Feministische Perspektiven zum Themenbereich Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Adelheid Biesecker und Uta v. Winterfeld, Dienstag, 11. September 2012.

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Feministische Perspektiven zum Themenbereich Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität Adelheid Biesecker und Uta v. Winterfeld, Dienstag, 11. September 2012 Frauenplenum der Fraktion der Linken im Bundestag

Aufbau Wieso eigentlich eine feministische Perspektive als Extra – ist das nicht kontraproduktiv? Unsere feministische Perspektive Vom Geld Von der Arbeit Vom Wohlstand Zur Neukonfiguration des Öffentlichen und Privaten im globalen Raum Punkte zum Anfassen

Wieso eigentlich eine feministische Perspektive als Extra – ist das nicht kontraproduktiv? Historisch und kritisch Wir wollten gar keine feministische Perspektive als Extra. Sondern wir wollten kein 17-Männerköpfiges Expertengremium in der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität... Daher muss die Frage anders und kritisch lauten: Wie kann es im Jahr 2011 passieren, dass eine Enquetekommission mit 17 Experten besetzt wird?

Wieso eigentlich eine feministische Perspektive als Extra – ist das nicht kontraproduktiv? Analytisch Ohne die soziale Kategorie Geschlecht lässt sich Wirklichkeit weder zureichend verstehen noch beschreiben noch analysieren. Inwiefern ist beispielsweise der Gesellschaftsvertrag ein Geschlechtervertrag? Oder inwiefern sind die ökonomischen Kategorien geschlechtlich geprägt?

Unsere feministische Perspektive These 1 Der Mainstream ökonomischen Denkens und Handelns und damit auch hegemoniale Konzepte und Praxen zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität gerieren sich als Ganzes, bilden jedoch nur eine partiale Wirklichkeit ab. Denn diese Konzepte beruhen auf Ausgrenzungen, insbesondere von sozial weiblichen Tätigkeiten und von ökologisch natürlichen Prozessen.

Unsere feministische Perspektive These 2 Diese Ausgrenzungen sind dem Mainstream der Ökonomie inhärent, denn es muss ein dieser Ökonomie Äußeres geben, das als unsichtbar Abgespaltenes kostenlos angeeignet werden kann. Daher sprechen wir von Externalisierung als Prinzip.

Vom Geld (1) In seinen ökonomisch-philosophischen Manuskripten stellt Karl Marx die Logik als das Geld des Geistes dar. Beiden gemeinsam ist die Abstraktion. Das logische Denken abstrahiert von der Natur und den wirklichen Menschen – das Geld ist gegenüber dem konkreten Leben, den konkreten Bedürfnissen und den konkreten Gemeinwesen gleichgültig. Die Tendenzen zur Grenzenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit werden dort zum Maßlosen hin entfesselt, wo Geld zu Kapital wird. Hier wird die Maßlosigkeit geradezu zu einem Qualitätsmerkmal: Denn Kapital ist Geld, das ausgegeben wird, um zu mehr Geld zu werden. Es ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass es jedes qualitative Maß abgeworfen hat.

Vom Geld (2) Über die Abspaltung der Finanzmärkte treibt diese Maßlosigkeit zu einem neuerlichen hierarchischen Verhältnis: zur Unterwerfung der realen Ökonomie. Perspektivenwechsel: Geld ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel für Lebenszwecke. Dies macht was eine massive Regulierung und Beschränkung der Finanzindustrie und eine Pluralisierung des Geldes nötig.

Von der Arbeit (1) Immer noch gilt nur Erwerbsarbeit als Arbeit und damit als Quelle für Wachstum und Wohlstand sowie als Garant für die Existenzsicherung der Menschen. Aber das stimmt nicht (mehr): denn diese Arbeit wird knapp (Produktivitätssteigerung macht Arbeit überflüssig) und schlechter: Prekarisierung, Entgrenzung und Totalisierung führen dazu, dass viele von einer Vollzeit-Erwerbsarbeit nicht mehr leben können. Es stimmte noch nie: die Grundlage für Wohlstand war immer die aus diesem Arbeitskonzept ausgegrenzte und abgewertete unbezahlte sozial weibliche Sorgearbeit (und die ökologische Natur).

Von der Arbeit (2) Sorgearbeiten und Care-Ökonomie unterliegen einer eigenen Logik, gekennzeichnet durch Für- und Vorsorge, soziale Nähe, das Lebenserhaltende. Durch Vermarktlichung und Unterwerfung unter das Effizienzdiktat wird diese Logik zerstört. Perspektivenwechsel: Arbeit wird neu definiert und schließt alle Tätigkeiten jenseits des Marktes ein. Diese ganze Arbeit wird lebensdienlich gestaltet, umbewertet und geschlechtergerecht umverteilt.

Vom Wohlstand (1) Auch Wohlstand wird unter diesem einäugigen Blick nur über Marktprozesse geschaffen. Die Wohlstandsbeiträge der lebenserhaltenden Bereiche - sozial weibliche unbezahlte Sorgearbeit und ökologisch natürliche Prozesse - bleiben ausgegrenzt. Wohlstand ist Warenwohlstand. Er steigt, wenn die produzierte Warenmenge steigt - durch Wachstum. Das ist nur bei erhöhtem Naturverbrauch möglich. Mit den ökologischen Kosten (wie auch mit vielen sozialen Kosten) werden die Ausgeschlossenen belastet. Dieser Download von Kosten (Elson 2002) ist der - zunächst - unsichtbare Preis des Wohlstands.

Vom Wohlstand (2) Dieser Download findet auch zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden statt: Das Wohlstands- und Konsumniveau der Mittelklassen im Norden basiert auf einer massiven Ressourcenausbeutung der Länder des Südens. Es nährt sich von Ungleichheit und Machtasymmetrie in der Weltwirtschaft. Perspektivenwechsel: Wohlstand als gutes Leben für Alle – d.h. Wohlergehen jenseits von Markt, Warenfülle und Privateigentum – entsteht durch Politiken, die die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und den Erhalt der Natur durch Ausstieg aus der Ressourcenkonkurrenz sowie Umverteilung und soziale Grundsicherung ermöglichen.

Zur Neukonfiguration des Öffentlichen und Privaten im globalen Raum (1) Carole Pateman hat in ihrem Buch The Sexual Contract herausgearbeitet, dass es sich bei den klassischen (von Hobbes, Locke, Rousseau u.a.) konzipierten Gesellschaftsverträgen um Geschlechterverträge handelt. Denn die freien und gleichen Brüder hatten sich die Verfügungsrechte über Körper und Arbeit der Frauen schon gesichert, bevor sie einen Vertrag schlossen (Pateman 1988). Und während im öffentlichen Raum Freiheit und Gleichheit verkündet wurden, blieb das Unfreie und Ungleiche im weiterhin patriarchal strukturierten Raum des Privathaushaltes bestehen.

Zur Neukonfiguration des Öffentlichen und Privaten im globalen Raum (2) Die akuelle Austeritätspolitik hat einen Rückbau sozialer Daseinsvorsorge und Privatisierung des Öffentlichen zur Folge. Der Staatsapparat verschlankt sich durch eine doppelte Tendenz zur Privatisierung: in die Privatwirtschaft und in die privaten Haushalte hinein. (Braunmühl/ Winterfeld 2003: 8/ 9). Immer mehr bisher öffentlich finanzierte und organisierte Aufgaben sowie erhebliche Bereiche sozialer Infrastruktur werden an private Akteure übergeben. Dabei werden nicht nur staatliche Handlungsräume, sondern auch staatliche Regulierungspotenziale erheblich gefährdet. Arme Bevölkerungsschichten sind vom Zugang zu privatisierter Versorgung ausgeschlossen. Dies betrifft vor allem den wohlfahrtsstaatlichen Bereich mit den Elementen der Fürsorge und der sozialen Sicherheit wie auch die – insbesondere kommunale – Daseinsvorsorge.

Zur Neukonfiguration des Öffentlichen und Privaten im globalen Raum (3) Diejenigen, die sich privatwirtschaftliche Dienstleistungen nicht leisten können, haben keine andere Wahl als die nicht mehr öffentlich, d.h. steuerfinanziert bereitgestellten Leistungen in die Privathaushalte oder in ehrenamtliche bürgerschaftliche Gruppen zu übernehmen, von der nachoperativen Pflege bis zur Öffnung von Bibliotheken. Perspektivenwechsel: Das Öffentliche wird der privaten Nutzenmaximierung und der Renditelogik des Marktes entzogen, neu definiert und gestärkt. Orientierungen am Gemeinwohl, an demokratischer Kontrolle über Gemeingüter (Commoning) und an neuen Solidarpakten sichern den Wohlstand für alle ohne Exklusion und ohne Externalisierung

Punkte zum Anfassen – oder: Eckpunkte für eine Transformation zu Modellen vom gutem Leben Geld ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel für Lebenszwecke. Dies macht was eine massive Regulierung und Beschränkung der Finanzindustrie und eine Pluralisierung des Geldes nötig. Arbeit wird neu definiert und schließt auch Tätigkeiten jenseits des Marktes ein. Diese ganze Arbeit wird umbewertet und umverteilt.

Punkte zum Anfassen – oder: Eckpunkte für eine Transformation zu Modellen vom gutem Leben Gutes Leben für alle – d.h. Wohlergehen jenseits von Markt, Warenfülle und Privateigentum – entsteht durch Politiken, die die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten und den Erhalt der Natur durch Ausstieg aus der Ressourcenkonkurrenz sowie Umverteilung und soziale Grundsicherung ermöglichen. Das Öffentliche wird der privaten Nutzenmaximierung und der Renditelogik des Marktes entzogen, neu definiert und gestärkt. Orientierungen am Gemeinwohl, an demokratischer Kontrolle über Gemeingüter (Commoning) und an neuen Solidarpakten sichern den Wohlstand für alle ohne Exklusion und ohne Externalisierung.