Grundkurs praktische Philosophie 15. Dezember 2005 Philosophischer Anarchismus Text: John Simmons, Philosophical Anarchism, in: J. Sanders, J. Narveson (Hrsg.), For and against the state, Lanham (Rowman) 1996
Eingeführte Unterscheidungen Anarchismus a priori oder a posteriori Starker oder schwacher Anarchismus Einschätzung der Rechte oder Pflichten, die Menschen haben, wenn der Anarchismus wahr ist, als ausschlaggebend für das, was getan werden soll, oder als Gründe neben anderen. (Die letztere Position nennt Simmons „balance-of-reasons view“.)
Philosophischer Anarchismus Mit Hilfe des letzten Unterschieds läßt sich philosophischer Anarchismus als diejenige Untergruppe von Anarchismen abgrenzen, welche die Rechte oder Pflichten, die Menschen auf Grund der Wahrheit der grundsätzlichen anarchistischen These haben, nicht als ausschlaggebend, sondern nur als einen Grund fürs Handeln unter mehreren betrachtet.
Simmons‘ philosophischer Anarchismus Mit Hilfe der übrigen Unterscheidungen grenzt Simmons diejenige Version von philosophischem Anarchismus ab, die er für aussichtsreich hält. Das ist ein schwacher Anarchismus a posteriori.
Gründe für diese Einschätzung Es ist schwer, a priori zu zeigen, daß Staaten nicht legitim sind. Daß ein Staat nicht legitim ist, bildet einen moralischen Mangel an ihm, der neben etwaigen anderen moralischen Mängeln an ihm steht. Mit „neben“ ist gemeint: die anderen Mängel hängen nicht ab von diesem, und auch nicht umgekehrt dieser von ihnen.
Gründe für Anarchismus Das Fehlen einer überzeugenden Theorie politischer Verpflichtung. Hier erscheint Anarchismus als skeptische Position.
Gründe, auf die man sich bei der Verteidigung der Legitimität von Staaten gestützt hat, sind: Zustimmung durch Vertrag; faire Lastenverteilung; Dankbarkeit. Diese Gründe sind zweifelhaft.
Einwände gegen den philosophischen Anarchismus Daß wir Verpflichtungen gegenüber den Staaten haben, deren Mitglieder wir sind, sei ein Grundbestandteil unseres politischen Bewußtseins.
Simmons‘ Gegenrede Man kann bestreiten, daß die Behauptungen des Moralphilosophen mit unseren mitgebrachten moralischen Überzeugungen in Einklang stehen müssen.
Die Behauptung politischer Verpflichtungen ist selbst nicht ein moralisches Datum, sondern Theorie, die als solche begründet werden muß.
Wir sind in Wahrheit nicht überzeugt, daß wir durch staatliche Gebote moralisch verpflichtet werden, auch nicht innerhalb eines im Ganzen moralisch akzeptablen Staates.
Selbst wenn wir diese Überzeugung haben sollten, ist sie suspekt, weil es den Mächtigen nützlich ist, daß wir sie haben, und so der Verdacht nahe liegt, sie sei uns durch Manipulation eingepflanzt worden.
Einwände gegen den philosophischen Anarchismus Zahnlosigkeit: der philosophische Anarchismus scheue sich vor praktischen Folgen und kehre zum politischen Gehorsam zurück.
Simmons‘ Gegenrede Eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, den Geboten meines Staates zu gehorchen, ist etwas anderes als die moralische Gerechtfertigtheit oder Gebotenheit mancher Handlungen, die daneben auch von Staats wegen geboten werden.
Einwände gegen den philosophischen Anarchismus Radikalismus: philosophischer Anarchismus bringe allgemeinen Ungehorsam und sei deshalb unakzeptabel.
Simmons‘ Gegenrede Philosophischer Anarchismus führt nicht zur allgemeinen Auflösung, sondern nur zu der eigenständigen Überprüfung des von Staats wegen Geforderten durch die angesprochenen Handelnden.