6. Kapitel Orientierung an der Verhältnismäßigkeit der Handlung.

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6. Kapitel Orientierung an der Verhältnismäßigkeit der Handlung

Neuansatz beim rechtfertigenden Grund 1.1 Die Unumgänglichkeit einer verantwortlichen Abwägung von Gütern und Übeln - Verantwortliche Entscheidungen bestehen kaum in der Wahl des nur Guten. Etwas Gutes kann fast immer nur um den Preis eines anderen Übels erreicht werden. Daher ist eine Abwägung von Gütern und Übeln unumgänglich. - In allen Handlungen wird immer ein Gut erstrebt. Jede Handlung erfolgt immer „sub ratione boni“. Dieses Gut ist der Grund der Handlung. Umgekehrt ist all das ein Gut, das erstrebt werden kann.

-. Dass in jeder Handlung nicht nur ein Gut erstrebt, - Dass in jeder Handlung nicht nur ein Gut erstrebt, sondern auch Übel verursacht werden, hat seinen Grund in der Relativität aller geschaffenen Güter. In der Welt gibt es nichts absolut Gutes. Aber: Relativität hat nichts mit Relativismus zu tun.

1.2 Der Ausgangspunkt für eine verantwortliche Abwägung von Gütern und Übeln - Erste Antwort: Eine Handlung ist dann verantwortlich und richtig, wenn das angestrebte Gut – der Grund der Handlung – die mit-verursachten Übel rechtfertigen kann. - Unterscheidung zwischen physisch / ontisch gut und schlecht ethisch / moralisch

-. Ethische Bewertung wird nicht aus dem physisch / - Ethische Bewertung wird nicht aus dem physisch / ontisch Guten oder schlechten abgeleitet (kein naturalistischer Fehlschluss) … … begründet sich aber auch nicht ohne Bezug auf das physisch / ontisch Gute und Schlechte. - Was eine Handlung ethisch gut oder schlecht macht, ist in dem Verhältnis begründet, das zwischen dem in der Handlung angestrebten Gut und den mit-verursachten Schäden und Übeln besteht. - Nicht was man erstrebt, sondern wie man es anstrebt, ist entscheidend für die ethische Bewertung.

1.3 Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel - Prinzip der Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots stammt aus der Rechtsprechung. Soll vor übermäßigen Eingriffen des Staates in die Rechte des einzelnen Bürgers schützen. - Danach muss ein Mittel im Blick auf das angestrebte Ziel 1. geeignet 2. erforderlich 3. angemessen bzw. verhältnismäßig sein.

Geeignetheit: Die Maßnahme muss das Ziel tatsächlich erreichen können. Ausgeschlossen wird, was das Ziel nicht erreicht. Erforderlichkeit: Von den geeigneten Maßnahmen soll die gewählt werden, die die geringsten negativen Nebenwirkungen hat. Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: Die negativen Folgen müssen in entsprechendem Verhältnis zum erreichten Nutzen stehen. - Abwägung der Güter und Übel - Grenze des Zumutbaren muss gewahrt bleiben 7

-. Angemessenheitsprinzip bleibt in der Rechtsprechung - Angemessenheitsprinzip bleibt in der Rechtsprechung ohne Regel für Güter- und Übelabwägung. - In der Tradition wurde auf Güter- oder Wertehierarchien zurückgegriffen

Hierarchie der Werte und Güter Geistige, sittliche, religiöse Werte: Wahrheit, Freiheit, Liebe Grundgüter: Gesundheit, Lebenskraft Güter des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Ehre, guter Ruf, freie Lebensgestaltung, freue Berufswahl Sachwerte: Nahrung, Wohnung, Kleidung, Besitz

-. Traditionelle wertmetaphysische Hierarchien zwischen - Traditionelle wertmetaphysische Hierarchien zwischen Gütern und Werten erweisen sich als problematisch. J. Gründel: Niedrigere Werte können dringlicher sein. R. Ginters: Welches Einteilungskriterium soll man anwenden?

Wilhelm Korff: Übelminimierungsregel: Übelabwägungsregel: Aber: „Ein Handeln, das einem sittlich guten Ziel dienen soll, ist ethisch nur dann gerechtfertigt, wenn die mit ihm verknüpften negativen Nebenwirkungen auf das jeweils geringstmögliche Maß gebracht werden.“ Übelabwägungsregel: „Ein Handeln, das einem sittlich guten Ziel dienen soll, ist ethisch nur dann gerechtfertigt, wenn die als Nebenfolgen eintretenden Übel geringer sind als die Übel, die aus dem Handlungsverzicht erwachsen würden.“ Aber: Nach welchem Kriterium sollen die Übel gegeneinander abgewogen werden? 11

1.4 Das Kriterium des entsprechenden Grundes - Peter Knauer: Die in einer Handlung mit-verursachten Übel haben dann keinen entsprechenden Grund, wenn die Handlung auf Dauer und im Ganzen kontraproduktiv wird. 1.4.1 Das Prundprinzip: Die Nicht-Kontraproduktivität der Handlung - Die in einer Handlung mit-verursachten Übel und Schäden dürfen das in der Handlung angestrebte Gut (Handlungsgrund) nicht mindern oder untergraben. - Sonst steht die Handlung in Widerspruch zu ihrem Grund und ist damit ethisch schlecht.

-. Ist eine Handlung nicht kontraproduktiv, sondern erreicht - Ist eine Handlung nicht kontraproduktiv, sondern erreicht oder fördert sie das angestrebte Gut tatsächlich, kann der Handlungsgrund die Übel rechtfertigen. Der Grund der Handlung ist dann ein entsprechender Grund. Dabei gilt, dass die mit-verursachten Übel stets möglichst gering zu halten sind (ultima ratio).

1.4.2 Die universale Perspektive: auf Dauer und im Ganzen - Nicht-Kontraproduktivität muss auch langfristig Bestand haben. → Nachhaltigkeit - Das in einer Handlung angestrebte Gut muss universal formuliert werden. Nicht nur „Besitz“ oder „Leben“ für mich, für meine Gruppe, für einen anderen, sondern „Besitz“, „Leben“ überhaupt (im Ganzen) - Fördert oder zerstört die Handlung dieses universal formulierte Gut langfristig?

1.4.3 Der Güterkonflikt: Notwendigkeit und Grenzen des Kompromisses - Wenn man mehrere konkurrierende Güter anstrebt, kommt es zum Güterkonflikt. - Lösungsansatz: Manche Güter stellen die Voraussetzung für die Verwirklichung anderer Güter dar (Fundierung). Geldverdienen Arbeiten Gesundheit

Manche Güter setzen sich wechselseitig voraus: Gut schneidendes Messer Schärfe Stabilität Reibungsloser Straßenverkehr Entfernungen schnell überwinden Sicherheit Freizügigkeit Konsequenz: Kompromisse, die sich an den jeweiligen Erfordernissen orientieren dünne Klinge zerbricht stabile Klinge ist nicht so scharf Verkehr kommt zum Erliegen, Gefährdung der Sicherheit Unfälle, Staus verhindern zügige Fortbewegung 17

Aber: Es gibt Güter, die so fundamental sind, dass sie in keinem Fall von Kollisionen relativiert werden können. Etwa: Das Leben eines Menschen Denn: Leben ist die notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung aller anderen Güter. Das bedeutet: Tötung kann nur erlaubt sein, wenn nur so menschliches Leben gegen eine willkürliche Bedrohung geschützt werden kann. 18

2. Weitere Entfaltung des ethischen Grundprinzips 2.1 Die Bedeutung der Folgen und der Erfahrung - Um eine Handlung als kontraproduktiv zu erkennen, sind die realen Folgen zu beachten. - Dazu ist möglichst umfassende Sachkenntnis erforderlich. - Oft lassen sich die Folgen aber nicht absehen. Das bedeutet nicht, dass der Ansatz falsch ist, sondern dass Normbegründung ein komplexer Prozess ist. In größeren Zusammenhängen werden deshalb Kommissionen eingesetzt. Vorgehen in kleinen Schritten. Folgen immer wieder überprüfen.

- Dies macht die Möglichkeit eines Normenwandels verständlich. Gerade um einen Wert oder ein Gut bleibend zu schützen, kann es notwendig sein, Gebote oder Verbote zu ändern. Allerdings gibt es Grundnormen, die konstant in Geltung bleiben. Auch in der kirchlichen Lehrverkündigung gibt es Normenwandel: - Zinsverbot - Organspende - Hospizeinrichtungen - Todesstrafe etc.

2.2 Die objektive Gültigkeit ethischer Normen und die Bedeutung der Natur - Ob eine Handlung ihrem Gut entspricht oder widerspricht, lässt sich – prinzipiell jedenfalls – objektivieren. - Ob eine Handlung ethisch richtig oder falsch ist, hat seinen Grund nicht nur im Konsens der Betroffenen, sondern auch in der Sache selbst, um die es in der Handlung geht. - In diesem Sinn haben ethische Normen ihren Grund in der Natur der Sache. Eigengesetzlichkeit der Natur als negative Grenze.

2.3 Die „in sich“ schlechten Handlungen - Ist eine Handlung kontraproduktiv und widerspricht ihrem Grund, ist sie aufgrund ihrer inneren Struktur schlecht. → in sich schlecht - Diese innere Schlechtigkeit ist teleologisch begründet. - Dennoch gilt: Ist die Handlung erst einmal in sich widersprüchlich, kann sie nicht durch ein weiteres gutes Ziel gerechtfertigt sein. → Der gute Zweck heiligt nicht das schlechte Mittel. - Unterschied zum Utilitarismus: Im Blick auf jedes einzelne Gut ist zu fragen, ob es durch die Handlung gefördert oder gemindert wird.