Die Entwicklung der Juristenausbildung in Deutschland Vortrag im Rahmen des ELSA-Seminar 2013 – Jurastudium: Uni vs. Praxis – der Weg ist das Ziel
Juristen Gesellschaft Recht Ausgangslage Der Jurist muss den gesellschaftlichen Prozess des Wandels des Rechts und des Wandels durch Recht begleiten Er ist Akteur in nationalen, europäischen und internationalen Normerzeugungsprozessen Juristen Gesellschaft Recht Normsetzung Wandel des Rechts Wandel durch Recht
Gliederung Allgemeine Ziele der Juristenausbildung Allgemeine Formfragen Modelle der Juristenausbildung aus historischer Sicht Preußischer Einheitsjurist Richterjurist Jurist als Sozialingenieur Anwaltsjurist Aktuelle Debatte: wertorientierter europäischer Jurist
Ziele der Juristenausbildung Werteorientierung Orientierung an Bedürfnissen der Wirtschaft oder der Technik – Code is Law Grundlagenausbildung von hoher Qualität Weiterbildung Lokal Europäisch-global „trans-systemisch“ Theorie Praxis Generalist (Einheitsjurist) Spezialist Juristisch Interdisziplinär Entscheidend Rechtsgestaltend Distanziert Sozial kompetent
Formfragen Zweistufig Einstufig Einheitsausbildung Ausdifferenzierung nach Wirtschaftsjurist, Politikjurist, „Wall-Street-Jurist“ Normaluniversität Eliteuniversität (Fachhochschule) Fächerübergreifende Prüfung Modularisierung Staatliche Finanzierung Private Finanzierung Örtliche Mobilität Örtliche Vernetzung Normaldauer Schnelles Studium, Freischuss Staatsexamen Universitätsexamen National sichtbare Universitäten International sichtbare Universitäten Eingangsstudium Graduate School
Modelle der Juristenausbildung aus historischer Sicht 19. Jh. Mobiler hochqualifizierter Einheitsjurist (Preußen) Örtlich und fachlich beliebig einsetzbarer Jurist 1934 Parteijurist nationales am Führerprinzip und NS Ideologie orientiertes Rechtswahrertum Nach 1945 Richterjurist Sicherung der nationalen Grundrechte 1970-1991 Jurist als Sozialingenieur Die einstufige Ausbildung Reform 2003 Anwaltsjurist Ökonomisierung des Studiums Heute Werteorientierter europäischer Jurist
Preußischer Einheitsjurist (19. Jh.): Leitbilder und Ziele Mobiler Einheitsjurist Werteorientierung Überwindung der geografischen und kulturellen Zersplitterung Preußens Moderner Verwaltungsapparat Grundlagenausbildung Hohe Qualität Generalist Örtlich und fachlich überall einsetzbar = Vorbeugung gegen korrupte Tendenzen Juristisch Historische und staatswissenschaftliche Hintergründe werden vermittelt Entscheidend Distanziert
Preußischer Einheitsjurist (19. Jh.): Form Zweistufig Grundausbildung an der Universität Praxisausbildung im Referendariat Schwerpunkt liegt im Referendariat Strikte Einheitsjuristenausbildung Eliteuniversitäten auf Basis von Reputation (Heidelberg, Freiburg, Berlin) Staatliche Finanzierung 1. und 2. Staatsexamen Qualitätssicherung und Korruptionsbekämpfung
Richterjurist (nach 1945): Ziele Strikte Werteorientierung Rechtsschutzperspektive und Perspektive des Richters im Zentrum der Ausbildung Rechtsgestaltung ausgeklammert geringe Bedeutung der Anwaltsausbildung Grundlagenausbildung von hoher Qualität Strikter Grundrechtsschutz Lokal nationales Recht steht im Mittelpunkt Theoriephase an der Universität Einheitsjuristen; geringe Spezialisierung juristisch, entscheidend, distanziert
Richterjurist (nach 1945): Form Zweistufig Einheitsausbildung Normaluniversität Qualitätssicherung durch Staatsexamen Staatliche Finanzierung Örtliche Mobilität Dauer spielt keine Rolle Abschluss: Staatsexamen
Jurist als Sozialingenieur (1971-1991): Ziele Werteorientierung, Reformideale: Ostpolitik, Bildung für alle, starke Sozialstaatlichkeit, Demokratisierung Grundlagenausbildung stark reduziert Schwerpunktverlagerung: gesellschaftliche und historische Zusammenhänge Lokal; Ausklammerung des internationalen oder europäischen Rechts Stärkere Praxisorientierung Integration in Theoriephase Stärkere Spezialisierung statt Einheitsjuristen Interdisziplinarität statt umfangreicher juristischer Grundausbildung Rechtsgestaltung tritt neben die Entscheidungsrolle des Richters Soziale Kompetenz als wichtiger Zielwert Ablehnung der distanzierten Richterrolle
Jurist als Sozialingenieur (1971-1991): Form Einstufig statt zweistufig Einheitsausbildung bleibt, so auch das Staatsexamen Keine Eliteuniversitäten Fachübergreifende Prüfung mit starken Wissenschaftsbezug Z.B. Hausarbeiten, die über dem Niveau heutiger Masterarbeiten liegen Keine örtliche Mobilität, da es nur wenige Modellprojekte gibt Normaldauer, aber stark durchstrukturiertes Studium Abschluss mit ersten und zweiten Staatsexamen nach sechs oder sieben Jahren kein Repetitorium Häufig sind die Absolventen zu jung für die Übernahme von Richterrollen
Jurist als Sozialingenieur (1971-1991): Kritik Beteiligt hatten sich von vornherein nur in der Zeit neu gegründete Universitäten (Bielefeld, Bremen) oder neu entstandene juristische Fakultäten (Hamburg). Versuchsphase zu kurz um nachhaltige Modelle gegen traditionelle Universitäten zu etablieren Keine Vergleichbarkeit Die Verkürzung der Studienzeit hätte mit einer deutlichen Reduzierung des Stoffes verbunden sein müssen. Zusätzliches Studium der geisteswissenschaftlichen Disziplinen unvereinbar mit Zeitdruck Einstellung mit Auslauf der letzten Prüfungen 1990/91 Das Modell wurde allerdings im Vorfeld der Reform von 2002 erneut vorgeschlagen.
Anwaltsjurist (Reform 2003): Ziele (1/2) Orientierung am Bedarf der Wirtschaft oder der Technik (Code is Law) Jurist weniger Organ der Rechtspflege, mehr Beschleuniger ökonomischer Prozesse Reduzierte Grundlagenausbildung Stärker europäisch Immer noch nicht global Weiterhin theorieorientiert Ausweitung von Praktika Eigentliche Praxisausbildung erfolgt im Referendariat Stärkere Spezialisierung Entfernung von der Idee des Einheitsjuristen
Anwaltsjurist (Reform 2003): Ziele (2/2) Weiterhin primär juristisch, Anforderungen an Interdisziplinarität allenfalls rhetorisch Etwas stärker rechtsgestaltend Bsp.: Mediation Studenten orientieren sich jedoch am Examen Weiterhin distanziert Massenuniversität hat nur geringen Raum für soziale Kompetenzentwicklung
Anwaltsjurist (Reform 2003): Form Weiterhin zweistufig Die Einführung einer einstufigen Ausbildung scheitert am Veto der Finanzminister Einheitsausbildung Aber Studiengänge für Wirtschaftsjuristen, Politik-Juristen, Juristen für internationale Anwaltskanzleien (Bucerius Law School) Normaluniversität Exzellenzinitiativen haben für die Ausbildung nur geringe Bedeutung Staatliche Finanzierung Allseits bestehende örtliche und sachliche Einsetzbarkeit bleibt erhalten Schnelles Studium und Freischuss wohl der zentrale Unterschied zur bisherigen Ausbildung 30 % Universitätsexamen (aber Herausrechnung in der Praxis)
Aktuelle Debatte: wertorientierter europäischer Jurist Werteorientierung wird wichtiger und damit auch die Grundlagenfächer (so Wissenschaftsrat) Stärker europäisch und international Nicht „trans-systemisch“ (wie McGill Law School) Theoriegeleitet Praxiserfahrungen veralten heute schnell Einheitsjurist wird verstärkt Weiterbildung und Spezialisierung werden in andere Ausbildungsinstitutionen gedrängt Stärker juristisch Gewährleistung des dogmatischen Ausbildungsniveaus Eher sozial kompetent Einsatz neuer technischer Mittel
Wertorientierter europäischer Jurist: Form Zweistufig Einheitsausbildung an den Universitäten Juristenausbildung an der Fachhochschule? Debatte über graduate schools Modularisierung und fächerübergreifende Prüfung möglich Staatliche Finanzierung Mobilität bleibt Ziel Schnelles Studium bleibt Ziel Widerspruch zu stärkerer Werteorientierung Erhalt der Vielzahl von Fakultäten Insbesondere wegen Studentenandrangs Aber: Herausbildung national sichtbarer Fakultäten (Berlin, München, Freiburg und Heidelberg)
Literaturhinweise Gilles/Fischer, Juristenausbildung 2003, NJW 2003, 707. Hattenhauer, Juristenausbildung – Geschichte und Probleme, JuS 1989, 513. Kilger, Juristenausbildung und Anwaltsausbildung, NJW 2003, 711. Mager, Erfahrungen mit der Ausbildungsreform von 2002, in: Juristenausbildung in Europa zwischen Tradition und Reform (Baldus/Finkenhauer/Rüfner [Hrsg.]), 2008, S. 321. Münch (Hrsg.), Die neue Juristenausbildung – Chancen, Perspektiven und Risiken, 2004. Papier/Schröder, Plädoyer für die Juristische Staatsprüfung, NJW 2012, 2860. Stiebeler, Hamburger Modell einer einstufigen Juristenausbildung, JZ 1970, 457. Voßkuhle, das Leitbild des „europäischen Juristen“, RW 2010, 327. Wolf, Perspektiven der Rechtswissenschaft und der Juristenausbildung, ZRP 2013, 20.
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