Chancengerechtigkeit im Bildungssystem

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Miteinander für Europa 2012
Advertisements

Staatsfinanzen und Steuern aktualisiert März 2010
Gerechtigkeit Sozialstrukturanalyse und Forschung zu sozialer Ungleichheit führt implizit die Bewertung von Unterschieden anhand gesellschaftlicher Gerechtigkeits-
Das Menschenbild des Marxismus
Demokratie Pluralismus.
Fach-Tagung: Inklusion und Ressourcen, Berlin,
PARTENARIAT ÉDUCATIF GRUNDTVIG PARTENARIAT ÉDUCATIF GRUNDTVIG REPERES KULTURELLER ZUSAMMENHALT UND AUSDEHNUNG DER IDEEN AUF EUROPÄISCHEM.
Das europäische Sprachenportfolio
Die Bedeutung der Sprache. CERI-Seminar Graz, 2009
ORDSTILLING HOVEDSÆTNING: Der Bundesminister hielt eine lange Rede. BISÆTNING: Es steht in der Zeitung, dass der Bundesminister eine lange Rede hielt.
Messung von Armut Objektive Armut (z.B. unter einer best. Einkommensgrenze, Hunger, keine med. Versorgung, …) vs. Subjektive Armut (subjektives Empfinden;
Persönliche Assistenz
Bedürfnisse, Befriediger und Güter
Was ist eigentlich „gut“ sein?
Symposium lebens:arten
Frau Doktor Semmler + Konjunktiv
Katholizismus und seine sozialethischen Grundaussagen
Wirtschaftsjunioren in die Schulen Eine Hilfestellung zum Thema Berufswunsch und Berufswahl.
Einladung zum 3. Dorfgespräch in Doppel-Hofstetten-Neustift Mitreden Mitgestalten Mitentscheiden 12. Mai 2010 um Uhr ins ehem. GH Marchhart Alle.
Die Denkweise der Kinder, das Lernen und Lehren.
Die 10 A Klasse am Europatag in Põlva Aimi Jõesalu 2010.
Mehr gute Arbeit für die Beschäftigten Arbeit - eine Quelle von Wohlbefinden und Gesundheit Arbeit – eine Quelle von Krankheit und Unzufriedenheit.
Interaktive Karten zur Visualisierung statistischer Daten mit Descartes Vortrag von Annette Eicker GIS - Seminar WS 2000/01.
Proseminar zu Schellings „Vom Ich als Prinzip der Philosophie“
POCKET TEACHER Deutsch Grammatik
Herzlich willkommen zum 2. Tag!
Zurück zur ersten Seite Das Grundwahlfach Deutsch: 6 Wochenstunden.
Gesellschaft und Bildung im Wandel: Und die Schule?
Globale Märkte in Kooperationen erschließen Logita, Wilhelmshaven, 2 Juni 2010 Die Dialektik zwischen Oconomy, Technik und Kultur Dr. Frank Jan Graaf,
Das christliche Leben ist wie ein Sport-Wettkampf
Globalisierung bedeutet Verantwortung übernehmen…
DIE WELT UND DU.
Vortrag für Fachdidaktik
Was ist des agilen Pudels Kern?
Maschinen Versuch einer Definition:
Regelmechanismen der Wirtschaft
Wochenplanunterricht
Inhalt Was ist A-Plan? Einsatzgebiete Organisation der Daten
1 Österreichisches Jugendrotkreuz Internationaler Tag der Älteren Menschen 01. Oktober.
Die Freiheit der Seele ... läuft automatisch mit Musik
5.August 1772 Preußen erhält nach der ersten Teilung Polens Westpreußen.
. 1.
ROLLE DER FRAUEN IM ALTEN GRIECHENLAND
Zwischenmenschliche Beziehungen
und verheirateten Junggesellen.
Gemeinschaftsstiftende Liebe 1. Johannes 4, 7-21
Mit dem Ziel, Eltern bei ihrer schönen, aber auch anspruchsvollen Aufgabe der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen, lancierte der Schweizerische Bund.
Europatag der Geistlichen Gemeinschaften 12. Mai 2012
OŠ Siniše Glavaševića Vukovar. Woran denken Sie zuerst, wenn sie den Namen dieser Stadt hören? Welche Gefühle kommen Ihnen bei Erwähnung des Wortes Vukovar.
AUS DER SICHT DES HIMMELS IST WEIHNACHTEN IMMER EIN FEST DER LIEBE
Hi, ich hab hier ein neues Programm, das würde ich gern auf meinem persönlichen System installieren. Es heißt LIEBE. Was soll ich denn da als erstes.
Als Gott die Frau schuf, war es schon sehr spät am 6. Tag.
Institut für den Donauraum und Mitteleuropa Europa erweitern UND vertiefen DI Karl G. Doutlik Vertretung der Europäischen Kommission 24.März 2003.
Gender Mainstreaming.
Die P205, nie wieder!. Ein historisches Managementdrama.
Rawls' Theorie der Gerechtigkeit
Erdbeben im Südasien 8. Oktober auf der Richterskala Das Epizentrum lag nur 95 Kilometer nördlich der Pakistanischen Hauptstadt Islamabad an der.
Angela Koch Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) SCIENCE: Integrierter Naturwissenschaftsunterricht international
Chancengerechtigkeit im Bildungssystem
PARTENARIAT ÉDUCATIF GRUNDTVIG PARTENARIAT ÉDUCATIF GRUNDTVIG REPERES KULTURELLER ZUSAMMENHALT UND AUSDEHNUNG DER IDEEN AUF EUROPÄISCHEM.
Methodologie politischer Ideengeschichte: Cambridge School 20. Mai 2008.
Schweizer Geschichtsbuch 2 Handreichungen für den Unterricht Folie 0© 2011 Cornelsen Verlag, Berlin. Alle Rechte vorbehalten. 5. Das Europa der Nationalstaaten.
23. November 2015 „Uni der Generationen“
Marxismus. Inhalt ● 1. Karl Marx ● 2. Friedrich Engels ● 3.Marxismus als Ideologie.
OpenSource – Freie Software Und die Frage, wie freie Software genutzt wird.
Länger gemeinsam lernen Vortrag im Rahmen der Fachtagung ‚Chancen durch inklusive Bildung‘ in Dietzenbach Prof. em. Dr. Klaus Klemm Essen.
Was ist gute Soziale Arbeit wert?
DIE MENSCHENRECHTE 1.
Einführung Sustainable Development Goals
 Präsentation transkript:

Chancengerechtigkeit im Bildungssystem Modul 1 Sozial-philosophische und normative Konzepte

Überblick Vorbemerkung: leitende Prinzipien Sozialgeschichtlicher Aufriss: was wird in unter-schiedlichen Epochen als gerecht empfunden? Soziaphilosophischer Aufriss: ‚Sphären der Gerechtigkeit‘

Leitende Prinzipien für Seminaraufbau Historisches Verständnis der Problematik (gesell-schaftliche Bedingungen der Umsetzung) Unterschiedliche Sichtweisen Politische/normative Überzeugungen Nationale Traditionen Hoher Wert, der dennoch reflektiert werden muss: Was kann erreicht werden? (keine „himmlische“ Gerechtigkeit); die Bedeutung relativer Unterschiede Gibt es Zielkonflikte mit anderen legitimen Werten

Sozialgeschichtlicher Aufriss

Mandeville, 1723 „Um die Gesellschaft glücklich (...) zu machen, ist es notwendig, dass ein beträchtlicher Teil davon sowohl unwissend wie auch arm sei (...), dass die Kenntnisse der arbeitenden ärmeren Klassen auf das Gebiet ihrer Beschäftigung beschränkt (...) werden (…) Jede Stunde, die von den Kindern armer Leute bei den Büchern zugebracht wird, (bedeutet) ebensoviel für die Gesellschaft verlorene Zeit.“ (Die Bienenfabel)

„Politische Schulverfassung“ (1806) "Den niedrigsten Volksklassen, deren körperliche und geistige Kräfte durch mechanische Arbeit aufgezehrt werden, können in den Trivialschulen nur solche Begriffe beigebracht werden, die sie nicht in der Arbeit stören und mit ihrem Zustand unzufrieden machen. Sie sollen ihr gesamtes Gedankengut auf die Erfüllung der moralischen Pflichten und die emsige Erfüllung ihrer häuslichen und Gemeindeangelegenheiten beschränken."

Heinrich von Treitschke (2.Hälfte 19.Jh) Es „versteht sich doch von selbst, wenn nicht Menschen da wären, die die niedrigen Arbeiten verrichten, so könnte die höhere Kultur nicht gedeihen. Wir kommen zu der Erkenntnis, dass die Millionen ackern, schmieden und hobeln müssen, damit einige Tausend forschen, malen und dichten können.“

Deutsche Reichsschulkonferenz (1920) „Wir brauchen 50% ungelernte Arbeiter. Das ist eigentlich ein Donnerschlag für jene Leute, die mit freier Phantasie nur die Kräfte frei entfalten wollen (...) Das Wohl der Gemeinschaft kann es erfordern, dass bei vielen vorhandene Eigen-schaften verkümmern müssen, damit andere Eigenschaften, die notwendig sind, entwickelt werden können.“ (Diskussionsbeitrag)

Weinstock (Religionspädagoge, 1955) „Dreierlei Menschen braucht die Maschine: den der sie bedient, den der sie repariert und verbessert, den der erfindet und konstruiert. Offenbar verlangt die Maschine eine dreigliedrige Schule: Eine Bildungs-stätte für die ausführenden, also zuverlässig antwor-tenden Arbeiter, ein Schulgebilde für die verant-wortlichen Vermittler und endlich ein solches für die Frager, die theoretisch Begabten.“ (Realer Humanismus)

Grad sozialer Ungleichheit in verschiedenen Gesellschaftstypen Quelle: Gerhard Lenski

Statusaufbau der ländlichen Feudalgesellschaft Quelle: Stefan Hradil

Statusaufbau der mittelalterlichen Stadt Quelle: Stefan Hradil

Einkommensverteilung in England, Ende 17.Jh – Mitte 20.Jh Bevölkerung und Einkommen in % (1950: vor/nach Steuern) 1688 1803 1904 1950 Bev Eink vor St nach St 1,2 14,1 1,4 15,7 2,9 34,2 1 10,6 5,8 31,7 59 31,6 59,4 8,7 14,3 9 21,5 19,9 88,4 51,5 20 23,6 24,8 67,1 26,9 67 24,9 70 44,2 49,4 Quellen: Harold Perkin, The Origins of Modern English Society (1969) Harold Perkin, The Rise of Professional Society: England Since 1880 (1989)

Wirtschaftswachstum in Deutschland, 1800 – 2000 Quelle: Miegel 1983

Soziale Schichtung der westdeutschen Bevölkerung 2000 Quelle: Geissler 2005

Gini-Koeffizient: statistisches Maß zur Darstellung von Ungleichverteilungen. Der Wert kann beliebige Größen zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der Gini-Koeffizient an 1 ist, desto größer ist die Ungleichheit

Soziaphilosophischer Aufriss

Spannung: Gleichheit – Freiheit Im liberalen Gesellschaftsmodell sind beide Konzepte positiv besetzt Müssen mit Hilfe einer regulativen Gerechtigkeitsidee ausbalanciert werden. In welchen Bereichen wird Gleichheit als einengend empfunden? In welchen Bereichen wird Freiheit als Gefahr für den sozialen Zusammenhalt empfunden?

‚Sphären der Gerechtigkeit‘ Pluralität von „Gütern“ und „Währungen“ Distributionsprinzipien: freier Tausch, Verdienst, Bedürfnis; wechselseitige Relativierung verhindert Tyrannei Bildung: (1) Elementar- vs (2) Spezialschulen (1) Zwang; gemeinsamer Grundstock und Sozialkapital, nicht gleiche Chancen, sondern gleiche Resultate (2) Freie Assoziation; gleiche Chancen, die nach Verdienst vergeben werden

Gerechtigkeitskriterien Strikte Gleichheit (ausschließlich Rechtsgüter) Orientierung an Bedürfnissen (weite vs enge Interpretation; bei Kleingruppen mit starken emotionalen Bindungen) Belohnung von Anstrengung (Vergleich mit eigenen Leistungen – bei Schutzbedürftigkeit und dem Willen zur Förderung) Belohnung von Ergebnissen (Marktlogik) Orientierung an zugeschriebenen Merkmalen (ideologisch legitimierte Ungleichheit)

Unterschiede Europa – USA Bis ins frühe 20. Jh waren die USA egalitärer; schwacher Staat und starke Betonung der Individualrechte: Markt zerstört feudale Privilegien In Europa haben die feudalen Wurzeln die Sensibilität für gesellschaftliche Disparitäten geschärft. Positivere Rolle des Staates (Wohlfahrt) und kollektiver Orientierungen/Güter Gleiche Startchancen garantieren vs Verantwortung für Gleichheit der Ergebnisse

Individuum oder Gruppe? Welchen Stellenwert haben Individualrechte bzw. kollektive Orientierungen in der politischen Tradition eines Landes? Modernisierung geht mit Individualisierung einher (Vergleich mit islamischen Ländern), aber auch innerhalb der OECD-Welt gibt es erhebliche Unterschiede (Europa – USA – Asien)

Quoten als Instrument der Gleichstellung Benachteiligung wegen Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Geschlecht, Ethnie, Religion) Zielwerte zum Abbau von Ungleichheiten „weiche“ (affirmative action) und „harte“ (reverse discrimination) Maßnahmen Affirmative action in den USA Gleichstellungspolitik an österreichischen Unis

Dimensionen von Ungleichheit in der Bildung Legitim Ungleichheiten in der Begabung Illegitim Soziale Ungleichheiten Ethnische Ungleichheiten Geschlechtliche Ungleichheiten Regionale Ungleichheiten

2 Arten von Gerechtigkeitsproblemen Ungleichheiten am unteren und am oberen Ende des Leistungsspektrums Fairness beim Zu-gang zur Spitze Absturz unter Mindest-standards verhindern

Pause + Gruppenaufgaben Welche der diskutierten Gerechtigkeitskriterien (Hochschildt) passen auf: Pflichtschule Gymnasium Hochschule ?