Unternehmensstrafrecht – auch in Deutschland?

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 Präsentation transkript:

Unternehmensstrafrecht – auch in Deutschland? Prof. Dr. Joachim Vogel, RiOLG, München

Recht und Praxis in Deutschland (I) De jure gibt es in Deutschland kein Unter-nehmensstrafrecht in den Sinne, dass gegen Unternehmen „Strafen“ verhängt und Unter-nehmen „Beschuldigte“ (Angeschuldigte, Angeklagte, Verurteilte) in Strafverfahren sind. De facto hat sich Deutschland längst deutlich in Richtung auf ein Unternehmensstrafrecht bewegt.

Recht und Praxis in Deutschland (II) Gegen Unternehmen können „Geldbußen“ bis zu 1 Mio. Euro verhängt werden, § 30 OWiG. Dieser Höchstbetrag soll durch das im Vermittlungs-verfahren befindliche 8. GWB-ÄndG auf 10 Mio. Euro erhöht werden. Die Bußgeldhöchstgrenze kann überschritten werden, um den wirtschaftlichen Vorteil, den das Unternehmen aus der Tat gezogen hat, abzuschöpfen, § 17 Abs. 4 OWiG, und sie wird in der Praxis auch überschritten.

Recht und Praxis in Deutschland (III) Im Grundsatz werden Unternehmensgeldbußen im Ordnungswidrigkeitsverfahren durch Verwaltungs-behörden verhängt, doch folgt das Verfahren im Prinzip dem Strafprozessrecht, § 46 Abs. 1 OWiG. Bei Straftaten im Unternehmen ist aber die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung nicht nur der verantwortlichen Unternehmensmitarbeiter, sondern auch des Unternehmens betreffend die Geldbuße zuständig, und das Unternehmen ist am Strafverfahren „beteiligt“, § 444 StPO.

Recht und Praxis in Deutschland (IV) Steht im Raum, dass eine in einem Unternehmen begangene Straftat von der Unternehmensleitung zu verantworten - mindestens auf eine Aufsichtspflichtverletzung (§ 130 OWiG) zurückzuführen - ist, richten sich die Ermittlungen (Durchsuchung, Beschlagnahme, ggf. Sicherung der Vermögensabschöpfung) faktisch gegen das Unternehmen als solches. Dann gerät das Unternehmen faktisch in eine Beschuldigten-stellung – weshalb es mittlerweile zur Regel geworden ist, dass sich Unternehmen bei strafrechtlichen Vorwürfen gegen ihre Leitung durch eigene, auf die Unternehmensinteressen verpflichtete Unternehmensanwälte vertreten lassen.

Recht und Praxis in Deutschland (V) Längst haben Unternehmen reagiert, indem sie als wichtigen Bestandteil von Compliance proaktive Straftatverhinderung und reaktive interne Straftatermittlung durch ihre Compliance-Abteilungen betreiben. Auch der Resozialisierungsgedanke hat längst Unternehmen erreicht: Bei strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Unternehmensleitung wird diese von einem good corporate citizen ausgewechselt, und der good corporate citizen kooperiert weitestmöglich mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden.

Recht und Praxis im Ausland (I) Ein wichtiges politisches Argument lautet, das deutsche Recht sei nicht mehr zeitgemäß, weil unsere Nachbarn und die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten längst ein Unternehmens-strafrecht kennen. Das trifft zu, doch weist das Bild bei näherer Betrachtung durchaus Schattierungen auf: Beispiel Schweiz: Art. 102 schweiz. StGB, in Kraft seit 01.10.2003: „Bestrafung“ von Unternehmen mit „Busse“ bis 5 Mio. SFR, nur wenn die Tat keiner natürlichen Person zugerechnet werden kann; keine nennenswerte Praxis Beispiel Österreich: Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (in Kraft seit 01.01.2006): „Verbandsgeldbusse“ bis 180 Tagessätze in Höhe des Verbandsertrags – d. h. Gewinns – pro Tag, kaum nennenswerte Praxis

Recht und Praxis im Ausland (II) Beispiel Frankreich: Nach Art. 121-2 Code pénal, in Kraft seit 01.01.1995, sind Unternehmen „strafrechtlich verantwortlich“; Geldstrafe (amende, Art. 131-37 Code pénal) und zahlreiche weitere Strafen wie Auflösung, Betriebsschließung, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen (Art. 131-39 Code pénal); beachtliche Praxis Beispiel Spanien: Nach Art. 31bis Código penal, in Kraft seit 23.12.2010, sind Unternehmen „strafrechtlich verantwortlich“; Geldstrafe (multa) und zahlreiche weitere Strafen ähnlich wie in Frankreich; aber bislang kaum nennenswerte Praxis

Recht und Praxis im Ausland (III) Beispiel USA: Rechtsordnung mit der ältesten Tradition der Unternehmensbestrafung, auf Bundesebene nach den Organizational Sentencing Guidelines, nicht nur Geldstrafen (fines), sondern auch Bewährungs-auflagen und -weisungen (probation orders) etwa betreffend Compliance-Organisation, Wiedergutmachung u. dgl.; Praxis nennenswert, aber nicht überwältigend (auf Bundesebene dreistellige Verfahrenszahlen pro Jahr); deutlicher Wettbewerb mit zivil- und verwaltungsrechtlichen Sanktionsmechanismen, wie sie z. B. der SEC zur Verfügung stehen

Politik (I): National Abschlussbericht der Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems, März 2000: Beschluss 12-1: „Die Kommission lehnt die Einführung einer Unternehmenssanktionierung im Bereich des klassischen Kriminalstrafrechts ab.“ Beschluss 12-4: „Zu überprüfen ist die Erweiterung der Sanktionsmöglichkeiten (…) über die Geldbuße hinaus, entsprechend der Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates (R 88/17) sowie den (…) Möglichkeiten, die in den EU-Rechtsinstrumenten genannt werden.“

Politik (II): International Die EU verlangt – jedenfalls bisher – keine Einführung eines Unternehmensstrafrechts im eigentlichen Sinne. Auch die OECD verlangt nur eine Verschärfung des derzeitigen Ordnungswidrigkeitenrechts, siehe OECD, Bericht vom 17.03.2011 über die Anwendung des Übereinkommens über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr und der Empfehlung des Rats zur weiteren Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr – Deutschland: Phase 3, Empfehlung 3 d): „Das Höchstmaß bezüglich des gesetzlich vorgesehenen Bußgeldes für juristische Personen zu erhöhen, und zwar auf ein Niveau, das wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist [Übereinkommen, Artikel 2 und 3; Empfehlung von 2009 V.; Phase-2-Evaluierung, Empfehlung 7]“

Politik (III): Rot-Grün … „ Wir werden (…) eine Bundesratsinitiative für ein Unternehmensstrafrecht ergreifen. Deutschland ist eines der wenigen Länder ohne ein solches Strafrecht. Hätten wir es, würde ein Vorgehen z. B. gegen Banken leichter, die ihren Kunden bei der Hinterziehung von Steuern helfen.“ Hannelore Kraft (SPD), Regierungserklärung, 12.09.2012 „Die Justizministerinnen und Justizminister nehmen zur Kenntnis, dass Nordrhein-Westfalen eine Gesetzesinitiative zur Einführung eines spezifischen Unternehmensstrafrechts vorbereitet, und werden auf dieser Grundlage die Diskussion fortführen.“ Justizministerkonferenz, 15.11.2012 (TOP II. 1 Beschluss 2.) „Wir brauchen ein Unternehmensstrafrecht (…) In den USA müsste die Deutsche Bank Strafe in Millionenhöhe zahlen.“ Jürgen Trittin (B90/Grüne), Spiegel Online, 18.12.2012

Politik (IV): … versus Schwarz-Gelb „Unternehmensstrafrecht als Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen“ Wirtschaftsrat der CDU e. V. Sachsen, 11.12.2012 „Das geltende Recht ist bereits jetzt dazu geeignet, auch auf schwerwiegende Verstöße von Unternehmen angemessen zu reagieren.“ Dirk Niebel (FDP), 24.08.2009 

Politik (V): Way forward Die Arbeit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen an einem Gesetzentwurf ist weit vorangeschritten, und der Entwurf soll noch im Frühjahr in die Ressortabstimmung gehen. Danach, möglichst noch vor der Sommerpause, soll er von Nordrhein-Westfalen in den Bundestag eingebracht werden, der – nach Beratung – mehrheitlich beschließen kann, ihn als Gesetzesvorlage ins Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Das weitere Verfahren richtet sich nach Art. 76 Abs. 3 GG. In dieser Legislaturperiode wird der Entwurf nicht Gesetz werden. Ob er es in der nächsten Legislaturperiode wird, dürfte vom Ausgang der Bundestagswahl 2013 abhängen.

Prüfsteine Verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines Unternehmensstrafrechts „Mehrwert“ eines Unternehmensstrafrechts Aspekt Symbolik Aspekt Rechtsstaatlichkeit Aspekt Effektivität, Effizienz „Risiken und Nebenwirkungen“ eines Unternehmensstrafrechts Aspekt „Wirtschaftsstandort“ Aspekt Investoren, Arbeitnehmer, Verbraucher

Vielen Dank! Prof. Dr. Joachim Vogel, RiOLG LMU München, Lehrstuhl für (…) Wirtschaftsstrafrecht OLG München, 1. Strafsenat http://www.jura.uni-muenchen.de joachim.vogel@jura.uni-muenchen.de