Literar- und Überlieferungskritik

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Literar- und Überlieferungskritik Institut für Zeit- und Religionsgeschichte des Neuen Testaments Sommersemester 2009 Basismodul-Unterseminar: Wege ins Neue Testament. Einführung in die Exegese neutestamentlicher Texte Literar- und Überlieferungskritik

Literar- und Überlieferungskritik Bericht der Verfasser (der Evangelien, Apostelgeschichte, Briefliteratur) aus großem zeitlichen Abstand von den Ereignissen um Jesus -> Stützen auf Traditionen, denen aufgrund ihres Gegenstandes Autorität zukam; Aufnahme und Verarbeitung verschiedener Quellen und Vorlagen Befragung ntl. Texte auf die Einarbeitung älterer Stoffe Annahme: Bemühen des Verfassers um eine möglichst große Kohärenz seines Textes Mangel an Kohärenz daher Indiz für die Verwendung und Überarbeitung von Vorlagen -> literarkritische Kriterien als Inkohärenzkriterien

Literar- und Überlieferungskritik Literarkritik: Rekonstruktion dieser Vorlagen und Erhellung ihrer theologischen Akzente und ihres Sitzes im Leben Aufgabe der Literarkritik: Untersuchen der literarischen Einheitlichkeit eines Textes Ziel der Literarkritik: Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Textes durch das Zerlegen des Textes in seine schriftlichen Vorlagen Ergebnis der Literarkritik: Modell der Textgenese

Literar- und Überlieferungskritik Scheiden der literarischen Schichten eines Textes voneinander synoptische Evangelien: Klärung der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Synoptikern und Rekonstruktion der Quellen durch Synoptischen Vergleich keine Notwendigkeit dieser Methode für das Mt- und LkEv aufgrund des separaten und schriftlichen Vorliegens des MkEv als einem ihrer Vorstufentexte + Möglichkeit der Feststellung der Redaktion durch Mt und Lk durch den synoptischen Vergleich JohEv: Klärung der Etappen der Redaktion (Überarbeitung von Quellen und Vorlagen) Paulusbriefe: Untersuchung auf die Frage hin, ob einige Briefe Kompilationen aus ursprünglich getrennten Briefen sind + Klärung der Abhängigkeit späterer Briefe von früheren

Überlieferungskritik Frage nach dem Werdegang und der Gestalt eines Textes vor seiner Endredaktion, nicht nur in seinen schriftlichen Vorformen, sondern auch in seiner mündlichen Vorgeschichte isolierte zunächst mündlich umlaufende Traditionsstücke, die in größere Sammlungen (Evangelien) aufgenommen oder als Zitate in einen größeren Kontext (Paulusbriefe) eingebaut wurden Erzählungen über Jesus, Jesusworte, Glaubensformeln etc.: kurze, relativ einheitliche, in sich geschlossene und kohärente Texteinheiten mit Bezug zu einer konkreten Gemeindesituation als Gebrauchstexte, die in bestimmten Kommunikations- und Interaktionssituationen innerhalb der Gemeinde verwendet wurden für die Verwirklichung bestimmter Ziele

Überlieferungskritik Analyse: Rekonstruktion der ursprünglich isoliert umlaufenden Einzelperikopen und Kurztexte in ihrer ältesten Form Rekonstruktion der Veränderungen der Texte im Zuge ihrer mündlichen und/oder schriftlichen Tradierung bis hin zu ihrer Endgestalt Beschreibung ihrer Eigenart und ihres Sitzes im Leben (in den verschiedenen Phasen) Durchlaufen eines Wandlungs- und Wachstumsprozesses durch Einfügung in einen neuen Kontext bzw. die Berührung mit anderen Gattungen, Veränderungen oder Weiterschreibung durch den Einfluss neuer Gemeindesituationen bzw. durch die Interessen bestimmter Trägerkreise Ablesen dieser Veränderungen in den Texten selbst an den Wachstumsschichten -> Überlieferungsgeschichte

Literar- und Überlieferungskritik Trennung von Vorlagen und späteren Bearbeitungen anhand des Endtextes Ansatzpunkt: Suche nach Brüchen im Text Grundvoraussetzung: Nahtstellen zwischen den einzelnen Perikopen und innere Spannungen als Hinweis auf die Zusammensetzung ursprünglich selbständiger Einheiten und das Eruieren von Bearbeitungsspuren Destruktion des Rahmens der Evangelien -> Isolierung der selbständigen Einheiten durch Herauslösung aus ihrem größeren Zusammenhang Klassifizierung dieser voneinander abgegrenzten Einheiten: Unterscheidung der Textelementtypen ursprüngliche kleine Einheiten, Fragmente, Ergänzungen

Literar- und Überlieferungskritik Eine ursprüngliche kleine Einheit liegt vor wenn sie: aus sich heraus verständlich, also auch isoliert tradierbar ist über einen erkennbaren Anfang und ein sinnvolles Ende verfügt -> Idealfall klar abgrenzbarer Wachstumsschichten d.h. Ermittlung der Vorlage als dem Rest des Textes, der eine homogene Einheit bildet Fragment bei Erfüllung allein der ersten Bedingung: ein ursprünglich abgerundeter tradierbarer, aber unvollständiger Text; keine Angewiesenheit des Textstücks auf eine andere Texteinheit für das Verstehen Wegbrechen von Anfang und Ende bei der Einarbeitung in den neuen Kontext

Literar- und Überlieferungskritik Vorliegen einer redaktionellen Erweiterung bei Nichterfüllung beider Bedingungen Kommentierung und erzählerische Weiterführung durch Ergänzungen der kleinen Einheit durch Einschübe, Rahmenkonstruktionen oder durch kleine Zusätze ausgegrenzte Textteile: durch den Redaktor eingefügte Textteile mit der Funktion der Einordnung in den neuen Kontext oder einer bestimmten theologischen Akzentsetzung

(Inkohärenz-)Kriterien für die Erhebung der Uneinheitlichkeit des Textes 1) direkte Hinweise auf Traditionen 2) auffällige oder störende Doppelungen und Wiederholungen Doppelungen können inhaltlicher und formaler Art sein mehrfaches Vorkommen von sprachlich und inhaltlich ähnlichen Texteinheiten, Textabschnitten Wiederholungen: wörtliche Wiederaufnahme einer Wortverbindung, eines Satzteils oder eines ganzen Satzes 3) auffällige oder störende Spannungen und Widersprüche: schlecht aufeinander abgestimmte (Spannungen) oder unvereinbare (Widersprüche) Angaben

(Inkohärenz-)Kriterien für die Erhebung der Uneinheitlichkeit des Textes Doppelungen/Wiederholungen und Spannungen/Widersprüche als wichtigste Kriterien für die Feststellung von Uneinheitlichkeit im Text 4) Logische bzw. narrative Brüche: Unterbrechung des Zusammenhangs durch Einfügung einer fremden Thematik in einen in sich zusammenhängenden Text -> Schlussfolgerung der Weiterbearbeitung der Erstfassung des Textes 5) Stilistische Argumente: Syntaktische Brüche oder der Wechsel von konkret-erzählenden zu abstrakt-wertenden Lexemen z.B. unmotivierter Wechsel der auftretenden Personen, des Tempus, des Numerus, des Wortschatzes, des Satzbaus

(Inkohärenz-)Kriterien für die Erhebung der Uneinheitlichkeit des Textes 6) Dubletten und Parallelen: Suche nach Parallelen d.h. vokabelmäßig verwandten Texten Häufiges Vorkommen eines Wortes, einer Wendung oder einer sonstigen Ausdrucksweise innerhalb eines Evangeliums als Hinweis auf die sprachlichen Vorlieben des Evangelisten und als Hinweis auf die Bearbeitung des Ausdrucks durch den Redaktor letzter Hand Dubletten als besondere Form der Parallelen: Wiederholung ganzer Textteile; bedeutsam für den Nachweis der Logienquelle bzw. der Gültigkeit der Zwei-Quellen-Theorie

(Inkohärenz-)Kriterien für die Erhebung der Uneinheitlichkeit des Textes 7) Kombination von Gattungen oder Auftreten gattungsatypischer Elemente: Realisierung verschiedener Gattungen in einem Textstück oder von Mischgattungen -> Hinweis auf die nachträgliche Kombination ursprünglich eigenständiger Textteile oder die Erweiterung einer Gattung durch ein unselbständiges Teilstück Steigen der Wahrscheinlichkeit der Uneinheitlichkeit eines Textes mit der Häufung und Konvergenz der nachgewiesenen Kriterien

(Inkohärenz-)Kriterien für die Erhebung der Uneinheitlichkeit des Textes Signifikante Differenzen in der Bedeutung bestimmter Wörter und Motive Vorhandensein von Themen, Motiven, Begriffen und Aussagen, die für bestimmte Redaktionsstufen typisch oder untypisch sind Kriterien als Faustregeln für einen Rückschluss auf eine Vorlage, aber Urteil erst möglich beim Zusammenkommen mehrerer Indizien auf verschiedenen Ebenen Beweiskraft der Indizien erst bei Durchführung der Gegenprobe, ob sie nicht stilistische Mittel des Verfassers sind und damit weniger ein Hinweis auf das Wachstum des Textes sondern vielmehr auf eine bestimmte Intention des Autors

Literar- und Überlieferungskritik Letzter Schritt: Erstellen eines Modells der Textgenese d.h. einer relativen Chronologie der so klassifizierten Texteinheiten und Schichten Darstellung als stufenweise Bearbeitungen bzw. Weiterschreibungen einer ursprünglich kleinen Einheit -> (Traditions-) Schichtenmodell

Indizien für die Uneinheitlichkeit eines Textes 1. direkte Hinweise auf Traditionen 2. Doppelungen und Wiederholungen 3. Spannungen und Widersprüche 4. Logische bzw. narrative Brüche 5. Stilistische Argumente: Syntaktische Brüche und Wechsel von konkreten zu abstrakten Lexemen 6. Dubletten und Parallelen 7. Kombination von Gattungen