas von Aquin 4.2.2 Mystik 4.2.3. Politische Anthropologie 4.2.4. Auf dem Weg in die Neuzeit 4.2.5. Indirekte Modernisierung? Das mittelalterliche Beichtinstitut 4.3.Renaissance und Humanismus: Der selbstbewusste Mensch

13 => Sabine Maasen: Genealogie der Unmoral zur Therapeutisierung sexueller Selbste, Frankfurt am Main 1998.

14 4.3.Renaissance und Humanismus: Der selbstbewusste Mensch

15 Richard van Dülmen: Die Entdeckung des Individuums 1500-1800, Frankfurt/M. 1997

16 Pico dela Mirandola (1463-1494) „(A)ls das (Schöpfungs-)Werk vollendet war, da wünschte sein Erbauer, es sollte jemanden geben, der imstande wäre, die Einrichtung des grossen Werkes zu beurteilen, seine Schönheit zu lieben, seine Grösse zu bewundert. Deswegen dachte er, als alles schon vollendet war..., zuletzt daran, den Menschen zu erschaffen. Doch gab es unter den Urbildern keines, wonach er den neuen Sprössling hätte formen können,.. und nirgends auf der ganzen Welt gab es noch einen Platz, auf dem dieser Betrachter des Universums sitzen konnte... So traf der beste Bildner schliesslich die Entscheidung, dass der, dem gar nichts Eigenes gegeben werden konnte, zugleich an allem Anteil habe, was jedem einzelnen Geschöpf nur für sich selbst zuteil geworden war. Also nahm er den Menschen hin als Schöpfung eines Gebildes ohne besondere Eigenart, stellte ihn in den Mittelpunkt der Welt und redete ihn so an: ‚Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äussere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die dur dir selbst wünschst, nach deinem eigenen Wille und Entschluss erhalten und besitzen kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen. In die Mitte der Welt habe ich dich gestellt, damit du von aus bequemer alles ringsum betrachten kannst, was es auf der Welt gibt. Weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen habe ich dich geschaffen und weder sterblich noch unsterblich dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst (tui ipsius quasi arbitrarius honorariusque plastes et fictor) nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich ausbilden kannst, die du bevorzugst, du kannst aus einem Willen wiedergeboren werden nach oben in das Göttliche.“ (Pico della Mirandola: Rede über die Würde des Menschen, (reclam), Stuttgart 1997 9)

17 Erasmus von Rotterdam (1465-1563) „Ich will Dir selbst ein Bild von mir entwerfen, um so besser, als ich mich ja selbst viel genauer kenne, als andere es tun. Du bekommst einen Menschen mit geringem, ja gar keinem Vermögen, frei von Ehrgeiz, sehr bereit zur Liebe, in der Wissenschaft noch schwach, aber ihr glühendster Bewunderer, der bei anderen die Bewährtheit fromm verehrt, aber noch keine eigene besitzt, der an Gelehrsamkeit allen nachsteht, an Treue niemand, einen schlichten, offenen, freimütigen Kerl, der von Heucheln und Verleugnen nichts weiss, kleinen aber reinen Geistes, der nicht viel redet; kurz, einen Menschen, von dem Du ausser der Gesinnung nichts erwarten magst.“ Walter Köhler, Andreas Flitner (Hg.): Erasmus von Rotterdam. Briefe, Bremen 1956, 38)

18 Girolamo Cardano (1501-1576) „Ich bin heftig von Temperament, naiv der Sinnlichkeit ergeben. Und aus diesen Eigenschaften... folgen die weiteren: Grausamkeit, hartnäckige Streitsucht, eine gewisse Rauheit des Charakters, Unvorsichtigkeit, Jähzorn und eine Rachgier, die das Mass meiner Kräfte und Mittel übersteigt.“ (Des G.C. von Mailand eigene Lebensbeschreibung, München 1969, zit. nach Van Dülmen, 28) „So habe ich mir denn meinen Lebensweg selbst zurechtgelegt, nicht gerade so freilich, wie ich ihn mir hätte wünschen mögen, aber doch so gut, als es mir eben möglich war. Ich habe mir auch im einzelnen nie das gewählt, was ich hätte wählen sollen, sondern das, was ich für das beste hielt. Ich bin auch nie beharrlich bei einem und demselben geblieben – ist ja doch alles voll Gefahren, Mühsal und Unvollkommenheit -, sondern habe mir immer gewählt, was mir zu jeder Zeit gerade das Günstigste schien. Daher es denn auch kam, dass solche, die ich an fremdem Masse messen, mich für unbeständig, ja für wankelmütig halten. Doch wer keinen geraden, sicheren Lebensweg vor sich sieht, der muss eben manche Wege gehen und mit mancherlei Winkelzügen vorwärts zu kommen suchen. Und wie er auch im einzelnen sich ändern mochte, beharrlich war im Grunde genommen mein Zustand immer: keine Mittel und keine Musse, nicht Ehre, noch Amt, noch Macht, wohl aber jene Sehnsucht nach ewigem Ruhm.“ (AaO., 39)

19 Michel de Montaigne 1533-1592 „Dies hier ist ein aufrichtiges Buch, Leser. Es warnt dich schon beim Eintritt, dass ichmir darin kein anderes Ende vorgesetzt habe als ein häusliches und privates. Ich habe darin gar keine Achtung auf deinen Nutzen noch auf meinen Ruhm genommen. Meine Kräfte sind eines solchen Vorsatzes nicht fähig. Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Angehörigen und Freunde gewidmet, auf dass sie, wenn sie mich verloren haben,... darin einige Züge meiner Lebensart und meiner Gemütsstimmungen wiederfinden und durch diese Mittel die Kenntnis, die sie von mir hatten, völliger und lebendiger erhalten können. Hätte es mir gegolten, die Gunst der Welt zu suchen, so hätte ich mich besser herausgeputzt und würde mich in zurechtgelegter Haltung vorstellen. Ich will, dass man mich darin in meiner schlichten, natürlichen und gewöhnlichen Art sehe, ohne Gesuchtheit und Geziertheit: denn ich bin es, den ich darstelle. Meine Fehler wird man hier finden, so wie sie sind, und mein unbefangenes Wesen, soweit es nur die öffentliche Geschicklichkeit erlaubt hat. Und hätte ich mich unter jenen Völkern befunden, von denen man sagt, dass sie noch unter der sanften Freiheit des ersten Naturgesetzes leben, so versichere ich dir, dass ich mich darin sehr gern und ganz und gar abgebildet hätte, und splitternackt. So bin ich selber, Leser, der einzige Inhalt meines Buches; es ist nicht billig, dass du deine Musse auf einen so eitlen und geringfügigen Gegenstand verwendest.“ (Michel de Montaigne: Essais (übers. v. H. Lüthy), Zürich 1953, S. 541)

20 5.Reformation: Das sündhafte Gottebenbild 5.1. Allgemeines 5.2. Luther 5.3. Melanchthon 5.4. Calvin 5.5. Anhang: Altprotestantische Orthodoxie

21 Sünde, Beichte, Busse … CA XI De confessione quod absolutio privata in ecclesiis retinenda sit, quamquam in confessione non sit necessaria omnium delictorum enumeratio. Est enim impossibilis iuxta psalmum [PS 18]: Delicta quis intellixit?` CA XII De poenitentia Constat autem poenitentia his duabus partibus:.. contritio seu terrores incussi conscientiae agnito peccato, altera est fides, quae concipitur ex evangelio seu absolutione et credit propter Christum remitti peccata et consolatur conscientiam et ex terroribus liberat. Deinde sequi debent bona opera, quae sunt fructus poenitentiae. Schmalkadische Artikel Von der Buße (Gesetz wirkt wie ein Hammer, Blitz, erzeugt) nicht activa contritio, eine gemachte Reu, sondern passiva contritio, das recht Herzeleid, Leiden und Fuhlen des Todes. () Und das heißt denn, die rechte Bußße anfahen. (437) Aber zu solchem Ampt tut das Neue Tesament flugs die trostreiche Verheißung der Gnaden durchs Evangelihn, der man gläuben solle. Wo aber das Gesetz solch sein Ampt allein treibt ohn Zutun des Evangelii, da ist der Tod und die Helle, und muß der Mensch verzweifeln wie Saul und Judas.. Wiederum gibt das Evangelion nicht einerleiweise Trost und Vergebung, sondern durch Wort, Sakrament und dergleichen

22 Schmalkaldische Artikel: Von der falschen Busse der Papisten (falsches Erbsündenverständnis, freier Wille, darum falsches Bußverständnis) daß Gott gewißlich seine Gnade.. gibt, wenn er Mensch tut, soviel an ihm ist, nach seinem freien Willen. Hieraus mußte folgen, daß sie allein die wirklichen Sunde bußeten als bose bewilligte Gedanken.., bose Wort, bose Werk, die der freie Wille wohl hätte kunnt lassen. Hie war kein Christus und nichts vom Glauben gedacht (BKSELK 439) Damit kunnte er niemals wissen, wenn er gnug gebeicht oder wenn das Beichten einmal ein Ende haben sollt, ward gleichwohl auf sein Werk geweiset und gesagt, je reiner er beicht und je mehr er sich schämet.. je ehe undbesser er gnug tät fur die Sunden... Hie war auch kein Glaube noch Christus, und die Kraft der Absolution ward ihm nicht gesagt, sondern auf Sunde-zählen und Schämen stund sein Trost. (441)

23 „Ich armer sünder bekenne mich vor Gott, meinem himmlischen Vater, das ich (leider) schwerlich und mennigfaltig gesündigt habe, nicht allein mit euserlichen, groben sünden, sonder viel mehr mit innerlicher, angeboner blindheit, unglauben, zweyflung, kleinmütigkeit, ungedult, hoffart, bösen lusten, geiz, heimlichem neid, hass und missvergungst, auch andern sünden, das ich auf mannicherley weise mit gedanken, mit geberden, worten und werken die allerheiligste gebott Gottes ubertreten habe, wie das mein Herr und gott an mich erkennet und ich leider so volnkömlich nicht erkennen kann, also reuen sie mich und seind mir leid und beger von herzen gnade von Gott durch seinen lieben Sohn Jhesum Christum und bitte, das er mir seinen heiligen Geist zur besserung meines lebens mittheilen wölle.“ (Kirchenordnung von Wolfenbüttel 1569)

24 Luther vor dem Wormser Reichstag 1518 „ Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder durch vernünftige Gründe überwunden werde,... so halte ich mich überwunden durch die Schrift, auf die ich mich gestützt habe, so ist mein Gewissen in Gottes Wort gefangen. Darum kann und will ich nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch lauter ist. Gott helfe mir. Amen.“

25 M. Luther: Disputatio de Homine, 1536. Text und Übersetzung nach Gerhard Ebeling: Disputatio de Homine. 1. Teil. Tübingen 1977, 15-24. Disputatio D. Martini Lutheri: De homine. 1. Philosophia, sapientia humana, definit hominem esse animal ra- tionale, sensitivum, corporeum. 2. Neque disputare nunc necesse est, an proprie vel improprie homo vocetur animal. 3. Sed hoc sciendum est, quod haec definitio tantum mortalem et huius vitae hominem definit. Disputation D. Martin Luthers: Vom Menschen. 1. Die Philosophie, [das ist] die menschliche Weisheit, definiert den Menschen als vernunftbegabtes, mit Sinnen und Körperlichkeit ausgestattetes Lebewesen. 2. Nun bedarf es jetzt nicht der Erörterung, ob der Mensch im eigentlichen oder uneigentlichen Sinne als „Tier“ bezeichnet wird. 3. Aber man muß wissen: Diese Definition bestimmt nur den sterblichen und irdischen Menschen.

26 4. Et sane verum est, quod ratio omnium rerum res et caput et prae ceteris rebus huius vitae Optimum et divinum quiddam sit. 5. Quae est inventrix et gubernatrix omnium artium, medicinarum, iurium, et quidquid in hac vita sapientiae, potentiae, virtutis et gloriae ab hominibus possidetur. 6. Ut hinc merito ipsa vocari debeat differentla essentialis, qua constituatur homo differre ab animalibus et rebus aliis. 7. Quam et scriptura sancta constituit talem dominam super terram, volucres, pisces, pecora, dicens: Dominamini etc. 8. Hoc est, ut sit sol et numen quoddam ad has res administrandas in hac vita positum. 4. Und in der Tat ist es wahr, daß die Vernunft die Hauptsache von allem ist, das Beste im Vergleich mit den übrigen Dingen dieses Lebens“ und [geradezu] etwas Göttliches. 5. Sie ist Erfinderin und Lenkerin aller [freien] Künste, der medizinischen Wissenschaft, der Jurisprudenz und all dessen, was in diesem Leben an Weisheit, Macht, Tüchtigkeit und Herrlichkeit von Menschen besessen wird. 6. So muß sie mit Recht als Wesens- unterschied bezeichnet werden, durch den der Mensch [als Mensch] in Unterscheidung von den Tieren und den sonstigen Dingen bestimmt wird. 7. Auch die Heilige Schrift hat sie zu solcher Herrin über die Erde, über Vögel, Fische und Vieh eingesetzt mit dem Gebot: „Herrschet!“ usw. 8. Das heißt, sie soll eine Sonne und eine Art göttlicher Macht‘ sein, in diesem Leben dazu eingesetzt, [all] diese Dinge zu verwalten

27 9. Nec eam maiestatem Deus Post lapsum Adae ademit rationi sed potius confirmavit. 10. Tamen talem sese maiestatern esse, nec ea ipsa ratio novit a priore, sed tanturn a posteriore. 11. Ideo si cornparetur philosophia seu ratio ipsa ad theologiam, apparebit nos de homine paene nihil scire. 12. Ut qui vix rnaterialem eius causam videamur satis videre. 13. Nam philosophia efficientem certe non novit, similiter nec finalem. 9. Und selbst nach Adams Fall hat Gott der Vernunft diese Hoheit nicht genommen, sondern vielmehr bestätigt. 10. Gleichwohl, daß sie solche Majestät sei, weiß eben diese Vernunft nicht auf Grund von deren Ursache, sondern nur durch Rückschluß aus den Wirkungen. 11. Vergleicht man deshalb die Philosophie oder die Vernunft selbst mit der Theologje, so wird sich zeigen, daß wir über den Menschen nahezu nichts wissen. 12. Scheinen wir doch kaum seine stoffliche Ursache hinreichend wahrzunehmen. 13. Kennt doch die Philosophie ohne Zweifel nicht die wirkende Ursache‘ und entsprechend auch nicht die Zweckursache‘ [des Menschen].

28 14. Quia finalem nullam ponit aliam quam pacem huius vitae et efficientem nescit esse creatorem Deum. 15. De formali vero causa quam vocant animam, nunquam convenit, nunquam conveniet inter philosophos. 16. Nam quod Aristoteles eam definit actum primum corporis vivere potentis, etiam illudere voluit lectores et auditores. 17. Nec spes est hominem in hac praecipue parte sese posse cognoscere, quid sit, donec in fonte ipso, qui Deus est, sese viderit. 14. Als Zweckursache setzt sie nämlich nichts anderes als irdische Wohlfahrt“ und sie weiß nicht, daß die wirkende Ursache Gott der Schöpfer ist. 15. Ober die gestaltende Ursache‘ aber, als welche sie die Seele bezeichnen, wurde nie und wird nie unter Philosophen Einigkeit erzielt. 16. Denn damit, daß Aristoteles sie als erste Wirklichkeit eines Körpers, der das Vermögen zu leben hat [als Prinzip des lebendigen Körpers:], definiert, wollte er ja Dozenten und Studenten“ zum Besten haben. 17. Es besteht auch keine Aussicht, daß der Mensch vornehmlich° in diesem Teil sich seinem Wesen nach erkennen könne, solange er sich nicht in der Quelle selbst, welche Gott ist, wahrgenommen hat.

29 18. Et quod miserabile est, nec sui consilii aut [cogitationum] plenam et certam habet potestatem, sed in his subiecta est casui et vanitati. 19. Sed qualis est haec vita, talis est et definitio et cognitio hominis, hoc est, exigua, lubrica et nimiO materialis. 20. Theologia vero de plenitudine sapientiae suae hominem totum et perfectum definit. 21. Scilicet quod homo est creatura Dei carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem Dei facta sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur nec unquam moreretur. 22. Post lapsum vero Adae subiecta potestati diaboli, peccato et morti, utroque malo suis viribus insuperabili et aeterno. 18. Und was jämmerlich ist: nicht einmal über seinen Entschluß oder seine Gedanken hat er volle und zuverlässige Gewalt, sondern ist darin dem Zufall und der Nichtigkeit unterworfen. 19. Jedoch, welcher Art dieses Leben ist, so beschaffen ist ebenfalls sowohl die Definition als auch die Erkenntnis des Menschen, nämlich dürftig, schlüpfrig und allzu sehr an der Stofflichkeit orientiert“. 20. Die Theologie hingegen definiert aus der Fülle ihrer Weisheit den ganzen und vollkommenen Menschen. 21. Nämlich: Der Mensch ist Gottes Geschöpf aus Fleisch und lebendiger Seele bestehend, von Anbeginn zum Bilde Gottes1 gemacht ohne Sünde, mit der Bestimmung, Nachkommen schaft zu zeugen und über die Dinge zu herrschen und niemals zu sterben; 22. das aber nach Adams Fall der Macht des Teufels unterworfen ist, nämlich der Sünde und dem Tode‘ — beides Übel, die durch seine Kräfte nicht zu überwinden und ewig sind;

30 23. Nec nisi per filium Dei Christum lesum liberanda (si credat in eum) et vitae aeternitate donanda. 24. Quibus stantibus pulcherrima illa et excellentissima res rerum, quanta est ratio Post peccatum relicta, sub potestate diaboli tamen esse concluditur. 25. Ut homo totus et omnis, sive sit rex, dominus, servus, sapiens, justus, et quibus potest huius vitae bonis excellere, tamen sit et maneat peccati et mortis reus sub diabolo oppressus. 26. Quare ii, qui dicunt naturalia post lapsum remansisse integra, impie philosophantur contra theologiam. 27. Similiter qui dicunt, hominem faciendo quod in se est posse meren gratiam Dei et vitam. 23. und das nur durch den Sohn Gottes Christus Jesus zu befreien ist (sofern es an ihn glaubt)‘) und mit der Ewigkeit des Lebens zu beschenken. 24. Unter diesen Umständen befindet sich jene allerschönste und allerherrlichste Sache, welche [in voller Größe] die Vernunft [auch] nach dem Sündenfall geblieben ist, dennoch — so ergibt sich schlüssig — unter der Macht des Teufels“. 25. Folglich ist und bleibt der Mensch ganz und ausnahmslos — er sei König, Herr, Knecht, weise, gerecht und durch welche Güter dieses Lebens [auch immer] er sich hervortun kann — dennoch der Sünde und dem Tod verhaftet, weil unterdrückt unter dem Teufel. 26. Wer darum sagt, die natürlichen Kräfte [des Menschen] seien nach dem Fall unversehrt geblieben, philosophiert gottlos wider die Theologie. 27. Ebenso wer sagt, der Mensch könne sich dadurch, daß er tut, was in seinen Kräften ist, Gottes Gnade und das Leben verdienen.

31 31. Omnes istiusmodi neque quid sit homo intelligunt, neque de qua re loquantur ipsi sciunt. 32. Paulus Rom. 3. Arbitramur hominem iustificari fide absque operibus, breviter hominis definitionem colligit dicens: hominem iustificari fide. 33. Peccatorem et iniustum ac ita reum coram Deo asserit, sed per gratiam salvandum. 34. Et hominem indefinite, id est, universaliter accipit, ut concludat totum mundum, seu quidquid vocatur homo, sub peccato. 31. Alle, die solches behaupten, verstehen nicht, was der Mensch ist, noch wissen sie, wovon sie reden. 32. Paulus faßt in Rm 3: „Wir erachten, daß der Mensch durch Glauben unter Absehen von den Werken gerecht fertigt wird“ in Kürze die Definition des Menschen dahin zusammen, daß der Mensch durch Glauben gerechtfertigt werde. 33. Wer [vom Menschen] sagt‘), er müsse gerechtfertigt werden, der behauptet gewiß, daß er Sünder und Ungerechter sei und deshalb vor Gott schuldig, jedoch durch Gnade zu retten. 34. Und [dabei] versteht er [Paulus] „Mensch“ unbegrenzt, das heißt, allgemein, um die ganze Welt, oder was immer Mensch heißt, unter der Sünde zusammenzufassen.

32 35. Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formac suae vitam. 36. Sicut et tota creatura, nunc subiecta vanitati, materia Deo est ad gloriosam futuram suam formam. 37. Et qualis fuit terra et coelum in principio ad formam Post sex dies completam, id est, materia sui, 38. Talis est homo in hac vita ad futuram formam suam, cum reformata et perfecta fuerit imago Dei. 35. So ist denn der Mensch dieses Lebens Gottes bloßer Stoff zu dem Leben seiner künftigen Gestalt. 36. Wie auch die Kreatur überhaupt, die jetzt der Nichtigkeit unterworfen ist, für Gott der Stoff zu ihrer herrlichen künftigen Gestalt ist. 37. Und wie sich Erde und Himmel im Anfang zu der nach sechs Tagen vollendeten Gestalt verhielt, nämlich als deren Stoff, 38. so verhält sich der Mensch in diesem Leben zu seiner zukünftigen Gestalt, bis dann das Ebenbild Gottes wiederhergestellt und vollendet sein wird.

33 39. Interim in peccatis est homo et in dies vel iustificatur vel polluitur magis. 40. Hinc Paulus ista rationis regna nec mundum dignatur appellare, sed schema mundi potius vocat. 39. Bis dahin befindet sich der Mensch in Sünden und wird tag täglich zunehmend gerechtfertigt oder verunstaltet. 40. Deshalb hält Paulus diese Reiche der Vernunft nicht einmal für wert, sie „Welt“ zu nennen, sondern bezeichnet sie lieber als „Schemen der Welt“.

34 „‘Die Seel ist also tief gesenkt in das Fleisch, dass sie es will behüten und beschützen, dass es nit Schaden leide, also dass sie mehr Fleisch ist denn das Fleisch selber.‘ (Wa 10 I, 2, 301,30)“

35 Zur Erbsündenlehre der Confessio Augustana und der Apologie (der CA) (1530) CA II De peccato originis. Item docent, quod post lapsum Adae omnes homines, secundum naturam propagati, nascantur cum peccato, hoc est, sine metu Dei, sine fiducia erga Deum et cum concupiscentia, quodque hic morbus seu vitium originis vere sit peccatum, damnans et afferens nun quoque aeternam mortem his, qui non renascuntur per baptismum et spiritum sanctum. (53) AC II De peccato originis … peccatum originis carentiam esse iustitiae originalis… Neque vero concupiscentia tantum corruptio qualitatum corporis est, sed etiam prava conversio ad carnalia in superioribus viribus (BKS 152)

36 Erbsündenlehre nach der Konkordienformel (1577) Epitome I.De Peccato originis (770) An peccatum originale sit proprie et absque omni discrimine ipsa Hominis corrupti natura, substantia et essentia... ut aliud sit aliud sit ipsa natura et aliud ipsum peccatum originis, quod in natura Peccatum.. originis non est quoddam delictum, quod actu perpetratur, sed intime inhaeret infixum ipsi naturae, substantiae et essentiae hominis. (774) Diabolus enim substantiam nulllam creare, sed tantummodo per accidens, permitente Domino, substantiam a Deo creatam depravare potest.(776)

37 Apologie – über den freien Willen Denn in den Dingen, welche mit der Vernunft zu fassen, zu begreifen sein, haben wir einen freien Willen. Es ist etlichermaß in uns ein Vermögen äußerlich ehrbar zu leben, von Gott zu reden, ein äußerlichen Gottesdienst.. zu erzeigen, Oberkeit und Ältern zu gehrochen, nicht stehlen, nicht täten. Denn dieweil nach Adams Fall gleichwohl bleibt die natürliche Vernunft, daß ich Böses und Gutes kenne in den Dingen, die mit Sinnen und Vernunft zu begreifen sein, so ist auch etlichermaß unsers freien Willens Vermögen ehrbar oder unehrbar zu leben. Das nennet die heilige Schrift die Gerechtigkeit des Gesetzes oder Fleisches, welche die Vernunft etlichermaß vermag ohne den heiligen Geist; wiewohl die angeborne böse Lust so gewalt ist, daß die Menschen öfter derselbigen folgen denn der Vernunft, und der Teufel.. reizet ohne Unterlaß die arme schwache Natur zu allen Sunden. Und das ist die Ursache, warum auch wenig der natürlichen Vernunft nach ein ehrbar Leben führen... (311).. so sagen wir doch, daß der freie Wille und Vernunft in geistlichen Sachen nichts vermag, nämlich Gott wahrlich gläuben, gewiß sich zu verlassen, daß Gott bei uns sei, uns erhöre, unsere Sunde vergebe... Denn das sind die rechten, hohen, edelsten guten Werke der ersten Tafel in zehen Geboten; die vermag kein Menschenhez ohne des heiligen Geistes Licht und Gnade.. (312) Darum ists gut, daß man dieses klar unterschedet, nämlich, daß die Vernunft und frei Wille vermag, etlichermaß äußerlich ehrbar zu leben, aber neu geboren werden, inwendig ander Herz, Sinn und Mut kriegen, das wirket allein der heilige Geist. (312)

38 FC über den freien Willen (Melanchthon, Loci seit 1535, CA var.): …hat er soviel natürlicher Kräften vor der Wiedergeburt überig, daß er etlichermaßen sich zu der Gnade bereiten und das Jawort, doch schwächlich, geben, Gnesiolutheraner wie Flacius, N. Amsdorf..: daß der Mensch durch den Fall unser ersten Eltern also vorderbt, daß er in göttlichen Sachen, unsere Bekehrung und Seel Seligkeit belangend, von Natur blinde, wenn Gottes Wort gepredigt wird, dasselbe nicht verstehe noch verstehn könnte, sunder für ein Torheit halte, auch aus ihm selbst sich nicht zu Gott nähere, sunder ein Feind Gottes sei und bleibe.. bis er mit der Kraft des Heiligen Geistes...(873)

39 Vermittlung der FC Aber zuvor und ehe der Mensch durch den heiligen Geist erleuchtet, bekehret.. wird, kann er vor sich selbst und aus seinen eignen natürlichen Kräften in geistlichen Sachen.. gleich sowenig als ein Stein oder Block oder Ton. (882) Die Vernunft und freier Wille vermag „etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben, aber neu geboren werden, inwendig ander Herz, Sinn und Mut bekommen, das wirket allein der Heilige Geist“ (882)

40 5.3. Philipp Melanchthon (1497-1560): Loci Communes 1521. Lat. –Dt. Übersetzt von Horst Georg Pöhlmann, 2. korr. Aufl. Gütersloh 1997. „Demnach muss die christliche Gesinnung darauf schauen, nicht wie ein Werk nach dem äusseren Anschein geartet ist, sondern wie der Affekt in der Seele gestaltet ist, nicht wie die Freiheit der Werke beschaffen ist, sondern ob es etwa eine Freiheit der Affekte gibt. Mögen die scholastischen Pharisäer die Kraft des freien Willens rühmen, ein Christ wird zugeben, dass nichts weniger in seiner Gewalt steht, als sein Herz.“ (43)

41 „Sünde ist ein verkehrter (krummer) Affekt und eine verkehrte (krumme) Bewegung des Herzens, [die sich] gegen Gottes Gesetz [richtet].“ (49) Die Erbsünde ist „Hass gegen Gott und gegen das göttliche Gesetz“ (53) „Die Erbsünde ist eine lebendige Wirklichkeit, die in alle unseren Teilen und zu allen Zeiten Frucht trägt: die Sünden. Denn wann kocht nicht das Gemüt vor (von) bösen Begierden, von denen wir die abscheulichsten und hässlichsten nicht einmal wahrnehmen. Wer fühlt nicht bisweilen Geiz, Ehrgeiz, Hass, Neid, Eifersucht, die Flammen der Lüste und Zorn. Die vornehmsten Affekte Anmassung, Sprödigkeit, pharisäische Aufgeblasenheit, Verachtung Gottes, Misstrauen gegen Gott, Gotteslästerung empfinden wenige.“ (57) „Mag sein, in Sokrates war eine gewisse Standhaftigkeit, in Xenokrates Keuschheit, in Zenon Mässigkeit. Doch darf man sie nicht für wahre Tugenden halten, ja weil diese Schatten von Tugenden durch Selbstliebe aus Selbstsucht entstanden sind. Sokrates war geduldig, aber doch ehrliebend oder doch wenigstens selbstgefällig im Bick auf [seine] Tugend....“ (59) „Die Philosophie beachtet nur die äusseren Masken der Menschen. Die Hl. Schrift beobachtet die innersten, [sonst] unfassbaren Affekte. Obwohl der Mensch durch sie regiert wird, beurteilen sie ihn nach den Werken statt nach der Beschaffenheit der Affekte. Und da wir in allen Werken das Unsere suchen, müssen sie wirklich Sünden sein.“ (63)

42 „Wir müssen.. unter dem Wort ‚Fleisch‘ alle Kräfte der menschlichen Natur einbegreifen.... Gebrauche daher das Wort ‚Fleisch‘ für die besten Kräfte der menschlichen Natur und für ihre edelsten Bestrebungen.“ (69) „Alles Vermögen unseres Fleisches ist Feindschaft gegen Gott und kann sich dem Gesetz Gottes nicht unterwerfen.“ (73) „(M)an erfährt von Gott nur irgendwelche Vorteile, wenn das Herz schon durch den Heiligen Geist gereinigt wurde und Gottes Wohltat dem reinen, frommen Herzen eingemeisselt worden ist. Wie aber, wenn dir das Gewissen Gott als den erzürnten vor Augen hält, der den ewigen Tod androht.../ Ich frage [dich], wenn die menschliche Natur nicht gute, sondern nur böse Dinge erfährt, nämlich Strafen, die ihr von Gott auferlegt werden, kann sie [dann noch] das Herz dorthin wenden, dass es liebt und dass...? Hingegen, wenn das Gewissen das Herz erschüttert hat, wendet es sich ja sosehr gegen Gott, erschrickt vor ihm wie vor einem Henker,der grausam... ist? “ (79/81) „(M)it Herz ist nicht nur der sogenannte sinnliche Trieb gemeint, sondern der Sitz aller Affekte, der Liebes- und Hassgefühle, der Gotteslästerung und des Unglaubens.“ (95)$ „Die Erfahrung lehrt, dass es keine Freiheit gibt innerhalb der Affekte.“ (97)

43 Das Evangelium „Wie durch das Gesetz das, was recht ist, geboten und die Sünde aufgedeckt wird, so ist das Evangelium die Verheissung der Gnade oder Barmherzigkeit Gottes und somit die Vergebung der Sünde und das Zeugnis der Zuneigung Gottes zu uns. Durch dieses Zeugnis sollen unsere Herzen aus der Gewissheit der Güte Gottes glauben, ihnen sei jede Schuld vergeben; und sie sollen, [wieder] aufgerichtet, Gott lieben, loben, in Gott fröhlich sein und aufjauchzen.“ (163) „Christus lehrt (anders als Mose), dass vom Gesetz Affekte des Herzens gefordert werden, nicht nur der äussere Schein der Werke, denn das Gesetz verbietet, zu begehren.“ (173) „Nicht darauf kommt’s wirklich an, einer historischen Begenheit über Christus zu glauben, was auch die Gottlosen glauben, sondern zu glauben, warum er das Fleisch annahm, warum er gekreuzigt wurde, warum er nach dem Tode ins Leben einging, nämlich darum, um alle zu rechtfertigen, die an ihn glauben wollen. Wenn du glaubst, dass dies dir zugute und um deiner Rettung willen geschehen ist, hast du einen glücklichen Glauben. Ausserhalb eines solchen Glaubens ist alles, was sie Glauben nennen, Schminke, Lüge und erdichtete Tollheiten.“

44 6. Der selbstbewusste Mensch: Anthropologie der Neuzeit 6.1.Religiöse Anthropologie: John Milton: Paradise Lost 1667 6.2.Philosophische Anthropologie: René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia (1641) 6.3.Politische Anthropologie: Thomas Hobbes Leviathan (1651). 6.4.Die neue Innerlichkeit

45 6.1.Religiöse Anthropologie: John Milton: Paradise Lost 1667 „In either hand the hast’ning Angel caught Our ling’ring Parents, and to th‘Eastern Gate Led them direct, and down the Cliff as fast To the subjected Plain; then disappear’d. They looking back, all th’Eastern side beheld Of Paradise, so late their happy seat Wav’d over by that flaming Brand, the Gate With dreadful Faces throng’d and fiery Arms: Some natural tears they dropp’d, but wip’d them soon; The World was all before them, where to choose Their place of rest, and Providence their guide: They hand in hand with wand’ring steps and slow, Through Eden took their solitary way.“ John Milton: Paradise Lost (1667). Ed. by Christopher Ricks, New York 1968 (Schluss)

46 6.2.Philosophische Anthropologie: René Descartes: Meditationes de Prima Philosophia (1641) „So erkenne ich denn, dass nicht von alledem, was ich mit Hilfe der Einbildungskraft auffassen kann, zu jener Kenntnis gehört, die ich von mir habe, und der Geist muss sorgfältigst davon ferngehalten werden, wenn er seine eigene Natur ganz deutlich erkennen will./ Also was bin ich nun? Ein denkendes Ding? Was ist das? Ein Ding, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will, das auch bildlich vorstellt und empfindet.“ (85/87)

47 Zweite Meditation „Ich weiss jetzt, dass die Körper nicht eigentlich von den Sinnen oder von der Einbildungskraft, sondern von dem Verstand allein wahrgenommen werden, und zwar nicht, weil wir sie berühren und sehen, sondern lediglich, weil wir sie denken.; und so erkenne ich, dass ich nichts leichter oder evidenter wahrnehmen kann als meinen Geist.“ (97)

48 Vierte Meditation „Bedenke ich nun, dass ich zweifle, also ein unvollständiges, abhängiges Ding bin, so begegnet mir ganz klar und deutlich die Vorstellung von einem unabhängigen und vollständigen Seienden, d.h. von Gott. Ich schliesse ganz klar von dieser einen Tatsache, dass jene Vorstellung in mir ist oder vielmehr dass Ich als Inhaber jener Vorstellung existiere, auf die Existenz Gottes und die Abhängigkeit meiner ganzen Existenz von ihm in jedem Moment.“ (139)

49 Sechste Meditation „Ich weiss von meiner Existenz und schreibe gar nichts anderes meiner Natur oder meinem Wesen zu, als dass ich ein denkendes Ding sei; daraus schliesse ich mit Recht, dass mein Wesen allein darin besteht, ein denkendes Ding zu sein. () Zwar habe ich vielleicht (bald werde ich sagen können: gewiss) einen Körper, mit dem ich aufs Innigste verbunden bin. Denn einerseits habe ich doch eine klare und deutliche Vorstellung meiner selbst, sofern ich lediglich denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin; andererseits habe ich eine deutliche Vorstellung vom Körper, sofern er lediglich ausgedehntes, nicht denkendes Ding ist. Somit ist sicher, dass ich wirklich vom Körper verschieden bin und ihn existieren kann.“ (189)

50 „Weiter lehrt mich die Natur durch die Empfindungen des Schmerzens, des Hungers, Durstes usw. ich sei meinem Körper nicht nur zugesellt wie ein Schiffer dem Schiff, sondenr ich sei aufs innigste mit ihm vereint, durchdringe ihn gleichsam und bilde mit ihm ein einheitliches Ganzes. Wie könnte sonst Ich, ein lediglich denkendes Ding, bei einer Verletzung des Körpers Schmerz empfinden?... Denn jene Gefühle von Hunger, Durst, Schmerz usw. sind sicherlich nur verworrene Bewusstseinszustände von besonderer Art, die aus der Vereinigung und gleichsam Verquickung der Seele mit dem Körper hervorgehen.“ (195) „So kann ich auch den menschlichen Körper als eine Art Maschine/ ansehen, die aus Knochen, Nerven, Muskeln, Adern, Blut und Haut zusammengepasst ist und auch geistlos all die Bewegungen ausführt, wie sie jetzt unwillkürlich, also ohne den Geist, ablaufen.“ (201/2)

51 6.3.Politische Anthropologie: Thomas Hobbes Leviathan (1651). „Die Macht eines Menschen besteht, allgemein genommen, in seinen gegenwärtigen Mitteln zur Erlangung eines zukünftigen anscheinenden Guts und ist entweder ursprünglich oder zweckdienlich. Natürliche Macht ist das Herausragen der körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, wie ausserordentliche Stärke, Schönheit, Klugheit,... und Vornehmheit. Zweckdienlich ist die Macht, die durch natürliche Macht oder durch Zufall erlangt wird und als Mittel oder Instrument zum Erwerb von mehr Macht dient, wie Reichtum, Ansehen, Freunde und das verborgene Wirken Gottes, das man gewöhnlich Glück nennt.... Die grösste menschliche Macht ist diejenige, welche aus der Macht der vielen Menschen zusammengesetzt ist, die durch Übereinstimmung zu einer einzigen natürlichen oder bürgerlichen Person vereint sind, der die ganze Macht dieser Menschen, die ihrem Willen unterworfen ist, zur Verfügung steht, wie z.B. die Macht eines Staates.“ (Thomas Hobbes: Leviathan – oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Hrsg. und eingel. von Iring Fetscher, übers. von Walter Euchner, Frankfurt/M. 1984. (Leviathan -ore the Matter, Forme & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civill, London 1651. Hobbes, Leviathan, 66)

52 „Die Übereinstimmung dieser Lebewesen (sc. der ‚Staaten‘ bildenden Tiere wie Ameisen, Bienen) ist natürlich, die der Menschen beruht nur auf Vertrag, der künstlich ist. Und deshalb ist es kein Wunder, dass ausser dem Vertrag noch etwas erforderlich ist, um ihre Übereinstimmung beständig und dauerhaft zu machen, nämlich eine allgemeine Gewalt, die sie im Zaum halten und ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken soll. Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen..., liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können....

53 Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, dass du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinte Menge Staat, auf lateinisch civitas. Dies ist die Erzeugung jenes grossen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. Denn durch diese ihm von jedem einzelnen im Staate verliehen Autorität steht ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, die auf ihn übertragen worden sind, dass er durch den dadurch erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf den innerstaatlichen Frieden und auf gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken. Hierin liegt das Wesen des Staates, der, um eine Definition zu geben, eine Person ist, bei der sich jeder einzelne einer grossen Menge durch gegenseitigen Vertrag eines jeden / mit jedem zum Autor ihrer Handlungen gemacht hat, zu dem Zweck, dass sie die Stärke und Hilfsmittel aller so, wie sie es für zweckmässig hält, für den Frieden und die gemeinsame Verteidigung einsetzt. () Wer diese Person verkörpert, wird Souverän genannt und besitzt, wie man sagt, höchste Gewalt, und jeder andere daneben ist sein Untertan.“ (Thomas Hobbes, Leviathan, 134)

54 6.4.Die neue Innerlichkeit vgl. z.B.Oelmüller, Willi; Ruth Dölle-Oelmüller, Carl-Friedrich Geyer (Hg.): Diskurs: Mensch. (Philosophische Arbeitsbücher, hrsg. v. W. Oellmüller u. Ruth Dölle-Oelmpller), Paderborg u.a. 1985.

55 S pener, Philipp Jacob: Pia Desideria (1675). Hrsg v. Erich Beyreuther, 3. Aufl. Giessen, Basel 1983 Es müssten allerhand Übungen bedacht werden, in denen das Gemüt zu den Dingen, die zur Praxis und eigenen Erbauung gehören, gewöhnt und darin geübt werde.“ (75) Übungen zur Bibelauslegung gefordert von Professoren für Studierende, dabei vor allem „auf das achten, was ihrer Erbauung förderlich ist. Sie sollen die Erlaubnis / erhalten, dass jeder das aussprechen kann, was ihm bei jedem Vers wichtig erscheint und wie er ihn zum eigenen Gebrauch und für die anderen anzuwenden meinte. Der Professor als Direktor sollte das alles unterstützen, was richtig beobachtet worden ist. Wo man aber von der rechten Auslegung abweicht, sollte er das freundlich und klar aus dem Text zeigen“. (75f) „vertrauliche Konferenz“ (76)

56 Neue Gewissenskultur Heinz D. Kittsteiner, Heinz : Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfurt/M. (1991) 1995. Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Frankfurt/M. 1976 Manuel Frey: Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland 1760- 1860, Göttingen 1997.

57 Klagen der Aufklärer über die Landbevölkerung im 18. Jahrhundert: Die Leute „haben kein ‚gespaltenes Selbst‘. Sie haben kein Gefühl der ‚vollen Verantwortlichkeit für ihr Handeln‘. Böses kommt nicht etwa aus ihrem eigenen Inneren, sondern es ist von aussen – vom Teufel – eingegeben. Sie treffen keine genaue Unterscheidung zwischen Vergehen und Versehen, und sie orientieren sich am Erfolg einer Handlung, nicht aber am ‚guten Willen‘. Kann das bedeuten, dass auch noch inmitten der Aufklärung die Mehrheit der Bevölkerung, was bestimmte Grundkategorien der Gewissensbildung betrifft, auf einer Stufe lebt, die vor den entscheidenden Entwicklungen des ersten vor- und nachchristlichen Jahrhunderts stehen geblieben ist?“ (Kittsteiner, Gewissen 22)


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