Der therapeutische Prozess (V): Suizidalität und Notfälle

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

Diagnose, Prävention und Therapie des postoperativen Psychosyndroms und des Delirs im Alter , 3. Medizinisch-Psychiatrisches Colloquium, Hildesheim.
Die Versorgung bei psychischen Erkrankungen aus Sicht der Ersatzkassen
Depression hat viele Gesichter
bei nahestehenden Menschen
Schizophrenie und Seelsorge
Mit Medikamenten individuell behandeln Prof. Dr. Johannes Kornhuber
Kompetenzfeld Tod und Trauer
Peter Rossmann Institut für Erziehungswissenschaft
Diagnostik in der Kinder-
109. Deutscher Ärztetag, Magdeburg
Unzureichende Wahrnehmung / Diagnostik
Medizinische Psychologie
Gesundheitstraining „Koronare Herzkrankheit“
Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch nach ICD-10 und DSM-IV
Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
Klinische Bedeutung somatoformer Störungen
Gesunder Mensch im gesunden Unternehmen
Der therapeutische Prozess (V): Suizidalität und Notfälle
Erfahrungsbericht EX-IN-Praktikum auf einer Beschützten Akutstation
Beurteilung der Arbeitsfähigkeit aus hausärztlicher Sicht Ein starke Partnerschaft Michael Fluri Facharzt für Allgemeine Innere Medizin FMH Hausarztpraxis.
Stuktur der DBT-PTSD.
Kleine psychiatrische Krankheitslehre
Alzheimer und andere Demenzerkrankungen
Wirksamkeit der NADA-Ohrakupunktur bei Menschen mit psychiatrischen Diagnosen im ambulanten Bereich Euro-NADA Konferenz 2013.
Patienten sind Menschen. Die Krankheit ist Teil ihrer Biografie
G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald
Notfälle in der Psychiatrie. Suizidalität Zusammenfassung
Kompetenz hat ein Gesicht –
Cluster 3 – Psychische Erkrankungen und Pension (inkl. Begutachtungen)
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Krisenintervention/ Akutbetreuung/ Stressverarbeitung
Delirantes Syndrom.
Psychiatrie Vor 16.
Ambulante Psychotherapie und weitere psychotherapeutische Ansätze
Pädagogischer Tag Dr. med. Ute Tolks-Brandau
Stellenwert der Anamnese im diagnostischen Prozeß
Psychosen By Kevin und Oliver.
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen als Chance für die ganze Familie Bundesverband e.V, Mai 2007 Anna Hoffmann-Krupatz An der stationären Vorsorge-
Ethische Aspekte der Diagnostik und Therapie depressiver Störungen
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
5. Vorlesung Affektive Störungen
Notfälle in der Psychiatrie. Suizidalität
geistig behinderter Erwachsener
Dr. C. Gamm, Hamburg Baby Blues oder Wochenbettdepression?
Stalking - Betroffene Aus allen Schichten und Altersgruppen
1 Arbeitsgemeinschaft Biologische Psychiatrie Verordnungsgewohnheiten von Psychopharmaka Statuserhebung 2005 W.Günther G.Laux T.Messer N.Müller M.Schmauss.
Absetzen - aber wie? Fachtagung „Gratwanderung Psychopharmaka“
Kommunikation mit psychisch kranken Menschen
Demenzkampagne Rheinland-Pfalz
Borderline –Persönlichkeitsstörung
Grenzen und Pflichten eines Arztes auf einer Intensivstation
Die neue S3-Leitlinie Depression Antidepressiva Suizidalität
Alkoholtherapie Nüchtern werden – Nüchtern bleiben.
Jean-Christoph Schwager "Glücksspielsucht im Alter"
KRISENINTERVENTION IN DER PRÄNATALDIAGNOSTIK Karin Tordy AKH Wien, Univ. Klinik f. Frauenheilkunde Abt. pränatale Diagnostik und Therapie.
Vorlesung SoSe 2011 Mo Uhr, Raum J101
Kom verder. Saxion. SE Verhaltensbilder 06 Depression - Manie.
Kom verder. Saxion. SE Verhaltensbilder 04 Demenz - Delir.
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
Patienten- und situationsgerechte Diagnostik und Therapie Was heißt dies angesichts der drei ethischen Prinzipien „nutzen“, „nicht schaden“, „Gerechtigkeit“?
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
01 Grundlagen der Psychiatrie
„Einem Depressiven zu sagen, dass er seine Probleme einfach vergessen soll, ist wie einem Blinden zu sagen, dass er genauer hinsehen soll.“ Affektive Störungen:
Der (akut) suizidale Patient Vorstellung der Facharbeit von Michael Städtler Berlin, 7. September 2016.
Notfälle in der Psychiatrie. Suizidalität
Landestagung der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork 2016
Depression hat viele Gesichter
 Präsentation transkript:

Der therapeutische Prozess (V): Suizidalität und Notfälle Joachim Cordes Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität - Rheinische Kliniken Düsseldorf - Bergische Landstr. 2 D-40629 Düsseldorf

Erregungszustände, Angstsyndrome, Manie, Katatonie PSYCHIATRISCHE NOTFALLSITUATIONEN Erregungszustände, Angstsyndrome, Manie, Katatonie Suizidales Verhalten Delir, Bewusstseinsstörungen Alkohol- und drogeninduzierte Notfälle Psychopharmaka-induzierte Notfälle

Verwirrtheitszustand LEITSYMPTOME Somnolenz Sopor Koma vermindert Bewußtseins- störungen verändert Dämmerzustand Verwirrtheitszustand Delir Erregung gesteigert Antriebs- störungen Negativismus Stupor Autismus gehemmt Manie gehoben Stimmungs- störungen Angstsymptome Depression Suizidalität gesenkt

Diagnostische Leitlinien des Delirs nach ICD - 10 Störungen des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit Störungen der Kognition und der Wahrnehmung Psychomotorische Störungen Störungen des Schlaf - Wach - Rhythmus affektive Störungen

DIFFERENTIALDIAGNOSTIK DELIRANTER SYNDROME Aufmerksamkeitsstörungen Störungen der Auffassung, Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit Störungen der Psychomotorik Affektstörungen Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus mit Orientierungs- störungen ohne Orientierungsstörungen (verworrenes Denken) Bewusstseinsklar Bewusstseinstrübung Orientierungsstörungen delirantes Syndrom i.R. einer Demenz Schizophrenie Manie ohne vegetative Symptomatik mit vegetativer Symptomatik (Tremor, Schwitzen, Tachykardie) v.a. Entzugssyndrome bei Alkohol Drogen anderen psychotropen Substanzen Hirninfarkt Hirnblutung Hirntumor Schädel-Hirn-Trauma Dämmerzustand Intoxikationen internistische Erkrankungen z.B. - Infektionen - Dehydration

Ursachen für Bewusstseinsstörungen zerebrale Gefäßveränderungen Herz-Kreislaufstörungen Störungen der Blutzusammensetzung zerebral-organische Prozesse Alkohol Medikamente internistische Stoffwechselerkrankungen psychogene Bewusstseinsstörung

DIAGNOSTIK UND THERAPIE DER PANIKSTÖRUNG (ICD-10) Häufigkeit 1,5 -3,5 % (Lebenszeitprävalenz) Beginn plötzlich Diagnose - wiederkehrende, schwere Angstattacken in Situationen ohne objektive Gefahr - keine Begrenzung auf spezifische Situationen, damit nicht vorhersehbar Differentialdiagnose Herzerkrankungen Hyperthyreose Phäochromozytom Horrortrip Symptomatik Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel, Entfremdungsgefühle, Furcht zu sterben, Kontrollverlust, Angst wahnsinnig zu werden, häufig Crescendo der Angst Dauer meistens Minuten Tendenz zur Chronifizierung Pathogenese Störungen in der GABAergen und/oder noradrenergen und/oder serotonergen Neurotransmission Therapie der Panikattacke Lorazepam (Expidet) 1 -2,5 mg (max. 4 mg/24 Std.) alternativ Alprazolam 0,25- 0,5 mg (max. 4 mg/14 Std.)

EPIDEMIOLOGIE / URSACHEN Zunahme der Lebenserwartung Medikamentöse Langzeittherapie Gravierende medizinische Eingriffe Missbrauch von Alkohol, Medikamenten, Drogen und Intoxikationen

ANAMNESE BEI DER ERSTEXPLORATION Auslöser der Notfallsituation - aus der Sicht des Patienten - aus der Sicht Dritter Wichtige Kontaktadressen Aktuelle Vorgeschichte - Symptomatik - Beginn - auslösende Ereignisse - aktuelle Therapie

ANAMNESE BEI DER ERSTEXPLORATION Bisheriger Krankheitsverlauf und Therapie Alkohol-, Drogenkonsum Somatische Erkrankungen Aktuelle Lebenssituation - Lebensform - soziale Integration - Arbeitsfähigkeit

GRUND- UND TECHNISCHE ZUSATZUNTERSUCHUNGEN (I) BEI VERWIRRTHEITSZUSTÄNDEN (*BASISUNTERSUCHUNGEN) Allgemein - Blutdruck* - Herzfrequenz* - Temperatur* Infektion - Leukozyten* - Urinstatus* (Blutkulturen) - BKS Metabolische - Elektrolyte (Na, K, Ca)* Störungen - Kreatinin* - Glukose (Blut)* - Leberwerte (GOT, GPT, -GT) - T3, T4, TSH (*) Hämatologische - Erythrozyten und Hb (V.a. Anämie) Störungen - MCV (V.a. Alkoholabusus, Mangel an Vitamin B12, Folsäure) - Thrombozyten

GRUND- UND TECHNISCHE ZUSATZUNTERSUCHUNGEN (II) BEI VERWIRRTHEITSZUSTÄNDEN (*BASISUNTERSUCHUNGEN) Herz-Kreislauf- - EKG* erkrankungen - CPK (V.a. Herzinfarkt) - Röntgen-Thorax (V.a. Pneumonie, Herz-Kreislauferkrankungen) Cerebrale - CCT (V.a. Tumor, Blutungen, Infarkt) (*) Erkrankungen - EEG (Epilepsieverdacht) - LP (ggf. bei neurologischer Indikation) Blutspiegelbestimmungen - Digoxin bei Verdacht auf Intoxikation - Antikonvulsiva - Lithium - Antidepressiva - Neuroleptika - Sedativa Drogenscreening bei Verdacht

Definition Suizidalität, auch Suizidgefährdung oder umgangssprachlich Lebensmüdigkeit genannt, umschreibt einen psychischen Zustand, in dem alle Gedanken, Phantasien, Impulse und Handlungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. (Wikipedia)

Parasuizidalität (autoaggressives bzw. Selbstschädigendes Verhalten) • vielfache selbst verletztende und primär nicht final angelegte suizidale Handlungen

Beurteilungskriterien suizidaler Syndrome Latente Suizidalität Akute Suizidalität Suizidarrangement Suizidintention Suizidmethode

16 % Stich-, Schnittverletzung 06 % absichtlicher Verkehrsunfall Arten von Suizidversuchen 64 % Intoxikationen 16 % Stich-, Schnittverletzung 06 % absichtlicher Verkehrsunfall 04 % Sturz aus großer Höhe 04 % Erhängen, Erdrosseln, Ersticken

Weltweite Häufigkeit von Suiziden und Suizidversuchen ca. alle 40 Sekunden ein Suizid ca. 1 Mio. Menschen jährlich Suizid ca. 15 Mio. Menschen jährlich einen Versuch (WHO-Daten 2004)

Häufigkeit in Deutschland 15 – 35 Jahre 2. häufigste Todesursache 20 / 100000 Einwohner Männer : Frauen 2,5 : 1 jeder 2 Suizid einer Frau > 60 Jahre Anstieg mit dem Alter bei Kindern extrem selten , ab 10 Jahre BRD 1991 30 Kinder 98 % Psychische Erkrankung

Suizidversuche 10 – 15 fach häufiger als Suizide Frauen : Männer 2,5 : 1 besonders in den jüngeren Altersgruppen Gaebel, Müller-Spahn 2002, Diagnostik und Therapie psychischer Störungen, Kohlhammer Möller, Laux, Deister 2005, Duale Reihe, Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme Verlag

Todesursachenstatistik SUIZIDSTERBLICHKEIT 60 50 40 30 Je 100 000 Einwohner 20 10 1980 1986 1995 Frauen Männer Westen Osten StBA; Todesursachenstatistik

ALTERSSPEZIFISCHE SUIZIDSTERBLICHKEIT 1995 200 150 100 50 Alter 50 100 150 200 über 84 75 - 84 65 - 74 55 - 64 45 - 54 35 - 44 25 - 34 15 - 24 Je 100 000 Männer bzw. Frauen Westen Osten StBA, Todesursachenstatistik

Suizide in China kein Meldesystem, offizielle Angaben 280.000 Suizide / Jahr 685 Suizide pro Tag Haupttodesursache bei 15-34-Jährigen Fünfhäufigste Todesursache in China

Gesundheitsbericht Deutschland (1998) SUIZIDURSACHEN Depressionen Alkoholabhängigkeit Persönlichkeitsstörungen andere Gesundheitsbericht Deutschland (1998)

SUIZIDRISIKO BEI DEPRESSIVEN (I) 40-70 % der Suizidenten in der Allgemeinbevölkerung litten zum Zeitpunkt des Suizides an einer depressiven Störung Ein hoher Anteil depressiver Kranker spricht beim Hausarzt direkt oder indirekt über Hoffnungslosigkeit und Suizidalität. Diese Chance muß genutzt werden. Gaebel, Müller-Spahn 2002, Diagnostik und Therapie psychischer Störungen, Kohlhammer Möller, Laux, Deister 2005, Duale Reihe, Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme Verlag

SUIZIDRISIKO BEI DEPRESSIVEN (II) 15% der Patienten mit schweren depressiven Störungen versterben durch Suizid 20-60% depressiver Kranker weisen Suizidversuche in ihrer Krankheitsgeschichte auf, 40-80% leiden an Suizidideen während einer Depression

Risikofaktoren Geschlecht, Alter Familienstand Soziale Schicht, Arbeitsstand Stadt – Landunterschiede Religionszugehörigkeit Jahreszeitliche Schwankungen

VERDACHTSMOMENTE FÜR SUIZIDRISIKO (I) Frühere Suizidversuche, altruistische Suizidmotivation Suizide in der Familie oder Umgebung Direkte oder indirekte Suizid-Drohungen/ Ankündigungen Verlust mitmenschlicher Beziehungen

VERDACHTSMOMENTE FÜR SUIZIDRISIKO (II) Vereinsamung alter Menschen Berufliche oder finanzielle Schwierigkeiten Vorbereitung, um bisher Versäumtes in Ordnung zu bringen, z.B. Testament Schuld-, Krankheits-, Verarmungsgefühle depressiver Wahn Hoffnungslosigkeit

Ätiologie II. Biologische Faktoren I. Soziale Situation II. Biologische Faktoren III. Psychologische Erklärungsmodelle

I. Soziale Erklärungsmodelle keine Berichte von suizidalem Verhalten bei Primaten Politische Ereignisse, Urbanisierung, Verlust sozialer Strukturen, Änderung der Geschlechtsrolle Imitationshypothese : Häufung in der Familie, Freunde

II. Biologische Erklärungsmodelle Serotonerges Defizit im präfrontalen Cortex von Suizidopfern Erniedrigte Serotoninspiegel im Liquor Prädiktiver Wert für spätere Suizidversuche Gleiche biologische Veränderung bei Probanden mit impulsiven Gewalttaten

III. Psychologische Erklärungsmodelle Aggressionstheorie (Freud) Verzerrte Denkschemata (Beck) Narzissmustheorie (Kohut) Appell an die menschliche Bindung Verhaltenstheoretisches Modell

Dem Parasuizid/Suizid geht oft ein präsuizidales Syndrom (nach Ringel) voraus: Erleben von Ausweglosigkeit Sozialer Rückzug Ständiges Sich-Beschäftigen mit Todesgedanken

FRAGEN AN PATIENTEN (I) SUIZIDGEFÄHRDUNG FRAGEN AN PATIENTEN (I) Ankündigung: Haben Sie über Ihre Absichten schon mit jemanden gesprochen? Haben sich Ihre Interessen, Gedanken und zwischenmenschliche Kontakte gegenüber früher eingeschränkt, verringert? Haben Sie gegen jemanden Aggressionsgefühle, die Sie gewaltsam unterdrücken? Einengung : Aggressionen

FRAGEN AN PATIENTEN (II) SUIZIDGEFÄHRDUNG FRAGEN AN PATIENTEN (II) Suizidalität: Haben Sie schon einmal daran gedacht sich das Leben zu nehmen? An was denken Sie? Sind es eher Gedanken an Ruhe und Todeswunsch ohne aktive Planung? Wie konkret sind Ihre Gedanken und Absichten? Denken Sie bewußt daran? Oder drängen sich die Gedanken auf, auch wenn Sie es nicht wollen? Vorbereitung: Grübeln:

Therapie Krisenintervention Pharmakotherapie Psychotherapie

Psychotherapeutische Behandlung Korrektur der subjektiven Bilanz des Lebens Suizid ist nicht rückgängig Appell an menschliche Bindungen Vereinbarung eines zeitlichen Aufschubes Langfristig kann der Therapeut den Patienten von einem Suizid nicht abhalten Hoffnung signalisieren Suizidversuch immer ernst nehmen

THERAPEUTISCHE PRINZIPIEN BEI SUIZIDALITÄT (I) 1. Suizidhinweise immer ernst nehmen 2. Aufbau einer therapeutischen Beziehung 3. Beurteilung des Suizidrisikos ambulante vs. stationäre Therapie, Klinikeinweisung (Rechtsgrundlage) Kritisch: - ausgeprägter Suizidalität (konkrete Suizidpläne, nicht kontrollierbare Suizidimpulse) - fehlende sozialer Integration - fehlende ambulanter Betreuung - fehlende Bündnisfähigkeit des Patienten - behandlungsbedürftige körperliche Erkrankung

Bei Verzicht auf Klinikeinweisung: - Weiterbetreuung sicherstellen THERAPEUTISCHE PRINZIPIEN BEI SUIZIDALITÄT (II) Bei Verzicht auf Klinikeinweisung: - Weiterbetreuung sicherstellen (feste und zuverlässige Termine, kurze Intervalle - feste Bezugsperson im sozialen Umfeld - Aufklärung der Angehörigen bzw. Bezugspersonen über Suizidrisiko (Entbindung von der Schweigepflicht)

Medikamentöse Therapie: Einschlafstörungen: z.B. Zolpidem 10 mg THERAPEUTISCHE PRINZIPIEN BEI SUIZIDALITÄT (II) Medikamentöse Therapie: Einschlafstörungen: z.B. Zolpidem 10 mg Verordnung von sedierenden Antidepressiva kleine Packungsgröße Gabe von Benzodiazepinen, z.B. Lorazepam (1-2,5mg) Anxiolytisch wirksames Neuroleptikum (z.B. Thioridazin 10-30 mg als initiale Dosis)

FEHLER IM UMGANG MIT DEPRESSIVEN IN SUIZIDALEN KRISEN (I) Vermeidung von direktem Nachfragen Nichtbeachten von Zeichen Mangelnde Exploration der Umstände, die zu Suizidalität geführt haben Bagatellisierung von Not und Krise durch den Arzt, Mitmachen von Bagetellisierungstendenzen des Patienten

FEHLER IM UMGANG MIT DEPRESSIVEN IN SUIZIDALEN KRISEN (II) Ablehnung des Patienten als nicht krank Therapeutische Überaktivität als Abwehr von Betroffenheit Klassifikation von Suizidalen als Versager oder Erpresser Geheime Suizidpakte schließen zu rasche Suche nach positiven Veränderungen

Ethische Aspekte in der Krisensituation Vertrauen und Autonomie des Patienten wahren Schweigepflicht gegenüber Dritten beachten Reflektion der Interaktion mit dem Patienten Beurteilung der zu erwartenden Effekte einer therapeutischen Intervention Entscheidung über die Angemessenheit von Maßnahmen Abwägung Interesse des Patienten, Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft

DURCHÜHRUNG EINER AMBULANTEN KRISENINTERVENTION (I) Kontakt: Vorstellung, Erklärung des Settings 2. Problemanalyse: Situationsanalyse (Auslösende Faktoren der Krise, psychosoziale Situation) - Analyse der Bewältigungsmechanismen - Ressourcenanalyse (u.a. soziale Kompetenz, erlernte Copingstrategien)

DURCHÜHRUNG EINER AMBULANTEN KRISENINTERVENTION (I) 3. Problem und Zieldefinition verständliche Formulierung des Problems Beschreibung Lösungsstrategien Formulierung effizienterer Mechanismen der Bewältigung

DURCHÜHRUNG EINER AMBULANTEN KRISENINTERVENTION (II) 4. Problembearbeitung problemzentrierte Gesprächsführung Erarbeitung neuer Coping Strategien Analyse der aktuellen Krise Lorazepam 1-2 mg/Tag, mittelfristig Antidepressiva Beratung durch Sozialarbeiter Vermittlung juristischer Hilfe

DURCHÜHRUNG EINER AMBULANTEN KRISENINTERVENTION (II) 5. Beendigung der Intervention - Ist die Krise überwunden? - Liegen wirksame Copingmechanismen vor? - Zukünftige Strategie bei neuerlicher Krisen 6. Follow-up Standortbestimmung - Indikation für langfristige Therapie (Psychotherapie und/oder Pharmakotherapie) überprüfen

PSYCHOPHARMAKA-INDUZIERTE NOTFALLSITUATIONEN - orthostatischer Kollaps - Delir - Suizidalität - Erregungszustände z.B. aufgrund paradoxer Reaktionen - Agranulozytose - malignes neuroleptisches Syndrom - Harnretention - paralytischer Ileus - schwere allergische Reaktionen - Frühdyskinesien - Akathisien - Krampfanfälle - Depressive Syndrome - Orthostatische Dysregulationen

AGRANULOZYTOSE UNTER BEHANDLUNG MIT CLOZAPIN (I) <500 Granulozyten/mm3 (Agranulozytose) <1500 Granulozyten/mm3 (Granulozytopenie ) Kumulative Inzidenz 0,8-1% erstes Behandlungsjahr Geschlechtsunterschiede nicht sicher nachgewiesen 70-80 % aller Granulozytopenien in den ersten 18 Wo. Kein Zusammenhang zur Inzidenz

AGRANULOZYTOSE UNTER BEHANDLUNG MIT CLOZAPIN (I) Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, gestörte Wundheilung Nach Absetzen von Clozapin Normalisierung des Blutbildes innerhalb von 2-4 Wochen Absetzen von Clozapin, stationäre Einweisung (Hämatologische Abteilung); GM-CSF-Gabe, wenn neutrophile Granulozyten 1000/mm³; Blutbildkontrollen über 4 Wochen; Normalisierung des Blutbildes innerhalb von 2-4 Wochen

DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES MALIGNEN NEUROLEPTISCHEN SYNDROMS (I) Inzidenz 0.05 - 0.5%, m > w (v.a. jüngere m) lebensbedrohlich, akute Symptomentwicklung Fieber, instabiler Blutdruck, Tachykardie, Schwitzen vermehrter Speichelfluss, Urininkontinenz, Tachypnoe Rigor, Tremor, Akinese, Opisthotonus, Schluckstörungen Bewusstseinstrübungen, Stupor Leukozytose, Creatin-Phosphokinase (CK) erhöht, Myoglobinämie/urie, metabolische Azidose

DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES MALIGNEN NEUROLEPTISCHEN SYNDROMS (II) meist innerhalb von 1-2 Wochen nach Behandlungsbeginn Auslösende Substanzen: alle Neuroleptika, wahrscheinlich höheres Risiko bei hochpotenten Substanzen, Lithium + NL (selten), Antidepressiva (sehr selten)

DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES MALIGNEN NEUROLEPTISCHEN SYNDROMS (III) Pathogenese: Blockade von Dopaminrezeptoren (Hypothalamus, Basalganglien) Störung des intrazellulären Kalziumstoffwechsels, Störung im muskulären Bereich Komplikationen: Ateminsuffizienz, Herz-Kreislaufversagen, Rhabdomyolyse und akutes Nierenversagen

DIAGNOSTIK UND THERAPIE DES MALIGNEN NEUROLEPTISCHEN SYNDROMS (III) NL sofort absetzen stationäre (ggf. intensivmed.) Therapie Fiebersenkung (Abkühlung) Flüssigkeitszufuhr Gabe von Dantrolen (4-10 mg/kg/KG oral in den ersten 24 Std.), ggf. i.v. Gabe max. 10 mg/kg/KG/die ev. in Kombination mit Bromocriptin (10 - max. 60 mgl 24 Std.) alternativ zu Bromocriptin Amantadin (Pk-Merz), 200 - 400 mg/die Rezidivrisiko ca. 15%

SYMPTOMATIK ANTICHOLINERGES DELIR (I) zentral peripher Orientierungsstörungen Pupillendilatation Gedächtnis- Auffassungsstörungen Miktionsstörungen Angst, psychomotorische Obstipation, Ileus Unruhe Erregungszustände Sinustachykardie Wahrnehmungsstörungen Fieber optische Halluzinationen Haut warm, trocken Ataxie, Myoklonien Koma (modifiziert nach Hyman, Tesar 1994)

ANTICHOLINERGES DELIR (I) Häufigkeit abhängig von Dosis, Substanztyp und individueller Disposition Pathogenese: Blockade, zentraler und peripherer Acetylcholinrezeptoren Prädisponierende Faktoren: Hohe Dosierung, schneller Dosisanstieg, Kombination mehrerer anticholinerg wirksamer Substanzen, höheres Lebensalter, zerebrale Vorschädigung

ANTICHOLINERGES DELIR (II) Häufige auslösende Trizyklische Neuroleptika (z.B. Thioridazin, Levome- Substanzen promazin) und Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Doxepin, Clomipramin) Therapie - Absetzen der auslösenden Medikation - Stationäre Aufnahme ggf. bei schwerem Delir i.v.-Gabe von Phy- sostigmin (1-2 mg langsam i.v., kurze Wirkungs- dauer von ca. 20-45 Minuten, EKG-Monitoring) ansonsten symptomatische Behandlung (z.B. 2- 5 mg Haloperidol p.o. bei paranoid-halluzinatorischem Syndrom bzw. Erregungszustand)

CHOLINERGES SYNDROM zentral peripher Symptomatik Schwindel Bradykardie Kopfschmerzen Hypotonie, Kollaps Somnolenz Epileptische Anfälle Verwirrtheit Muskelschwäche Agitiertheit Hypersalivation Depression Schweissausbrüche Schlaflosigkeit Bauchkrämpfe Diarrhöe Übelkeit, Erbrechen Appetitlosigkeit Häufigkeit abhängig von Dosis und individueller Disposition Pathogenese Hemmung der Acetylcholinesterase Prädisponierende Faktoren hohe Dosierung, rasche Dosissteigerung, zerebrale Vorschädigung Häufige auslösende Sub- Cholinesterase-Hemmer wie z.B. Rivastigmin (Exelon) stanzen und Donepezil (Aricept) Therapie - Reduktion bzw. Absetzen - ggf. stationäre Einweisung bei massiver Überdosierung: Atropinsulfat 0.03 mglkg KG i.v. ansonsten symptomatische Behandlung (z.B. Gabe von Antiemetika)

SEROTONINSYNDROM (I) zentral peripher Symptomatik epileptische Anfälle Übelkeit, Erbrechen psychomotorische Unruhe Diarrhöe Bewusstseinsstörungen kardiale Delir Rhythmusstörungen Hypertension Hyperthermie Profuses Schwitzen Tremor Myoklonien, Muskelto- nuserhöhung Akathisie Häufigkeit abhängig von Dosis und individueller Disposition Pathogenese Aktivierung des serotoninergen Systems

SEROTONINSYNDROM (II) Prädisponierende hohe Dosierung, rasche Dosissteigerung Faktoren Kombinationstherapie mit mehreren serotoninaktivierenden Substanzen, zerebrale Vorschädigung Häufig auslösende Sub- Serotonin-Rückaufnahme-Hemmer stanzen Therapie stationäre Aufnahme Überwachung der Vitalfunktionen Absetzen der angeschuldigten Substanz Symptomatische Therapie (Magenspülung, Aktivkohle) kein spezifisches Antidot verfügbar