Römische Rechtsgeschichte 5. Nov. 2012

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 Präsentation transkript:

Römische Rechtsgeschichte 5. Nov. 2012 Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

§ 9 Ius civile und ius honorarium der gewillkürten Erbfolge hereditas = universitas iuris Testierfreiheit schon in den XII-Tafeln anerkannt (Legatentestament) frühe Testamentsformen: calatis comitiis (= vor der Volksversammlung) in procinctu (= vor dem stehenden Heer) spätere „klassische“ Testamentsform: testamentum per aes et libram = durch Münze und Waage (Manzipation) testamenti factio = Fähigkeit, rechtsgültig Testamente zu errichten UND durch Testament rechtsgültig als ERBE eingesetzt zu werden ursprünglich nur römische Bürger Frauen mit Zustimmung des Vormundes (Empfang ist eingeschränkt) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Das Testament per aes et libram, Q 35 = Gai. 2,104 Inskription: Gaius Institutiones Paraphrase: Testamentserrichtung per aes et libram erfordert bestimmte Förmlichkeiten: Anwesend sein müssen der Testator, fünf römische Bürger als Zeugen, ein Waagehalter und ein Familienkäufer (familiae emptor) Zur Errichtung des Testaments überträgt der Testator dem Familienkäufer sein Familienvermögen. Dabei gebraucht der Familienkäufer genau vorgeschriebene Worte: «Ich behaupte, dass deine Familie und dein Vermögen in deiner Verfügungsmacht und meiner Obhut sind…» Der Familienkäufer schlägt mit der Münze an die Waage und gibt dem Testator das Kupferstück als Kaufpreis für das Erbe. Der Testator nimmt daraufhin die Testamentsurkunde in die Hand und erklärt: «So wie dies in diesen Wachstafeln geschrieben steht, so gebe ich, so vermache ich». Und er ruft die Bürger zu Zeugen für diesen Inhalt auf. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

3. Interpretation: Erklärung des Ritus in Q 35 Manzipation für die Errichtung des Testaments: Darlegung der Verfügungsmacht des Veräusserers = des Erblassers Familienkäufer erwirbt nicht das Eigentum und auch nicht das Erbe, sondern «vertritt» den zukünftigen Erben (Treuhänderschaft) Manzipation ist notwendig, um überhaupt verbindliche Anordnungen mit Blick auf das Eigentum zu treffen (leges dictae und nuncupationes) Missbrauch oder Umformung der Manzipation (Veräusserungsakt) in eine Verfügung von Todes wegen (= Förmlichkeit für ein zuvor geschriebenes Testament) Errungenschaft, weil privatrechtlicher, nicht mehr öffentlichrechtlicher Errichtungsakt. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Lex Falcidia, Q 36 = Inst. 2.22 pr. Inskription: Institutiones Justinians (= Lehrbuch Justinians, angelehnt an Gaius und Ulpian = Stoff des ersten Studienjahres) Paraphrase: die lex Falcidia ist das letzte einer Reihe von Gesetzen, die zur Beschränkung von Legaten erlassen wurde. ursprünglich keine Beschränkung der Legate (Zwölftafelgesetz); das ganze Vermögen kann durch Legate vergeben werden. Bedürfnis zur Reglementierung entsteht dadurch, dass die eingesetzten Erben sich weigern, das überlastete Testament anzunehmen, so dass der Testator im Ergebnis ohne Testament beerbt wird, sein Wille also gar keine Anerkennung erfährt. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Gesetze zur Beschränkung von Legaten: lex Furia testamentaria (169 v. Chr.) Legate über 1000 Asse sind verboten. bestimme Verwandte sind von diesem Verbot ausgenommen. Problem: Nicht verboten ist die vielfache Vergabe von Legaten, so dass der Erblasser trotzdem sein Vermögen zum Nachteil des Erben ausschöpfen kann. lex Voconia (169 v. Chr.) Mitglieder der ersten Zensusklasse (Vermögen mit mehr als 100 000 Assen) dürfen Frauen nicht als Erben einsetzen. kein Legatar darf mehr erhalten, als dem Erben verbleibt (relatives Verbot; verhindert Legate von mehr als ½ des Nachlasses) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Q 37 = Inst. 2.13.3 pr.-3 Inskription: vgl. Q 36 Paraphrase: Gebot des ius civile: der Haussohn ist ausdrücklich zu enterben; stillschweigendes «Übergehen» (praeterire) führt zur Unwirksamkeit des Testamentes; dies gilt unabhängig davon, ob der Haussohn tatsächlich Erbe geworden wäre oder bereits vor dem Erbfall verstorben ist. Eine ausdrückliche Enterbung verlangt den Hinweis auf die Sohneseigenschaft und Verwendung des Wortes «enterben» (exheredare). Nach ius civile brauchen emanzipierte Kinder nicht als Erben eingesetzt und auch nicht enterbt zu werden; aber nach prätorischem Recht ist verlangt, dass auch die emanzipierten Kinder enterbt werden. Sind sie nach diesen prätorischen Regeln übergangen (praeterire) worden, erhalten sie die bonorum possessio (Nachlassbesitz). Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Formalismus der Erbeinsetzung – Enterbung: jedes Testament muss eine Erbeinsetzung enthalten  sie muss am Anfang des Testaments stehen.  sie muss befehlende Form haben: «Titius heres esto» (Titius soll Erbe sein).  sie muss auf Alleinerbenstellung oder auf einen Bruchteil der Erbschaft gerichtet sein. die Enterbung eines suus heres (Hauserben) muss ausdrücklich erfolgen; er oder sie darf nicht übergangen werden (praeterire)  Söhne müssen einzeln mit Namensnennung enterbt werden: «Titius filius meus exheres esto» (mein Sohn Titius soll enterbt sein)  andere sui (Töchter, Enkel) können gemeinsam enterbt werden, das heisst ohne Namensnennung: «ceteri omnes exheredes sunto» (alle anderen sollen enterbt sein) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Die bonorum possessio contra tabulas: ius civile schützt die sui heredes (Hauserben), das heisst die Kinder in der Gewalt des Hausvaters, die durch den Tod des Hausvaters gewaltfrei werden; sie sind die gesetzlichen Erben nach ius civile und müssen enterbt werden nicht geschützt sind die emanzipierten Hauskinder, denn sie sind aus der Gewalt des Hausvaters ausgeschieden, erben also nach ius civile nicht! Schutz der agnatischen Verwandtschaft (über das Gewaltverhältnis) ius praetorium schützt auch die emancipati, indem der Prätor auch deren Enterbung (analog der zivilen Regelungen) verlangt. sind sie übergangen worden, können sie zwar nach ius civile nicht Erben werden, aber sie erhalten den Nachlassbesitz gegen das Testament (bonorum possessio contra tabulas).  Schutz der Blutsverwandtschaft (die emancipati sind die leiblichen Kinder des Erblassers) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Zum Wesen der bonorum possessio, Q 38: possessio = wörtlich: Besitz (animus et corpus) bonorum possessio ist nicht nur der «Besitz» an Gegenständen in der Erbmasse, sondern beschreibt die Innehabung der Erbschaft im Sinne des «Besitzes am Recht der Erbschaft» (Ulpian) Grund für diese Beschränkung ist, dass der Prätor nicht zum Erben ernennen kann; dies bleibt eine Befugnis des ius civile (nach seinen Regeln); der Prätor kann aber auch im Rahmen eines sonstigen Verfahrens aus dem Testament vorläufig in den Besitz einweisen (= prozessleitende Funktion). Schöpfung der bonorum possessio ist eine Ausweitung (Missbrauch) dieser prozessleitenden Befugnis zur Schaffung einer definitiven Situation: Der Erbe kann die Erbschaft nicht vom bonorum possessor (Erbschaftbesitzer) herausverlangen! Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Berechtigte nach der bonorum possessio, Q 39: Kinder (liberi) = leibliche (d.h. auch emanzipierte) und adoptierte (die die Stellung von Kindern durch Rechtsakt erworben haben). Anknüpfungspunkt ist die praeteritio (Übergehen) der Kinder im Testament bei mehreren Kindern entscheidet die Rangordnung des ius civile: z.B. gehen Kinder den Enkeln (im gleichen Stamm) vor. z.B. erben Enkel neben den Kindern, wenn sie an die Stelle eines vorverstorbenen Kindes treten. kein Unterschied besteht aber zwischen emanzipierten und in Gewalt befindlichen Kindern ! Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Zur Rechtsposition des bonorum possessor, Q 40 Inskription: Gaius Institutiones Paraphrase: In Prozessformeln sind Fiktionen zu beobachten; zum Beispiel, wenn ein Nachlassbesitzer klagt, setzt dies die Fiktion, er sei der Erbe, voraus. Da nämlich der Nachlassbesitzer nicht nach ius civile an die Stelle des Erben rückt, sondern nur vom Prätor in den Besitz eingewiesen wird, hat er die Klagen, die dem Erben zustanden, nicht erworben und kann in der intentio nicht behaupten, dass «etwas ihm gehöre» oder «etwas ihm geschuldet sei». Die Klageformel muss daher angepasst werden, indem man hinzufügt: «unterstellt, er [der bonorum possessor] wäre der Erbe». Grenzen der prätorischen Macht Konsequenzen der prätorischen Rechtsfortbildung Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Grenzen der prätorischen Macht: der Prätor kann nicht die an das Zivilrecht geknüpfte Rechtsfolge der successio in locum (Gesamtrechtsnachfolge) auslösen; zu dieser gestaltenden Anordung reicht seine Jurisdiktionsgewalt nicht. bei Einsetzung eines bonorum possessor contra tabulas gibt es eine unbefriedigende Situation: Erbe: hat das Vermögen des Erblassers nicht und wird es niemals erhalten hat die an die Rechtstellung «Erbe» angeknüpften Rechte und Pflichten (wird verklagt und kann klagen) Nachlassbesitzer: hat das Vermögen des Erblassers und darf es behalten (auch vererben) hat keinerlei Aktiv- und Passivlegitimation für die Stellung, die mit diesem Vermögen verbunden sein sollte Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Lösung des Prätors: Fiktion = eine Annahme, von der man weiss, dass sie unwahr ist, deren Existenz man trotzdem unterstellt hier: Nachlassbesitzer ist nicht Erbe und kann es auch nicht werden trotzdem behandelt ihn der Prätor für den Prozess (Klagen gegen Schuldner der Erbschaft und Klagen von Gläubigern der Erbschaft) so, «als ob er Erbe wäre». Formeltechnischer Trick: Unterstellung: «angenommen er wäre der Erbe» = Prüfung einer hypothetischen Sachlage im Rahmen der intentio (= des Begehrens), um eine reale Verurteilung (condemnatio) zu erlauben: «Wenn es sich erweist, dass A dem B zahlen müsste, wenn B Erbe wäre, dann sollst Du, Richter, den A verurteilen, an den B zu zahlen.» Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux

Zusammenfassung: Arten des Testaments im vorklassischen und klassischen Recht testamentum per aes et libram Gesetze zur Legatsbeschränkung (Abgrenzung Legat und Erbenstellung) Erbeinsetzung und Enterbung von Hauskindern Rechtsfolgen der Übergehung von Hauskindern  bonorum possessio contra tabulas Stellung des Nachlassbesitzers im Vergleich zum Erben Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux