II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs. rationales Wesen 1. Das Menschenbild als Merkmal zur Unterscheidung.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
H - A - M - L - E - T Handlungsmuster von Lehrerinnen und Lehrern beim Einsatz neuer Medien im Unterricht der Fächer Deutsch, Mathematik und Informatik.
Advertisements

Emotion und Motivation
Sozialpsychologie = Beschreibt die Art, wie Menschen soziale Realität konstruieren, wie sich Einstellungen und Vorurteile bilden und verändert werden.
D. ZAMANTILI NAYIR – 8. SEMESTER
Arbeits- und Präsentationstechniken 1 Teil A: Wissenschaftstheoretische Grundlagen Prof. Dr. Richard Roth WS 2011/2012 APT 1 Prof. Dr. Richard Roth.
Referentinnen: Christin Zegger und Anna Wirtz
Macht, Respekt und Identität
Altruismus und prosoziales Verhalten
EmPra Der Einfluss und die Verarbeitung von emotionalen Reizen
Die Registervariablen: Tenor of Discourse
"Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss" – Über (schulische) Erziehung Referenten: Björn Anton: Andy Caspar Michael.
Das Kontinuum-Modell von Fiske und Neuberg
Wirkungen von Mediengewalt
Prof. Dr. Katrin Borcherding
Mehrheits- und Minderheitseinfluss aus Sicht der Theorie der Selbstkategorisierung Gerd Bohner.
II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler": Attributionstheorien Attribution: Mensch als Wissenschaftler.
Sozialer Einfluss durch Minderheiten und Mehrheiten
Sozialer Einfluss durch Minderheiten und Mehrheiten
III. Themen der Sozialpsychologie (1): Einstellungen
III. Themen der Sozialpsychologie (2): Emotionen und Stimmungen
Kooperation und Wettbewerb
1. Definitionen, Betrachtungsebenen und Gegenstandsbereiche
Das Elaboration – Likelihood - Modell
Persuasive Kommunikation Das Heuristisch-Systematische Modell
Unimodel I: Grundannahmen und Kontroverse mit den Zweiprozessmodellen Gerd Bohner Dank an:Hans-Peter.
Persuasion als sequenzieller Prozess: Versuch der Integration von Unimodel und HSM Gerd Bohner
Soziale Urteilsbildung
Grundannahmen und die Stufen der sozialen Informationsverarbeitung
Die Theorie von Rogers (1959): Inkongruenz-Entwicklung
Bestandteile der pathologischen Beziehung (nach Rogers):
Wie ein bestimmtes Verhalten Einstellung ändern kann
Altruismus, Prosoziales Verhalten
Sebastian Seebauer DoKo 2006,
Rationales Entscheiden
SE DOKO, Ines Neunhoeffer
Problemstellung und Hypothesenbildung
Elaboration Likelihood Model – ELM
Emotion Ein komplexes muster körperlicher und mentaler Veränderungen als antwort auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wurde Erregung.
Motivation Motivation begünstigt die Erreichung hochgesteckter Ziele, da motivierte Mitarbeiter sich zielstrebig, initiativ und ausdauernd verhalten. Ist.
Einstellungen Vortrag im Seminar soziale Kognition Anett Kretschmer Sylva Schenk.
II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs. rationales Wesen 1. Das Menschenbild als Merkmal zur Unterscheidung.
Industrienationen, der Tennisverein und mein Selbstwert
Das ökonomische Modell des Wahlverhaltens
The theory of fantasy realization
Konsistenztheoretische Ansätze der Medienwirkung
Methoden der empirischen Kommunikations- und Medienforschung Di., 9-11 Uhr Prof. Hans-Jörg Stiehler Sitzung.
als soziologische Kategorie
Methoden der Sozialwissenschaften
Soziale Urteilsbildung Lozo, Soziale Urteilsbildung, AE Sozialpsychologie, SS 2004 Laienhafte Inferenzstrategien oder „the intuitive psychologist“ 2: Urteilsheuristiken.
Soziale Identität und Stress
The Interpersonal Effects of Anger and Happiness in Negotiations Van Kleef, G.A.; De Dreu, C. K. W. & Manstead, A. S. R. (2004) Juliane Wagner.
The link between leadership and followership: How affirming social identity translates vision into action. Projektarbeit Sozialpsychologie: Soziale Identität.
Evidence for Conditional Sex Differences in Emotional but Not in Sexual Jealousy at the Automatic Level of Cognitive Processing L. Penke and J.B. Asendorpf.
Beratung in Unternehmen Change Management
Bestrafung Friedrich-Schiller-Universität Jena Seminar: Aggression
Einstellungsforschung mittels Umfragen: Einstellungsstrukturen I Theoretische Grundlagen und Möglichkeiten der Erfassung (Beispiel: Einstellungen.
“A Need-Based Model of Reconciliation: Satisfying the Differential Emotional Needs of Victim and Perpetrator as a Key to Promoting Reconciliation” Shnabel,
Instrumentelles Lernen
Schwerpunktprogramm (SPP) Netzbasierte Wissenskommunikation in Gruppen Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Computervermittelte Informationsintegration.
Theoretischen und Empirischen Vertiefung im Fach Sozialpsychologie!
Vorlesung in Innsbruck im Sommersemester 2007
Gruppe & Macht.
Hausaufgabe 1 Was ist Sozialpsychologie und wie unterscheidet sie sich von anderen, verwandten Disziplinen? Einführung
Probleme empirischer Forschung
Alltagwissen und Sozialforschung (S.23) Je höher Beförderungsrate in einer Organisation (z.B. einer Abteilung in einer Firma) umso höher Zufriedenheit.
Die klassischen Methoden der historisch-vergleichenden Forschung Universität Zürich Soziologisches Institut Seminar: Methoden des internationalen Vergleichs.
MOTIVATIONAL INTERVIEWING Motivierende Gesprächsführung Mag. (FH) Anneliese Hochgerner.
Sozialpsychologie WS 10/11 Henrik Singmann Session 11.
Sozialpsychologie WS 10/11 Henrik Singmann Session 12.
Sozialpsychologie WS 10/11
 Präsentation transkript:

II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs. rationales Wesen 1. Das Menschenbild als Merkmal zur Unterscheidung kognitiver Theorien 2. Konsistenztheorien 3. Selbstwahrnehmungstheorie 4. Weiterentwicklung und Integration 5. Bezug zu Grundprinzipien der SP © Gerd Bohner 2001

1. Merkmal zur Unterscheidung kognitiver Theorien: Das Menschenbild "Wozu dient das Denken?" 1. Antwort: "der Erkenntnis der Wahrheit"  Mensch als rationales Wesen (oder sogar "intuitiver Wissenschaftler") 2. Antwort: "der Vermeidung von Schmerz (bzw. Steigerung der Lust)"  Mensch als rationalisierendes Wesen © Gerd Bohner 2001

Zwei prototypische Theorien: Theorie der kognitiven Dissonanz (Leon Festinger, 1957) Theorie der Selbstwahrnehmung (Daryl Bem, 1967) Dissonanztheorie (DT): Mensch als rationalisierendes Wesen Selbstwahrnehmungstheorie (SWT): Mensch als rationales Wesen Konkurrierende Erklärungen Paradigmenwechsel in der SP ("kognitiv" = nicht-motivational) © Gerd Bohner 2001

2. Konsistenztheorien Grundkonzepte kognitiver Konsistenztheorien: kognitive Elemente Beziehungen zwischen Elementen Streben nach Konsistenz Beispiel Balancetheorie (Heider, 1946, 1958) p-o-x Triaden balancierte und unbalancierte Zustände Grundmotivation zur Herstellung von Balance © Gerd Bohner 2001

p-o-x Triaden (nach Heider, 1958)

Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) Annahme: Gedankeninhalte (= Kognitionen) stehen zueinander in drei Arten von Beziehungen: irrelevante Beziehung konsonante Beziehung dissonante Beziehung Festingers Definition von Dissonanz: "Two things are in a dissonant relationship if, considering these two alone, the obverse of one element would follow from the other ... because of logic, because of cultural mores, because of things one has learned, and perhaps in other senses too." © Gerd Bohner 2001

Zustand kognitiver Dissonanz = unangenehm  Dissonanzreduktion Dazu quantitative Beschreibung der kognitiven Dissonanz: Strategien der Dissonanzreduktion: (a) Addition konsonanter Kognitionen (b) Subtraktion dissonanter Kognitionen (c) Substitution von Kognitionen N ( diss . Kog .) N ( kons . Kog .) + N ( diss . Kog .) © Gerd Bohner 2001

Streben nach kognitiver Konsistenz: Gedanken des Kandidaten Gysi FR: Wer, wenn nicht Gysi, wäre der beste Regierungschef für Berlin? Gysi: Da will mir zurzeit partout keiner einfallen. FR: Was wäre Ihre erste Handlung, wenn Sie eine schwere Wahlschlappe kassierten? Gysi: Mir die Vorteile zu überlegen, die das mit sich bringt. Quelle: Frankfurter Rundschau, 6.10.2001 © Gerd Bohner 2001

Klassisches Experiment: Festinger & Carlsmith (1959) "Induced compliance" Paradigma: Vp wird dazu gebracht, entgegen ihrer Einstellung zu handeln. Vp bearbeitet langweilige Aufgabe; beschreibt diese später einer "anderen Vp" als unterhaltsam und lehrreich  Dissonanz zwischen Einstellung und Verhalten Unabhängige Variable: Höhe der Belohnung (die Vp erhält für ihre Lüge entweder 1$ oder 20$) Kontrollgruppe: keine Lüge, keine Belohnung Abhängige Variable: Einstellung zur langweiligen Aufgabe © Gerd Bohner 2001

Gegenüberstellung von Belohnungstheorie und Dissonanztheorie Hypothese nach der Belohnungstheorie: Einstellungsänderung ist wahrscheinlicher bei hoher Belohnung Konkurrierende Hypothese nach der Dissonanztheorie: Einstellungsänderung ist wahrscheinlicher bei geringer Belohnung Warum ? © Gerd Bohner 2001

Daten aus Festinger & Carlsmith (1959) © Gerd Bohner 2001

Zahlreiche konzeptuelle Replikationen Variante induzierter Einwilligung: das "forbidden toy" Paradigma (Aronson & Carlsmith, 1963) Weitere Anwendungsbereiche: Aufwandsrechtfertigung Initiationsrituale (Aronson & Mills, 1959) "Schlank durch Denksport" (Axsom & Cooper, 1985) Dissonanz nach Entscheidungen © Gerd Bohner 2001

3. Die Selbstwahrnehmungstheorie Formuliert als Alternative zur Dissonanztheorie "Rationale" Prozesse statt Rationalisierung Motivationale Annahme zur Erklärung nicht notwendig Sparsamere Erklärung: Personen erschließen aus ihrem Verhalten (und den Bedingungen, unter denen dieses auftritt,) ihre Einstellungen, genau wie sie die Einstellungen anderer aus deren Verhalten erschließen. Experiment von Bem: "Interpersonale Replikation" von Festinger & Carlsmith © Gerd Bohner 2001

4. Weiterentwicklung und Integration Kontroverse um die notwendigen Bedingungen für Einstellungsänderung bei induzierter Einwilligung  Präzisierung der Vorhersagen der Dissonanztheorie Notwendig sind: Entscheidungsfreiheit negative Folgen des Verhaltens Erregungszustand, der auf die Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz attribuiert wird © Gerd Bohner 2001

"Schlüsselstudie" zur Rolle der Entscheidungsfreiheit: Linder, D.E., Cooper, J., & Jones, E.E. (1967). Decision freedom as a determinant of the role of incentive magnitude in attitude change. Journal of Personality and Social Psychology, 6, 245-254. [s.a. Blackwell Reader, pp. 268-283] Problem: Scheinbar widersprüchliche Befunde zum Einfluss von Belohnung Festinger & Carlsmith (1959): mehr EÄ bei niedriger als bei hoher Belohnung Rosenberg (1965): mehr EÄ bei hoher als bei niedriger Belohnung © Gerd Bohner 2001

Hypothesen von Linder et al. (1967): Nur bei Entscheidungsfreiheit entsteht Dissonanz  negativer Einfluss der Belohnungshöhe; ohne Entscheidungsfreiheit  positiver Einfluss der Belohnungshöhe Faktorielles Design: 2x2 mit den Faktoren Entscheidungsfreiheit (gegeben, nicht gegeben) und Höhe der Belohnung (hoch, niedrig) Vpn argumentieren in einem Aufsatz gegen Redefreiheit an ihrer Universität und erhalten dafür $0.50 oder $2.50. Sie tun dies entweder freiwillig oder haben keine Wahl. Später wird ihre Einstellung zur Einschränkung der Redefreiheit (aV) erfasst. © Gerd Bohner 2001

Daten aus Linder et al. (1967, Exp. 1) © Gerd Bohner 2001

Dissonanztheorie und Selbstwahrnehmungstheorie ergänzen einander: (Die Arbeit von Linder et al. eignet sich gut zur Veran-schaulichung zentraler Aspekte des sozialpsychologischen Experiments: Versuchsplan, Cover Story, Täuschung, Aufklärung, Interaktionseffekt ...) Weitere Alternativerklärungen und Reinterpreta-tionen zur Dissonanztheorie, z.B. Theorie des Eindrucksmanagements "Self-affirmation theory" Dissonanztheorie und Selbstwahrnehmungstheorie ergänzen einander: © Gerd Bohner 2001

Typische Situationen, in denen die Selbstwahrneh-mungstheorie eine gute Erklärung liefert: Einfluss von einstellungskonsistentem Verhalten (z.B. "foot-in-the-door"-Technik; Freedman & Fraser, 1966) Unterminierung intrinsischer Motivation (Lepper, Greene & Nisbett, 1973) Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Gefühlen (Schwarz & Clore, 1983) oder Körperbewegungen (Wells & Petty, 1980) Typische Situationen, in denen die Dissonanztheorie eine gute Erklärung liefert: Einfluss von deutlich einstellungskonträrem Verhalten andere Situationen, in denen starke Diskrepanzen bestehen, die mit emotionaler Erregung verknüpft sind © Gerd Bohner 2001

Kognitive Dissonanz: Ein Anwendungsbeispiel

5. Bezug zu Grundprinzipien der SP Vor allem die Konsistenztheorien betonen die subjektive Konstruktion der Realität. Kontinuum der Verarbeitungstiefe: Dissonanzreduktion erfordert mehr Verarbeitungs-aufwand als Selbstwahrnehmung (und führt zu dauerhafterer Einstellungsänderung). Betonung unterschiedlicher Motive: Kontrolle in der Selbstwahrnehmungstheorie, Selbstwerterhalt in der Dissonanztheorie © Gerd Bohner 2001