Evidenzbasierung & Psychotherapie

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 Präsentation transkript:

Evidenzbasierung & Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. rer. soc. Dipl.-Psych. Karin Tritt Deutsche PsychotherapeutenVereinigung, LG Hessen Frankfurt, den 01.12.2007

Entwicklung der Psychotherapie Psychotherapie heute: Auf Basis des Theorieverständnisses & der Praxis einer (bzw. mehrerer) Ausbildung(en)  Patientenzentriertes Erstgespräch  Diagnostik  Therapieplanung  Gutachten  Behandlung ggf. Verlängerungsantrag ( Überprüfung???) Psychotherapie morgen??? – eine Zukunftsversion: Auf Basis eines wissenschaftlich anerkannten Verfahrens  standardisierte, psychometrische Diagnostik  Leitliniengestützte Behandlung nach Therapiemanual mit Prozessmonitoring  Therapieverlängerung auf Basis vom Monitoring  Qualitätssicherung des Outcomes Kontrolle / Entmachtung  Kochbuchpsychotherapie vs. Zusatzinformationen als Entscheidungsunterstützung  Wichtigkeit der Mitgestaltung

Verwissenschaftlichung der Psychotherapeutischen Praxis Prozess der Rationalisierung, z.B. durch immensen Zuwachs an wissenschaftlichen Studien, technologische Entwicklungen, Übertrag der wissenschaftlichen Methodik auf die Praxis: anstatt alltägliche „Pi-Mal-Daumen“-Entscheidungen  datengestützte Entscheidungsfindung im öffentlichen Gesundheitswesen (für Einzelbehandlungen, Zulassung neuer Behandlungsmethoden, Ressourcenzuteilungen, Planungen im Gesundheitswesen etc. )

Evidenzbasierung in der Medizin (Perleth, 2003) Evidenzbasierte Medizin (EbM): Ein Instrument, das in der klinisch-en Anwendungssituation auf die wissenschaftliche Evidenz zurück-greift - durch ihre Anwendung auf individuelle Patienten soll die klinische Erfahrung ergebnisorientiert ergänzt werden. Leitlinien (LL): Externe wissenschaftliche Evidenz soll durch einen Konsensprozess unter Experten & Betroffenen als lokale Standards auf der Ebene von indikationsbezogenen Patientengruppen (möglichst unter Berücksichtigung weiterer Merkmale, wie Alter, Geschlecht, Komorbidität, Setting) vermittelt werden. Health Technologie Assessment (HTA): Hat die Funktion - durch den systematischen Überblick über Evaluationsergebnisse von medi-zinischen Technologien im Gesundheitswesen - Entscheidungen zu unterstützen – ist also am Entscheidungsbedarf auf der Systemebene orientiert.

Unterschiede & Gemeinsamkeiten: EbM, LL & HTA (zit. n. Perleth, 2003) Zielgruppe/‘ Anwender Kliniker Kliniker, Manager Entscheidungsträger Anwendungs- kontext Klinische Entscheidungs- findung Standardisierung klinisch- er Entscheidungsfindung zur Minimierung unge-rechtfertigter Praxisvari-ation Kostenübernahme, Investitionen, Regulation Methoden Systematische Übersich-ten, Metaanalysen, Entscheidungsanalysen Systematische Übersichten, formale & nicht formale Konsensusmethoden Systematische Übersich- ten, Metaanalysen, kli-nische Studien, ökon., politische, ethische, soziol. Analysen Probleme/ Schwächen Viele ungeklärte methodi-sche Probleme, nicht uner-heblicher Trainingsbedarf für Anwender Oft fehlende Evidenz, Konsensverfahren oft nicht adäquat, Implementation schwierig Schwierige Erfassung des Impacts

Was ist evidenzbasierte Medizin? (Sackett et al., 2001) EBM stellt die Integration der besten Evidenz aus der Forschung mit klinischer Expertise sowie Präferenzen der Patienten dar. Wenn diese drei Elemente integriert sind, bilden Patienten und Kliniker eine diagnostische und klinische Allianz, die den Outcome sowie Lebensqualität optimieren soll.

Wie wird EBM praktiziert? (Sackett et al., 2001) Die komplette Anwendung von EBM basiert auf 5 Schritte: 1. Schritt: Umwandlung des Informationsbedarf (z.B. zur Prävention, Diagnose, Prognose, Therapie, Genese, etc.) in eine beantwortbare Frage; 2. Schritt: Aufspüren der besten Evidenz zur Beantwortung dieser Frage; 3. Schritt: Kritische Beurteilung der Evidenz nach der Validität (Wahr-heitsnähe), Relevanz (Effektgröße), und Anwendbarkeit (Nützlichkeit für die klinische Praxis); 4. Schritt: Integration der kritischen Bewertung mit unserer klinischen Expertise und mit der Einzigartigkeit der Biologie, Werte und Lebensumstände des Patienten; 5. Schritt: Bewertung unserer Effektivität und Effizienz in der Ausübung der Schritte 1-4 sowie die Suche nach Wege, um diese Schritte für den nächsten Patienten noch zu verbessern;

Zusammenhang zwischen Leitlinien und EBM Evidenzbasierte Medizin 1. Problem-formulieren 2. Evidenz-suche 3. Bewertung der Evidenz 4. Integration mit Einzigar-tigkeit und Präferenzen 5. Bewertung der Behand-lung Leitlinien 1. Problem-formulieren 2. Suche nach Summaries = Leitlinien 3. Integration mit Einzigar-tigkeit und Präferenzen 4. Bewertung der Behand-lung

Bewertung der praktischen Auswirkungen der „EbM…“ Henningsen & Rudolf (2000) schlagen folgende Einteilung für diese Diskussion vor: EbM als Konzept EbM als Methode EbM als sozialpolitisches (Steuerungs-) Instrument

EbM als Konzept, z.B.: Unterstützung bei der Weiterbildung (EbM, LL, Manuale)??? Schnelle Informationsquelle bei individ. Behandlungen (LL) – als Entscheidungsunterstützung (aber oft Widersprüche)??? Ressourcenaufwand, techn. Voraussetzungen fehlen häufig Wissenschaftliches Methodenverständnis erforderlich Fehlende Studien ≠ fehlende Wirksamkeit Suggeriert Psychotherapie als einen „technischen Ablauf“  trainiert einem (potentiell) das Denken ab. Suggeriert „One-Size-Fits-All-Psychotherapy“ Problem des Übertragung auf den Einzelfall Trägt dazu bei, die Patienten auf Ihre Pathologie zu reduzieren (die Niere/ Angststörung auf Zimmer 7….)

EbM als Methode I, z.B.: Woraus setzt sich die „beste wissenschaft- liche Evidenz“ zusammen? Häufig werden die Studien nicht eigenständig gesichtet, sondern man beschränkt sich auf systematische Über-sichten/Metaanalyse. Eine Reihe von Übersichten/Metaanalysen decken nur randomisierte, kontrollierte Studien (RCTs) ab – Studien mit anderen Designs werden ausgeschlossen. Insbesondere für die Psychotherapie – aber inzwischen auch für die psychopharmakologischen Studien (da teils > 70 % der Patienten ausgeschlossen werden und die Resultate den klinischen Erfahrungen teils widersprechen) - wird diskutiert, welche Aussagekraft RCTs haben und inwiefern die Ergebnisse auf die Versorgungsrealität übertragbar sind.

Efficacy vs. Effectiveness Studies Kontrolliertes -experimentelles Design Doppelt-blind(???) bzw. einfach-blind Ratern Zufallszuweisung zu den ein-zelnen Treatmentbedingungen keine Komorbidität standardisierte Diagnostik einheitliche Therapiedauer Manualisierung der Therapie Versuch der Kontrolle sonstiger unspezifischer Effekte Naturalistisches Design übliche klinische Procedere Komorbidität erlaubt Zuweisung gemäß der üblichen Praxis (z.B. konsekutive Stichprobe) Therapiedauer entsprechend der jeweils gebrauchten Anzahl von Sitzungen keine Therapiemanualisierung wenige Eingriffe von Forschern

EbM als Methode 2a, z.B.: Zulassung (neuer) Verfahren Basiert auf Vorher-Nachher-(bzw.Katam-nese-) Vergleiche Streng genommen wissen wir nur, dass Patienten im Schnitt (bzw. ein bestimmter Anteil) gebessert sind. Aber was bewirkte die Verbesserung? Grundannahme: Das jeweilige Verfahren ist der Wirkfaktor.

EbM als Methode 2b, z.B.: Zulassung (neuer) Verfahren Nach Lambert & Ogles (2004) & Lambert (2005): Es gibt zahlreiche Belege, dass Psychotherapie wirkt. Es gibt keine eindeutige Belege für bessere Wirkungen (Effektgrößen) einzelner Ausrich-tungen. Eine Reihe von Meta-Analyse zeigen, dass auch Placebo-Psychotherapien wirken (allerdings nicht so stark wie Psychotherapie). Drei Gründe werden hierfür diskutiert: Unterschiedliche Prozesse könnten zum gleichen Resultat führen. Unsere Methoden sind vielleicht noch nicht ausreichend sensibel. Ein beachtlicher Anteil der Wirkung könnte durch „Allgemeine Wirkfaktoren“ bedingt sein. Therapeut.Be- ziehung:30 % Außertherapeut. Einflüsse:40 % Technik:15 % Erwartung/ Hoffnung:15 % Asay & Lambert, 1999

EbM als sozialpolitsches Instrument, z.B.: Normsetzende Funktion  EbM & LL als Zwangsjacke??? Was passiert beim Vorwurf eines Behandlungsfehlers, wenn von der LL abgewichen wurde? Wie müsste ein berechtigtes Abweichen begründet werden? Da datengestützte Entscheidungen getroffen werden, ist größ-ere Transparenz möglich (ausreichende Kenntnisse nötig). Bei unseriöser EbM-Umsetzung könnten Partikulärinteressen sozusagen noch „wissenschaftlich legitimiert“ werden (APA-LL-Diskussion, Clay, 2002). ….. Diese Entwicklung bietet spannende Chancen, diese hängen jedoch stark von den Details der Umsetzungen ab  Wichtigkeit der Mitgestaltung