Dr. Ulrich Deinet, Fachhochschule Düsseldorf

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 Präsentation transkript:

Dr. Ulrich Deinet, Fachhochschule Düsseldorf Sozialräume als Aneignungsräume verstehen – sozialräumliche Konzepte am Beispiel der Kinder- und Jugendarbeit

Dr. Ulrich Deinet, Fachhochschule Düsseldorf Der sozialräumliche Blick der Jugendarbeit: Aus den Sozialräumen und Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen Bedarfe und Schwerpunkte für die Jugendarbeit entwickeln. „Aneignung“ als Bildungskonzept der Kinder- und Jugendarbeit.

Leontjew: 1973 "Die geistige, die psychische Entwicklung einzelner Menschen ist demnach das Produkt eines besonderen Prozesses ‑ der Aneignung ‑ den es beim Tier nicht gibt, ebenso wie bei diesem auch der entgegengesetzte Vorgang ‑ die Vergegenständlichung von Fähigkeiten in den Produkten der Tätigkeiten ‑ nicht existiert." (Leontjew: 1973, S. 282)

Das Aneignungskonzept von Leontjew Aneignung als individuelle Seite des gegenständlichen Produktionsprozesses Aneignung als Gegensatz zur Anpassung Der Aneignungsprozess Die Übertrag auf die innere Ebene wird als Interiorisierung bezeichnet Sachliche und personale Gegenstandsbedeutung Das Spiel als Aneignungstätigkeit Entwicklung als Folge dominanter Tätigkeiten 

Leontjew: 1973, "Die tatsächliche Welt, die das menschliche Leben am meisten bestimmt, ist eine Welt, die durch menschliche Tätigkeit umgewandelt wurde. Als eine Welt gesellschaftlicher Gegenstände, die die sich im Laufe der gesellschaftlich‑ historischen Praxis gebildeten menschlichen Fähigkeiten verkörpern, wird sie dem Individuum nicht unmittelbar gegeben; in diesen Eigenschaften offenbart sie sich jedem Menschen als Aufgabe. Selbst die einfachsten Werkzeuge und Gegenstände des täglichen Bedarfs, denen das Kind begegnet, müssen von ihm in ihrer spezifischen Qualität erschlossen werden. Mit anderen Worten: Das Kind muß an diesen Dingen eine praktische und kognitive Tätigkeit vollziehen, die der in ihnen verkörperten menschlichen Tätigkeit adäquat (obwohl natürlich nicht mit ihr identisch) ist." (Leontjew: 1973, S. 281)

Aneignung findet in Räumen statt Meine These ist, daß sich die konkreten Verhältnisse unserer Gesellschaft, so wie sie Kinder und Jugendliche erleben, vor allem räumlich vermitteln. Der Aneignungsprozeß ist für Kinder und Jugendliche quasi eingebettet in den “Raum” unserer Gesellschaft, in die durch die Strukturen der Gesellschaft geschaffenen konkreten räumlichen Gegebenheiten. Gegenstandsbedeutungen finden ihre konkreten Zuweisungen in der Einbettung in Räume; die Kategorie des Raumes spiegelt mit seinen Elementen auch die Strukturen der Gesellschaft wieder. Gegenstandsbedeutung und Raumbezug haben gerade für Kinder und Jugendliche direkten Verweisungscharakter.

Aneignung findet in Räumen statt Weil Räume, vor allem städtische Räume, nicht naturbelassen, sondern ganz und gar vom Menschen bearbeitet, gestaltet, verändert und strukturiert sind, müssen sich die Kinder und Jugendlichen diese Räume und die in ihnen enthaltenen Bedeutungen genauso aneignen wie Gegenstände und Werkzeuge der unmittelbaren Umgebung. Aneignungsprozesse als schöpferische Leistung, als Eigentätigkeit, werden durch die realen Anforderungs- und Möglichkeitsstrukturen bestimmt und gerichtet.   Inwieweit Aneignung als Eigentätigkeit stattfinden kann, hängt wesentlich von den äußeren Bedingungen und Anregungen ab. Der zentrale Zusammenhang von Aneignung und Lebenswelt wird von den sozialökologischen Theorieansätzen thematisiert.

Das Inselmodell nach Helga Zeiher Innenstadt Jugendhaus Wohninsel Verwandte Freunde Schule Kurse Schüler- café Disco

Bader 2002 “Indem sich Menschen aber in die Gesellschaft integrieren, in sie hinein wachsen, eignen sie sich die Gesellschaft, ihre Verhältnisse, ihre Bedeutungen, ihre Normen und Werte usw. an. Dieser Aneignungsprozess ist ein aktiver Prozess. Das bedeutet, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse, Bedeutungen, Kompetenzen etc. nicht automatisch verinnerlicht und aufgesogen, sondern individuell bearbeitet und verarbeitet werden“. (Bader 2002, S. 16 ff.)

Mit dem Aneignungskonzept informelle und nicht formelle Bildungsprozesse verstehen und gestalten Aneignung als: - eigentätige Auseinandersetzung mit der Umwelt (kreative) Gestaltung von Räumen - Inszenierung, Verortung im öffentlichen Raum (Nischen, Ecken, Bühnen) und in Institutionen - Erweiterung des Handlungsraumes (die neuen Möglichkeiten, die in neuen Räumen liegen) - Veränderung vorgegebener Situationen und Arrangements - Erweiterung motorischer, gegenständlicher, kreativer und medialer Kompetenz - Erprobung des erweiterten Verhaltensrepertoires und neuer Fähigkeiten in neuen Situationen

Dimensionen der Aneignung Strukturbezogene Dimensionen Großraum, Region, ländlicher Raum, Stadtteil, Mittelstadt, Dorf, Siedlung Öffentliche Räume (Grün, Spielplätze, Schulhöfe) Wohnungsgröße, Zimmer Nahraum, Wohninsel Infrastruktur, Geschäfte Schulen Verkehr, ÖPNV informelle Treffs Subjektbezogene Dimensionen Alter, Entwicklung Geschlecht Ethnie familiäre Bedingungen (Einzelkind,allein-erziehende(r) Mutter/Vater... Kulturelle, religiöse Hintergründe

Löw: Raumaneignung und Geschlecht „Während Jungen tendenziell besser die Konstitution von Raum in Auseinandersetzung mit sozialen Gütern lernen, entwickeln Mädchen Kompetenzen in der Konstitution von Raum über Menschen“ (Löw 2001 S. 253).

Löw: Raumaneignung und Geschlecht „Fasst man Raum ... auch als Konfiguration von Menschen, so erscheint nicht länger das Handeln der Jungen raumkompetenter als das der Mädchen, sondern die Geschlechter eignen sich unterschiedliche Aspekte der Konstitution an. Die Mädchen werden Fachfrauen für die Einbeziehung von Menschen in die Raumkonstruktion, die Jungen Fachmänner für an sozialen Gütern orientierte Räume“ (Löw 2001, S. 253).

Aneignung findet in Situationen statt Situation als Möglichkeitsbereich Kinder und Jugendliche bauen ihr Verhalten auf Situationen auf Narrative Interviews als Methode zur Rekonstruktion von Aneignungs-Situationen in der Kinder- und Jugendarbeit

Das Jugendhaus als Aneignungs- und Bildungsraum Aneignung findet in Situationen statt! Wir müssen also Aneignungssituationen schaffen, ermöglichen... Aneignungsdimensionen für die Kinder- und Jugendarbeit: Erweiterung des Handlungsraumes Erweiterung motorischer medialer Fähigkeiten Veränderung von Situationen, Bewegung von Räumen Aneignung als Verknüpfung von Räumen Raumbildung und „gegenkulturelle Räume“

Methoden einer qualitativen Sozialraum-Lebensweltanalyse Stadtteilbegehung mit Kindern und Jugendlichen Nadelmethode Cliquenrasten Institutionenbefragung Leitfadeninterview mit Schlüsselpersonen Strukturierte Stadtteilbegehung Autofotografie Subjektive Landkarten Zeitbudgets Fremdbilderkundung

Kinder- und Jugendarbeit als Aneignungs- und Bildungs-Raum Im Vergleich zu Schule und anderen Institutionen bietet die Kinder- und Jugendarbeit wenig vordefinierte Orte, an denen eine „Raumbildung“ möglich ist. Durch gezielte Aneignungs- und Bildungsangebote schafft Kinder- und Jugendarbeit Räume, die Bildungsmöglichkeiten schaffen, die im Gegensatz zur Schule von den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen ausgehen können. (Projekte...) Jugendarbeit unterstützt Aneignungs- und Bildungsprozesse auch außerhalb ihrer Orte, insbesondere im öffentlichen Raum.

Lebenswelt B Sozialraumorientierung als zentrale Qualität der Kinder- und Jugendarbeit Kinder- und Jugendarbeit hat ein subjektorientiertes Bild vom Sozialraum als Aneignungsraum Kinder- und Jugendarbeit gewinnt ihre konkreten (und sich verändernden!) Ziele aus einer qualitativen Sozialraum-Lebensweltanalyse Ziele werden nicht (nur) aus abgefragten Bedürfnissen sondern aus Bedarfen entwickelt Kinder- und Jugendarbeit versteht sich als Unterstützung für die Bildung des Subjektes im sozialen Raum und stellt dazu Aneignungs- und Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung. Kinder- und Jugendarbeit gewinnt die Kompetenzen einer Expertin für die Belange von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum.