Blindsehen Seminar: klassische Fälle der Neuropsychologie

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 Präsentation transkript:

Blindsehen Seminar: klassische Fälle der Neuropsychologie Dozent: Prof. Dr. Mecklinger Referenten: P.Krämer und J.Jäschke

Übersicht Einstieg Anatomie und physiologische Merkmale des visuellen Systems Störungen des Gesichtsfelds Gesichtsfeldeinbußen und ihre funktionellen Folgen

Einstieg Gesichtsfeldausfälle sind häufigste zerebrale Sehstörung bereits zu Beginn der klinische Hirnforschung Charakterisierung partieller zerebraler Blindheit nach: Quantität bzw. Qualität des Ausfalls Vergleich von Assoziation und Dissoziation von Teilfunktionen als Hinweis auf die Organisation des visuellen Systems

es sind Hinweise vorhanden für zwei grundlegende funktionelle Organisations-Prinzipien: funktionelle Spezialisierung für Verarbeitung und Kodierung der visuellen Informationen unbedingte Aufrechterhaltung der räumlichen und zeitlichen Kohärenz der Wahrnehmung ständiger Gesichtsfeldverlust wird als Anopsie, eine Beeinträchtigung als Amblyopie bezeichnet Unterarten der Anopsie sind die partielle und totale genikulostriäre Blindheit, Achromatopsie und die Akinetopsie Die letzten beiden als Folge einer extrastriären Läsion

Anatomie und Physiologie extrem hohe Leistungsfähigkeit: Reizwahrnehmung in einem Bereich von 180° horizontal und 100° vertikal sehr detaillierte Auflösung und Analyse der Reize im Zentrum Voraussetzungen für diese Fähigkeiten: Leistung der Retina Verteilung von Zapfen im Zentrum und Stäbchen in der Peripherie funktionelle Teilung von Entdecken und Lokalisieren gegenüber dem Erkennen

Am chiasma opticum kreuzen sich die Sehnerven Augen sind durch Eigenmotorik in der Lage selbst auf ein Ziel gerichtet zu werden und es zu fixieren auf der Retina entstandene Bilder werden über den Sehnerv an höhere kognitive Zentren geleitet Am chiasma opticum kreuzen sich die Sehnerven dies führt zur Projektion des linken Gesichtsfeldes in die rechte Hemisphäre und umgekehrt sog. homonyme Repräsentation

Repräsentation des zentralen Gesichtsfeldes am Okzipitalpol sehr schmaler Bereich des Gesichtfeldzentrums überlappt in der Wahrnehmung, es wird eine bilaterale Repräsentation angenommen postchiasmatische Sehstrahlung ist retinotop organisiert (vgl. area striata, visuelles Areal V1, Brodmann 17) Repräsentation des zentralen Gesichtsfeldes am Okzipitalpol Vergrößerungsfaktor im zentralen Gesichtsfeld bei 5-10 mm, in der Peripherie bei 0,005-0,01 mm Projektion der inneren 10° des Gesichtsfeldes in 50% des striären Kortex Vergrößerungsfaktor ist die Strecke im Projektionsgebiet die einer Änderung um 1° Sehwinkelgrad entspricht

bereits in der Retina werden optische Reize parallel verarbeitet bei zunehmender Spezifikation der Zelleigenschaften werden diese Signale zentral verstärkt: MT: mediales temporales Areal IT: inferotemporaler Kortex V: visuelles Areal

Beide Systeme finden sich in extrastriären Verarbeitungsrouten: M-System: magnozellulär große rezeptive Felder geringe räumliche Auflösung hohe zeitliche Auflösung farbenblind  kontrastempfindliche Tiefen- und Bewegungswahrnehmung projizieren in Felder globaler Raumwahrnehmung (V3 und V5) P-System: parvozellulär kleine rezeptive Felder hohe räumliche Auflösung geringe zeitliche Auflösung farbempfindlich  hohe Detailauflösung mit geringer Kontrastempfindlichkeit projizieren in Felder der Farb- und Formwahrnehmung (V4 und IT) Wie im letzten Referat dargestellt ist hier das M-System das wo-System und das ventrale System das was-System; je weiter man sich vom V1 entfernt, desto ungenauer wird die retinotope Organisation Beide Systeme finden sich in extrastriären Verarbeitungsrouten: M-System in dorsaler Bahn (okzipitoparietal) P-System in ventraler Bahn (okzipitotemporal)

Störung des Gesichtsfeldes eine postchiasmatische Störung der retinostriären Projektion führt zu einer Sehfeldstörung im kontralateralen binokularen Gesichtsfeld Klassifizierung nach: uni- oder bilateraler Ausbildung welche Form der Sehfeldstörung dem Schweregrad, dem Ausmaß des Restgesichtsfeldes bei Läsion des vorderen Bereichs der Sehstrahlung eher unregelmäßige, inkomplette Ausfälle bei Läsionen des V1 eher Quadranten- oder Hemianopsien aufgrund höherer retinotoper Organisation

 bilaterale Repräsentation dieses Bereichs auf dem strären Kortex Anteil der fovea am Gesichtsfeld (3°) erhalten nach unilateraler Schädigung  bilaterale Repräsentation dieses Bereichs auf dem strären Kortex 90%

wird manchmal als Anzeichen für ein intaktes „wo-System“ angesehen es kann auch zu teilweisen Sehleistungsverlusten kommen, sog. Amblyopie: typischer Weise Form- und Farbwahrnehmung meist nur Schwellenerhöhung bei der Lichtwahrnehmung bewegte Reize werden besser erkannt als stationäre jedoch eingeschränkte Lokalisationsgenauigkeit und Bewegungsdiskrimination wird manchmal als Anzeichen für ein intaktes „wo-System“ angesehen

 selektive Gesichtsausfälle: neben diesen Störungen auch Fälle des Verlustes einzelner Sehleistungen bekannt:  selektive Gesichtsausfälle: Hemiachromatopsie Formwahrnehmung Größenwahrnehmung Bewegungswahrnehmung visuelle Lokalisation optischer Reize Farb-, Form- und Größenwahrnehmung gestört nach Läsion okzipitotemporaler Areale nur ein Halbfeld oder ein Quadrant betroffen  unterstützt Modelle der funktionellen Spezialisierung, der beiden Verarbeitungsrouten und der extrastriären Rentinotopie

Patienten mit unilateraler okzipitaler Läsion unterschätzen Anteile optischer Reize nicht nur bei Präsentation der Reize, sondern auch bei der Vorstellung: kortikale Retinotopie auch außerhalb Verarbeitung afferenter Informationen gültig visuelles Vorstellen ebenfalls in topographisch organisierten Arealen

funktionelle Folgen von Gesichtsfeldeinbußen Untersuchung von homonymen Ausfällen und ihren topographischen Korrelaten als wichtiges Mittel zur Erstellung von kortikalen Landkarten („mapping“) jedoch auch Betrachtung von funktionellen Folgen dieser Störungen von Bedeutung: Erlangen eines Überblicks über die Umgebung Lesen Visuelle Blickrichtung

Globaler Überblick Gesichtsfeld ohne Augen- oder Kopfbewegung zwischen 180° horizontal und 100° vertikal, mit Nutzung der Motorik um einiges größer Nutzung des größten Teils dieser Wahrnehmung zur simultanen Erfassung eines maximalen Ausschnitts der Umgebung und dessen räumlicher Einordnung bewegte Reize werden zuverlässiger entdeckt für stationäre Reize sind Farb-, Form-, Größen- und Kontrasteigenschaften von Bedeutung

homonyme Gesichtsfeldausfälle haben verschiedene Folgen: ein entdeckter Reiz wird durch eine Zuwende-bewegung fixiert und vom fovealen Rentinabereich analysiert solche Fixationswechsel sind für die effektive Nutzung der detaillierten Auflösung des Sehfeldzentrums unverzichtbar homonyme Gesichtsfeldausfälle haben verschiedene Folgen: Vernachlässigung eines Teils der Umwelt Beeinträchtigung der räumlichen Wahrnehmung der Umwelt keine simultane Aufnahme des Gesamtausschnitts sondern nur sukzessive Bilder Kompensation dieser Beeinträchtigungen als Herausforderung für das visuelle System

Patienten mit einer begrenzt-afferenten Störung (10% aller Patienten) sind in der Lage sich trotz striärer Läsionen einen zuverlässigen und vollständigen Überblick zu verschaffen, wobei die benötigte Zeit nur geringfügig von der gesunder Probanden abweicht Erklärung: extrastriäre dorsale visuelle Areale, die mit interhemisphärischen Verbindungen Informationen homotop projizieren („überspielen“) können, beeinflussen die räumliche Kohärenz des Wahrgenommenen enorm sind jedoch zusätzliche Areale, z.B. okzipitoparietale Strukturen geschädigt, so ändert sich die okulomotorische Abtaststrategie: kleinamplitudige Sakkaden stark erhöhte Fixationsanzahl wiederholte Fixationen keine Übereinstimmung der räumlichen Struktur mit der Reizvorlage

dies spricht für eine „Plastizität“ des visuellen Systems dorsale visuelle Areale besonders wichtig für visuell-räumliche Informationen aufgrund ihrer: retinotopen Organisation Spezialisierung in deren Verarbeitung Homo- und heterotopen kallosalen Verbindungen in Verbindung mit den ventralen Arealen auch Garantierung zeitlicher Kohärenz bei einer dies betreffenden Störung berichten Patienten von einer Wahrnehmung der Welt in „Einzelaufnahmen“, welche aktiv zusammengefügt werden müssen Training kann die Störung stark eindämmen, der Zeitbedarf bleibt jedoch stets erhöht dies spricht für eine „Plastizität“ des visuellen Systems

Lesen deutlicher wird die Kompensationsfähigkeit des visuellen Systems am Beispiel des Lesens es wird ein Gesichtsfeldausschnitt von etwa 8° benötigt dieses „Lesefenster“ ist asymmetrisch: Leserichtung von links nach rechts bedeutet links Wahrnehmung von etwa 4 Buchstaben, rechts hingegen bis zu 15 dies ermöglicht die für das Lesen notwendige kontinuierliche Folge von Fixationen

wie bei dem globalen Überblick: Verlust des parafovealen Gesichtsfeldes führt zu einem Verlust des „lokalen Überblicks“ und je nach Seite des Ausfalls zu: einer Schwierigkeit beim Finden des Zeilenanfangs bei linksseitigem Ausfall einem Unvermögen das Wortende zu finden bei rechtsseitigem Ausfall wie bei dem globalen Überblick: findet sich eine kleine Patientengruppe, bei denen sich schnell eine annähernd normale Leseleistung einstellt kann durch ein gezieltes Lesetraining die Leseleistung extrem verbessert werden, wenn auch nicht wieder normalisiert vergleichbar zum globalen Überblick besteht also auch beim Lesen eine Fähigkeit zur Substitution geschädigter Areale unter Verwendung extrastriärer Gebiete

fovea und visuelle Blickrichtung bei intakter fovealen Repräsentation besteht eine zentrale Fixation die bei einer Hemianopsie auftretende Verschiebung der Fixation in Richtung des Ausfalls wird als eigenständige Störung angesehen bei einem Zentralskotom erfolgt ein Verlust der zentralen Fixation und der sakkadischen Genauigkeit die kortikale foveale Repräsentation in V1 ist wichtige Referenz für räumliche Kodierungsprozesse und die Steuerung der Blickbewegung

Übersicht Zerebrale Blindheit genicuolstriäre Blindheit extrastriäre Blindheit Blindsehen Untersuchungsverfahren zum Nachweis von Blindsehen Direkte oder forced– Choice- Verfahren Indirekte Untersuchungsverfahren Funktionelle Neuroanatomie des Blindsehens Was nutzt das Blindsehen?

Zerebrale Blindheit Geniculostriäre Blindheit Rindenblindheit = Die vollständige Zerstörung beider geniculostriären Projektionen führt zum vollständigen Verlust aller Sehfunktionen im gesamten Gesichtsfeld 70-75% der Patienten zeigen eine gewisse Spontanerholung Rückkehr des Sehens erfolgt nach charakteristischem Muster (2-3 Monate): Lichtwahrnehmung jedoch bessere Wahrnehmung von bewegten Reizen Wahrnehmung von Farben („schmutzig“), groben Konturen und Formen Objektwahrnehmung (Selten) Rückbildung kann auf jeder dieser Stufen beendet sein!

Hierarchie der zentralnervösen Organisation der visuellen Wahrnehmung Wahrscheinlicher: für die Wahrnehmung von Licht, Hauptfarben und groben Konturen sind weniger neuronale Einheiten erforderlich (Neurone finden sich in zahlreichen visuellen kortikalen Arealen) Alternativ: keine vollständige Schädigung aller visueller Areale  Wahrnehmung einzelner Farbtöne und Formen möglich Die Aussparung extrastriärer Areale in Fällen zerebraler Blindheit zeigt sich auch im Erhalt visueller Vorstellungen und Gedächtnisinhalte  genikulostriäre Anteil des visuellen Systems ist für die Generierung visueller Vorstellungen nicht erforderlich.

Extrastriäre Blindheit: Verlust einzelner Sehleistungen im gesamten Gesichtsfeld z.B.: Farb-, Bewegungswahrnehmung Keine Beeinträchtigung der Licht-, Form- und Raumwahrnehmung im Gesichtsfeld

Blindsehen Eine Läsion, die die primäre Sehrinde (V1) zerstört oder denerviert, verursacht einen homonymen Gesichtsfeldausfall, dessen Lage, Größe und Dichte perimetrisch bestimmt wird. Lage und Größe: Topographie der Abbildung des Gesichtsfeldes in V1 Dichte: Absolute oder relative Blindheit Relativer Ausfall: Patient kann noch geeignete Muster wahrnehmen Absoluter Ausfall: Patient kann Reize nicht sehen, solange ihre Leuchtdichte unterhalb der Streulichtschwelle liegt Obwohl kein bewusstes Sehen möglich ist, lassen sich in Feldern absoluter kortikaler Blindheit nichtreflexive visuelle Restfunktionen nachweisen

Drei Kritische Einwände gegen das Blindsehen: Überzufällige Leistungen können durch Streulicht verursacht werden, das in funktionstüchtige Gesichtsanteile fällt Im natürlichen blinden Fleck dargebotene Reize können nur aufgrund von Streulicht erkannt werden. Sind die Reize zu schwach, um hier eine signifikante Entdeckungsleistung zu ermöglichen, kann ihre Entdeckung im Gesichtsfeldausfall nicht durch Streulicht bedingt sein. Empfindlichkeit für einen 116‘ großen, weißen Reiz, der auf einem ebenfalls weißen Hintergrund von 10 cd/m2² Leuchtdichte für je 200 ms dargeboten wurde

Das Entscheidungskriterium kann in den Blindseh-Untersuchungen laxer sein als beim Ausmessen des Gesichtsfeldausfalls absichtliche Veränderung des Entscheidungskriteriums des Patienten  überzufällige Leistung ist unabhängig von Veränderungen Die impliziten Restleistungen werden nur bei Patienten beobachtet, deren Läsionen kleine Teile der primären Sehrinde aussparen. Patienten und Affen mit operativ entfernter Rinde zeigen Blindsehen; mit hoch auflösenden bildgebenden Verfahren lässt sich keine Aktivierung im lädierten oder denervierten V1 feststellen!

Untersuchungsverfahren zum Nachweis von Blindsehen Direkte oder „Forced-Choice“ – Verfahren Patienten raten, ob innerhalb ihres Gesichtsfeldausfalls ein Reiz dargeboten wurde, wo er dargeboten wurde oder welcher von einer kleinen Auswahl von Reizen dargeboten wurde. Diese Methoden fragen nicht, ob der Patient etwas wahrnimmt, sondern nehmen seine Reaktion auf den Reiz auf. Patienten können an verschiedenen Positionen im Ausfall dargebotene Stimuli überzufällig lokalisieren Sie bewegen Hand oder Augen deutlich häufiger ungefähr dahin, wo der Reiz wirklich war Sehreize, die an einer festen Position im Ausfall in zufälliger Reihenfolge mit Leerreizen gezeigt werden können überzufällig entdeckt und unterschieden werden, wenn sie sich in Größe, Leuchtdichte, Orientierung, Wellenlänge, Form, Bewegung oder Bewegungsrichtung ausreichend unterscheiden.

Mit diesen Rateverfahren gemessenen Entdeckungs- und Unterscheidungsschwellen waren im Verhältnis zur normalen Gesichtsfeldhälfte durchschnittlich um 0,5 -1 log. Einheit erhöht. Schwellen= niedrigste Werte, bei denen das Rateverhalten statistisch vom Zufall verschieden ist; keine Wahrnehmungsschwellen Beispiel: Verarbeitung bewegter Reizmuster

für die nachweisbare Leistung verantwortlich: Größe der Läsion Eigenschaften des Reizes Aufgabe Training Objektunterscheidungsaufgabe Die Erfahrung, die der Patient mit seinen visuellen Restfunktionen erworben hat, entscheidet mit darüber, ob und in welchem Ausmaß sie nachweisbar sind.

Indirekte Untersuchungsverfahren Es wird indirekt gemessen, ob die Reaktion des Patenten auf einen im normalen Halbfeld gezeigten, bewusst abgebildeten Reiz durch zusätzliche Darbietung eines zweiten Reizes im blinden Feld signifikant beeinflusst wird Bsp.: perzeptuelle Vervollständigung, die ein wahrgenommener Reiz durch in den blinden Anteil fallende Reizanteile erfährt. Bahnungs- und Interferenzeffekte zwischen den beiden Halbfeldern zeigen sich auch in den Reaktionszeiten der Patienten Veränderung der Reaktionszeit durch Präsentation eines zweiten ungesehenen Reizes Darbietung von Zusatzstimuli, die den Zielreiz im normalen oder im blinden Halbfeld flankieren und mit ihm übereinstimmen, oder von ihm verschieden sind (schnellere Identifikation bei kongruentem Reiz)

Angenehmer für Patienten Verlangen viele Reizdarbietungen Empfindlicher als direkte Verfahren Blindsehen = die in Feldern absoluter kortikaler Blindheit nachgewiesenen visuellen Restleistungen - das überzufällige Raten, die vom ungesehenen Reiz beeinflusste Reaktion auf den gesehenen Reiz!

Funktionelle Neuroanatomie des Blindsehens Die Läsion in der primären Sehrinde verursacht eine absteigende Degeneration, die im Laufe weniger Monate die Projektionsneurone im CGL dezimiert und transneuronal die Ganglienzellen der Netzhaut angreift. Durch den viel langsameren über viele Jahre hinweg andauernde Prozess der retinalen Degeneration sterben bis zu 80% der Ganglienzellen im zentralen Teil der betroffenen Netzhauthälften Die überlebenden Zellen (50%) schicken ihre Axone zu den über 10 retinorezipienten Kernen. Diese projizieren direkt oder indirekt zur extrastriären Sehrinde

Einzelzellableitungen an Affen mit abgetragener oder gekühlter primärer Sehrinde haben gezeigt, dass durch Reizung des betroffenen Gesichtsfeldes auch kortikal noch visuelle Antworten auslösbar waren Solche vom V1- Eingangssignal unabhängigen Nervenzellen fanden sich vorwiegend in okzipitoparietalen Rindengebieten (visuelle Handlungssteuerung). Hier behielten die noch erregbaren Zellen ihre normalen Eigenschaften (z.B.: Richtungsselektivität) weitgehend bei. Die Zellen in den okzipitotemporalen Arealen (die eher der Objektwahrnehmung dienen) sprachen dagegen kaum auf im gegenüberliegenden Gesichtsfeld gezeigte Sehreize an. Vermutung: Auch beim Menschen sind kortikale Antworten auf im blinden Fleck gezeigte Reize auslösbar; diese sind aber nur in den dorsalen okzipitoparietalen Rindengebieten zu finden

Überprüfung der Hypothesen mit funktionell bildgebenden Verfahren Stimulation des blinden Feldes mit bewegten Reizen Aktivierung in okzipitoparietalen Arealen wie V3 und dem Bewegungskomplex hMT+ die nicht auf Aktivierung von Gewebe im geschädigten V1 angewiesen ist Stimulation des blinden Feldes mit farbigen Bildern natürlicher Objekte Aktivierung in okzipitotemporalen Sehrindengebieten Diese ventrale Aktivierung scheint mit der Blindseh- Erfahrung der Patienten zu korrelieren.

Funktionelle Magnetresonanztomographie bei Reizung mit farbigen Reizen im normalen und hemianopen Halbfeld eines blindseh- erfahrenen Patienten

die von der transneuronal teildegenerierten Netzhaut ausgehenden parallelen Bahnen verarbeiten auch nach einer V1 Läsion vom blinden Feld kommende visuelle Information und leiten sie zur extrastriären Sehrinde visuelle Weiterverarbeitung in okzipitoparietalen Gebieten unabhängig von der Blindseh- Erfahrung okzipitotemporale Aktivierung bisher nur bei blindseherfahrenen Patienten

Was nutzt das Blindsehen? Einblicke in die Funktionsweise des Sehsystems, in seine postläsionale Plastizität und die neuronalen Grundlagen bewussten Sehens und seine Funktion Patienten, die über viele Jahre hinweg an Untersuchungen teilgenommen haben und zunehmend bessere Restfunktionen zeigten, kommen im täglichen Leben besser zurecht