Querschnittsbereich Gesundheitsökonomie, Gesundheitssystem, Öffentliche Gesundheitspflege Prof. Dr. Hendrik van den Bussche Zentrum für Psychosoziale Medizin Institut für Allgemeinmedizin
4 Öffentliches Gesundheits-wesen/Gesundheitsökonomie Sozialversicherung, gesetzliche Krankenversicherung und Finanzierung des Gesundheitswesen Sektoren und Einrichtungen des Gesundheitswesens: 1) Ambulante Versorgung Sektoren und Einrichtungen des Gesundheitswesens: 2) Stationäre Versorgung 4 Öffentliches Gesundheits-wesen/Gesundheitsökonomie Begriff Sektoren Was ist erster, zweiter, dritter Sektor?
Bezugsgrößen des Gesundheitssystems
Definition eines Gesundheitssystems Nationales/regionales Ensemble der Einrichtungen, Maßnahmen und Programme für eine: Verbesserung von gesundheitlicher Lage und Wohlbefinden Minderung von Erkrankungsrisiken in der Bevölkerung professionelle ambulante und stationäre Diagnostik und Therapie Rehabilitation und Pflege von Behinderungen und Beeinträchtigungen
Typologie von Gesundheitssystemen Marktwirtschaftliches System out-of-pocket-money Staatliches System Steuern Sozialversicherungssystem Beiträge Gemischtes System Beiträge + Steuern + Selbstbeteiligung
Das gemischte deutsche Gesundheitssystem 1 Sozialversicherungselemente (Beiträge): Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) Staatliche Elemente (Steuern) Krankenhaus-Investitionskosten Lehre und Forschung Subventionen (Krankenversicherung der Rentner) Sozialhilfe Beamtenbeihilfe
Das gemischte deutsche Gesundheitssystem 2 Private Elemente: Das System der privaten Krankenversicherung (PKV) Selbstbeteiligung in der GKV Out-of-pocket money: Nichterstattung bei Arzneimitteln Wellness, Fitness etc.
Finanzierungsverhältnis in Deutschland Sozialversicherung: 68% Steuern: 11% Private Quellen: 17% Out of pocket: 10% PKV: 7% Rest: 4%
Finanzierungsprinzipien eines Gesundheitssystems (Sozial)-Versicherungsprinzip Versorgungsprinzip Fürsorgeprinzip
Unterschiede zwischen Versicherungs- und Sozialversicherungsprinzip Einkommensabhängiger Beitrag Versicherungszwang bis Versicherungspflichtgrenze Sachleistungsprinzip Rechtsanspruch auf Leistungen Versicherungsprinzip Risikoabhängiger Beitrag Versicherungsfreiheit Geldleistungsprinzip Rechtsanspruch auf Leistungen
Versorgungs- und Fürsorgeprinzip Versorgungsprinzip Bedarfsprinzip Keine Mitgliedschaft Geld- und Sachleistungen Rechtsanspruch Fürsorgeprinzip Bedürftigkeitsprinzip Keine Mitgliedschaft Sachleistungen Behördlicher Ermessensspielraum
Das stark vereinfachte Beziehungsgeflecht
Finanzströme in deutschen Gesundheitswesen
Bundeskanzler Schröder zu den Kosten des deutschen Gesundheitswesens „Wenn Sie eine Milliarde hätten und gäben Ihrer Frau täglich 10.000 DM zum Ausgeben, dann würden Sie die Dame 300 Jahre nicht sehen. So viel ist eine Milliarde. Davon geben wir jedes Jahr (für das Gesundheitswesen) 500 aus.“ (DER SPIEGEL 43/2001)
Umverteilungen im Sozialversicherungssystem Von Gesunden zu Kranken Von Jungen zu Alten („Generationengerechtigkeit“) Von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern Von besser verdienenden zu weniger verdienenden abhängig Beschäftigten Von abhängig Beschäftigten zu Nichtbeschäftigten Von Ledigen zu Familien Von Steuerzahlern mit hohen zu solchen mit niedrigen Steuersätzen Von der GKV zur GRV, zur PKV, zur Sozialhilfe
Umverteilungsaspekte ... ... verursachen manchmal mehr Probleme und Konflikte als die gesundheitspolitische Seite einer Maßnahme selber
Die Player
Die Player (I) Die Leistungsanbieter: Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenhausträger (Kommunen und Kirchen), Pharmaindustrie, Apotheken, sonstige Berufe, Heilmittelhersteller, Transporteure, Berufsverbände, Gewerkschaften, Patientenverbände etc. etc. Die gesamte Welt der Politik: Bund, Länder, Städtetag, Parteien, Länderminsterien (Bundesrat) Die Wissenschaft: Fakultäten, wissenschaftliche Vereinigungen
Die Player (II) Gemeinsame Bundesausschuss (seit GMG 2004) Krankenkassen, Leistungserbringer, Unparteiische und Patientenvertreter (beratend). Konkretisiert den Leistungskatalog der GKV (incl. DMP) Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG) Nutzen-Bewertung von Interventionen (Arzneimitteln) Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Gutachten und Empfehlungen Sozialgerichte
Die Krankenkassen Primärkassen und Ersatzkassen Unterschiedliche regionale Reichweite Unterschiedlicher Beitragseinzug Unterschiedliche Mitgliederrekrutierung Wettbewerb um die „guten Risiken“ nicht im Sachleistungsbereich
Krankenkassenstruktur (Anzahl)
Krankenkassenstruktur (Marktanteil)
Der Krankenkassenbeitrag Einkommensproportional Aktuell: ca. 15 % Bis Beitragsbemessungsgrenze: ca. 3600 € Beitragsbemessungsgrenze GKV = 75% der BBG der RV Arbeitgeberanteil abgeführt je nach Kassenart
GKV in % BIP und Kassenbeitrag
Kostenstruktur GKV
Hauptprobleme Stetig steigende Nachfrage = stetig steigende Kosten Unzureichende Einnahmen der GKV Mangelnde Effizienz (großes Leistungsvolumen bzw. hohe Ausgaben bei vergleichsweise geringem Outcome)
Stetig steigende Nachfrage Zunahme des Versorgungsbedarfs und des Behandlungsaufwands, insbes. durch chronische Krankheiten und Alter Steigende Möglichkeiten der Diagnostik und der Therapie (Weiterhin wachsendes) Überangebot an Behandlungskapazitäten Zunehmender „moral hazard“?
Altersstruktur Bevölkerung
Folgen eines Überangebots?
Ebenso: Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen?
Unzureichende Einnahmen der GKV Sinkende Einnahmen wegen Wegfall des Arbeitnehmer-Idealmodells (40 Jahre ununterbrochen vollzeittätig bei stetig steigendem Lohn) Zunahme von Arbeitslosigkeit, Teilzeittätigkeiten, Ich-AGs etc.
Indiaktoren der Einnahmeentwicklung
Gesundheitsausgaben in % des BIP
Gesundheitsausgaben pro Kopf 2004
Gesundheitsausgaben pro Kopf 2003
Effizienzprobleme des Gesundheitssystems Ausrichtung des Versorgungssystems auf Akutkrankheiten („cure“ anstatt „care“) Fragmentiertes, mit Kooperationsproblemen belastetes Versorgungssystem (z.B. Doppeluntersuchungen) Steigende Erwartungen der Gesellschaft und der Patienten in Bezug auf Evidenzbasierung und Qualitätssicherung Neue Versorgungsformen treten zutage
Fazit Alle Faktoren kurzfristig nur geringfügig beeinflussbar Steuerungsprobleme nicht gelöst (Markt versus Staat) Probleme und Streit werden andauern
Lösungsansätze Einnahmesteigerungen Kostenverlagerungen Leistungsmengenverringerung („Rationierung“) Rationalisierung der Strukturen und Prozesse
Ansatz 1: Steigerung der Einnahmen innerhalb der GKV-Logik Erhöhung des Beitragssatzes Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze Abschaffung PKV Abschaffung von Sondersystemen (z.B. Beihilfen für Beamte) Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze Erweiterung der Bemessungsgrundlage des Beitrages (z.B. Vermögen) Bürgerversicherung
Ansatz 2: Steigerung der Einnahmen außerhalb der GKV-Logik Abschaffung der Familienmitversicherung (risikounabhängige) Kopfpauschale Risikoabhängiger Beitragssatz („Fliegen und Saufen“) Steuerfinanzierung Nationaler Gesundheitsdienst Zweckgebundene Sondersteuern (Tabak, Skifahren) Zusätzliche Kapitaldeckung („Riester II“)
Ansatz 3: Verlagerung der Kosten Erhöhung der gegebenen Selbstbeteiligung Neue Formen der Selbstbeteiligung (Praxisgebühr) Selbstbehalt- bzw. Rückerstattungstarife Null-Runden Festpreise für Medikamente „Zwangsspenden“ der Pharmaindustrie
Ansatz 4: Leistungsmengenverringerung 1 Durch Verknappung der Ressourcen Zulassungsbeschränkungen bei den Leistungsanbietern (z.B. Vertragsärzte) Begrenzung der Berechtigung (z.B. Verlängerung von Wartezeiten, altersabhängige „Selektion“)
Ansatz 4: Leistungsmengenverringerung 2 Durch Begrenzung des Leistungsspektrums: Ausschluss Zahnersatz Aufsplittung in Grund- und Wahlleistungen (z.B. Unfälle im privaten Bereich, „Bagatellkrankheiten“) Herausnahme „versicherungsfremder“ Leistungen (Infertilität, Abortus, Sterbegeld etc.)
Ansatz 5: Rationalisierung der Strukturen und Prozesse Kontrahierungsfreiheit der Kassen („uneinheitlich und getrennt“) Neue Versorgungsformen: Hausarztmodell, DMP, Integrierte Versorgung Pauschalierung und Erfolgsorientierung der Honorare (z.B DRGs) Verschärfter Wettbewerb (z.B. zwischen ambulant und stationär) Evidenzbasierte Medizin, Qualitätssicherung und Leitlinien Positivliste für Arzneimittel Abschaffung von Arzneimittelvertriebsprivilegien
Was kommt nun?: Der Gesundheitsfonds Staatlich festgesetzter, festgeschriebener, einheitlicher Beitragssatz bei morbiditätsorientiertem Risikoausgleich Steueranteil (steigend) „Zusätzliche Prämie“ bis maximal 1% des verfügbaren Einkommens in weniger effizienten Kassen Rückerstattung im umgekehrten Fall Rasche Wechselmöglichkeit der Kasse