Georg Christoph Lichtenberg

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Von der konstruierten Wirklichkeit Wirklichkeit als Konstrukt kognitiver Systeme Medien als Baustein für Bildung von Wirklichkeitskonsens.
Advertisements

Eth.Fallbesprechung im KMN
UNI – WH.DE/ Department für Pflegewissenschaft Der Studiengang Innovative Pflegepraxis, BA Perspektive der Studenten Simone Rusch Klinikum Lüdenscheid.
Tagung des DNBGF-Forums
Das autobiographisch – narrative Interview
Der Umgang mit qualitativ erhobenen Daten: Strategien der Datenanalyse
Eine prominente Strategie qualitativer Sozialforschung
Referenten: H. Bayer V. Hagemann
Jedes Kind ist wichtig – Entwicklungschancen verbessern Herzlich willkommen!
Theorie soziotechnischer Systeme – 12 Thomas Herrmann Informatik und Gesellschaft FB Informatik Universität Dortmund iundg.cs.uni-dortmund.de.
Was ist qualitative Forschung?
„Älter werden in der Pflege“
Lernen im Alter – anders als in der Jugend?
TEACCH Ein Schulentwicklungsprojekt: Unterricht in einer nach TEACCH – Prinzipien eingerichteten Klasse Alexandra Hug 2013.
Kommunikation in Zeiten der Veränderung
Gedanken an Kinder ohne Namen
Mögliche Themen für die Sozialarbeit im Fall Herr und Frau Huber
Harninkontinenz im Alltag der Betroffenen-Wünsche und Erfordernisse in der pflegerischen Beratung - Fachtagung der Kontinenz-Stoma-Beratung Österreich.
Warum ist Pflege ein wichtiger Eckpfeiler der Schmerztherapie ?
Ein Kompaktseminar der Fachschule für Wirtschaft
Wir hören immer von Regeln aus Sicht der Frauen. Hier sind endlich die Regeln aus Sicht der Männer.
Der effektive Einsatz von neuen Medien in der Lehre: Die Durchführung eines empirischen Projektes in der Soziologie mit dem ReaderPlus Kajetan Hinner (Institut.
Weinviertel-Südmähren-Westslowakei“
Sind Frauen über 40 nicht großartig?
Wir hören immer von Regeln aus Sicht der Frauen
Mobile – Entlastungsangebote für pflegende Angehörige
Wir hören immer von Regeln aus Sicht der Frauen.
Ein ganz besonderes Thema?
Psychoanalyse und soziales Engagement
Da ist was dran ! Michael war so eine Art Typ, der dich wirklich wahnsinnig machen konnte. Es war immer guter Laune und hatte immer was positives zu sagen.
Da ist was dran ! Michael war so eine Art Typ,
Warum stehen Männer in der Nacht auf?
Die Struktur von Untersuchungen
Warum stehen Männer in der Nacht auf?
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Der kleine  Uwe.
Uwe ist klug … Eine Grundschullehrerin geht zu ihrem Rektor und beschwert sich …
Reine Wahrheit Fragen in der Ehe.
Schlagfertige Frauen.
Religiöse Vielfalt – Bedrohung oder Chance?
Quelle: „Wege aus dem Labyrinth der Demenz“
Georg Christoph Lichtenberg
„ Das Vier-Seiten-Modell“
Neue Wege in der Versorgung gewaltbetroffener Frauen.
Ethische Aspekte der Diagnostik und Therapie depressiver Störungen
MODULARE OBERSTUFE Was tun wir, wie laufen die angebotenen Module ab?
Befragung Verantwortlicher in der KLJB Bayern zu Glaube und Kirche 2004.
Wir hören immer von Regeln aus Sicht der Frauen. Hier sind endlich die Regeln aus Sicht der Männer.
Der kleine  Peter.
4 Zimmersuche Student/in sucht Zimmer:
Wir hören immer von Regeln aus Sicht der Frauen.
Inklusion/Exklusion von Menschen mit Behinderung
Warum stehen Männer in der Nacht auf?
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
Georg Spitaler PS Interpretative Zugänge zu Popularkultur WS 2004/05.
Samstagvormittag Thema: Gedanken.
Ambient Assisted Living: Konsequenzen neuer Technologien für die Pflege - Literaturreview - Autor: Herr Michael Geissberger
Zwei Wörter in fünf Jahren Anthony de Mello Ein Mann wollte in einen strengen religiösen Orden eintreten.
Aber ich will Dir noch schnell die Lösung sagen...
Georg Spitaler PS Interpretative Zugänge zu Popularkultur WS 2004/05.
Abschied von Lucie Meine Lucie
Auch du kannst Nein sagen! - Sich abgrenzen lernen.
Arzt-Patienten-Beziehung
„Frauen fragen Frauen“ Präsentation zum Forschungsprojekt
Dagmar Much Empirische Erhebung Bildungsträger und Bildungsplaner.
Die Wahrnehmung von Institutionswechseln durch die Betroffenen
Herbert´s (Hy.) Powerpoint Präsentatio n automatisch.
Behandlungserfahrungen mit Frauen mit Lernbeeinträchtigung oder Mehrfachbehinderung Eine besondere Herausforderung!? Christina Schneider, Ärztin und Psychotherapeutin.
Universität zu KölnHumanwissenschaftliche Fakultät SIGMA SIGMA Zur Situation gehörloser Menschen im Alter SIGMA Wissenschaftliche Untersuchung an der Universität.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
 Präsentation transkript:

Georg Christoph Lichtenberg Ich habe es sehr deutlich bemerkt, dass ich eine andere Meinung habe, wenn ich liege und eine andere, wenn ich stehe. Georg Christoph Lichtenberg ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

„Festgenagelt sein” Der Prozess des Bettlägerigwerdens durch allmähliche Ortsfixierung ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Ziele der Studie Einsicht erhalten in die Entstehung von Bettlägerigkeit Hauptfragen: Was ist Bettlägerigkeit? Welche Ursachen für Bettlägerigkeit gibt es? Wie ist die Karriere des Bettlägerigwerdens? Gibt es Schlüsselmomente? Was bedeutet es bettlägerig zu sein und wie bewältigen die Betroffenen die Situation? ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Literaturrecherche bedrest bedridden bedbound lay-down confinement to bed 40 Nennungen: vor allem Pathophysiologie der Bettruhe ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Schwerpunkte der Literaturrecherche Pflegebedürftigkeit und Bettlägerigkeit Anthropologische Grundlagen Nomenklaturen, Konzepte Möbel „Bett” Rückzug ins Bett zur Schonung ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Liegefolgen abnehmende Muskeltätigkeit Verschiebung der Körperflüssigkeiten/Elektrolytänderungen abnehmende Herzauswurfleistung Atemvolumina vermindert, Sekretstau Inaktivitätsatrophien Thromboseneigung Hautkeratose, Dekubitusgefahr Obstipation, abnehmende Magensekretion eingeschränkte Wahrnehmung kognitive und psychische Veränderungen ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Forschungsansatz: Grounded Theory (Glaser/Strauss, Strauss/Corbin) gegenstandsbezogener Theoriebeitrag Prämisse: soziale Wirklichkeit konstituiert sich durch Interaktionen datenbasierte Entwicklung der Forschung theoriegeleitete Auswahl der Informanten konstanter Vergleich Verdichtung, Sättigung Zentrale Kategorie ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Datenerhebung und -analyse Interviews (halbstrukturiert) Beobachtungsnotizen Anfertigen verschiedener „Memos“ Systematische Analyse durch offene, axiale und selektive Kodierung Kategorienbildung Anwendung von Gütekriterien qualitativer Forschung ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Feldzugang über Mittelspersonen Erhebungsphase über 2 Jahre Betroffene sollten zu einem Zeitpunkt „optional” aufstehen können in der Lage sein, Auskunft zu geben sich an die Entwicklung erinnern können breites Spektrum medizinischer Diagnosen ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Untersuchte Gruppe 32 Interviews und Beobachtungsnotizen 13 Männer, 19 Frauen Alter zwischen 61 und 98 Jahren 17 in der häuslichen Pflege 12 in Altenheimen 2 Krankenhaus, 1 Kurzzeitpflege ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Phasenabfolge Instabilität Ereignis Immobilität Ortsfixierung Bettlägerigkeit Bewegung Klinik bzw. Rollstuhl/Sessel Selbstständiger nur im Bett mit Stock Sturz evtl. wenige Wechsel nicht Windel- oder Schritte sind möglich, versorgung Rollator wichtig Selbstbestimmung ist wichtig Schlüsselereignisse Fünf Wirkfaktoren ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Phasenabfolge Fünf „durchgängige Faktoren” Individualität Liegepathologie mit verschiedenen Einbußen später/Zeitverlust Krankheitsfortschritt, medizinischer Verlauf, Komplikationen Weltsicht in der Abhängigkeit (Sinngebung, Perspektiven, Bewältigung) Perspektiven der Pflegenden (Engagement, Wissen, soziale Bindung) ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Klinikaufenthalt „niemand sagte mir, dass ich aufstehen soll” „man kann sich ja nur im Bett aufhalten, es ist sonst kein Platz” „Du musst ständig verfügbar sein” ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Rücksichtnahme „die hatten genug zu tun” „die haben keine Zeit mehr” „Sonntags bleib ich im Bett, dann sind zuwenig Leute hier….” „da braucht man zwei Mann, nachts ist hier so eine kleine Koreanerin” „in den Rollstuhl….das ist für die auch mehr Arbeit” „es gibt hier noch schlimmere Leute” „man muss sich bescheiden” ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Hilfsmittel und Rollstühle häuslicher Bereich: vieles kommt nicht zum Einsatz Altenheim: Mangel an individuell angepassten Hilfsmitteln Pflegebetten dominieren die Situation scheinen die Bettlägerigkeit zu verfestigen ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

sich im Bett einrichten Eigenschaften und Ausprägungen persönlich „wichtige” Dinge in die Nähe holen sich von „ferner” liegenden Gegenständen verabschieden Kontakt zur Außenwelt organisieren Liegestatt ausstaffieren (Komfort, Ästhetik) ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Weitere relevante Kategorien Sturz Transfersituation Zeittakte ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Zentrale Kategorie Allmählicher Ortsfixierung „ich bin wie festgenagelt” ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Zusammenfassung der einflussnehmenden Faktoren Instabilität Ereignis Immobilität Ortsfixierung Sturz/Klinik Rücksichtnahme langes unbequemes Sitzen (wenig Hilfen) Zeitverlust zunehmender Rückzug Versorgung mit Windeln Langeweile Verlust des persönlichen Raumes Wohnumfeld sich „einrichten” Schlüsselereignisse Bettlägerigkeit selbstbestimmter Wechsel geschickte Transfers geeignete Hilfsmittel/Möbel Tagesstruktur/Beschäftigung befriedigende Beziehung Individualität  Liegepathologie  Krankheitsfortschritt  Weltsicht  Perspektiven der Pflegenden  ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Determinanten der Bettlägerigkeit der unmittelbare Ort (Bett, Sofa) zeitliche Aspekte (Verlauf über Monate, tageszeitliche Mobilität) Hilfestellungen, Eigenbewegungen förderndes Umfeld (Kompetenz und Einstellung der Pflegenden) Soziale Bindungen eigene Einstellungen (Coping, Akzeptanz) derzeitiger Lebensort (eigenes Zuhause, Altenheim) ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Vorschläge für weitere Studien Spezifizierung nach Gruppen Transfersituation Sichtweisen aller Beteiligten „Rücksichtnahme” ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Folgerungen für die Praxis Wohnberatung „aktivierende” Pflege – umfassend verstanden Auftrainieren nach Liegephasen Prävention von Bettlägerigkeit Assessment, Bewegungskonzepte etablieren Betten, Rollstühle, Hilfsmittel Thematisierung in der Pflege-Bildung ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

„… sagen Sie bitte den Schwestern und Ärzten, dass sie sich nicht über die Fußenden des Bettes lehnen sollen. Es ist schlimm für den wehrlos Liegenden, wenn er bei jeder Geste, jeder Aussage „mit erschüttert” wird (im wahrsten Sinne des Wortes)…” ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Publikationen (Auswahl) Buch: „Festgenagelt sein - Der Prozess des Bettlägerigwerdens“, Huber, 2005 Artikel: Festgenagelt sein - Der Prozess des Bettlägerigwerdens durch allmähliche Ortsfixierung, Pflege,2005, 18, 281-288 ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft

Kontakt URL: http://www.uni-wh.de Email: zegelin@uni-wh.de ©Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft