Zum Methodenproblem bei der Diagnostik selbstbezogener Informationen

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 Präsentation transkript:

Zum Methodenproblem bei der Diagnostik selbstbezogener Informationen Implizit und explizit Zum Methodenproblem bei der Diagnostik selbstbezogener Informationen

Verhaltensregulation / Selbstregulation Verhalten wurde im Behaviorismus als Reiz-Reaktions-Verbindung angesehen Aus Sicht der Psychoanalyse wird Verhalten über das Zusammenspiel unbewusster Triebe (Es/Id), Normen (Super-Ego) und bewusster Vermittlung (Ego) gesteuert Seit der kognitiven Wende, aber auch im Gefolge der humanistischen Psychologie (z.B. Rogers), wird Verhalten als bewusst gesteuertes, planendes Verhalten zur Zielerreichung (Selbstentwicklung) angesehen

Die behavioristische Perspektive (Konditionierung) spielt heutzutage in der Erklärung von Verhalten nur noch eine nachgeordnete Rolle: Baustein in kognitiven Verhaltenstheorien Die Anerkennung der Theorien der klassischen Psychoanalyse hatte mit mehreren Problemen zu kämpfen: Mangelnde empirische Bestätigung für die Entwicklungsstadien (oral, anal, etc.) Problem der zirkulären Logik (im Zweifelsfall kann man jede Abweichung von einer Prognose über das Unbewusste erklären, das sich einer Überprüfung entzieht) Kognitive Theorien der Verhaltenssteuerung (Mensch als informationsverarbeitendes System) sind empirisch gut unterfüttert und mit Erfolg für den therapeutischen Bereich nutzbar gemacht worden

Problem: Emotionen Die kognitiven Modelle boten lange Zeit keine zufriedenstellende Erklärung für die Rolle von Affekten, Stimmungen und Emotionen in der Verhaltenssteuerung Emotionen wurden entweder als (störende) Begleiterscheinungen kognitiver Prozesse aufgefasst oder als nachgeordnete Phänomene (Bewertung von Kognitionen)

Emotionen als Information Erst Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre wurde Modelle entwickelt, in denen Affekte, Stimmungen und Emotionen als eigenständige Form der Informationsverarbeitung betrachtet wurden

Emotionen: Schnelle, schematische Informationsverarbeitung; Bewertung und Handlungsimpulse Kognitionen: Nachgeschaltete, langsamere, analytische Form der Informationsverarbeitung und Handlungskontrolle

Explizites Wissen Dem Bewusstsein zugänglich Verbalisierbar Deklarativ „Wissen, was“ Z.B. „Hauptstädte Europas“, „Schullaufbahn“ Implizites Wissen Nur teilweise zugänglich Schwer verbalisierbar (z.T widersprüchlich, fuzzy) Prozedural „Wissen, wie“ Automatisiert, schematisch Z.B. Praxen aggressiven Verhaltens, vorbewusste Einstellungen

Verhaltensregulation / Selbstregulation Architektur eines dualen Motivationssystems (nach Brunstein et al., 1999, Spangler & Zimmermann, 1999) Ziel - auf bewusste Erfüllung von Zielen gerichtet (soziale Erwartungen, persön-liche Ziele), Planung - Wissensstruktur, die mit dem Selbst-konzept und Metakognitionen eng verknüpft ist (deklaratives Wissen) - entwickelt sich zu hierarchischer Struktur mit Ober- und Unterzielen Explizites Motivationssystem (Ebene kognitiver Prozesse) SK Meta Entwicklung Emotion - vorbewusste oder automatische Infor- mationsverarbeitung (prozedurales Wissen) wird als Gefühl erlebt - schematische Wahrnehm.-Handlungs- Konstrukte mit spezifischer positiver od. negativer Valenz, die als Affekte erlebt werden Implizites Motivationssystem (Ebene affektiver Prozesse) Handl N Wahrn Handl P Handl Wahrn Analog dazu: zwei Verarbeitungsmodi: affektiv (schematisch, heuristisch) und kognitiv (planend, top-down-Strategien), in deren Verlauf auf unterschiedliche Wissensrepräsentationen zugriffen wird

Beispiel: Explizite Zielstrukturen für Bildungskarriere Gutes Einkommen Kaufmännische Ausbildung Unistudium BWL ++ + Eine Zielstruktur sollte flexibel sein. Je mehr alternative Unterziele (Wege) zu einem Oberziel führen, desto leichter ist das Oberziel trotz Versagen in einem Unterziel erreichbar Dabei ist die Einteilung in Ober- und Unterziele relativ

Explizites Motivationssystem Implizites Motivationssystem Duale Selbstregulation (in Anlehnung an Brandstädter & Greve, 1994) Interaktion mit der Umwelt - wahrgenommene Passung Person-Umwelt - wahrgenommene Kongruenz Motive-Ziele, Kognition-Emotion Explizites Motivationssystem (Ebene kognitiver Prozesse) Immunisierung (Selbstschützende Inter- pretationen, Abwehr) - - + - Assimilation (z.B. Problemlösung, Kompensation) - Negative Ergebnisse + Implizites Motivationssystem (Ebene affektiver Prozesse) - + Akkommodation (Anpassung von Zielen oder Bewertungen) -

Vorteile der Kenntnis impliziten Wissens Informationen über Ziele und Einstellungen wären zuverlässiger, da unverfälscht Informationen über Passungsprobleme zwischen impliziten und expliziten Handlungszielen könnten Verhaltensprobleme erklären und wären Ansatz für Interventionen könnten benutzt werden, um Entwicklungshemmnisse zu erkennen

Problem für die Diagnostik Trotz der zunehmenden empirischen Evidenz für die Bedeutung impliziten Wissens bleibt es der Diagnostik schwer zugänglich

Fragebögen: Explizites Wissen Verhaltensbeobachtungen: Messen Resultate der Verhaltenssteuerung, nicht die vorgeschalteten Prozesse Interviews: Sowohl explizites als auch implizites Wissen; implizites Wissen muss aber durch deutende, interpretative Verfahren rekonstruiert werden Implizite Einstellungstests: ökologisch valide, aber Probleme mit niedriger Reliabilität und Stabilität

Implizite Einstellungstests Grundprinzip: Wenn Informationen verarbeitet werden müssen, die mit der impliziten Einstellung übereinstimmen (schemakongruent), so gelingt dies schneller als bei schemainkongruenten Informationen Implizite Messverfahren basieren daher auf Reaktionszeitmessungen Vergleich der Reaktionszeiten unter schemakongruenter und –inkongruenter Aufgabenstellung

Vorteile impliziter Messverfahren Ökologisch valide: Implizite Testscores korrelieren mit anderen Verhaltensaspekten als explizite Scores Bsp.: Asendorpf, Banse & Mücke (2002): Zusammenhänge zwischen impliziten und expliziten Information über Schüchternheit einerseits und spontan schüchternem Verhalten in einer experimentellen Situation andererseits

Quelle: Asendorpf, J. B. , Banse, R. & Mücke, D. (2002) Quelle: Asendorpf, J. B., Banse, R. & Mücke, D. (2002). Double dissociation between implicit and explicit personality self-concept: The case of shy behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 380-393.

Probleme impliziter Messverfahren Große Varianz der Messgenauigkeit (zw. .20 und .80) Große Varianz der Stabilitäten (zwischen .10 und .70) => Für Einzelfalldiagnostik (noch) nicht geeignet, aber für Einsatz im Rahmen von Evaluationsstudien vielversprechend

Qualitative Verfahren Ermöglichen es prinzipiell, implizite Wissensanteile zu rekonstruieren Hoher Zeitaufwand Problem der Nachprüfbarkeit der Interpretation macht Konsensbildung nötig Für die Förderdiagnostik sind interpretative Verfahren deshalb nur selten einsetzbar

Identifikation von Indikatoren für implizites Wissen Eine interpretative Perspektive kann aber auch in der Förderdiagnostik nützlich sein, da sie es erlaubt, eine neue Perspektive auf den Fall zu entwickeln Heuristische Funktion Z.B. Anzeichen nicht geäußerter Problemlagen, nicht genutzter Ressourcen oder Ansätze konstruktiver Problembewältigung

Berücksichtigung impliziten Wissens in der Förderdiagnostik 1) Vergleich zwischen Verhaltensbeobachtungen und expliziten Aussagen Z.B. Vergleich zwischen Hospitation und Schülerinterview/Fragebogen, Lehrerratings des Verhaltens und expliziten Informationen Identifikation von Differenzen zwischen Selbstdarstellung und Verhalten Wichtig: Vergleich mit VERHALTEN, nicht mit den Persönlichkeitseinschätzungen anderer Personen

Vergleich zwischen den Handlungspraxen in verschiedenen Umwelten z.B. Schule, Freizeit, Familie Hinweise auf funktionale Teile des Handlungsschemas, die aber in der Schule nicht aktiviert werden

Qualitatives Vorgehen als Ideengenerator Durch den Vergleich verschiedener Perspektiven oder durch die interpretative Rekonstruktion von Handlungsschemata können Ideen für die Förderung gewonnen werden => Nutzen für Förderprozess => Für Statusdiagnostik (Ist-Zustand) aber problematisch, falls nicht aufwändig abgesichert