Modelle der Familienwohlfahrt im internationalen Vergleich

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 Präsentation transkript:

Modelle der Familienwohlfahrt im internationalen Vergleich Referat im Rahmen der Tagung: ANTISOZIALES VERHALTEN ZWISCHEN DEVIANZ UND PATHOLOGIE „Die Familie im Umgang mit antisozialem Verhalten“ Freie Universität Bozen, 20. Jänner 2011 Univ.-Prof. Dr. Beat Fux Universität Salzburg FB Politikwissenschaft und Soziologie

Familie im Wertgefüge europäischer Länder Basis: World Value Survey, Welle 4 (2010) Frage: (Issue) is important in jour life? Codes: very important, rather important, not very important, not at all important) Indikator:  Anteil „very important“ Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011 Datenquelle: World Value Survey, Welle 4 Berechnungen: Beat Fux

Familie als Gruppe Die funktionalistische Optik betont einerseits die Struktur und Ent-wicklung der Eltern-Kind-Beziehungen, der Geschlechterrollen sowie der Generationenbeziehungen sowohl innerhalb der Kernfamilie wie auch der erweiterten Familie (Großfamilie). Die Interaktionistische Bedeutung zielt vor allem auf die Verhal-tensmuster beteiligter Personen, deren Veränderung über die Zeit sowie auf handlungstheoretische zu begründende Prozesse (z.B. soziale ‚Abnabelung’ vom Elternhaus, Erziehungsstile, Netzwerke, Leistungstransfers zwischen den Generationen etc.). Die systemische Optik ist insbesondere in psychologischen und therapeutischen Zusammenhängen sehr gebräuchlich. Herausge-strichen wird dabei, dass die familiale Primärgruppe ein komplexes Gebilde ist, das mit externen Belastungen (z.B. strukturellen Män-gellagen, Ausgrenzungen) und Konfliktpotenzialen (z.B. Partner-schaftsproblemen, Generationenkonflikten) konfrontiert ist, wo aber auch Lösungsstrategien (z.B. Coping, d.h. individuelle Anstrengun-gen zur Überwindung von Schwierigkeiten, Stress- und Belastungs-situationen) entwickelt werden. Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Familie als Institution Familie ist aber nicht nur eine Gruppe. Vielmehr kann sie auch als soziale Institution aufgefasst werden, d.h. als eine gesellschaftlich anerkannte Einrichtung, die bestimmte Leistungen erbringt (z.B. Reproduktion, Sozialisation, kulturelle Integration) und die deswegen als Grundeinheit der sozialen Ordnung unter dem besonderen Schutz des Staates steht. In dieser Optik interessieren vor allem Fragen, welche die norma-tiven Grundlagen der Institutionenbildung sowie deren Verände-rung über die Zeit hinweg betreffen. Die Analyse des Funktions- und Bedeutungswandels der Ehe, die Beobachtung von Veränderungen in den intergenerationellen Beziehungen (z.B. Verwandtschaft, Eltern-Kind-Relationen, Kinderwert, Solidarität, Leistungstransfers) oder die öffentliche Wahrnehmung der Verfassung der Familie, wie sie zur Formulierung politischer Leitbilder verwendet werden, gründet auf dieser institutionellen Deutung der Familie. Diese Definition von Familie ist im Zivilrecht, in makrosoziologischen Zusammenhängen, aber auch in der öffentlichen Diskussion Familie anzutreffen. Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Ambivalenzen angesichts des Funktionswandels der Familie Im Diskurs um den Wandel von Familie und familialen Lebensformen wird häufig argumentiert, dass der Prozess der Modernisierung einhergeht mit einem Funktionsverlust sowie einem Bedeutungsverlust der Familie für das Individuum und für die Gesellschaft. Aus familiensoziologischer Optik lässt sich zwar nicht leugnen, dass ein Teil der Funktionen, die früher der Familie oblagen (u.a. Ausbildung, Schutz- und Versorgung, Kultfunktion, Gerichtsfunktion) teilweise oder vollständig an spe-zialisierte Institutionen abgetreten wurden, wodurch sich Familien heute in-tensiver auf die Betreuung und Erziehung der Kinder, die Persönlichkeitsent-wicklung sowie die Schaffung einer intimen häuslichen Atmosphäre – als Gegenpol und Ausgleich zu abstrakten Sozialbeziehungen des öffentlichen Lebens – konzentrieren können. Richtiger wäre es daher von einer Funk-tionsentlastung der Familie zu sprechen. Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Ambivalenzen angesichts des Funktionswandels der Familie (2) Allerdings bedeutet die Entlastung von Funktionen neben der Erweiterung von Handlungsspielräumen auch, dass neue Entscheidungszwänge ent-stehen (z.B. Reproduktion, Lebensform, Erwerbstätigkeit) Wenn kollektiv verbindliche Leitbilder verblassen (Entzauberung), müssen Familien einen eigenen Orientierungsrahmen entwickeln, was häufig zu Verunsicherung der Familien beiträgt Mit der funktionale Entlastung entstehen zudem neue Unfreiheiten und Ab-hängigkeiten aufgrund zunehmender institutioneller Vorgaben (z.B. Arbeits-markt, Bildung, Konsum. Medien, Mode) und sozialrechtlicher Regelungen, die den Bedürfnissen von Individuen und Familien unzureichend Rechnung tragen. In Anlehnung an Habermas kann man von einer Kolonialisierung der Intimsphäre sprechen. Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Fazit Im Endergebnis führt das zu einer „strukturellen Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft gegenüber der Familie“ (Kaufmann 1996) und zu einer unzureichenden Anerkennung der Leistungen, welche Eltern/Familien für die Gesellschaft erbringen (vgl. Friedrich List: Das nationale System der politischen Ökonomie, 4. Aufl., Jena 1922, 231: “Wer Schweine erzieht, ist ... ein produktives, wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft“) Alle modernen Gesellschaften bemühen sich mit den auf der Grundlage historisch entstandener Rahmenbedingungen mit den Mitteln der Familienpolitik diese Rücksichtslosigkeit zu verringern. Weil die Rahmenbedingungen variieren, unterscheiden sich auch die ent-sprechenden familienpolitischen Strategien. Ziel des Vortrags ist es, einen Überblick und Systematisierungsvorschlag über solche Strategien zu geben. Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Bevölkerungsweisen und sozialer Wandel Erste Phase: bis ca. 1925 Zweite Phase: ca. 1945–1975 Dritte Phase: seit ca. 1985 Makrostrukturelle Voraussetzungen Liberalismus, Industrialisierung, Fortschritt, Modernisierung Wertewandel Zentrale Konfliktlinie Klassenantagonismus Integration/Exklusion Modernisierungsgewinner -verlierer („neue“ Ungleichheiten) Dilemma Sicherheit vs. Disziplinierung Gemeinschaft vs. Normalisierung Handlungsfreiheiheit vs. Zivilisierung Dominanter Denkstil Paternalismus/Etatismus Familialismus Individualismus Generative Struktur Späte Heirat, hohe Ledigenquote, wenig Scheidungen Selbstverständlichkeit von Heirat und Reproduktion Plausibilitätsverlust der Ehe, Segmentierung in Familien- und Nicht-familiensektor Dominante Familienform(en) Bürgerliche u. proletarische Familie Normenintegrierte Kleinfamilie “Partnerschaftliche” Familienformen Dominante Politikform(en) Rechtliche Ökonomische Ökologische/rechtliche Wichtige Politikfelder Allgemeinbildung, Zivilrecht, Arbeitsschutz, Sozialversicherungen Fiskalpolitik, Familienpolitik, Bildungsexpansion Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, gender- mainstreaming Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Sozialpolitische Ausgaben nach Bereich 1995 Nordeuropäische Länder Kontinentaleuropäische Länder Liberale Länder Peripherien (Südeuropa) Osteuropäische Länder historische Reihenfolge (Implementierung): 1. Unfallversicherung 2. Altersvorsorge 3. Krankenversicherung 4. Arbeitslosenversicherung 5. Familienpolitik Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Aufwand d. Familienpolitik (% d.Sozialbudgets) LUX NL GR IRL I P E CS H PL SK CH JP UK USA Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Monetäre vs. ökologische Familienpolitik Finanzielle Beihilfen Infrastrukturelle Politik Monetäre Politik Sozialökologische Politik Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Kulturräumliche Zonierung Europas tt e n d o ne c t h p r x m u s l i . ul f po q hi v go F - 1 2 3 4 5 A B E L G O S C H R Z D - e s t T F I n M ON N P U K KR Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Stukturelle und soziopolitische Spaltungen Zentrum Gegensätze innerhalb etablierter nationaler Eliten Konfessionelle Spaltung (Staat-Kirche) Klassenspaltung (Besitz-Arbeit) Wirtschaft (Interessens- spezifische Gegensätze) Kultur Ideologische Gegensätze Funktionale Achse Territoriale Achse Ethnisch- linguistische Spaltung Stadt-Land Spaltung Peripherie Gegensätze auf lokaler oder regionaler Basis Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Strukturbildung Europas Um 400 n. Chr. Teilung: Ost-/Westrom -> Hajnal-Linie (Triest-Petersburg) -> Paternalismus -> Verwandtschaft Reformation Westfälischer Friede 1684 -> Nord-Süd-Teilung Europas nach Konfession Nationale Revolutionen postnapoleonische Zeit -> Zentrum-Peripherie (Sprache, Ethnien) -> nationale Homogenisierung -> Kiche vs. Staat Industrielle Revolution ab 1855 -> Stadt-Land-Gegensatz -> Arbeiter-Besitzer-Spaltung Internationalismus Russische Revolution -> Integration der Unterprivilegierten -> Erbe des Kommunismus -> Europäisierung/Globalisierung Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Wege der Familienpolitik in Europa Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Elternurlaub, Natalistische Kinderzulagen 55 4.8 Index 1993 50 4.3 index 2002 45 Natalismus 3.8 Vaterschaftsurlaub 40 3.3 35 2.8 30 2.3 25 1.8 20 1.3 15 0.8 10 0.3 5 - 0.2 DK S N SF ISL SK CZ P H PL F B NL A LUX I D IRL E GR CH JP UK USA Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Kinderbetreuung, Frauenerwerbsquote 120 85 80 100 75 80 70 65 60 60 40 55 50 20 45 40 LUX F B E IRL D I NL ISL CH DK N S CZ H JP A GR P SK UK USA SF PL Vorschule/Betreuung 1989 Vorschule/Betreuung 1993 Vorschule/Betreuung 2001 Frauenerwerbsquote Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Natalistischer Effekt der Familienpolitik 2.5 2.0 1.5 1.0 0.5 0.0 Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Familienpolitische Modelle Familienpolitische Strategie Dimensionen Etatistische Politik Familialistische Politik Individualistische Politik Querschnitts-aufgabe FP als spez. Sektor der Sozialpolitik FP als umfassende Querschnittsaufgabe FP als punktuelle Aufgabe Mehrebenen-problematik Auf gesellschaftlicher Ebene ansetzend; Umverteilung Bei Institutionen an-setzend; Lastenaus-gleich Primat: Mikroebene (Individuen); Handlungsfreiheit Anerkennung familialer Leistungen Gleichwertigkeit aller Lebensformen, Offenheit für neue Lebensformen Begünstigung eheli-cher Lebensformen sowie solcher mit Kindern (Indifferent) Längsschnitt (Lebensphasen-orientierung) universalistische Leistungen (kaum lebensphasen-spezifisch) Subsidiarität; Leistungen differenziert nach Lebensphasen Prinzip der Subsidiarität; Leistungen punktuell nach Lebensphasen Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011

Familienpolitische Regime (basierend auf einer mehrdimensionalen Clusteranalyse) Etatistisch Strukt. Modernisierung Gleichheit sozialökol. Politik Individualistisch Kult. Modernisierung Wahlfreiheit Kommunitarist. Pol. Familialistisch Traditions- orientiert Sicherheit Beat FUX Bozen 20. Jänner 2011