Die Industrielle Revolution in Grossbritannien

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 Präsentation transkript:

Die Industrielle Revolution in Grossbritannien Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 „A revolution in men‘s access to the means of life (…) it opened the road for men to complete mastery of their physical environment, without the inescapable need to exploit each other“ [Harold Perkin 1969] Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Der Plan Die IR in traditioneller Sicht Daten-Revisionen: Crafts/ Harley, Clark Offene Debatten (Auswahl) (Neue) Theorien zur IR IR und Lebensstandard Warum England? Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Das Problem (1) Y=A*F(L,K,S)=A*La*Kb*Sc a=b+c Wachstumsraten pro Kopf? Definiere gX=dX/X und dX=Xt-Xt-1 gY/L≈gA+b*gK/L+c*gS/L „growth accounting“: Beiträge der Faktoren zum Wachstum, gA ist das was durch Faktoren nicht erklärt werden kann gA spiegelt Effizienzgewinne und Messfehler wider (schlechte Daten, schlechte Definition von Arbeit, Kapital, Land)! Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Das Problem (2) Malthus: kein Wachstum pro Kopf mit dK=I=sY und S konstant gilt gA=c*gL  wir können für die Zeit bis 1800 das weltweite TFP-Wachstum über Bevölkerungswachstum abschätzen Mit c ≈ 0,25 und gL(0-1750) ≈ 0,06  Welt-TFP-Wachstumsrate zwischen 0-1750 gA(0-1750) ≈ 0,015 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

TFP-Schätzungen (Clark 2003) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Geschätztes TFP-Wachstum in England Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Sektoraler Wandel (1) Zeitgenossen beobachteten deutlichen „sektoralen Wandel“ in der Beschäftigungsstruktur seit ca 1800 (siehe Buchheim 1994) ca 1800 LW/ I/ DL ca 1850 LW/ I/ DL ca 1900 LW/ I/ DL ca 1950 LW/ I/ DL UK 40/30/30 22/48/30 9/51/40 5/49/46 D 62/21/17 56/24/20 40/39/21 19/45/36 F -/-/- 52/27/21 41/29/29 27/36/37 USA 74/-/- 55/21/24 40/28/32 12/30/58 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Sektoraler Wandel (2) UK: LW sinkt besonders schnell, I gewinnt zuerst, dann auch DL D: LW bleibt lange gross, seit 1900 dominiert I F: LW bleibt noch länger gross, DL wächst schneller als in D USA: schon ca 1850 DL > I Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Grossbritannien: die traditionelle Sicht (1) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Die traditionelle Sicht (2) Seit 1760 massiv erhöhte Wachstumsrate des pro Kopf Einkommens und der Industriellen Produktion Eine der Vorbedingungen dafür war eine deutliche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität seit etwa 1750  Freisetzung von Arbeitskraft, Ernährung Vier „traditionelle“ Erklärungsmuster dafür (die sich nicht gegenseitig ausschließen, nur andere Schwerpunkte setzen) Sozialer Wandel (Toynbee, Polyani u.a.) IO-Schule (Mantoux, Pollard, u.a.) Technologische Revolution (Landes, Inkster, u.a.) Makro-Schule (Hoffmann, Kuznets, Rostow, Gerschenkron, u.a.) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 1. Sozialer Wandel Entscheidend war der Wandel in der Organisation von Tauschprozessen Toynbee (1884): gegen mittelalterliche Regulierungen (Zunftwesen, Privilegien etc) setzte sich Wettbewerb durch Polanyi (1944): die Entstehung einer Marktwirtschaft war der entscheidende Faktor Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 2. IO-Schule Der entscheidende Wandel lag in der Organisation der Produktion und ihrer Finanzierung (Mantoux 1928, Pollard 1965) Zudem gewann fixes Kapital (Maschinen, Gebäude, „Strukturen“) gegenüber umlaufendem Kapital (Saatgut, Rohstoffe) an Bedeutung (Hicks 1969, u.a.) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

3. Technologischer Wandel Es kam um 1760 zu einer Zunahme technischer Innovationen Diese betrafen alle Bereiche (versch. Sektoren, Produktion und Absatz etc.) Sowohl Micro- als auch Makroinnovationen spielen eine Rolle Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 4. Makro-Schule Entscheidend waren Veränderungen in makroökonomischen Variablen Insbesondere die Investitions- und Sparquoten veränderten sich Einige Autoren beziehen das nur auf Veränderungen in einzelnen Sektoren (Gerschenkron), mit gesamtwirtschaftl. Folgen Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Warum Fokus auf Technologie ? Zurück ins Modell: gY/L=gA+b*gK/L+c*gS/L Wir sahen: gS/L≈ gS-gL ≈ -gList nicht was wir erklären wollen, sondern (gA+b*gK -gL) Bei 1-3 geht es direkt um gA Bei 4 geht es um gK K= tangibles K (Gebäude, Maschinen) + intangibles K (R&D, Humankapital)  gK konzeptionell schwer von gA abzugrenzen  intangibles K ist schwer zu messen  gA hat indirekten Effekt auf gK, empirisch schwer zu trennen Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Technologische Entwicklungen Es gab Invention und Innovation Es gab a) Microinvention (Verbesserungen) und b) Makroinventionen (radikal & nutzbar) Zu a) Schiffbau, Buchdruck, Saatgut Zu b) Dampfmaschine, Mechanisches Spinnen Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Die Dampfmaschine… Kinetische Energie (EK) thermische Energie (ET) Dampfmaschine: Methode zur Umwandlung von ET in EK  radikal Aber nutzbar? Thomas Newcomen, 1712: Pumpe, die Unterdruck (aus der Kondensation von Dampf zu Wasser) in einem Kolbenzylinder in kinetische Energie umwandelte: Dampf hebt Kolben im Zylinder Kondensation Unterdruck drückt Kolben setzt Pumpe in Gang Problem: schlechter Wirkungsgrad, weil Kondensation im Kolbenzylinder stattfand und Pumpe nur durch den Unterdruck bewegt wurde James Watt, 1765/69: separater Kondensator, Pumpe durch Druck und Unterdruck bewegt, Sehr weitreichendes Patent 1769 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Mechanisches Spinnen Spinnen vor Dornröschen: Fasern werden per Hand zu Garn verdreht, per Hand auf einer Spindel aufgedreht Sächsisches Spinnrad (seit 16.Jhd.) half beim aufdrehen auf die Spindel, Rest per Hand Erfindungen von Hargreaves („spinning jenny“) und Arkwright mechanisieren diesen Vorgang und erlauben Parallelbetrieb vieler Spindeln an einer Maschine  massive Produktivitätssteigerung Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Mehr als Anekdoten: Patente (Clark 2003) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

TFP-Wachstum in England (Clark 2003) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Messung von technischem Fortschritt  es gab enormen Technischen Fortschritt, aber Patente messen Inventionen, nicht Innovation Patente messen nicht alle Inventionen TFP-Schätzung (A) per „growth acounting“ misst das Residuum: A = Effizienz und Messfehler (neue Inputs, neue Qualität der Inputs, Faktorpreise die von Wettbewerbspreisen abweichen, etc.) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Die traditionelle Sicht (Forts.) Landwirtschaftliche Produktivität Durch Landreform kam es zu einer Verdrängung der Kleinbauern (enclosures) Besitzer grösserer Güter hatten besseren Zugang zu Kapital, förderten Einsatz neuer Techniken, etc.  massive Produktivitätssteigerung seit dem 18. Jhd. (zB Overton 1996) Wichtig für Industrielle Entwicklung: Freisetzung von Arbeitskräften Versorgung der wachsenden Bevölkerung Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Die Revision (1) Nur wenig Zeugnisse von Zeitgenossen, die eine IR wahrnahmen (dafür gibt es Gründe) 2 Revisionen: Industrieproduktion Landwirtschaftliche Produktivität Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Die Revision (2) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Die Revision (3) Wachstum der Industrieproduktion seit 1760 war deutlich langsamer Wachstum im pro-Kopf-Nationaleinkommen zwischen 1760 und 1830 nicht schneller als 1700-1760 Deutlich weniger „Revolution“ als gedacht Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Die Revision (4) LW-Produktivität stieg schon deutlich früher, mind. seit 1600 (Allen 1988, Clark 1991) Re-Interpretation: braucht man Produktivitätswachstum der LW für Beschäftigungswachstum anderer Sektoren? Theoretisch nicht  Matsuyama (1992): bei Freihandel kann hohe LW-Produktivität auch eine Industrialisierung verhindern Warum? Komparativer Vorteil in LW  Handel kann zu Spezialisierung auf LW führen Empirisch auch nicht  Mokyr (1976): das war in den NL der Fall  d.h. in England gab es eine IR nicht wegen, sondern trotz einer Agrarrevolution Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Offene Debatten(1) (Neue) Theorien zur IR 3 Arten von Theorien im Umlauf Exogenes Wachstum Multiple Gleichgewichte Endogenes Wachstum Wir betrachten einige Beispiele Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 1. Exogenes Wachstum Zum Beispiel: Institutioneller Wandel (North/ Thomas 1973) Die Menschen ändern sich nicht, die Institutionen ändern sich Eigentumsrechte in England waren sehr früh besser gesichert als anderswo auf der Welt, u.a. Rechte von Erfindern Patentrecht seit Elisabeth I (16. Jhd) Seit Glorious Revolution 1688/9 unter Kontrolle des Parlaments Probleme: Warum ist es erst in England nach 1688 dazu gekommen? Warum kommt der „Schock“ 100 vor der IR? Gerade in England haben nur wenige Erfinder Einkünfte aus Patenten bezogen (Clark 2003) und Firmen mit Patenten waren nicht erfolgreicher als Firmen ohne Patente (Harley 1997) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

2. Multiple Gleichgewichte Unter 1 werden exogene Schocks „institutionalisiert“, hier: Exogener Schock macht ein altes Gleichgewicht instabil, führt zu neuem GW mit anderer Dynamik Beispiel Becker/ Tamura/ Murphy (1990): Eltern sehen trade-off zwischen Quantität und „Qualität“ ihrer Kinder: Vt = u(ct) + a(nt)*nt*Vt+1 Eltern Verteilen ihre Zeit auf Arbeit für Konsum und Erziehung: je mehr Kinder n, desto weniger Zeit a(n); Humankapital H steigt in a, und sinkt deshalb in n Zudem kann Humankapital durch exogene Schocks verändert werden Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Multiple Gleichgewichte (2) Annahmen zu H: IRS in H, d.h. der Return auf H (RH) steigt in H Produktion von H erfordert viel H Implikationen: Wenn H0 hat Investition in H kleinen RH Wenn H0 Kinder „billig“  viele Kinder Wenn H0  mein Konsum ist mir wichtiger als der meiner Kinder: a(n)-1 > RH Wenn H>Ĥ  Konsum meiner Kinder wird relativ wichtiger: a(n)-1 < RH  bei H>Ĥ  dauerhaft Investition in H Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Probleme Kinderzahl war nicht so hoch, wenn man Kindersterblichkeit berücksichtigt Return auf Humankapital? Unterschiede zwischen Entlohnung („return“) für qualifizierte vs. unqualifizierte Arbeit sanken tendenziell während der IR Was haben wir gelernt? Statt exogenem technischem Fortschritt jetzt exogene Zunahme im Humankapital… [Neuer Ansatz: O‘Rourke, Rahman, Taylor (2005): Demographischer Wandel induziert und verstärkt über Anreize zur Spezialisierung auf high-skill/ low-skill activities im Rahmen einer internationalen Arbeitsteilung ] Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Endogenes Wachstum In Theorien 1&2 kommt ein Schock wie „Manna vom Himmel“ Hier: ökonomische Erklärung in dem Sinn, dass die IR aus dem System folgt Frage: welcher Faktor ist die treibende Kraft? A) Kremer (1993): Bevölkerungswachstum B) Prescott/ Hansen (2002): relative Produktivität alternativer Technologien Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Endogenes Wachstum (2) Kremer (1993): jeder Mensch produziert mit der gleichen Wahrscheinlichkeit neues Wissen Bevölkerungswachstum wird irgendwann die Produktion von Wissen deutlich ansteigen lassen Sein Modell impliziert: gA=c*L (statt gA=c*gL) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

TFP-Schätzungen (Clark 2003) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Endogenes Wachstum (3) Gute Idee, reicht aber offenbar nicht als Erklärung Hansen/Prescott (2002): „Malthus to Solow“ Zu jeder Zeit hatten die Menschen zwei Möglichkeiten ihren Output zu erzeugen: mit einer Malthus-Technologie: Y=gM*La*Kb*Sc Oder mit Solow-Technologie:Y=gSo*Ld*Ke Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Endogenes Wachstum (4) Soll heissen: zumindest einen Teil des Outputs konnte man immer schon ausserhalb der LW produzieren, das geschah aber lange nicht, weil die Anreize dazu fehlten Für gegebene Nutzenfunktion und Ressourcen (Landmasse ist fix) kann man im Modell Fälle konstruieren, wo Produktion mit Malthus immer profitabel ist Produktion mit Solow sich erst ab einem bestimmten Technologielevel gSo lohnt, dann aber zunehmend  allm. technischer Fortschritt führt zu sektoralem Wandel  durch die abnehmende Bedeutung des fixen Faktors Land beginnt der Output/Kopf zu steigen Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Endogenes Wachstum (5) Die IR ist im Modell nur eine Frage der Zeit, IR ist „unvermeidlich“ Aber die IR kommt nicht plötzlich. Es braucht Zeit, bis der „Solow“-Sektor (Industrie) gross genug geworden ist Evidenz? Mokyr (1976): „Industry was growing up“ Probleme: Schwierig zu kalibrieren: Modell erfordert - gemessen an üblichen Schätzungen - zu hohes TFP-Wachstum in Industrie, zu niedriges TFP-Wachstum in LW, Diese Schätzungen sind allerdings mit grossen Fehlern behaftet Trotzdem bleibt Technischer Fortschritt auch hier exogen, auch wenn im Unterschied zu anderen Theorien kein Sprung im TFP-Wachstum erforderlich ist Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Offene Debatten (Forts.) Lebensstandard und IR (1) Faktisch: wie hat sich der Lebensstandard (LS) in Großbritannien 1760-1830 verändert Kontrafaktisch: wie hätte sich der LS ohne die IR verändert? Hätte die Politik die Entwicklung des LS beeinflussen können (lassen wir weg) Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Lebensstandard und IR (2) Zu 2) wie konstruiert man den „kontrafaktischen Fall“? Nimm ein Modell (hier Solow 1956) suche Daten für Y, L, K, S (Crafts 1985) Schätze die Parameter a, b, c und TFP: A Ermittle Folgen unter interessanten Annahmen, etwa wenn sich gL entwickelt wie historisch gegeben aber gA=0 und der Kapitalstock (gK=sY) schneller wächst als historisch gegeben, oder wächst wie historisch gegeben, oder langsamer wächst als historisch. Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Lebensstandard und IR (3) Ergebnisse nach Mokyr 1994: Jährl. Veränderung von Y/L in % Zeitraum Annahmen a) Annahmen b) Annahmen c) 1760-1830 -0,045% -0,125 -0,185 1800-1830 -0,15 -0,41 -0,46 Y in 1830 (1760=100) 93,9 84,1 80,9 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Lebensstandard und IR (4) Wie Malthus 1798 vorhergesagt hatte Wie sieht das ganze in den oben besprochenen neuen Modellen aus? Zu 1) das mit den Daten ist etwas schwieriger… Reallohndaten (Lindert/ Williamson 1985): Anstieg 1819-1850 Feinstein (1997): Wachstum deutlich langsamer Konsum pro Kopf (Feinstein 1981/ Crafts 1985) Stabil 1760-1820, aber deutlicher Anstieg 1820-1850 Biologische Indikatoren (Lebenserwartung bei Geburt, Kindersterblichkeit, Körpergrössen) Lebenserwartung bei Geburt steigend, stagniert aber 1820-1860 Kindersterblichkeit steigt 1813-36, sinkt erst ab 1845 Körpergrössen steigen 1760-1820 aber sinken 1820-1870 Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Warum England seit 1760? Die Frage macht in endogenen Wachstumsmodellen wenig Sinn Aber nicht jeder ist von diesen Modellen überzeugt Einige Antwortversuche (in drastischer Kürze und Auswahl - es gibt andere) (zugleich Übergang zur Frage der IR auf dem europäischen Kontinent) Geographie Politische Geschichte Handel und Kolonien Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Geographie Rohstoffvorkommen/ Ressourcen haben ambivalente Effekte Sie verbilligen Produktion und/ oder zwingen zur Innovation (Kuznets 1965: „national bias in technological progress“) zB: Abholzung (Schiffbau) führte zu Versuchen andere Energieträger als Holz zu nutzen  Kohlevorkommen  Dampfmaschine (dazu auch Wrigley 2005) Aber: einige Rohstoffe die zentral für die IR waren (Baumwolle) wurden importiert Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Politische Geschichte Die Insel als Schutz vor Invasion  hohe politische Stabilität (Irland?) Um die Zeit der IR war der Kontinent mit Krieg und Revolution beschäftigt  England hatte Zeit, technische Erfindungen nutzbar zu machen, die in ganz Europa bekannt waren (bzw. sogar vom Kontinent stammten) V.a. ein Grund warum sich die Niederlande erst mit Verzögerung industrialisierten Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Handel und Kolonien (1) England war 1760 eine „Offene Volkswirtschaft“ (Exp/GDP=15%) Cuenca (1997): ind. Exporte/ ind. Output stiegen zwischen 1700 und 1850 massiv Handel ↑ Beschäftigung ↑Binnennachfrage↑ Aber: Thomas/ McCloskey (1981) „trade was the child of industry“ Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006

Freie Universität Berlin WS 2005/2006 Handel und Kolonien (2) Eric Williams (1944): IR wurde an ihrem Beginn durch Gewinne aus dem „triangular trade“ finanziert, neue Debatte seit 1987 Europa (Textilien) Afrika (Sklaven) Amerika (Zucker/ Baumwolle)  Europa (Textilien) D.h die Inputs Baumwolle und Zucker waren billig wegen der Sklaverei, dieser Kostenfaktor und die Gewinne aus dem Handel halfen der IR Wenig direkte Evidenz (Industrie in Liverpool und Manchester nicht wesentlich durch „triangular trade“ finanziert) Wichtiger war (seit 1790) die Sklaverei in den USA, die billige Importe möglich machte Prof. Dr. Nikolaus Wolf Freie Universität Berlin WS 2005/2006