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IMMUNogene NEUROPATHIEN – GBS und CIDP

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Präsentation zum Thema: "IMMUNogene NEUROPATHIEN – GBS und CIDP"—  Präsentation transkript:

1 IMMUNogene NEUROPATHIEN – GBS und CIDP

2 Vorwort Dass akute wie subakute und chronische Polyneuropathien entzündliche Ursachen haben können, ist seit Jahrzehnten bekannt und beruht auf den Befunden aus Nervenbiopsien. Dass autoimmune Mechanismen eine relevante Rolle spielen und insbesondere bei akuten Formen durch Antikörper-Kreuzreaktionen infolge Antigenhomologien zwischen Erregeroberflächenstrukturen und Myelinbestandteilen in Gang gesetzt werden, sind neuere Erkenntnisse und haben faszinierende Einblicke in die pathophysiologischen Vorgänge gebracht [Yuki N., NEJM 2012]. Klinisch relevant ist schlussendlich, dass daraus sehr effiziente Therapieformen erwachsen sind, die es uns erlauben, heutzutage sowohl akute (GBS) wie auch chronisch (CIDP) verlaufende Immunneuropathien in ihrer Prognose substantiell zu beeinflussen. Das GBS z.B. hat seinen Schrecken (> 30 % letale Verläufe) deutlich eingebüsst (heutzutage < 3 % letale Verläufe) dank Plasmapherese, Immunglobulintherapie und auch den modernen intensivmedizinischen Überwachungsmöglichkeiten. Wichtig ist es, eine autoimmune Ätiologie bei einer Neuropathie zu erkennen und nachzuweisen, um diese teuren Therapieformen effizient und gezielt einzusetzen. Die korrekte Diagnose ist keineswegs trivial und Bedarf des gezielten Einsatzes und der kritischen Bewertung von Zusatzdiagnostik (Labor, Elektrophysiologie). Auch bei gesicherter Diagnose stehen noch viele ungelöste Fragen im Raum: Wann mit der Therapie beginnen? Wann aufhören? Welches Therapieintensität? Was tun, wenn die Therapie nicht den erwünschten Effekt zeigt? etc. Schon nur aus Gründen des Kostendruckes werden hier Therapiestudien mit entsprechenden Antworten nicht auf sich warten lassen. Prof. Dr. med. Mathias Sturzenegger, Bern IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

3 Inhalt Immunogene Neuropathien – Überblick 04
Akut Guillain-Barré-Syndrom (GBS, auch AIDP) und Varianten 08 Chronisch Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) und Varianten Multifokale motorische Neuropathie (MMN) als Variante der CIDP 82 Heute wird das GBS auch als Akute Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) bezeichnet. Beispiele für Varianten des Guillain-Barré-Syndroms sind das Miller-Fisher-Syndrom (MFS), die Akute Motorische Axonale Neuropathie (AMAN) oder die Akute Motorische und Sensible Axonale Neuropathie (AMSAN) Als Varianten der Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie sind in erster Linie die Multifokale Motorische Neuropathie (MMN), die Polyneuropahtie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein)-Aktivität, das POEMS-Syndrom (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Komponente, Hautveränderung (Skin)) sowie die Multifokale erworbene demyelinisierende sensorische und motorische Neuropathie (MADSAM oder Lewis Sumner Syndrom) zu nennen. Übersicht zu den entzündlichen Neuropathien: Whitesell J. Inflammatiry Neuropathies. Semin Neurol 2010;30:356–364 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

4 Immunogene Neuropathien
Immunogene Neuropathien – Überblick Immunogene Neuropathien Charakterisierung immunogener Neuropathien Akute oder chronische immunvermittelte Polyradikuloneuropathien Elektrophysiologisch nachweisbare multifokale Demyelinisierung (seltene Varianten mit axonaler Beteiligung) Die immunogenen Neuropathien beinhalten erworbene Erkrankungen mit multifokalen Demyelinisierungen. Prinzipiell wird mit dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) eine akute (AIDP) und mit der Chronischen Demyelinisierenden Inflammatorischen Polyneuropathie (CIDP) eine chronische Form unterschieden. Daneben finden sich zahlreiche Varianten der genannten zwei Hauptformen und auch Übergänge zwischen diesen (Overlap-Syndrome). Multifokale Demyelinisierung des peripheren Nervensystems IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

5 Immunogene Neuropathien
Immunogene Neuropathien – Überblick Immunogene Neuropathien Immunneuropathien Paraneoplastische Neuropathie Vaskulitische Neuropathie Paraproteinämische Neuropathie Erreger-vermittelte Neuropathie Autoimmunneuropathien Chronisch Akut Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) Akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) = klassisches Guillain-Barré-Syndrom (GBS) CIDP-I (idiopathisch) CIDP-MGUS (mit monoklonaler Gammopathie ungeklärter Signifikanz) Varianten der AIDP Akute motorische axonale Neuropathie (AMAN) Akute motorisch-sensible axonale Neuropathie (AMSAN) Akute sensorische Neuropathie (ASN) Akute Pandysautonomie Miller-Fisher-Syndrom (MFS) Overlap-Syndrome von MFS und GBS Varianten der CIDP Multifokale motorische Neuropathie (MMN) Multifokale sensomotorische Neuropathie (Lewis-Sumner-Syndrom) Subakute sensomotorische Neuropathie Rein motorische symmetrische Neuropathie Im Weiteren wird insbesondere auf folgende Krankheitsbilder eingegangen: Akute entzündliche Immunneuropathien: Guillain-Barré-Syndrom (GBS) Miller-Fisher-Syndrom (MFS) Chronische entzündliche Immunneuropathien: Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) Multifokale Motorische Neuropathie (MMN) [adaptiert aus Hufschmidt et al., 5. Auflage 2008] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

6 Immunogene Neuropathien
Immunogene Neuropathien – Überblick Immunogene Neuropathien 1859/1916 1956 1958 1986/1988 [Roth, G; Rohr J, Magistris MR, Ochsner F (1986). "Motor neuropathy with proximal multifocal persistent conduction block, fasciculations and myokymia. Evolution to tetraplegia.". Eur Neurol 25: 416–42] Charles Miller Fisher Miller-Fisher-Syndrom Multifokale Motorische Neuropathie (1988) [Austin, James H (1958). „Recurrent polyneuropathies and theis corticosteroid treatment. With five year observations of placebo-controlled case treated with corticotrophin, cortisone and prednisone.“ Brain: Vol. 81, Part 2] Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom Bereits im Jahr 1859 wurde eine Variante des Syndroms von Jean-Baptiste-Octave Landry de Thézillat (1826 – 1865) beschrieben. Die französischen Neurologen Georges Guillain (1876 – 1961), Jean-Alexandre Barré (1880 – 1967) und André Strohl (1887 – 1977) beschrieben 1916 zwei Soldaten mit akuter Lähmung und Areflexie sowie erhöhten Eiweissen im Liquor ohne zelluläre Reaktion [Guillain et al., 1916]. Miller-Fisher-Syndrom Der Kanadier Charles Miller Fisher (geboren 1913) beschrieb im Jahr 1956 die Krankheitsverläufe von drei Patienten mit den folgenden Symptomen: Lähmung der Augenmuskulatur, Ataxie und Fehlen von Eigenreflexen der Arme und Beine [Fisher, 1956]. Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie J. H. Austin beschrieb 1958 Patienten mit einer rezidivierenden entzündlichen Erkrankung des peripheren Nervensystems, die gut auf eine Behandlung mit Kortikosteroiden ansprach [Austin, 1958]. Multifokale Motorische Neuropathie Einer der Erstbeschreiber der Multifokalen Motorischen Neuropathie war der aus Genf stammende Gérard Roth ( ). Der Begriff der Multifokalen Motorischen Neuropathie mit Leitungsblöcken wurde 1988 durch Alan Pestronk geprägt [Pestronk et al., 1988]. Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

7 Inhalt – GBS Akut Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und Varianten 08
Chronisch Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) und Varianten Ausgezeichneter Übersichtsartikel dazu: Nobuhiro Yuki, Hans-Peter Hartung. Guillain–Barré Syndrome N Engl J Med 2012;366: IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

8 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

9 Definition GBS Guillain-Barré-Syndrom (GBS):
Akute immunvermittelte Polyradikuloneuropathie Elektrophysiologische Demyelinisierung (axonale Primärmanifestation selten) Typischer Verlauf: Verschlechterung der Klinik über < 4 Wochen Plateauphase Remission Guillain-Barré-Syndrom Unter dem Begriff Guillain-Barré-Syndrom (GBS) werden verschiedene Formen von akuten entzündlichen Autoimmunneuropathien zusammengefasst, die primär durch eine Demyelinisierung mit variablem axonalen Mitbefall gekennzeichnet sind. Primär axonale Formen sind seltene Varianten. Dieses Syndrom ist die häufigste Form einer sich schnell manifestierenden, generalisierten peripheren Neuropathie. Typische Kennzeichen sind: Akuter Beginn Sensomotorische Ausfälle Relative Symmetrie Teilweise Hirnnervenbeteiligung Teilweise Befall der Atemmuskulatur Häufig autonome Beteiligung Monophasischer Verlauf mit maximalen motorischen Defiziten innert weniger als 4 Wochen [Hughes RAC et al., 2005; Yuki N. 2012] Ausgezeichneter Übersichtsartikel dazu: Nobuhiro Yuki, Hans-Peter Hartung. Guillain–Barré Syndrome N Engl J Med 2012;366: IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

10 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

11 2. Epidemiologie (GBS) Epidemiologie GBS Zumeist sporadisches Auftreten des GBS mit einer Inzidenz von Fälle pro 100‘000 Einwohner/Jahr. Assoziation mit bakteriellen viralen Epidemien möglich [Kuwabara, 2004] Häufig kein Nachweis der verantwortlichen Erreger (je nach Studie in bis zu über 60%) Ca. in 2/3 der Fälle Grippe-ähnliche Symptomatik oder Gastroenteritis in den vorhergehenden 6 Wochen Vorhergehende Infektionen von GBS-Patienten in zwei grossen Serien: Niederlande (n=476) Nordamerika und Europa (n=383) C. jejuni 32 23 Cytomegalovirus 18 8 Epstein-Barr-Virus 7 2 M. pneumoniae 9 Nicht getestet Guillain-Barré-Syndrom Das GBS zählt zu den erworbenen peripheren Polyneuropathien. An ihr können Kinder und Erwachsene jeden Alters erkranken, wobei Männer ca. 1.5 Mal häufiger betroffen sind als Frauen [Hughes et al., 2005]. Junge Erwachsene und ältere Menschen sind häufiger betroffen bei jungen Menschen erhöhtes Risiko gegenüber Infektionen mit Cytomegalovirus (CMV) oder Campylobacter jejuni? Rückgang von immunologischen Kontrollmechanismen beim alten Menschen? Während der Schwangerschaft gleiche Inzidenz wie in der Normalbevölkerung, leicht erhöhtes Risiko innerhalb der ersten Monate nach der Entbindung [Chan et al., 2004] [adaptiert aus Hughes et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

12 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

13 3. Klassifikation (GBS) Klassifikation GBS Klassisches Guillain-Barré-Syndrom = Akute Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) Wichtigste Varianten des GBS: Miller-Fisher-Syndrom Akute Motorische Axonale Neuropathie (AMAN) Weitere Varianten des GBS: Akute Motorisch-Sensible Axonale Neuropathie (AMSAN) Akute Sensorische Neuropathie (ASN) Akute Pandysautonomie Overlap-Syndrome von MFS und GBS Abgrenzung zur Chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP): Maximale Ausprägung der Defizite < 4 Wochen: GBS Maximale Ausprägung der Defizite 4 bis 8 Wochen: subaktue CIDP (SIDP) Maximale Ausprägung der Defizite < 8 Wochen: CIDP Klinische Subtypen des Guillain-Barré-Syndroms [adaptiert aus Hufschmidt et al., 2008]: Akute Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) Akute Motorische Axonale Neuropathie (AMAN) Akute Motorisch-Sensible Axonale Neuropathie (AMSAN) Akute Sensorische Neuropathie (ASN) Akute Pandysautonomie Miller-Fisher-Syndrom (MFS) Overlap-Syndrome von MFS und GBS Unterschiedliche Häufigkeit der Subtypen [Hughes et al., 2005; Kuwabara, 2004]: in Europa und Nordamerika 90% AIDP, weniger als 10% AMAN in China 60 – 80% AMAN, 20% AIDP in Japan AIDP und AMAN je 40% Hinsichtlich Abgrenzung zur Chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie siehe auch Abschnitt CIDP [Asbury et al., 1978; Ad Hoc Committee of the AAN AIDS Task Force, 1991; Oh et al., 2003] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

14 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

15 4. Pathophysiologie (GBS)
GBS Pathophysiologie Hypothese des „molecular mimicry“ [Ariga et al., 2005] Eine vorhergehende Infektion löst eine Immunantwort aus, die ihrerseits mit Komponenten des peripheren Nervensystems aufgrund von gemeinsamen kreuzreaktiven Epitopen kreuzreagiert. Diese Immunantwort kann so zum Beispiel gegen das Myelin oder das Axon gerichtet sein. Immunmechanismus am Beispiel der AIDP [Hughes et al., 2005; Yuki N et al.,2012]: Präsentation eines bakteriellen Proteinepitops von einem Makrophagen (m) an eine T-Zelle (T) Aktivierung der T-Zelle, Penetration des Endothels Erkennung eines kreuzreaktiven Antigens und Aussenden von Zytokinen (z.B. TNFα) mit Aktivierung von Makrophagen des Endoneuriums Dadurch Freisetzung von Enzymen sowie Radikalen (z.B. NO) und Angreifen des Myelins Zusätzlich durch die aktivierten T-Zellen Freisetzen von Zytokinen (z.B. IL4, IL6), die den B-Zellen helfen, Antikörper zu produzieren Durchquerung der Blut-Nerven-Schranke durch die Antikörper, Andocken an passende Epitope und Komplementreaktion mit konsekutivem Myelinschaden Bekannte Auslöser für das GBS (insbesondere die AIDP) sind Infektionen mit Campylobacter jejuni, Epstein-Barr-Virus, Mycoplasma pneumoniae und HIV. Im Sinne einer Autoimmunreaktion kann es anschliessend an die vorausgegangene Infektion zur Erkrankung kommen. Möglicherweise hat jeder Subtyp des GBS eine etwas andere Immunpathogenese mit eigenen vorausgegangenen Infektionen und vorherrschenden Autoantigenen sowie Autoantikörpern, die eine Aktivierung der Immunzellen auslösen. [adaptiert aus Hughes et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

16 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 Empfehlenswerte Übersichtsarbeit: Yuki N, Hartung H-P. Guillain-Barré Syndrome. NEJM 2012; 366: IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

17 GBS Klinik: Anamnese Anamnese
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Anamnese Anamnese Lumbale Rückenschmerzen, Beinschmerzen (in ca. 35% der Fälle prodromal) Sensible Störungen (Kribbelparästhesien) an Händen und Füssen (Erstsymptom in 50%) Akut fortschreitende, distale und proximale, häufig symmetrische Extremitätenschwäche mit sehr unterschiedlicher Ausprägung Anamnese beim Guillain-Barré-Syndrom [Yuki 2012]: Leichte sensorische Störungen (Kribbelparästhesien) an Händen und Füssen Muskelschmerzen vor allem im Frühstadium Aakut fortschreitende, distal beginnende, symmetrische Extremitätenschwäche Schwäche der bulbären und/oder fazialen Muskeln [Abbildungen nach Netters Neurologie, 2001] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

18 GBS Klinik: Befunde Befunde
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Befunde Befunde Distale und proximale Extremitätenschwäche (häufig Betonung der Beine) Im Sinne einer Radikulopathie proximale Muskeln teilweise vordergründig betroffen Distale Sensibilitätsreduktion (meist diskret) Verlust der Muskeleigenreflexe - Zu Beginn teilw. noch vorhanden - BSR am häufigsten ausgespart Beteiligung der Hirnnerven (oft beidseitig) - Insbesondere Fazialisparese Beteiligung des autonomen Nervensystems (Inklusive Atemversagen) Befunde beim Guillain-Barré-Syndrom [Yuki 2012]: Weites klinisches Spektrum der motorischen Schwäche bei der Erstuntersuchung: leichte Gangschwierigkeiten bis fast komplette Lähmungserscheinung aller Extremitäten, der Gesichts- und Atemmuskulatur sowie der bulbären Muskeln Bei Beteiligung der Rumpfmuskulatur -> Risiko für Atemversagen Häufige Beteiligung cranialer, sensorischer und autonomer Nerven IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

19 GBS Klinik: Dysautonomie/1
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Dysautonomie/1 Häufigkeit Ca. 60% der GBS-Patienten (je nach festgelegten Grenzwerten 20-75%) Prädisponierende Faktoren: schwere Fälle, Tetraparese, propriozeptive Ausfälle [Raphael, 1986] Manifestation Hypo- und Hypertension Rhythmusstörungen, Brady- und Tachykardie (insbesondere Sinustachykardie häufig) Harnretention, Ileus Elektrolytentgleisungen und Hyperglykämien Bedside-Test [Beispiele adaptiert aus Müllges et al., 2010]: Bilateraler Bulbusdruck für < 25 Sekunden -> Bradykardie (Puls < 40 pro Minute) Valsalva-Manöver Atropintest 20 bis 30% der GBS-Patienten beatmungspflichtig [Winer et al., 1988] - Vitalkapazität < 1 Liter: Überwachung auf der Intensivstation Verlauf Meistens gleichzeitige Verbesserung mit den sensiblen und motorischen Symptomen Selten Persistenz der Ausfälle des autonomen Nervensystems Typische Symptome der Dysautonomie beim Guillain-Barré-Syndrom [Pfeiffer, 1999]: Sinustachykardie als eine der häufigsten vegetativen Störung bei GBS-Patienten Supraventrikuläre Tachyarrhythmien Ventrikuläre Tachykardien Bradykardien (spontan oder ausgelöst nach thorakalen oder orofazialen Reizen) EKG-Veränderungen im Sinne von z.B. ST-Veränderungen (am häufigsten) oder AV-Blockierungen Veränderungen des Blutdrucks (dauerhaft hypertensive Blutdruckwerte, Blutdruckabfälle, Blutdruckschwankungen) Elektrolytentgleisungen (z.B. Hyponatriämie [Goulon et al., 1975]) Hyperglykämie Regional verminderte Schweisssekretion IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

20 GBS Klinik: Dysautonomie/2
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Dysautonomie/2 Dysautonomie beim GBS Beispiel: Beeinträchtigung des Barorezeptorreflexes Physiologisch GBS-Patient [aus Pfeiffer, 1999] Dysautonomie beim Guillain-Barré-Syndrom [Pfeiffer, 1999]: Störung des Zusammenspiels myelinisierter und unmyelinsierte Afferenzen und Efferenzen vor allem durch afferente Leitungsblöcke (im Einzelfall komplexe Interaktionen kardivaskulärer und kardiopulmonaler Reflexe) Frühzeitige Erkennung nötig Afferenter Konduktionsblock der Signale von den Barorezeptoren Fehlinterpretation als „Blutdruckabfall“ im Hirnstamm Über Efferenzen Auslösen einer Tachykardie und eines erhöhten Gefässwiderstandes mit Blutdruckanstieg Individuelle, symptomatische Therapie IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

21 GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen Laboruntersuchungen/1 Liquor Zytoalbuminäre Dissoziation Normale Zellzahl (ca. 90% der Fälle) Protein erhöht (1. Woche ca. 66%, 2. Woche ca. 82% der Fälle) CAVE am 1. und 2. Tag in ca. 85% der Fälle normal! Oligoklonale Banden in 10-30% positiv Histologie Nachweis einer Demyelinisierung, je nach Unterform auch axonaler Schaden Zusatzuntersuchungen Liquor: Eiweisserhöhung mit gleichzeitiger normaler oder leicht erhöhter Zellzahl – zytoalbuminäre Dissoziation Häufig normaler Liquor in den ersten Erkrankungstagen! [adaptiert aus Principles of Neurology, 9. Auflage 2009] Histologie: Die histologische Untersuchung spielt in der Praxis eine untergeordnete Rolle. Eine Nervenbiopsie ist heutzutage kaum mehr indiziert! Nervenfaser eines GBS-Patienten: Makrophage (M) greift die Schwannzelle an (Pfeile) [Hughes et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

22 GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen Laboruntersuchungen/2 Serologie Bestimmung von Antikörpern (GM1, GD1a, GQ1b, GD1b, GT1a, GM1b) bei schwierigen Differenzialdiagnosen, ansonsten oft verzichtbar Assoziation von GM1- und GD1a-Antikörpern mit Campylobacter jejuni Zusatzuntersuchungen [Yuki 2012] Serologie: Bestimmte Antikörper (GM1, GD1a, GQ1b, GD1b, GT1a, GM1b) können bei schwierigen Differentialdiagnosen teilweise weiterhelfen. Oft kann aber darauf verzichtet werden. Es besteht eine Assoziation zwischen GM1-, GD1a- und GD1b-Antikörpern und einer Infektion mit Campylobacter jejuni [Ogawara et al., 2000]. [Hughes et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

23 GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen Elektrophysiologie: Demyelinisierende Neuropathie Elektrophysiologie beim GBS: Ganz prinzipiell betrachtet, kann ein Myelinschaden 2 elektrophysiologische Konsequenzen haben: Leitungsblock; der Impuls überwindet die Demyelinisierungszone nicht. Leitungsverlangsamung. Basierend auf diesem Prinzip können im Wesentlichen 4 elektrophysiologische Merkmale einer multifokalen segmentalen Demyelinisierung beobachtet werden: Leitungsblock, meist partiell, selten komplett Nervenleitgeschwindigkeitsverlangsamung, fokal oder diffus Temporale Dispersion des motorischen Summenpotentiales Verzögerte oder fehlende Spätantworten (F-Antwort), Zeichen der ektopen Erregungsbildung entlang des Axons mit (multiplen A-Wellen) Die sensiblen Neurographien sind in der Routine-Diagnostik einer demyelinisierenden Neuropathie weniger hilfreich und weniger häufig pathologisch als die motorischen Neurographien. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

24 GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Zusatzuntersuchungen Elektrophysiologie beim GBS Im Frühstadium des GBS sind die Neurographien oft wenig pathologisch. Bei ausführlicher Elektrodiagnostik zeigen sich demyelinisierende Zeichen aber in %. [Oh SJ, 2003] Untersuchungen multipler Nerven mit Spätantworten erhöhen die Sensitivität entscheidend. Im Frühstadium (< 3 Wochen) ist keine Abgrenzung zwischen axonalem Schaden und Demyelinisierung in der elektrophysiologischen Routinediagnostik möglich. Cave: Massive Amplitudenreduktion des motorischen Summenpotentials nicht gleichbedeutend mit axonalem Schaden in den ersten 2-3 Wochen Anders als bei der Chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Neuropathie (CIDP) sind elektrophysiologische diagnostische Kriterien beim GBS wenig hilfreich. Im Frühstadium der Krankheit sind demyelinisierende elektrophysiologische Zeichen oft nur diskret. Die häufigste elektrophysiologische Auffälligkeit im Frühstadium sind Nervenleitgeschwindigkeitsverlangsamungen und erhöhte distal motorische Latenz [Oh, 2003]. Ausserdem ist der Nachweis multipler A-Wellen wahrscheinlich ziemlich sensitiv für ein GBS [Kornhuber et al., 1999] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

25 + + GBS Klinik: Varianten Miller-Fisher-Syndrom/1 Epidemiologie
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Varianten Miller-Fisher-Syndrom/1 Epidemiologie In den USA ca. 1% der GBS-Patienten (geschätzte Jahresinzidenz ca. 1:1‘000‘000), jedoch ca. 25% der GBS Patienten in Japan Anamnese Doppelbilder (ca. 80%) Schwindel und Gangunsicherheit Myalgien und Parästhesien (im Gesicht) Blasenbeschwerden möglich Befunde Klassische Trias: Miller-Fisher-Syndrom: Epidemiologie [Mori et al., 2001]: Krankheitsbeginn durchschnittlich mit 40 Jahren (13-78 Jahre) Vermehrtes Auftreten im Frühling (März bis Mai) Teilweise respiratorische Prodromi In den USA ca. 1% der GBS-Erkrankungen, in Japan ca. 25% Assoziierte Infektionen: Campylobacter jejuni, Hämophilus influenzae Befunde [Berlit et al., 1992; Becker et al., 2006]: Klinisch kommt es klassischerweise zu einer Trias mit akut einsetzender Gangataxie und Ophthalmoplegie (inklusive Dysfunktion der Pupillen) sowie nach einigen Tagen einer zusätzlichen Hypo-/Areflexie. Die Ophthalmoplegie gilt als Leitsymptom. Fazialis- und Blubärparalysen sind möglich. + + Gangataxie Hypo-/Areflexie Ophthalmoplegie IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

26 GBS Klinik: Varianten Miller-Fisher-Syndrom/2 Zusatzuntersuchungen
5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Varianten Miller-Fisher-Syndrom/2 Zusatzuntersuchungen Serum: Antikörper gegen GQ1b in 85 bis 90% [Willison et al., 2003] Liquor: zytoalbuminäre Dissoziation (0 bis 5 Zellen/mm3, Protein erhöht) Elektrophysiologie: Axonenverlust, SNAPs mit reduzierter Amplitude, verminderte Amplitude der CMAP fazial, F-Wellen verlängert oder fehlend Therapie siehe GBS ABER: Besseres Outcome unter Immuntherapie beim Miller-Fisher-Syndrom nicht gesichert, jedoch tendenzielle Beschleunigung der Genesung durch Plasmapherese [Mori et al., 2007] Verlauf Erholungsbeginn nach 2 Wochen bis 2 Monaten Oft keine Residuen Mischbilder und Differentialdiagnosen Überlappungen zum GBS möglich mit Ophthalmoplegie, Extremitätenschwäche und teilweise Ataxie Bickerstaff-Enzephalitis (Antikörper gegen GQ1b in ca. 66%), Überlappung zum MFS möglich Neurolues ausschliessen Beim Miller-Fisher-Syndrom lassen sich sehr häufig Antikörper gegen GQ1b nachweisen. Häufig steht dabei eine Infektion mit Campylobacter jejuni im Zusammenhang [Jacobs et al., 1997]. Der Verlauf des Miller-Fisher-Syndrom ist im Vergleich zum GBS meist günstiger. Nach drei Monaten kommt es zumeist zu einer vollständigen Rückbildung der Symptome [Berlit et al., 1992]. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

27 5. Klinik (GBS) GBS Klinik: Varianten GBS assoziiert mit HIV (human immunodeficiency virus) Bekannt seit 1985 Auftreten von GBS in der frühen Phase einer HIV-Infektion, teilweise als Erstmanifestation einer HIV-Infektion Red flag: Klinik eines GBS mit Pleozytose im Liquor Entwicklung einer CIDP möglich Akute motorische axonale Neuropathie (AMAN) Epidemiologie: am häufigsten in Japan, China und Mexico sowie Drittweltländern vorkommend Prodromi: vorhergehende Diarrhoe mit Campylobacter jejuni (Titer in ca. 67% positiv) Klinik: distal betonte Schwächen der Extremitäten (Arme > Beine), keine sensiblen Ausfälle, Reflexe vermindert, teilweise erhalten Serum: IgG gegen GM1- und GM1b-Ganglioside sowie GalNAc-GD1a (weniger häufig GD1a) Elektroneurographie: vor allem axonale Schädigungszeichen Therapie: IVIG und Plasmapherese Verlauf: deutliche Besserung der Kraft zumeist innert 1 bis 2 Monaten GBS assoziiert mit HIV (human immunodeficiency virus): Das GBS kommt auch in Assoziation mit der HIV-Erkrankung vor – vor allem bei Patienten, die nicht stark immunsupprimiert sind. Bei einer Pleozytose im Liquor mit dem klinischen Bild eines GBS sollte immer in diese Richtung weiter abgeklärt werden. Prinzipiell kann ein GBS in jedem HIV-Stadim auftreten [Brannagan et al., 2003]. Akute motorische axonale Neuropathie (AMAN): Die AMAN ist eine rein motorische axonale GBS-Variante. Sie wird sehr oft durch Campylobacter jejuni ausgelöst. Typischerweise finden sich axonale Degenerationen und reversible Leitungsblöcke, die elektrophysiologisch nachgewiesen werden können. Die Regenerierungsphase beginnt oft früher im Vergleich zu den demyelinisierenden Formen [Chowdhury et al., 2001; Hiraga et al., 2003]. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

28 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

29 GBS Diagnose Diagnostische Kriterien/1
6. Diagnose und Differentialdiagnose (GBS) GBS Diagnose Diagnostische Kriterien/1 Klassisches Guillain-Barré-Syndrom Über wenige Tage progrediente, weitgehend symmetrische Tetraparese Geringe sensible Beteiligung im Vergleich zur Motorik Hypo- bis Areflexie Vorhergehender Infekt in der Anamnese Liquor mit zytoalbuminärer Dissoziation Erhärten der Verdachtsdiagnose eines GBS durch charakteristische neurophysiologische Befunde (verlängerte distal-motorische Latenzen, F-Wellen-Ausfälle/multiple A Wellen, Leitungsblöcke) Supportive Kriterien [adaptiert aus Gold et al., 2005]: Progression der Symptome über Tage bis 4 Wochen Relative Symmetrie Milde Beteiligung der Sensibilität Mitbeteiligung der Hirnnerven (insbesondere bilaterale Fazialisparese) Erholungsbeginn 2 bis 4 Wochen nach Progressionsstopp Autonome Dysfunktion Kein Fieber bei Krankheitsbeginn Erhöhtes Protein im Liquor mit einer gleichzeitigen Zellzahl <10/mm3 Elektrodiagnostische Auffälligkeiten vereinbar mit einem GBS [adaptiert aus Gold et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

30 GBS Diagnose Diagnostische Kriterien/2 Varianten
6. Diagnose und Differentialdiagnose (GBS) GBS Diagnose Diagnostische Kriterien/2 Varianten Hirnnervenbeteiligung ( DD Miller-Fisher-Syndrom) Erhaltene Muskeleigenreflexe (insbesondere zu Beginn der Erkrankung!) Vorwiegend sensible Ausfälle ( DD Akute sensorische Neuropathie, ASN (Elektrophysiologie entscheidend!)) In der Elektrophysiologie massive Reduktion der Amplituden des MSAP (-> AMAN, AMSAN) CAVE: Zu Beginn der Erkrankung bereits massive MSAP-Reduktion distale Blöcke, nicht axonaler Schaden! ENTSCHEIDEND FÜR DIE PRAXIS Gesamtbild der einzelnen Befunde (Anamnese, Klinik, Lumbalpunktion, Elektrophysiologie) ist wichtig – oft passen einzelne Befunde nicht zur klassischen Konstellation des GBS! Die Diagnose des GBS ist nicht immer einfach. Wichtig ist jeweils die Zusammenschau von Anamnese, Klinik und Zusatzuntersuchungen (insbesondere Lumbalpunktion und Elektrophysiologie). Gleichzeitig sollten bei nicht passenden Befunden Überlegungen und weitere Abklärungen hinsichtlich Varianten und Differentialdiagnosen eines GBS in Betracht gezogen werden. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

31 GBS Diagnose „Red Flags“ bei der Diagnose eines GBS
6. Diagnose und Differentialdiagnose (GBS) GBS Diagnose „Red Flags“ bei der Diagnose eines GBS Niveau eines Sensibilitätsausfalls (Myelopathie?) Deutliche, persistierende Asymmetrie der Schwäche Schwere und persistierende Darm- und Blasendysfunktionen (Myelopathie?) > 50 Zellen im Liquor (infektiöse Polyradikulitis: HIV, Borreliose, Zoster, HSV) Rezidive eines GBS (Abgrenzung zur CIDP) Die oben erwähnten Punkte sind wichtige Hinweise für Differentialdiagnosen eines GBS. Insbesondere infektiöse, vaskuläre und neoplastische differentialdiagnostische Erkrankungen sollten rasch erkannt und dementsprechend behandelt werden. [adaptiert aus Gold et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

32 GBS Differentialdiagnose
6. Diagnose und Differentialdiagnose (GBS) GBS Differentialdiagnose Differentialdiagnose akuter schlaffer Para- und Tetraparesen Schlaganfall im Hirnstammbereich Selten Symptomprogredienz über Tage Hirnstamm-Enzephalitis Insbesondere Bickerstaff Enzephalitis (GQ1b-Ak) Akute anteriore Poliomyelitis Verursacht durch Poliovirus, FSME (Fieber!) Akute Myelopathie Akute transverse Myelitis, raumfordernde Läsionen, kompressive Myelopathie Infektiöse Polyradikulitis Borreliose, EBV, CMV, HSV, VZV, HIV Periphere Neuropathien CIDP, medikamentös induzierte Neuropathien (Cisplatin, Taxol, etc.), akute intermittierende Porphyrie, vaskulitische Neuropaphie, critical illness Neuro-Myopathie, lymphomatöse Neuropathie, metabolisch (Thiamin-, Niacin- und Cobalaminmangel), paraneoplastisch, hereditär Erkrankungen der neuromuskulären Übertragung Myastenia gravis, Botulismus, Lambert-Eaton Syndrom Muskelerkrankungen Entzündliche Myopathie – insbesondere Dermatomyositis, akute Rhabdomyolyse, Trichinose, periodische Paralyse Beim GBS stehen insbesondere infektiöse, vaskuläre und neoplastische Erkrankungen als Differentialdiagnosen im Vordergrund. Nebst einer fundierten Anamnese und eingehenden klinischen Untersuchung dient gerade die Lumbalpunktion oft im Wesentlichen dem Ausschluss von infektiösen Ursachen (HIV, Borreliose, etc.), die häufig mit einer erhöhten Zellzahl im Liquor einhergehen. [adaptiert aus Müllges et al., 2010] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

33 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

34 7. Therapie (GBS) GBS Therapie/1 Zwei evidenzbasiert wirksame Behandlungsmöglichkeiten des GBS (Vergleich siehe nächstes Slide) [The Guillain-Barré Syndrome Study Group, 1985; Kleyweg et al., 1988; Hughes et al., 2007; Sederholm 2010] i.v.-Immunglobuline (IVIG) Plasmapherese Ebenso wichtig: supportive Behandlung/Überwachung zur Verhinderung von fatalen Komplikationen durch: Kardiales Monitoring (Rhythmusstörungen) Kontrolle der Vitalkapazität (Ateminsuffizienz) Intubation Schluckstörung -> Aspirationsgefahr Intubation Thrombose und konsekutive Lungenembolie Antikoagulation rechtzeitige intensivmedizinischen Überwachung/ Behandlung Es gibt keine klaren Richtlinien bezüglich Behandlungsbeginn, die Faustregel lautet: rasche Zunahme der Paresen nicht mehr selbständig gehfähig Therapie des Guillain-Barré-Syndroms: Es bestehen mit IVIG und der Plasmapherese zwei Behandlungsformen des GBS die durch mehrere Studien gut in ihrer kurzfristigen wie auch langfristigen Wirksamkeit belegt sind [Sederholm, 2010]. Sowohl IVIG als auch die Plasmapherese sind besser als Placebo, während beide Behandlungen bezüglich verschiedenen Outcome-Parametern gleichwertig sind [Sederholm, 2010]. Die Kombination der beiden ergibt keinen Vorteil im Vergleich zu jedem einzelnen. Die Wirksamkeit von Steroiden ist für das GBS nicht belegt, weder als Monotherapie noch in Kombination mit IVIG [Sederholm, 2010]. sind klare Indikationen für einen Therapiebeginn IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

35 GBS Therapie/2 i.v. Immunglobuline (IVIG) Plasmapherese (PE)
7. Therapie (GBS) GBS Therapie/2 i.v. Immunglobuline (IVIG) Plasmapherese (PE) Wirksamkeit vergleichbar mit Plasmapherese, besser als Placebo vergleichbar mit IVIG, besser als Placebo Evidenz gut Therapiedauer zumeist 2g/kg KG verteilt über 3 bis 5 Tage mindestens 5 Plasmaaustausche über 1-2 Wochen (individuelle Anpassungen) Verfügbarkeit Peripher venöser Zugang (oft zentral) venöser Zugang, spezialisierte Zentren, mit Apparaten und geschultem Personal Kosten hoch Wichtige Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegen homologe Immunglobuline, dekompensierte Herzinsuffizienz Herzinsuffizienz, ältere Patienten, akuter Infekt, Gerinnungsstörung, Schwangerschaft Infektrisiko klein höher im Vergleich zu IVIG Wirkungseintritt innert 3 bis 10 Tage innert Stunden Kontraindikationen, welche die Auswahl der Therapie beeinflussen [adaptiert nach Müllges et al., 2010]: Plasmapherese: Neigung zu Lungenödem Transfusionsbezogenes akutes Lungenversagen Infektion Fibrinogenmangel (wird verbraucht bei Plasmapherese), Blutungsneigung Hypokalzämie Allergie gegen Albumin Kreislaufschwäche IVIG: IgA-Mangel (eindeutige Kontraindikation!), Prävalenz 1 : 300, Anaphylaxie durch wiederholte IVIG-Gabe Thromboseneigung IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

36 7. Therapie (GBS) GBS Therapie/3 Die Anwendung von IVIG oder Plasmapherese als 1. Wahl hängt vor allem von der Verfügbarkeit der Behandlungsmethode ab. Falls beide Therapien zur Verfügung stehen: Plasmapherese eher bei sehr rasch fortschreitender Klinik, bei jüngeren Patienten bei kreislaufstabilen Patienten IVIG-Therapie bei weniger akuter Progredienz bei schlechten/instabilen Kreislaufverhältnissen Infektionsverdacht Nebenwirkungen Generell bei Plasmapherese schwerwiegender als bei IVIG PE: Hypotonie, Luftembolie, Pneumothorax (zentralvenöser Katheter), Kathetersepsis, zentrale Venenthrombose, Hypokalzämie, Herzinfarkt (Kreislaufbelastung) IVIG: Kopfschmerzen (aseptische Meningitis), Allergien, Thrombose, Niereninsuffizienz IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

37 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

38 GBS Prognose 8. Prognose (GBS) IMMUNOGENE NEUROPATHIEN
[nach Netters Neurologie, 2001] Verlauf: Bei ca. 90% der Patienten maximale Ausprägung der Erkrankung nach 2 bis 3 Wochen Definitionsgemäss Progression der Symptome < 4 Wochen Plateauphase von 2 bis 4 Wochen Remyelinisierung über mehrere Monate Eine Zunahme der Symptome über 8 Wochen ist vereinbar mit der Diagnose einer chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP, siehe dort) In den meisten Fällen ist die Prognose für die vollständige Wiederherstellung der neuromuskulären Funktionen gut. Leichte bis schwere Behinderungen bei 20-25% der Patienten Mortalitätsrate: 2-10% (Pneumonie, iatrogene Hypotension, Assoziation mit autonomer Dysfunktion) [Kuwabara et al., 2004; Hughes et al., 2007; Alshekhlee et al., 2008] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

39 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

40 9. Ausblick (GBS) GBS Ausblick Trotz guten Behandlungsmöglichkeiten mit IV-Immunglobulinen und Plasmapherese beträchtliche Anzahl an Patienten mit Residuen Bessere Therapieoptionen nötig Identifizierung der Pathomechanismen der einzelnen Unterformen zur gezielteren Behandlung Entwicklung von Medikamenten, die in die Komplementkaskade eingreifen Bis jetzt erst Resultate in Tierversuchen [Halstead et al., 2008; Pithadia et al., 2010] Gezielte Absorption von Antikörpern, sofern diese bekannt sind (Immunadsorption) [Willison et al., 2004] Mit dem besseren Verständnis der pathophysiologischen Abläufe ergeben sich zunehmend weitere Angriffspunkte für neue Therapieansätze. Zum Beispiel scheinen Aktivierungshemmer der Komplementkaskade, welche die Bildung vom Membranangriffkomplex (membrane attack complex (MAC), der bei der Zielzelle eine Zytolyse herbeiführt) hemmen, ein erfolgsversprechender Ansatzpunkt zu sein (bis jetzt in Tierversuchen). In der Hämatologie ist eine Substanz dieser Art bereits für die Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie zugelassen: Eculizumab (humanisierter monoklonaler Antikörper) ist ein Hemmer des C5-Proteins in der Komplementkaskade, was in der Folge die Bildung des Komplementkomplexes C5b-9 und konsekutiv die Entstehung des MACs vermindert [Halstead et al., 2008; Pithadia et al., 2010]. Die selektive Adsorbtion/Elimination des pathogenen Antikörpers (Immunadsorption) würde die Kreislaufbelastung und die induzierte Gerinnungsstörung im Vergleich zur PE wesentlich reduzieren. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

41 Inhalt - GBS Definition 09 Epidemiologie 11 Klassifikation 13
Pathophysiologie 15 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen, Varianten 17 Diagnose und Differentialdiagnose 29 Therapie 34 Prognose 38 Ausblick 40 Referenzen 42 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

42 GBS Referenzen 10. Referenzen (GBS)
Alshekhlee A et al. Neurology 2008;70(18): Ariga T et al. J Neurosci Res 2005; 80:1-17 Asbury AK et al. Ann Neurol 1978;3:565-6 Becker U et al. Nervenarzt 2006;77: Berlit P et al. J Clin Neuroophthalmol 1992;12:57-62 Brannagan TH et al. J Neurol Sci 2003;208:39-42 Chan L Y-S et al. Acta Obstet Gynecol Scand 2004;83: Chowdhury D et al. Acta Neurol Scand 2001;103: Fisher M. N Engl J Med 1956;255:57-65 Gold et al., 2005 Goulon M et al. Rev Neurol 1975;131: Guillain G et al. Bull Soc Méd Hôp Paris 1916;40: Halstead SK et al. J Peripher Nerv Syst 2008;13(3): Hiraga A et al. Neurology 2003;61: Hufschmidt A et al. Neurologie compact 2008: 438 Hughes RAC et al. Brain 2007;130: Hughes RAC et al. Lancet 2005 Nov 5;366(9497): Jacobs BC et al. J Infect Dis 1997;175: Kieseier BC et al. Akt Neurol 2008; 35: Kleyweg RP et al. Neurology 1988;38: Kornhuber ME et al. Muscle Nerve 1999; 22(3):394-9 Kuwabara S et al. Drugs 2004;64(6): Mori M et al. Neurology 2007;68: Mori M et al. Neurology 2001;56: Müllges W et al. Akt Neurol 2010;37: Ogawara K et al. Ann Neurol 2000;48: Oh SJ et al. Neurology 2003;61: Pfeiffer G. Nervenarzt 1999;70: Pithadia AB et al. Pharmacol Rep 2010;62(2): Principles of Neurology, 9. Auflage, 2009 Raphael JC et al. Rev Neurol 1986;142: Report from an ad hoc subcommittee ot the American Academy of Neurology AIDS Task Force. Neurology 1991;41:617-8 Sederholm BH. Treatment of Acute Immune-mediated Neuropathies. : Guillain-Barré Syndrome and Clinical Variants. Semin Neurol 2010; 30: The Guillain-Barré-Syndrom Study Group 1985 Whitesell J. Inflammatory Neuropathies. Semin Neurol 2010;30: Willison HJ et al. Brain 2004;127: Willison HJ et al. Brain 2002;125: Winer JB et al. Q J Med 1988;257: Yuki N, Hartung H-P. Guillain-Barré Syndrome. NEJM 2012; 366: Die wichtigsten Referenzen sind fett markiert. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

43 Inhalt - CIDP Immunogene Neuropathien – Definition 04
Akut: Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und Varianten 08 Chronisch: Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) und 44 Multifokale motorische Neuropathie (MMN) als Variante des CIDP 82 Es werden bei den Chronischen inflammatorischen Neuropathien die klassische (und weitaus häufigste) Form der Chronisch Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) und mehrere klinisch und elektrophysiologische Varianten unterschieden, wobei es immer auch Mischformen geben kann. Als Varianten der Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie sind in erster Linie die Multifokale Motorische Neuropathie (MMN), die Polyneuropahtie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein)-Aktivität, das POEMS-Syndrom (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Komponente, Hautveränderung (skin)) sowie die Multifokale Erworbene Demyelinisierende Sensorische Und Motorische Neuropathie (MADSAM oder Lewis Sumner Syndrom) zu nennen. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

44 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

45 Definition CIDP Chronische immunogene Neuropathien
Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP): Chronische immunvermittelte Polyradikuloneuropathie Elektrophysiologisch: Multifokale Demyelinisierung Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie Unter dem Begriff Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) verstehen wir eine erworbene Erkrankung des peripheren Nervensystems, die mit grosser Wahrscheinlichkeit autoimmun entzündlich ist. Die Ätiologie ist bis jetzt unbekannt. Es finden sich isolierte Formen, jedoch in ca. 30% der Fälle auch Varianten in Assoziation mit anderen systemischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, monoklonale Gammopathien, chronische Hepatitiden oder HIV. Die Verläufe können schubförmig oder auch chronisch progressiv sein. Typische Kennzeichen sind: langsam progrediente Symptomatik Gemischte sensible und motorische Ausfälle distal betont, aber auch proximal sich manifestierend, initial oft symmetrisch abgeschwächte oder fehlende Reflexe Die klinischen und elektrophysiologischen Kriterien wie auch unterstützende (Hilfs-) Kriterien und Ausschlusskriterien wurden in Guidelines zusammengefasst: EFNS TASK FORCE/CME ARTICLE. European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society Guideline on management of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: Report of a joint task force of the European Federation of Neurological Societies and the Peripheral Nerve Society — First Revision. European Journal of Neurology 2010, 17: 356–363 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

46 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

47 2. Epidemiologie (CIDP) Epidemiologie CIDP Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) Kinder und Erwachsene betroffen, am häufigsten ältere Männer Prävalenz bei Kindern ca. 0.5 / 100‘000, bei Erwachsenen ca. 1-2 bis 8 / 100‘000 Einwohner : = 1 : 3 Die Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) kommt in allen Altersgruppen vor, wobei das männliche Geschlecht häufiger betroffen ist [Rotta et al., 2000]. Die Prävalenz liegt im Erwachsenenalter bei 1-2 bis 8 / 100‘000 Einwohner [McLeod et al., 1999; Lunn et al., 1999]. Häufig ist die Manifestation der Erkrankung schleichend, allerdings wird in 13% der Fälle ein akuter Beginn beschrieben [Vallat, 2010]. [Rotta et al., 2000; McLeod et al., 1999; Lunn et al., 1999; Vallat 2010] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

48 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

49 3. Klassifikation (CIDP)
Klassische Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) Wichtigste Varianten der CIDP Multifokale Motorische Neuropathie (MMN) Multifokale Erworbene Demyelinisierende Sensorische und Motorische Neuropathie (MADSAM oder Lewis Sumner Syndrom) Neuropathie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein)-Aktivität POEMS-Syndrom (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Komponente, Hautveränderung (Skin)) Neben der „klassischen“ Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) finden sich zahlreiche Varianten. Allen gemeinsam ist der chronische (meistens chronisch progrediente, seltener schubförmig progrediente) Verlauf, die entzündliche Pathogenese (nicht immer einwandfrei erwiesen!) und das oft (aber nicht immer ) gute Ansprechen auf immunsuppressive Therapiemassnahmen. Sie unterscheiden sich in allfälligen assoziierten Antikörpern, dem unterschiedlichen Befallmuster motorischer, sensibler und autonomer Nervenfasern und dem Läsionsmuster (axonal versus demyelinisierend) Zu den wichtigsten gehören folgende Erkrankungen: Multifokale Motorische Neuropathie (MMN) Multifokale Eworbene Demyelinisierende Sensorische und Motorische Neuropathie (MADSAM oder Lewis Sumner Syndrom) Neuropathie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein)-Aktivität POEMS-Syndrom (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Komponente, Hautveränderung (Skin)) IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

50 Klassifikation CIDP/2 Weitere Varianten der CIDP
CIDP mit monoklonaler Gammopathie ungeklärter Signifikanz (CIDP-MGUS) Multifokale Erworbene Axonale Sensorische und Motorische Neuropathie (MASAM) [Alaedini et al, 2003] Distale Erworbene Demyelinisierende Sensorische Neuropathie (DADS) Subakute sensomotorische Neuropathie Reine motorische symmetrische Neuropathie Sensorische CIDP GALOP-Syndrom (Gait disorder, Autoantibody, Late-age, Onset, Polyneuropathy) Neuropathie mit IgM-Assoziation zu Sulfatiden Demyelinisierende ataktische Neuropathie mit IgM-Assoziation zu GalNAc-GD1a- und GM2-Gangliosiden Neuropathien mit IgM-Assoziation zu GD1a-, GM3- und GT1b-Gangliosiden Als weitere – teilweise weniger häufige – Varianten der CIDP gelten: (allerdings ist die die Meinung bezüglich Zuordnung dieser Neuropathien zu der CIDP in der Literatur keineswegs einheitlich) [adaptiert und ergänzt aus Stangel et al., 2011 und Hufschmidt et al., 2008]: CIDP mit monoklonaler Gammopathie ungeklärter Signifikanz (CIDP-MGUS) Polyneuropathie mit monoklonaler IgM-Gammopathie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein) Multifokale erworbene axonale sensorische und motorische Neuropathie (MASAM) Distale erworbene demyelinsisierende sensorische Neuropathie (DADS) subakte sensomotorische Neuropathie Reine motorische symmetrische Neuropathie Sensorische CIDP GALOP-Syndrom (Gait disorder, Autoantibody, Late-age, Onset, Polyneuropathy) Neuropathie mit IgM-Assoziation zu Sulfatiden Demyelinisierende ataktische Neuropathie mit IgM-Assoziation zu GalNAc-GD1a- und GM2-Gangliosiden Neuropathien mit IgM-Assoziation zu GD1a-, GM3- und GT1b-Gangliosiden [adaptiert und ergänzt aus Stangel et al., 2011 und Hufschmidt et al., 5. Auflage 2008] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

51 3. Klassifikation (CIDP)
Abgrenzung zu den akuten immunogenen Neuropathien, insbesondere GBS Verschlechterung der Klinik <4 Wochen: GBS [Asbury et al., 1978] Verschlechterung der Klinik 4 bis 8 Wochen: subaktue CIDP (SIDP) [Oh et al., 2003] Verschlechterung der Klinik (Symptomprogredienz) > 8 Wochen: CIDP [Ad Hoc Committee of the AAN AIDS Task Force, 1991] Die akuten Formen der immunogenen Neuropathien (vor allem GBS) mit einer Krankheitsprogredienz von <4 Wochen werden von den chronischen Formen (vor allem CIDP) mit >8 Wochen per definitionem zeitlich abgegrenzt. Bei einer Progredienz einer immunogenen Neuropathie von 4-8 Wochen kann von einer subakuten CIDP (SIDP) gesprochen werden [Asbury et al., 1978; Ad Hoc Committee of the AAN AIDS Task Force, 1991; Oh et al., 2003]. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

52 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

53 Pathophysiologie CIDP
Immunopathogenese der CIDP [Köller et al., 2005]: Autoreaktive T-Zellen erkennen ein spezifisches Autoantigen (Präsentation an der Oberfläche eines Makrophagen (antigenpräsentierende Zelle) durch MHC II (major histocompatibility complex II) und kostimulierenden Molekülen Auslösen dieser Reaktion möglicherweise durch eine Infektion und anschliessendes molekulares Mimikry (Kreuzreaktion gegen Epitope vom Infektionsauslöser und von Nervenstrukturen) Durchquerung der Blut-Nerven-Schranke durch die aktivierten T-Lymphozyten Im peripheren Nervensystem aktivieren die T-Zellen Makrophagen mit der Folge von erhöhter Phagozytose-Aktivität, Zytokinproduktion und Ausschüttung von toxischen Stoffen (NO, reaktive Sauerstoffabkömmlinge, Matrixmetalloproteasen, TNF alpha, etc.) Demyelinisierung und axonaler Schaden durch Autoantikörper (vor Ort nach durchquerter Blut-Nerven-Schranke oder direkt lokal produziert durch Plasmazellen) Autoantikörper-vermittelte Demyelinisierung durch: zelluläre Toxizität, Blockieren von Epitopen funktioneller Relevanz für die Nervenleitung, Aktivierung des Komplementsystems Beendigung des Entzündungsprozesses durch Apoptose der T-Zellen und Ausschüttung von anti-inflammatorischen Zytokinen Potentielle Zielstrukturen der Myelinscheide: myelin protein zero, myelin protein 2, myelin basic protein, myelin-associated glycoprotein, connexin 32 sowie Ganglioside und verwandte Glykolipide. [Köller et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

54 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

55 Klinik: Anamnese und Befunde CIDP
5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen (CIDP) Klinik: Anamnese und Befunde CIDP Anamnese und Befunde Langsam fortschreitenden beinbetonte ± symmetrische Tetraparese Proximale und distale symmetrische Beteiligung Motorik stärker betroffen als Sensorik Sensibilitätsminderung weniger stark behindernd, mehr Reiz (Parästhesien) als Ausfallssymptome Beine mehr betroffen als Arme Distale Betonung der sensiblen Symptome Abgeschwächte/fehlende Reflexe (90%) Dauer der Progression: mindestens 2 Monate Anamnese und Befunde: langsam progrediente Symptomatik (mindestens über 8 Wochen in Abgrenzung zum GBS) symmetrische sensomotorische Ausfälle, klassischerweise Motorik stärker betroffen als Sensibilität distale und proximale Muskulatur betroffen (z.B. Bauchwandparese, Hüftgürtelschwäche) distale Betonung der Sensibilitätsausfälle Vibrations- und Positionssinn stärker betroffen als Schmerz- und Temperatursinn abgeschwächte oder fehlende Reflexe Beteiligung der Hirnnerven in 10-20% der Patienten [adaptiert und ergänzt aus Principles of Neurology, 9. Auflage 2009] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

56 Klinik: Zusatzuntersuchung CIDP/1 - Elektroneurographie
5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen (CIDP) Klinik: Zusatzuntersuchung CIDP/1 - Elektroneurographie Elektrophysiologie: Demyelinisierende Neuropathie In den Kriterien der AAN (American Academy of Neurology) für eine CIDP werden zusätzlich zur passenden Klinik elektrophysiologische Kriterien sowie die Liquoruntersuchung und eine allfällige Biopsie genannt [Report from an ad hoc subcommittee of the AAN, 1991]. Die wichtigste Zusatzuntersuchung ist die Elektrophysiologie, die zwingend zur Diagnosestellung einer CIDP ist. Elektrophysiologie bei der CIDP: Vergleichbar mit dem GBS (siehe auch dort) können ebenfalls bei der CIDP im Wesentlichen 4 elektrophysiologische Merkmale einer multifokalen und/oder diffusen segmentalen Demyelinisierungmotorischer und sensibler Nervenfasren beobachtet werden: Leitungsblock, meist partiell, selten komplett Nervenleitgeschwindigkeitsverlangsamung, fokal oder diffus Temporale Dispersion des motorischen Summenpotentiales Verzögerte oder fehlende Spätantworten (F-Antwort), Zeichen der ektopen Erregungsbildung entlang des Axons mit (multiplen) A-Wellen Die EFNS hat in ihren Guidelines die elektrophysiologischen Kriterien zu Diagnose einer sicheren, wahrscheinlichen und möglichen CIDP festgelegt [EFNS TASK FORCE/CME ARTICLE. European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society Guideline on management of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: Report of a joint task force of the European Federation of Neurological Societies and the Peripheral Nerve Society — First Revision. European Journal of Neurology 2010, 17: 356–363] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

57 Klinik: Zusatzuntersuchungen CIDP/2
5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen (CIDP) Klinik: Zusatzuntersuchungen CIDP/2 Mögliche Zusatzuntersuchungen Liquoruntersuchung Eiweisserhöhung Zellzahl <10/mm3 Nervenbiopsie (heute kaum je indiziert !) Nachweis von De- und Remyelinisierung, Infiltrate (teased fiber analysis oder Elektronenmikroskopie) MRI (Arm- / Beinplexus): Nervenstrangverdickung, KM-Aufnahme Weitere mögliche Zusatzuntersuchungen: Liquoruntersuchung typischerweise Eiweisserhöhung mit gleichzeitiger Zellzahl <10/mm3 – zytoalbuminäre Dissoziation erhöhter IgG-Index (10% der Fälle) Nervenbiopsie (heutzutage bei Verdacht auf CIDP kaum je indiziert !) Nachweis von De- und Remyelinisierung (teased fiber analysis oder Elektronenmikroskopie) Bild: Invadierende aktivierte T-Lymphozyten (Pfeile) vorwiegend in perivaskulären Infiltraten des Epi- und Perineuriums möglicherweise kein zusätzlicher diagnostischer Wert der Suralisbiopsie [Molenaar et al., 1998] Gefahr des „sampling errors“ MRI Nachweis verdickter Nervenstränge im Arm- und oder Beinplexus mit KM-Aufnahme als Ausdruck der entzündlich veränderten Blut-Nervenschranke Gadolinium-Anreicherung im MRT der Spinalwurzeln oder des Plexus brachialis/lumbalis bei ca. 2/3 der Patienten. Dies kann als unterstützendes Kriterium für die Diagnose verwendet werden [Midroni et al., 1999 und Eurelings et al., 2001]. Allerdings besteht keine gute Korrelation zwischen der klinischen Aktivität und dem MRI. [Köller et al., 2003] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

58 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

59 Diagnose CIDP/1 AAN Kriterien Klinisches Bild
6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP) Diagnose CIDP/1 AAN Kriterien Klinisches Bild Motorische Dysfunktion, sensorische Dysfunktion von >1 Extremität, oder beides Zeitverlauf ≥2 Monate Reflexstatus Vermindert oder fehlend Elektrophysiologie 3 von 4 Kriterien: partieller Leitungsblock an ≥1 motorischen Nerven verminderte NLG an ≥2 motorischen Nerven verlängerte DML an ≥2 Nerven oder verlängerte F-Wellen-Latenzen an ≥2 motorischen Nerven oder F-Wellen-Verlust Liquor Zellzahl <10/mm3, negativer VDRL Test, erhöhtes Eiweiss (unterstütztend) Nervenbiopsie Hinweise auf De- und Remyelinisierung Relevante Übersichtsartikel: EFNS TASK FORCE/CME ARTICLE. European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society Guideline on management of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: Report of a joint task force of the European Federation of Neurological Societies and the Peripheral Nerve Society — First Revision. European Journal of Neurology 2010, 17: 356–363. Vallat JM, Sommer C. Chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: diagnostic and therapeutic challenges for a treatable condition. Lancet Neurol 2010; 9: 402–12 [adaptiert aus Stangel et al., 2011] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

60 6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP)
Modifikationsvorschläge der CIDP-Kriterien gemäss Sapperstein und der INCAT-Gruppe Kriterien nach Saperstein INCAT Kriterien Klinisches Bild Hauptkriterium: symmetrische proximale oder distale Paresen; Nebenkriterium: ausschliesslich distale Paresen oder Sensibilitätsstörung Progrediente oder schubförmige motorische und sensorische Dysfunktion an ≥1 Extremität Zeitverlauf ≥2 Monate >2 Monate Reflexstatus Vermindert oder fehlend Elektro-physiologie 2 der elektrophysiologischen Kriterien der AAN Partieller Leitungsblock von ≥2 motorischen Nerven und gestörte NLG oder DML oder verzögerte F-Wellen in anderem Nerv; oder, falls kein partieller Leitungsblock vorliegt, reduzierte NLG, DML oder F-Wellenlatenz in 3 motorischen Nerven; oder elektrophysiologische Veränderungen, die auf eine Demyelinisierung in 2 Nerven hindeuten und histologische Evidenz für Demyelinisierung Liquor Zellzahl <10/mm3, erhöhtes Eiweiss >0.45 g/d (unterstützend) Untersuchung empfohlen, jedoch nicht verpflichtend Nerven-biopsie Vorwiegend Zeichen der Demyelinisierung; Entzündung (nicht zwingend erforderlich) Nicht zwingend (Ausnahme sind Fälle mit elektrophysio-logischen Veränderung in nur 2 motorischen Nerven) Änderungsvorschlag durch Saperstein et al., 2001 [Saperstein et al., 2001] Formulierung für die INCAT (Inflammatory Neuropathy Cause and Treatment) - Gruppe von Kriterien für die Diagnose einer CIDP als Einschlusskriterium für Therapiestudien durch Hughes et al., 2001 [Hughes et al., 2001] Es stellt sich die Frage, warum die „Ad-Hoc-Kriterien“ (mit Bezug auf den „Report from an ad hoc subcommittee of the AAN“ aus dem Jahr 1991 und die Modifikation von Saperstein [Saperstein et al., 2001]) durch die „INCAT-Kriterien“ konkurrenziert werden. Der Grund dafür liegt in der strengen Formulierung der „Ad-Hoc-Kriterien“, mit denen sich eine Diagnose einer CIDP seltener stellen lässt. [adaptiert aus Stangel et al., 2011] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

61 6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP)
Diagnose der CIDP im Alltag [Guidelines EFNS Task Force, 2010] Allgemein: Progressive oder schubförmige Polyneuropathie über mindestens 2 Monate Nicht genetisch bedingt Ausschluss einer Paraproteinämie Klinik: Symmetrischer Beginn oder Symptomatik bei der Untersuchung symmetrisch Schwäche aller 4 Extremitäten Mindestens eine Extremität mit proximaler Schwäche Positive sensorische Symptome möglich Areflexie ohne Atrophie oder vornehmlich Verlust des Vibrationssinnes oder des Lagesinnes Für den Alltag bilden die „EFNS/PNS CIDP Guidelines“ eine gute Grundlage für die Diagnosestellung einer CIDP [EFNS Task Force, 2010]. Nebst der passenden Klinik wird mindestens ein elektrophysiologisches Kriterium gefordert. Je nach vorliegender Konstellation wird zwischen definitiver, wahrscheinlicher und möglicher CIDP unterschieden. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

62 6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP)
Diagnose der CIDP im Alltag [Guidelines EFNS Task Force, 2010] Neurophysiologisch (Elektroneurographie) (mindestens ein Kriterium obligat): An mindestens 2 Nerven distale Latenz um ≥50% der oberen Grenze (ausgenommen Carpaltunnelsyndrom) An 2 Nerven Reduktion der Nervenleitgeschwindigkeit um ≥30% der unteren Grenze An mindestens 2 Nerven Verlängerung der F-Wellen Latenz um ≥30% der Obergrenze Fehlen von F-Wellen an 2 Nerven (mit negativem CMAP) und mindestens ein anderer Parameter der Demyelinisierung an einem anderen Nerven An 2 Nerven partieller Leitungsblock (Verminderung der Amplitude ≥50%) oder nur an einem Nerv sowie zusätzlich auf eine Demyelinisierung hinweisender Parameter an einem anderen Nerven An mindestens 2 Nerven abnormale zeitliche Dispersion (≥30% Zunahme der Dauer zwischen proximalem und distalem negativen Peak des CMAP) Zunahme der Dauer des distalen CMAP an mindestens einem Nerven Für den Alltag bilden die „EFNS/PNS CIDP Guidelines“ eine gute Grundlage für die Diagnosestellung einer CIDP [EFNS Task Force, 2010]. Nebst der passenden Klinik wird mindestens ein elektrophysiologisches Kriterium gefordert. Je nach vorliegender Konstellation wird zwischen definitiver, wahrscheinlicher und möglicher CIDP unterschieden. Es wird generell empfohlen mit den Neurographien „nicht zu sparen“, d.h. mindestes einen Nerven (sensibel und motorisch) an jeder Extremität, also mindestens 4 Nerven, besser 6-8, auszumessen. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

63 6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP)
Diagnose der CIDP im Alltag [Guidelines EFNS Task Force, 2010] Weitere Zusatzdiagnostik (unterstützende Kriterien): Liquoruntersuchung, nicht obligat Nervenbiopsie mit makropahgenassoziierter Demyelinisierung, Zwiebelschalenformationen und endoneuralem Ödem, nicht obligat MRI der Spinalwurzeln oder des Plexus brachialis/lumbalis, nicht obligat mit Gadolinium-Anreicherung bei ca. 2/3 der Patienten; eine relevante Hypertrophie der Nervenwurzeln oder des Plexus sind selten Nebst dem Liquorbefund und einer allfälligen Nervenbiopsie gilt auch das MRI der Spinalwurzeln oder des Plexus brachialis/lumbalis als nicht obligates Kriterium, das die Diagnose unterstützen kann [Guidelines EFNS Task Force, 2010]. Bei CIDP Patienten ist das MRI oft normal. Allerdings kann es teilweise zu einer Hypertrophie der Nervenwurzeln kommen. Die wiederholte De- und Remyelinisierung kann zu einer deutlichen Vergrösserung der spinalen Nerven und der Nervenwurzeln führen. Eine relevante Hypertrophie mit Kompression des Rückenmarks ist allerdings selten [Freitas et al., 2005]. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

64 6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP)
Diagnose der CIDP im Alltag [Guidelines EFNS Task Force, 2010] MRI T1-Sequenzen mit Kontrastmittel: Hypertrophie der zervikalen Nervenwurzeln (gepunkteter Pfeil in A und B: Rückenmark; weisse Pfeile in A und B: Nervenwurzeln) und Hypertrophie des Plexus brachialis (weisse Pfeile in C) [Echaniz-Laguna et al., 2009] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

65 Wichtige Differentialdiagnosen CIDP/1
6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP) Wichtige Differentialdiagnosen CIDP/1 Beispiele Bemerkung Hereditäre Neuropathien Hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckläsionen (HNPP) Familienanamnese, oft reversible Ausfälle, kein Ansprechen auf immunmodulierende Therapien. bei Bedarf DNA-Analyse Hereditäre motorisch sensible Neuropathie (HMSN) Typ I HMSN Typ III Autoimmune Neuropathien Guillain-Barré-Syndrom (AIDP) Lumbalpunktion, Elektrophysiologie, Zeitdauer und Zeitverlauf der Symptome Multifokale motorische Neuropathie, MADSAM, andere Varianten der CIDP Distale erworbene demyelinisierende sensorische Neuropathie (DADS) Hämatologische Erkrankungen Polyneuropathie mit monoklonaler IgM-Gammopathie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein) Serumeiweisselektrophorese, Bestimmung von anti-MAG bei IgM-MGUS Neuromuskuläre Erkrankungen Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) Keine sensiblen Symptome; Elektrophysiologie; Bestimmung von Antikörpern (VGCC), Tumorsuche Die CIDP hat viele Differentialdiagnosen. Einige wichtige davon, an die in den differentialdiagnostischen Überlegungen zuerst gedacht werden sollte, sind: Hereditäre Neuropathien Andere autoimmune Neuropathien (insbesondere GBS, MMN, MADSAM und DADS) Polyneuropathie mit Anti-MAG-Antikörpern Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) [adaptiert aus Köller et al., 2003 und 2005 sowie Baumann et al., 2007] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

66 Seltenere Differentialdiagnosen CIDP/2
6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP) Seltenere Differentialdiagnosen CIDP/2 Beispiele Bemerkung Metabolische Neuropathien Diabetes mellitus, Hepatopathie, Urämie, Hypothyreose, Porphyrie, Akromegalie Laboranalyse mit Glucose, Nieren- und Leberwerten, Schilddrüsenparameter, Urin Neuropathien bei infektiösen Erkrankungen Borreliose, Hepatitis C (HCV), HIV, Lepra, Diphterie, chronisch aktive Hepatitis Borreliosetiter, bei jungen Patienten HIV und HCV, bei Migranten ev. Lepra suchen Neuropathien bei entzünd-lichen System-erkrankungen Vaskulitiden, Kollagenosen, Sarkoidose, SLE, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Rheumatoide Arthritis ANA, ANCA, weitere Parameter je nach Klinik, Rx-Thorax Hämatologische Erkrankungen Monoklonale Gammopatie unklarer Signifikanz (MGUS), Lymphome, Knochenmarkstransplantationen, Graft-versus-host-Krankheit, (osteosklerotische) Myelome, POEMS-Syndrom, Castleman-Syndrom Elektrophorese mit Ig-Typisierung, Myelom suchen, Elektrophysiologie, endokrinologische Untersuchungen, Hautbefund In den erweiterten differentialdiagnostischen Überlegungen müssen auch metabolische, infektiöse, entzündliche und paraneoplastische Erkrankungen nebst hämatologischen, nutritiven und toxischen Ursachen berücksichtigt werden. [adaptiert aus Köller et al., 2003 und 2005 sowie Baumann et al., 2007] [adaptiert aus Köller et al., 2003 und 2005 sowie Baumann et al., 2007] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

67 Seltenere Differentialdiagnosen CIDP/3
6. Diagnose und Differentialdiagnose (CIDP) Seltenere Differentialdiagnosen CIDP/3 Beispiele Bemerkung Nutritive Neuropathien Vitamin-Mangelzustände: vor allem B12, B1, B6, Niacin, E Hypervitaminose B6 Alkoholanamnese (B-Vitamine), Laborbestim-mung der Vitamine, Methylmalonsäure Toxische Neuropathien Medikamente (Amiodaron, Virostatika, Chemotherapeutika, Isoniazid, Chloroquin, Tacrolimus), Alkohol, Metalle (Quecksilber, Blei) Anamnese (Noxen, Medikamente), ev. Leberparameter, Bestimmung von Desialotransferrin (CDT), stärker axonale als demyelinisierende Beteiligung Critical-illness Neuropathie Polyneuropathie assoziiert mit Sepsis, Multiorganversagen, Beatmung >2 Wochen Elektrophysiologisch axonaler Schaden Paraneo-plastische Neuropathien Assoziation mit Lymphomen und Karzinomen Primärtumor suchen, paraneoplastische Antikörper, Neuropathie eher axonal Myopathien Polymyositis, Dermatmyositis Keine sensiblen Symptome Elektrophysiologische Untersuchung [adaptiert aus Köller et al., 2003 und 2005 sowie Baumann et al., 2007] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

68 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

69 Etablierte Therapien CIDP/1
7. Therapie (CIDP) Etablierte Therapien CIDP/1 i.v. Immunglobuline (IVIG) Kortikosteroide Plasmapherese Wirksam-keit vergleichbar mit Kortikosteroiden und Plasmapherese vergleichbar mit IVIG und Plasmapherese vergleichbar mit IVIG und Kortikosteroiden Evidenz gut Therapie-dauer z. B. Induktionstherapie mit 2g/kg KG (verteilt über 2 bis 5 Tage), anschliessend Erhaltungstherapie mit 1g/kg KG alle 2 bis 4 Wochen für 3 Monate in der Regel mg/kg KG (z.B. über 4 Wochen mit anschliessender stufenweiser Reduktion), Pulstherapie möglich üblicherweise 4 bis 7 Sitzungen, jeden 2. Tag in der Akuttherapie, anschliessend langsame Reduktion über Monate [Hahn et al., 1996] Verfüg-barkeit Peripher venöser Zugang. In allen Spitälern, evtl. ambulant problemlos, ambulant (zentral) venöser Zugang, spezialisierte Zentren, stationär Kinder Wahl 2. Wahl Kosten hoch tief Neben-wirkungen selten dosisabhängig Häufiger als bei IVIG, sorgfältige Patientenauswahl. CAVE: Rebound-Effekt nach Absetzen Infektrisiko keines bei Langzeittherapie vorhanden höher im Vergleich zu IVIG Drei durch gute Studien evidenz-basierte Therapien, mit äquivalenter Effizienz [Sederholm, 2010]: i.v. Immunglobuline (IVIG) – sieben randomisierte Studien zusammengefasst in [Eftimov et al., 2009], Therapiedosierung z.B. mit Induktionstherapie von 2g/kg KG mit nachfolgender Gabe von 1g/kg KG alle 3 Wochen [Hughes et al., 2008] Kortikosteroide [Dyck et al., 1982] Plasmapherese (insbesondere bei schweren Verläufen, [Dyck et al., 1986 und Hahn et al., 1996]) – initial üblicherweise Durchführung von 4 bis 5 Sitzungen jeden 2. Tag [Hahn et al., 1996]; teilweise werden für die ersten 3 Tage auch tägliche Therapien durchgeführt (Expertenmeinung). Anschliessend je nach klinischem Verlauf Reduktion der Sitzungen über Monate [Hahn et al., 1996] Kein signifikanter Unterschied der drei Behandlungsoptionen Bei allen 3 gibt es aber ca. 20 % „non-responders“ Kontraindikationen und Nebenwirkungen, welche die Auswahl der Therapie beeinflussen [adaptiert gemäss Müllges et al., 2010]: Plasmapherese: Kontraindikation Neigung zu Lungenödem, Herzinsuffizienz transfusionsbezogenes akutes Lungenversagen Fibrinogenmangel (wird verbraucht bei Plasmapherese) NW Pneumothorax, Luftembolie Venenthrombose, Kathetersepsis (bei Zentralvenenkatheter) Kreislaufinstabilität, Volumenschwankungen, Hypotonie -> Cave:Herzinfarkt Hypokalzämie Allergie gegen Albumin Rebound-Effekt nach Absetzen IVIG: KI Nierensinsuffizienz IgA-Mangel (eindeutige Kontraindikation!), Prävalenz 1 : 300, Anaphylaxie durch wiederholte IVIG-Gabe Lungenödem bei zu rascher Infusion 10% der Patienten: Kopfschmerz (aseptische Meningitis), Thrombose, Lungenembolie Niereninsuffizienz, allergische Reaktionen (vorwiegend der Haut) (Viele sind abhängig von der Infusionsgeschwindigkeit (Dosis pro Zeit)) Kortikosteroide (insbesondere Langzeit-Nebenwirkungen): Osteoporose Magenschleimhautentzündung und Magenulcus Ödeme und Gewichtszunahme Mondgesicht Appetitsteigerung mit Gewichtszunahme Muskelschwäche Hautveränderungen psychische Reaktionen IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

70 Etablierte Therapien CIDP/2
7. Therapie (CIDP) Etablierte Therapien CIDP/2 Kombination der 3 genannten Haupttherapien untereinander (IVIG, Kortikosteroide, Plasmapherese) möglich Therapiewechsel bei fehlender oder ungenügender Antwort ist sinnvoll Ansprechen auf eine Erstbehandlung der drei Haupttherapie bei je ca. 2/3 der Patienten. Non-Responder haben eine 2/3-Chance, auf einen Therapiewechsel auf einer der zwei verbleibenden Behandlungsmöglichkeiten anzusprechen. Die drei Haupttherapien sind kombinierbar. In einer retrospektiven Analyse wurde gezeigt, dass 69% auf die Erstbehandlung (Steroide, IVIG oder Plasmapherese) ansprachen. Die Responder-Rate konnte auf 81% erhöht werden, wenn die Behandlung bei den Non-Respondern der Erstbehandlung auf eine der zwei verbleibenden Behandlungsmöglichkeiten gewechselt wurde [Cocito et al., 2010; Brannagan 2009]. [Cocito et al., 2010] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

71 Etablierte Therapien CIDP/3
7. Therapie (CIDP) Etablierte Therapien CIDP/3 Früher Therapiebeginn Verhinderung fortlaufender Demyelinisierung sowie sekundärer axonaler Schäden Gängiges Vorgehen in der Praxis im Verlauf: Steroide kleine Erhaltungsdosis mit <10 mg/d (Cushingschwelle) IVIG alle 3 bis 6 Wochen + In der Praxis wird oft eine Kombinationstherapie mit tiefdosierten täglichen Kortikosteroiden (möglichst unterhalb der Cushingschwelle) und einer intravenösen Immunglobulintherapie mit einem Behandlungsintervall von 3-6 Wochen angewendet. Azathioprin zusätzlich zu Steroiden erbringt keinen weiteren Effekt [Dyck et al., 1985]. [in Anlehnung an die Leitlinien der DGN, Diener et al., 2008] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

72 Alternative und experimentelle Therapien CIDP/1
7. Therapie (CIDP) Alternative und experimentelle Therapien CIDP/1 In Fällen erfolgloser Behandlung mit den drei Haupttherapien können Reservetherapien eingesetzt werden. Für alle diese Medikamente gibt es keine studien-basierte Evidenz einer Wirksamkeit, sondern bestenfalls kleine offenen Serien. In der Literatur wurden folgende Substanzen als teilweise wirksam berichtet (oft in Kombination mit den drei Haupttherapien): Mögliche Wirksamkeit (Hauptreservemedikationen): Cyclophosphamid Wirksamkeit bei CIDP vermutet aufgrund folgender Studien: [Good et al., 1998; Brannagan et al., 2002 und Gladstone et al., 2005], Beweis noch ausstehend Bevorzugtes Therapieregime mit intravenöser Pulstherapie (z.B. 600 mg/kg 1x pro Monat für 6 Monate) Ciclosporin A Wirksamkeit bei CIDP vermutet aufgrund folgender Studien: [Matsuda et al., 2004 und Odaka et al., 2005] Beginn mit bis zu 7 mg/kg täglich, anschliessende Zieldosis 2-5 mg/kg mit Monitoring mittels Talspiegel: je nach Krankheitsaktivität Zielwerte um ng/ml (in Ausnahmefällen bis 300 ng/ml) Als Hauptreservemedikation kommen in erster Linie Cyclophosphamid und Ciclosporin A [Good, 1998; Brannagan, 2002; Brannagan, 2010; Gladstone, 2005; Matsuda, 2004; Odaka, 2005] in Frage (Nebenwirkungen beachten). Ciclosporin A kann als Monotherapie oder als add-on-Therapie zu tiefdosierter Steroidtherapie und/oder IVIG eingesetzt werden. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

73 Alternative und experimentelle Therapien CIDP/2
7. Therapie (CIDP) Alternative und experimentelle Therapien CIDP/2 Weniger gute Hinweise für Wirksamkeit Mycophenolat mofetil Möglicherweise bei einem Teil der therapierefraktären Patienten wirksam [Bedi et al., 2010; Radziwill et al., 2006] Rituximab Fast ausschliesslich negative Fall-Kontroll-Studien; möglicherweise bei Patienten mit hämatologischer Begleiterkrankung eine Therapieoption [Benedetti et al., 2011] Azathioprin Negative prospektive randomisierte Studie [Dyck et al., 1985] Methotrexat Kein signifikanter Behandlungseffekt in einer plazebokontrollierten Studie, 15 mg wöchentlich für 32 Wochen [RMC Trial Group, 2009] Interferon-beta Keine Wirksamkeit in zwei Studien [Hadden et al., 1999 und Hughes et al., 2010] Natalizumab Fallbericht mit negativem Resultat [Wolf et al., 2010] Alemtuzumab Klinische Verbesserungen in einer kleinen Serie beschrieben, jedoch wegen schweren potentiellen Nebenwirkungen nicht geeignet [Marsh et al., 2010] Stammzelltransplantation Erfolgreiche Einzelfälle beschrieben [Mahdi-Rogers et al., 2009 und Oyama et al., 2007] Weniger gute Hinweise für Wirksamkeit: Die Evidenz für weitere Therapiemöglichkeiten der CIDP ist spärlich. Mycophenolat mofetil ist möglicherweise bei einem Teil der therapierefraktären Patienten wirksam [Bedi et al., 2010; Radziwill et al., 2006]. Methotrexat ist erwiesenermassen nicht wirksam. Mit Rituximab, Azathioprin, Interferon-beta, Natalizumab und Alemtuzumab fanden sich kaum erfolgsversprechende Behandlungsalternativen (Literaturangaben siehe oben). Für die Stammzelltransplantation sind einzelne erfolgreiche Fälle beschrieben [Mahdi-Rogers et al., 2009 und Oyama et al., 2007]. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

74 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

75 8. Prognose (CIDP) Prognose CIDP 60-80% der Patienten verbessern sich unter einer der drei Haupttherapien. Langzeitprognose jedoch abhängig vom Zeitpunkt des Therapiebeginns, dem bereits bestehenden axonalen Schaden und dem Therapieansprechen. Verlauf: Insgesamt sehr heterogener Verlauf Monophasisch und anschliessend stabil (7-50% [Vallat et al., 2010]) Chronisch progredient (ca. 45%) Chronisch remittierend (20-35%) Ältere eher mit progressivem, jüngere Patienten eher mit schubförmigem Verlauf IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

76 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

77 9. Ausblick (CIDP) Ausblick CIDP Subkutane Immunglobulintherapie als neue wirksame Behandlungsmöglichkeit [Eftimov, 2009; Harbo, 2009; Köller, 2006; Lee, 2008] Subkutane Immunglobulintherapie - noch keine kontrollierten Studien vorliegend in Zukunft möglicherweise subkutane Applikation aufgrund der geringeren Kosten und der Möglichkeit für die Patienten, die Therapie zu Hause zu applizieren IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

78 Inhalt – CIDP Definition 45 Epidemiologie 47 Klassifikation 49
Pathophysiologie 53 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 55 Diagnose und Differentialdiagnose 59 Therapie 69 Prognose 75 Ausblick 77 Referenzen 79 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

79 Referenzen CIDP/1 10. Referenzen (CIDP)
Ad Hoc Committee of the AAN AIDS Task Force. Neurology 1991;41:617-8 Alaedini A et al. Arch Neurol 2003;60:42-6 Asbury AK et al. Ann Neurol 1978;3:565-6 Austin JH. Brain 1958;81: Baumann A, Sturzenegger M. Chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) – eine behandelbare Polyneuropathie mit klinischen Facetten. Schweiz Med Forum 2007;7:910–915 Bedi G et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2010;81: Benedetti L et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2011;82: Brannagan TH et al. Neurology 2002;58: Brannagan TH. Current treatment of chronic immune-mediated demyelinating polyneuropathies. Muscle Nerve : 563–57. Cocito D et al. Eur J Neurol 2010;17: Diener et al. Leitlinien DGN 2008 Dyck PJ et al. Ann Neurol 1982;11: Dyck PJ et al. Neurology 1985;35: Dyck PJ et al. N Engl J Med 1986;314:461-5 Echaniz-Laguna A et al. Neurology 2009;72(24):e121 EFNS guidelines for the use of intravenous immunoglobulin in treatment of neurological diseases EFNS task force on the use of intravenous immunoglobulin in treatment of neurological diseases. European Journal of Neurology 2008, 15: 893–908 EFNS TASK FORCE/CME ARTICLE. European Federation of Neurological Societies/Peripheral Nerve Society Guideline on management of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: Report of a joint task force of the European Federation of Neurological Societies and the Peripheral Nerve Society — First Revision. European Journal of Neurology 2010, 17: 356–363. Eftimov F et al. Cochrane Database Syst Rev 2009 Jan 21;(1):CD Eurelings M et al. Muscle Nerve 2001;24: Freitas MR et al. Arq Neuropsiquiatr 2005;63:666-9 Gladstone et al., 2005 Good JL et al. Neurology 1998;51: Hadden RD et al. Neurology 1999;53:57-61 Hahn AF et al. Brain 1996;119: Harbo T et al. Eur J Neurol 2009;16:631-8 Die wichtigsten Referenzen sind fett markiert. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

80 Referenzen CIDP/2 10. Referenzen (CIDP)
Hufschmidt A et al. Neurologie compact 2008: 438 Hughes RA et al. Neurology 2010;74: Hughes RA et al. Lancet Neurol 2008;7: Hughes R et al. Ann Neurol 2001;50: Köller H et al. N Engl J Med 2005;352: Köller H et al. J Neurol 2006;253: Lee H-H et al. Muscle Nerve 2008;37:406-9 Lunn MP et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1999;66: Marsh EA et al. J neurol 2010;257: Mahdi-Rogers M et al. J Peripher Nerv Syst 2009;14: Matsuda M et al. J Neurol Sci 2004;224:29-35 McLeod JG et al. Ann Neurol 1999;46:910-3 Midroni G et al. J Neurol Sci 1999; 170:36-44 Molenaar DS et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1998;64:84-9 Odaka M et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005;76: Oh SJ et al. Neurology 2003;61: Oyama Y et al. Neurology 2007;69: Radziwill AJ et al. Eur Neurol 2006;56:37-38 Rotta FT et al. J Neurol Sci 2000;173(2): RMC Trial Group. Lancet Neurol 2009;8: Saperstein DS et al. Muscle Nerve 2001;24: Sederholm BH. Treatment of Chronic Immune-mediated Neuropathies: Chronic Inflammatory Demyelinating Polyradiculoneuropathy, Multifocal Motor Neuropathy, and the Lewis- Sumner Syndrome. Semin Neurol 2010;30:443–456. Stangel M et al. Akt Neurol 2011;38: Tracy JA, Dyck JP. Investigations and treatment of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy and other inflammatory demyelinating polyneuropathies. Current Opinion in Neurology 2010, 23:242–248. Vallat JM, Sommer C. Chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: diagnostic and therapeutic challenges for a treatable condition. Lancet Neurol 2010; 9: 402–12 Wolf C et al. Arch Neurol 2010;67: Die wichtigsten Referenzen sind fett markiert. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

81 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Immunogene Neuropathien – Definition 04 Akut: Guillain-Barré-Syndrom (GBS) und Varianten 08 Chronisch: Chronische Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) 44 und Multifokale Motorische Neuropathie (MMN) als Variante der CIDP 82 Es werden bei den Chronischen inflammatorischen Neuropathien die klassische (und weitaus häufigste) Form der Chronisch Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) und mehrere klinisch und elektrophysiologische Varianten unterschieden, wobei es immer auch Mischformen geben kann. Als Varianten der Chronischen Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie sind in erster Linie die Multifokale Motorische Neuropathie (MMN), die Polyneuropahtie mit Anti-MAG (Myelin-assoziiertes Glykoprotein)-Aktivität, das POEMS-Syndrom (Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, M-Komponente, Hautveränderung (skin)) sowie die Multifokale Erworbene Demyelinisierende Sensorische Und Motorische Neuropathie (MADSAM oder Lewis Sumner Syndrom) zu nennen. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

82 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

83 Definition MMN Chronische immunogene Neuropathien
Multifokale motorische Neuropathie (MMN): Rein motorische Mononeuropathia multiplex Elektrophysiologisch: rein motorische partielle Leitungsblöcke an atypischen Stellen Die multifokale motorische Neuropathie (MMN) ist eine seltene erworbene und langsam progrediente Erkrankung des peripheren Nervensystems, deren Ätiopathogenese bisher nicht vollständig geklärt werden konnte. Am ehesten kommt eine autoimmune Genese in Frage. Das Krankheitsbild wurde 1985/86 erstmals beschrieben und 1988 in der Literatur mit dem Begriff MMN aufgeführt [Pestronk et al., 1988]. Die MMN ist durch eine asymmetrische fokale Schwäche einer Muskelgruppe, initial typischerweise ohne und Muskelatrophie charakterisiert, die häufiger die Arme als die Beine betrifft. Der Verlauf ist zumeist langsam chronisch progredient und es kann zu zunehmenden Muskelatrophien kommen da im jahrelangen Verlauf (vor allem wenn zu spät oder unbehandelt) zunehmend auch die motorischen Axone geschädigt werden IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

84 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

85 Epidemiologie MMN Multifokale motorische Neuropathie (MMN):
1-2 Patienten pro 100‘000 Einwohner Beginn zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr in 80% der Fälle : = 1 : 2.7 Die MMN ist mit einer geschätzten Prävalenz von 1-2 Fällen pro 100‘000 Einwohner eine seltene Erkrankung [Nobile-Orazio et al., 2001]. Männer sind bei dieser Erkrankung etwa 2.7 mal häufiger betroffen als Frauen [Cats et al., 2010]. Ungefähr 80% der MMN-Patienten erkranken zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. [Nobile-Orazio E et al., 2001 und Cats et al., 2010] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

86 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

87 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

88 Pathophysiologie MMN 4. Pathophysiologie (MMN) IMMUNOGENE NEUROPATHIEN
Die Ätiologie der MMN ist unbekannt. Für eine Immunneuropathie sprechen: - Klinisch deutliche Besserung unter einer Therapie mit IVIG oder anderen immunsupprimierenden Substanzen teilweise Assoziation mit GM1-Antikörpern (jedoch unklare pathogenetische Bedeutung), ca. 50% der Patienten mit MMN weisen keine GM1-Antikörper auf [Nobile-Orazio et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

89 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

90 Klinik: Anamnese und Befunde MMN
5. Klinik: Anamnese, Befunde und Zusatzuntersuchungen (MMN) Klinik: Anamnese und Befunde MMN Klinische Beispiele einer MMN Rein motorische Ulnarisparese links. Atrophie der intrinsischen Handmuskulatur (vor allem Musculus interosseus dorsalis I). Radialisparese links. Schwerste Parese und Atrophie (Pfeil) der Handgelenk- und Fingerextensoren sowie des Musculus triceps (auf dem Bild nicht sichtbar) nach jahrzehntelangem Verlauf. Anamnese: Langsam progrediente asymmetrische Schwäche ohne sensible Ausfälle Typischerweise verminderter Faustschluss, Fallhand oder Fussheberschwäche [Nobile-Orazio et al., 2001] Befunde: Paresen - betreffen die oberen Extremitäten (70 %) häufiger als die unteren - distale Paresen (Muskelgruppen) häufiger als proximale Asymmetrische Paresen, zuerst einzelner fokaler Befund, im Verlauf multifokale Paresen (z.B. Fallhand und Fussheberparese) Motorisches Innervationsareal eines peripheren (motorischen) Nervs Nn. radialis, medianus, ulnaris und peronaeus communis am häufigsten betroffen (und in dieser Reihenfoge der Häufigkeit) Keine Sensibilitätsausfälle Subjektive Parästhesien („Ameisenlaufen“) möglich (bis 20%) Muskelkrämpfe möglich, kaum Schmerzen Muskeltrophik initial normal, im späteren Verlauf Atrophien Muskeleigenreflexe im Bereich der entsprechenden Nerven meist abgeschwächt oder fehlend Faszikulationen können auftreten [Fischer et al., 2002; Lunn et al., 2009; Gold et al., 2005] [Baumann et al., 2006] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

91 Klinik: Zusatzuntersuchungen MMN - Elektroneurographie
5. Klinik: Anamnese, Befunde und Zusatzuntersuchungen (MMN) Klinik: Zusatzuntersuchungen MMN - Elektroneurographie Typischer Befund der MMN Nervenleitungsblock an atypischer Stelle NERVEN- LEITUNGS- BLOCK (Amplitudensprung) Zusatzuntersuchungen: Elektrophysiologie: Nervenleitungsblöcke in den motorischen Neurographien, häufig N. radialis, N. ulnaris und N. medianus NLB an atypischer stelle, d.h. ausserhalb der bekannten Engpässe (Karpalkanal, Sulkus ulnaris) Sensible Neurographien normal Laboruntersuchung und Liquordiagnostik: Liquorbefund typischerweise normal Anti-GM1-Antikörper als Hinweis auf eine MMN (jedoch nicht obligat und nicht prognostisch wegweisend) [EFNS/PNS Guideline on management of multifocal motor neuropathy, 2010] Biopsie des Nervus suralis nicht indiziert [Nobile-Orazio et al., 2005] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

92 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

93 Diagnose MMN Definitive MMN Wahrscheinliche MMN
6. Diagnose und Differentialdiagnose (MMN) Diagnose MMN Definitive MMN Wahrscheinliche MMN 1. Langsame oder schubweise Schwäche ohne objektive Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet von mindestens 2 Nerven über >1 Monat. Wenn nur ein Nerv betroffen: Wahrscheinliche MMN. 2. Keine objektivierbare Sensibilitätsstörung ausser reduziertem Vibrationsempfinden an den Beinen. 3. Sicherer Leitungsblock ausserhalb physiologischer Engstellen an mind. 2 Nerven. 3. Wahrscheinlicher Leitungsblock (ausserhalb physiologischer Engestellen an mind. 2 Nerven ODER ein sicherer und ein wahrscheinlicher Leitungsblock an unterschiedlichen Nerven. 4. Normale sensible Neurographie im Abschnitt des motorischen Leitungsblocks. 5. Unterstützende Kriterien: Betonung an den Armen, MER abgeschwächt, keine Beteiligung der Hirnnerven, Crampi und Faszikulationen in betroffenen Muskeln, positives Ansprechen auf IVIG. 6. Ausschlusskriterien: Pyramidenbahnzeichen, deutliche bulbäre Beteiligung, deutliche sensible Defizite, generalisierte symmetrische Schwäche in den ersten Wochen. Neben der passenden Klinik mit zwei obligaten Hauptkriterien (Punkt 1 und 2) muss für die Diagnose einer MMN der elektrophysiologische Nachweis eines Leitungsblocks an mindestens zwei Nerven vorliegen. Zusätzlich finden sich eine Reihe von unterstützenden Kriterien (Punkt 5) und Ausschlusskriterien (Punkt 6). [adaptiert aus EFNS/PNS Guideline on management of multifocal motor neuropathy, 2010] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

94 Differentialdiagnose MMN/1
6. Diagnose und Differentialdiagnose (MMN) Differentialdiagnose MMN/1 MMN MADSAM SMA ALS Befall des unteren Motoneurons Asymmetrisch, fokal, multifokal Asymmetrisch Segmental, symmetrisch Beginn asymmetrisch, Verlauf symmetrisch Extremitätenbefall Obere > untere Variabel je nach Typ Obere = untere Distal > proximal Befall des oberen Motoneurons Nein Ja Sensible Störungen Bulbärer/ Hirnnervenbefall Selten Eine wichtige Differentialdiagnose der MMN stellt die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) dar [Bentes et al., 1999]. Bei beiden Erkrankungen treten progrediente Paresen, Muskelatrophien, Faszikulationen und Muskelkrämpfe auf. Die Paresen und rasch auftretenden Muskelatrophien sind bei der ALS aber deutlich rascher progredient. Eine Beteiligung der bulbären Muskulatur, ein höheres Erkrankungsalter sowie stärker ausgeprägte und allenfalls 1/- symmetrische Atrophien sprechen dagegen eher für eine ALS [Brooks et al., 1998]. Praktisch beweisend für eine ALS ist eine Mitbeteiligung des ersten Motoneurons oder der Ausschluss von neurographischen Leitungsblockierungen bei gleichzeitigem elektromyographischen Nachweis eines generalisierten, mehr als zwei Regionen betreffenden chronisch neurogenen Umbaus in der Nadelmyographie. Abkürzungen: MMN = Multifokale Motorische Neuropathie; MADSAM = Multifocal Acquired Demyelinating Sensory and Motor Neuropathy (Lewis-Summer-Syndrom); SMA = Spinale Muskelatrophie; ALS = Amyotrophische Lateralsklerose; NLG = Nervenleitgeschwindigkeit; MSP = Muskelsummenpotential [adaptiert aus Baumann et al., 2006] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

95 Differentialdiagnose MMN/2
6. Diagnose und Differentialdiagnose (MMN) Differentialdiagnose MMN/2 MMN MADSAM SMA ALS Motorische Neurographien Nervenleitungsblöcke Nervenleitungsblöckeverlangsamte NLG Normal (evtl. kleines MSP) Sensible Neurographien Normal Verlangsamte NLG Nadelmyographien (EMG) Neurogener Umbau Teilweise neurogener Schaden Faszikulationen, Riesenpotentiale Paraspinale Muskulatur (EMG) Ausgespart Unklar Mitbefallen Häufig mitbefallen Motorische evozierte Potentiale Normal, evtl. Hinweis auf proximalen Nervenleitungsblock Zentrales Leitungsdefizit Anti-GM1-Antikörper Bei 30-70% erhöht Nein Bei <15% erhöht Liquorprotein Evtl. hoch Medikamentöse Therapie (1. Wahl) IVIG Steroide Keine Riluzol (nur geringer Effekt) Weitere Differentialdiagnosen der MMN stellen die MADSAM und die SMA dar. Die MADSAM zeigt klassischerweise eine Mitbeteiligung der Sensibilität, während dies bei der MMN nicht der Fall ist. Bei hereditären Vorderhornerkrankungen wie die spinale Muskelatrophie (SMA) lassen sich klinisch in der Regel eine symmetrische und proximale Schwäche nachweisen im Gegensatz zur ALS und MMN. [adaptiert aus Baumann et al., 2006] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

96 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

97 Therapie MMN Therapie der Wahl
i.v. Immunglobuline (IVIG) [Feldman et al., 1991 und Carpo et al., 1998] Wirksamkeit Nachgewiesen [van Schaik et al., 2005], Ansprechrate bis 94% [Cats et al., 2010] Evidenz gut Dosis 2g/kg KG über 2 bis 5 Tage Erhaltungsdosis individuell sehr verschieden (z.B. 1g/kg alle 2-4 Wochen oder 2g/kg alle 4-8 Wochen) Kosten hoch Nebenwirkungen meist gute Toleranz des Medikaments Für die MMN ist die Therapie der Wahl und einzige evidenzbasierte Therapieform die Immunglobulin- Therapie intravenös (IVIG) oder subkutan (SCIG). [Meuth et al., 2010] Unter einer Behandlung mit IVIG sind unter anderem folgende Nebenwirkungen beschrieben: Leicht (meist vorübergehend): Malaise Übelkeit Kopfschmerzen Pruritus Hypotonie Kutane Reaktionen Schwer: Schlaganfall Nieren- oder Herzinsuffizienz Anaphylaxie Neutropenie Venöse oder arterielle Thrombosen (selten) IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

98 7. Therapie (MMN) Therapie MMN Keine randomisierten Studien zu Alternativen zur Therapie mit IVIG Kortikosteroide Keine Wirksamkeit, teilweise Verschlechterung [Feldman et al., 1991] Plasmapherese Keine Wirksamkeit, teilweise Verschlechterung [Carpo et al., 1998] Cyclophosphamid Stabilisierender Effekt dokumentiert [Umapathi et al., 2009], jedoch ungünstiges Nebenwirkungsprofil Rituximab Allenfalls Reservemedikation bei Eskalation unter IVIG, allerdings kontroverse Daten: teilweise Verbesserung [Stieglbauer et al., 2009], teilweise kein klarer Effekt [Chaudhry et al., 2010 und Gorson et al., 2007] Mycophenolat mofetil Wahrscheinlich keine Wirksamkeit bei MMN [Piepers et al., 2007] Methotrexat Nicht genügend Daten vorhanden Interferon-beta Bis jetzt kein relevanter Effekt nachgewiesen Stammzelltransplantation Einzelner Fallbericht ohne Wirksamkeit [Axelson et al., 2008] Im Gegensatz zur CIDP sind bei der MMN sowohl Steroide als auch die Plasmapherese typischerweise nicht wirksam. Patienten können sich unter diesen Therapien sogar verschlechtern [Nobile-Orazio et al., 2001; Van den Berg et al., 1997; Carpo et al., 1998]. Cyclophosphamid zeigte zwar einen stabilisierenden Effekt [Umapathi et al., 2009], jedoch besteht bei diesem Medikament ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil. Valable therapeutische Alternativen zur IVIG-Therapie bei der MMN sind zur Zeit nicht vorhanden [Meuth et al., 2010]. . IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

99 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

100 8. Prognose (MMN) Prognose MMN Unterschiedliche Prognosen, daher Diagnosestellung zu einem frühen Zeitpunkt wichtig Effiziente Behandlung (IVIG oder SCIG) in den ersten Jahren, jedoch dennoch im Verlauf oft schleichende Progredienz der Paresen und Muskelatrophien. Motorische Behinderung im Verlauf langsam zunehmend. Nur ca. 20 % bleiben stabil oder kann die Therapie sogar sistiert werden ohne weitere Progredienz Verlauf langsam chronisch (90%), seltener schubförmig (10%) Der natürliche Verlauf der Erkrankung ist langsam progredient [Taylor, 2000; Slee, 2007]; seltener werden auch schubförmige Verläufe beschrieben [Nobile-Orazio, 1993]. Ein früher Beginn der Therapie mit IVIG scheint wichtig zu sein, da gezeigt werden konnte, dass die Behandlung weniger effektiv war bei Patienten mit bereits lange andauernder Erkrankung [Nobile-Orazio, 2002]. [Taylor et al., 2000; Nobile-Orazio et al., 1993; Nobile-Orazio et al., 2002] IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

101 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

102 Inhalt – MMN als Variante der CIDP
Definition 83 Epidemiologie 85 Klassifikation (siehe CIDP) 49 Pathophysiologie 88 Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 90 Diagnose und Differentialdiagnose 93 Therapie 97 Prognose 100 Ausblick (siehe CIDP) 77 Referenzen 103 IMMUNOGENE NEUROPATHIEN

103 Referenzen MMN 10. Referenzen (MMN)
Axelson HW et al. Acta Neurol Scand 2008;117:432-4 Baumann A et al. Schweiz Med Forum 2006;6:981–7 Bentes C et al. J Neurol Sci 1999;169:76-9 Brooks BR et al. EL Escorial revisited 1998 Carpo M et al. Neurology 1998;50: Carpo M et al. Neurology 1998;50: Cats EA et al. Neurology 2010;75: Chaudhry V et al. J Peripher Nerv Syst 2010;15: EFNS/PNS Guidelines on management of multifocal motor neuropathy. J Peripher Nerv Syst 2010;15: Feldman EL et al. Ann Neurol 1991;30: Fischer D et al. Nervenarzt 2002;73:1153–9 Gold R et al. Nervenarzt 2005;76: Gorson KC et al. Muscle Nerve 2007;35:66-69 Lunn MPT et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2009;80: Meuth S, Klinschnitz C. Multifocal Motor Neuropathy: Update on Clinical Characteristics, Pathophysiological Concepts and Therapeutic Options. Eur Neurol 2010;63:193–204. Misbah S, Baumann A, Fazio R, Dacci P, Schmidt D, Burton J. Sturzenegger M. A smooth transition protocol for patients with multifocal motor neuropathy going from intravenous to subcutaneous immunoglobulin therapy: an open-label proof-of-concept study. Journal of the Peripheral Nervous System 16:92–97(2011) Nobile-Orazio E et al. Muscle Nerve 2005;31:663–80 Nobile-Orazio E et al. J Neurol Neurosurg Psychatry 2002;72:761-6 Nobile-Orazio E et al. J Neuroimmunol 2001;115:4–18 Nobile-Orazio E et al. Neurology 1993;43: Pestronak A et al. Ann Neurol 1988;24:73-78 Piepers S et al. Brain 2007;130: Slee M, Selvan A, Donaghy M. Multifocal motor neuropathy The diagnostic spectrum and response to treatment. Neurology 2007; 69: 1680– Stieglbauer K et al. Neuromusc Disord 2009;19:473-5 Taylor BV et al. Muscle Nerve 2000;23:900-8 Umapathi T et al. Cochrane Database Syst Rev 2009;CD Van den Berg LH et al. Neurology 1997;48:1135 Van Schaik IN et al. Cochrane Database Syst Rev 2005;CD004429 Die wichtigsten Referenzen sind fett markiert. IMMUNOGENE NEUROPATHIEN


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