VII. Moral und Ethik in der Systemtheorie Niklas Luhmanns

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VII. Moral und Ethik in der Systemtheorie Niklas Luhmanns

Niklas Luhmann 1927 - 1998 Jurist, Soziologe, Philosoph 1968 - 1993 Professor für Soziologie in Bielefeld Systemtheorie als Gesellschaftstheorie Kommunikations-theorie Evolutionstheorie

1. Funktionale Differenzierung und Moral 1.1 Primat funktionaler Differenzierung gegenüber segmentärer und schichtmäßiger Differenzierung Binäre Codes als Leitdifferenzen auf das Ganze Kommunikationsmedien Organisationsbildung

1. Funktionale Differenzierung und Moral 1.2 Teilsysteme moderner Gesellschaften und ihre Codes Religionssystem= Immananenz/Transzendenz Wirtschaftssystem= Haben/Nicht Haben Wissenschaftssystem= wahr/unwahr Rechtssystem= recht/unrecht Mediensystem= Information/Nicht-Information

1. Funktionale Differenzierung und Moral 1.3 Moderne Gesellschaft ohne Spitze und Zentrum keine alle Teilsysteme überwölbende Gesamtperspektive keine Integration der Gesellschaft durch Religion oder Moral

2. Wertsphären und Moral bei Max Weber Ausdifferenzierung von Wertsphären in der modernen Gesellschaft (Ökonomische, politische, ästhetische, erotische, intellektuelle, religiöse Wert- sphäre) Unauflösliche Spannungen zwischen den Ansprüchen der Religion und den übrigen Wertsphären Christliche Brüderlichkeitsethik prallt an den übrigen Wertsphären ab

3. Moral und Ethik bei Niklas Luhmann Moral als besondere Art von Kommunikation, die Hinweise auf Achtung oder Missachtung mitführt Unter Moral versteht Luhmann die „Codierung der Kommunikation durch das binäre Schema von gut und böse (oder, wenn subjektiviert, von gut und schlecht)“ Moral besteht in einer „Konditionierung von Achtungs- und Missachtungsbedindungen“ Der Code wird mit Bezug auf Personen angewandt

3. Moral und Ethik bei Niklas Luhmann Ethik ist für Luhmann die Reflexionstheorie der Moral Ethik hat den Anwendungsbereich der Moral zu reflektieren und zu begrenzen Ethik hat es nicht mit Gründen für moralische Urteile zu tun „es ist die vielleicht vordringlichste Aufgabe der Ethik, vor Moral zu warnen“

4. Moderne Gesellschaft ohne Moralsystem Auflösung der traditionellen Einheit von Religion und Moral Moral wird zur Umwelt aller Funktionssysteme Der Moralcode trennt sich vom Rechtscode, Wissenschaftscode und auch Religionscode Die Lösung vom Moralcode wird zur Bedingung für die Funktionsfähigkeit der Teilsystem Wirtschaft, Politik, Wissenschaft etc. lassen sich nicht mehr moralisch steuern

5. Moralische Kommunikation als „Immunsystem“ der Gesellschaft Themen werden dann moralisch codiert, wenn sie systemübergreifend formuliert werden müssen bzw. die Belange mehrerer Funktionssysteme betreffen Moralische Kommunikation tendiert dazu, nicht Konsens, sondern Konflikt zu erzeugen (polemogen) Moral und Ethik haben die Funktion, den Codegebrauch der Funktionssysteme zu begrenzen Moral und Ethik als Alarmsystem und systemübergreifende Sprache, um Probleme der Kommunikation über Systemgrenzen hinweg zugänglich zu machen

6. Was hält die differenzierte Gesellschaft zusammen? Über Werte, Moral oder Ethik lassen sich differenzierte Gesellschaften nicht integrieren Desintegration entgegen wirkende Mechansimen - Leistungskoppelungen zwischen den Systemen (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft) - Ökonomische und ökologische Sachzwänge - Reflexion wechselseitiger Einflussprozesse in den Teilsystemen

7. Kritik Menschen, Personen, Subjekte gehören zur Umwelt der Sozialsysteme Bewusste „Dehumanisierung“ des Sozialen Luhmann rekonstruiert die Tendenz der Funktionssysteme, sich von moralischen Ordnungsvorgaben zu lösen Der Anspruch einer verantwortlichen Gestaltbarkeit der Gesellschaft wird aufgegeben Moral und Ethik werden auf Restfunktionen reduziert