Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Hochschule Merseburg „ (Akut)traumatisierte Kinder und Jugendliche in Pädagogik und Jugendhilfe“ Fachtagung.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

M O B B I N G in der Schule Informationen zum Mobbing
Mobbing Eine Präsentation von Sarina Koß, Sarah Langela, Christian Pallmann und Timo Erlenbruch.
bei nahestehenden Menschen
Schizophrenie und Seelsorge
Schöne schlanke Welt???.
Stalking bei Sorgerechtsstreitigkeiten
Ein Fall beim KJSD wird bekannt...
© 2012 traumapädagogisches institut norddeutschland
Stalking bei Sorgerechtsstreitigkeiten1 Hans-Georg W. Voß
Trauma und seine Auswirkungen auf das Familienleben
Hinsehen.at Schutz vor (sexualisierten) Übergriffen, Gewalt und Missbrauch in unserer Pfarre.
Umgang mit schwierigen Schülern – Eine Einführung
RB über die Stellung des Opfers im Strafverfahren Allgemeine Zielsetzung: Allgemeine Zielsetzung: Hohes Schutzniveau für Opfer von Straftaten unabhängig.
Gefahren die für Kinder auf Facebook lauern
Stabilisation: Was gehört alles dazu?
Lebensqualität erhalten Wissenswertes zum Thema Alkohol
Kinderaugen sollen leuchten. Nicht weinen.. Gewalt ist gegenwärtig. Gewalt ist überall. Sie kann jeden treffen und betreffen. Erwachsene. Jugendliche.
hinsehen.at Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention,
Sexueller Missbrauch von Kindern
7 d Ursachen und Behandlung Angst - Sozialisation
Dissoziation: Definition
Aufgaben und praktisches Vorgehen der Polizei bei häuslicher Gewalt
Prävention sexueller Gewalt
Trauma und Bindung Auswirkungen erlebter Traumatisierung
Die Familie des schwerkranken Kindes
Kapitel 3: Mobbing – nicht zum Täter werden
Häusliche Gewalt.
 Videoverweis: Referat Trauma  Videoverweis:
Mobbing mit neuen Medien Fakultät für Psychologie
EU Policy Paper – europäische Richtlinie
Krisenmanagement im schulischen Kontext
Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention,
Schutzauftrag Kindeswohlgefährdung
Was möchten wir heute tun?
„Der Blick des Jugendamtes auf Kindeswohlgefährdung bei häuslicher Gewalt und die Schnittstelle zwischen richterlichem Beschluss und jugendrechtlicher.
Der Verdacht der sexuellen Gewalt am eigenen Kind
Ehrenerklärung Schutzauftrag Kindeswohlgefährdung
Kinder Jugendliche Erwachsene
Stalking - Betroffene Aus allen Schichten und Altersgruppen
Miteinander gegen Gewalt
Sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen – Erfahrungen, Erfolge und Herausforderungen aus einer feministisch-parteilich arbeitenden Beratungsstelle Elisabeth.
Sexuelle Gewalt an Kindern/Jugendlichen PROZESSBEGLEITUNG in Niederösterreich Ein Projekt von Möwe und Kidsnest.
Arbeitskreis im Landkreis Schwandorf
Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Akutsituationen
Fachtagung Pflegekinderaktion Schweiz, , U. Zingg 1 2. Jahrestagung der Pflegekinderaktion Schweiz, 9. Dezember 2011 Muss jedes Pflegekind psychotherapeutisch.
Schulinterne Krisenteams
Prävention vor sexueller Gewalt
Seminareinheit "Streß und Streßbewältigung"
Es gibt nichts Gutes außer man tut es!
Wichtige Werte im Leben der Kinder (1) gestützt
Eine Fotoreportage über junge Flüchtlinge in Deutschland
KRISENINTERVENTION IN DER PRÄNATALDIAGNOSTIK Karin Tordy AKH Wien, Univ. Klinik f. Frauenheilkunde Abt. pränatale Diagnostik und Therapie.
PRO TRAIN Improving Multi-Professional and Health Care Training in Europe Building on Good Practice in Violence Prevention PRO TRAIN Improving Multi-Professional.
„Und plötzlich sind sie Teenager…“ Modul 3: Die Rolle der getrennt lebenden Eltern.
B I L D U N G S W I S S E N S C H A F T E N
Kinder- und Jugendschutz Was kann ich tun?. Zeichen erkennen, Informationen aufnehmen Sie machen sich Sorgen, weil ein Kind/Jugendlicher ihnen seltsam.
Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit Grundinformationen.
„Leben eines Jugendlichen im Internet“ Sarah Hatton Dipl. Sozialpädagogin (FH)
Cyber-Mobbing Wenn ‘Medien‘ ein Leben zerstören..
Schulpsychologische Beratungsstelle des Kreises Warendorf Schulpsychologische Beratungsstelle „Notfallpläne und Krisenteambildung“ Informationsveranstaltung.
Kommunikation mit Patienten Rothenburg ob der Tauber 19. November 2004.
CSG Methodenkompetenz: Beispielpräsentation Traumata CSG Methodenkompetenz: Beispiel-Präsentation Traumata bewältigen.
Schutz vor sexualisierter Gewalt im Sport Jugendverbandstag Niedersächsischer Volleyball Verband 20. Juni 2015 Referentin : Christiane Wiede Coaching I.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
Opfer-Notruf Wohin nach Straftaten am Arbeitsplatz?
Die Arbeitsweisen der Kinder – und Jugendschutzdienste in ihrer Vernetzung.
 Präsentation transkript:

Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie und Hochschule Merseburg „ (Akut)traumatisierte Kinder und Jugendliche in Pädagogik und Jugendhilfe“ Fachtagung am 17./18.02.2006 Beitrag Dipl.-Psych. Gabriele Kluwe-Schleberger Psychotherapeutische Praxis Gründerin des Thüringer Traumanetzwerk-Zentrums (ThüTZ) Rohr-Erfurt   „ Opfer bleiben ist nicht schwer“ Von den Schwierigkeiten und Lösungsansätzen im institutionellen Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2006

Trauma (Psychotrauma) Ein traumatisierendes Ereignis greift die Psyche an und bedroht bzw. verletzt ihre Integrität. Ein Trauma kann die Biographie des Betroffenen nachhaltig beeinflussen. Wenn nicht schnell und effektiv interveniert wird, kann es zu einer Persönlichkeitsveränderung oder einer somatischen Krankheit kommen. Die American Psychiatric Association definiert Psychotrauma als Ergebnis „eines psychischen Stress auslösenden Ereignisses außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung“. Derartige Ereignisse übersteigen in der Regel die Möglichkeiten bewährter Bewältigungsstrategien. Ein traumatisierendes Ereignis ruft große Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen hervor. © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005 © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

Traumatische Situation Verlauf eines Traumas Lebensgeschichte Tagesverfassung, obj. Situations- faktoren, subjektive Bewältigungs- möglichkeiten Traumatische Situation Z e i t SCHOCK / AUFSCHREI Zusätzliche schützende Faktoren Zusätzliche Belastungen Traumatische Reaktion (Einwirkung) Traumatischer Prozess -Chronifizierung- Erholung © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

© THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Trauma und Kinder Monotraumafolgen bei Kindern 1. Schockzustand: emotionale Gefühllosigkeit, Verwirrtheit, unter Umständen Zittern, Frieren, Übelkeit © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

Monotraumafolgen bei Kindern 2. Langzeitfolgen: Angst, Verletzbarkeit, Depression, Pessimismus, Reizbarkeit und Wut, Schlafstörungen extreme Müdigkeit, Konzentrationsstörungen wiederholtes und unkontrolliertes Wiedererleben (intrusive Flashbacks); depressive Kinder sind häufig aktiv und ruhelos. © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

Minderwertigkeitsgefühle Selbstzweifel Hilflosigkeit Sprachbarrieren Unfähigkeit zur Detailschilderung Wut Kulturschock Schuldgefühle Angst Panik Zerstörte Bindungen Wut Minderwertigkeitsgefühle Selbstzweifel Gedächtnisstörungen Verständnis-losigkeit Selbsthass Gereiztheit Verletzbarkeit © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

Gesellschaftli-ches Umfeld Kulturelle Bildung Gutachter (div. Spezialitäten Freundinnen & Freunde Gesellschaftli-ches Umfeld (mit Vorurteilen) Wohlfahrts- einrichtungen Therapeuten Psychotherap. Täter Ärzte Parlamente, Ministerien, Verwaltungen, Parteien Schule Gerichte, Staatsanwalt-schaften Gesundheitsamt, (Amtsarzt) Hilfsorganisationen Kita Landes- verwaltungsamt Verwandte Polizeibehörden Eltern Rechtsanwälte (div. Spez.) Nachbarn Kindergarten Jugendamt, Sozialamt Medien, Presse © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger 2005

Mit welchen Gewalterfahrungen kommen Opfer in die Behörde? Überfall, Raub, Mord Kidnapping, Misshandlungen, Folter schwerer Unfall sexuelle Gewalt und Vergewaltigung rituelle Gewalt © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Macht und Kontrolle Formen menschlicher Gewalt Sexuelle Gewalt Nötigung Zwang Vergewaltigung, gegen den Willen zu sexuellen Handlungen nötigen, sexuell angreifen, als Sexobjekt behandeln Physische Gewalt Ökonomische Gewalt Zwang zu arbeiten, Arbeitsverbot, um Geld bitten lassen, Geld zuteilen, verweigern oder wegnehmen stoßen, schlagen, treten, würgen, festhalten, fesseln, mit Gegenständen und Waffen bedrohen und Verletzungen zufügen, Essensentzug, Schlafentzug Macht und Kontrolle Erniedrigung Drohung schlecht machen sozialen Umfeld benutzen, sie/ihn im Kinder als Druckmittel alle Entscheidungen treffen, sie/ihn wie eine Bedienstete behandeln, Männliche Privilegien ausnutzen, drohen, die Kinder wegzunehmen sie/ihn für verrückt erklären, wen sie/er trifft, mit wem sie/er spricht Schuldverschiebung, wohin sie/er geht kontrollieren, was sie/er tut einsperren zerstören, Gesten, Handlungen ihr/sein Eigentum Angst machen durch Blicke Drohungen aussprechen/ausführen, einschüchtern, beleidigen, Emotionale Gewalt Soziale Gewalt Demütigung Isolation Psychische Gewalt THÜTZ / G. Kluwe-Schleberger

Gespräche, Umgang und Begleitung mit/von traumatisierten Menschen verlangen spezielle Kenntnisse über Trauma und Traumaverarbeitung denn herkömmliche Methoden können bei Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung flashbacks und Folgeschäden auslösen © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Umgang mit den Opfern: „Herunterfahren“ des Stressprogrammes Unterbinden des Täterkontaktes „Herunterfahren“ des Stressprogrammes Sicherheit, Schutz und Geborgenheit geben als Zuhörer zur Verfügung stehen keine Schuldzuweisungen © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

 Eine wichtige Hilfe für das Opfer: als Zuhörer zur Verfügung zu stehen Werten Sie als Zuhörer das Gehörte nicht! Akzeptieren Sie die Geschichte und die Gefühle! Fangen Sie die Reaktionen angemessen auf!

Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde Aufforderungen wie „Beruhigen Sie sich doch!“ „Konzentrieren Sie sich auf die Befragung!“ „Nehmen Sie das doch nicht so tragisch!“ sind schädlich für das Opfer ! © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Was tun bei … ? Kontrollverlust: für Transparenz des Geschehens sorgen (immer kommentieren, was geschehen wird, wo man hinfahren wird, wie lange es dauern wird etc.) Sicherheitsbedürfnis: Erstsicherung am Tatort, Trost geben, immer beim Opfer oder in seiner Nähe bleiben, nach besonderem Trostspender fragen (z. B. Kuscheltier bei Kindern) Hilflosigkeit: für Transparenz der Abläufe sorgen; Stärkung der Ressourcen, Kompetenz und Autonomie des Opfers; nicht mit Bürokratie und Formularen überfrachten Wahrnehmungsstörungen: (diese sind im Trauma begründet) Geduld, Akzeptanz, auf weiterführende Hilfen verweisen, Beschränkung auf die –ohne Druck- erhaltenen Ergebnisse © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

keine Täuschungsabsicht oder Wunschdenken, sondern traumabedingt Besonderheiten bei Vernehmungen / Zeugenaussagen von traumatisierten Gewaltopfern widersprüchliche Aussagen mangelnde Homogenität der Aussagen keine Täuschungsabsicht oder Wunschdenken, sondern traumabedingt © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (1) Äußere Bedingungen: heller, geschützter, übersichtlicher und ruhiger Raum keine Störungen von außen kein Zeitdruck Versorgung des Opfers mit Essen und Trinken © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (2) Anbieten einer Vertrauens- bzw. Begleitperson Opfer nicht ungefragt anfassen Opfer fragen, ob ein männlicher oder weiblicher Befragter gewünscht wird © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (3) keine Suggestivfragen stellen keine abwertenden Bemerkungen über Reaktionen des Opfers machen (z.B. über Hin- und Herlaufen, eigenartige Bewegungen u. Ä.) © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Unterstützung für das Opfer auf der Dienststelle / Behörde (4) keine Personalwechsel, wenn das Opfer den Befrager als Vertrauensperson angenommen hat Informationen über Hilfsangebote geben, spezialisierte Traumatherapeuten kontaktieren © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

„Fehltritte“ im Opferschutz Kind nicht zum Arzt schicken, damit nichts „rauskommt“ bzw. damit das Kind nicht „belastet“ wird (Eltern) Erzwingen des Täterkontaktes (Jugendämter) überall Opfer sehen fehlende oder lückenhafte Dokumentation falsch verstandener „Täterschutz“ Veröffentlichung des vollen Namens des Opfers in der Presse © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Fakten und Zahlen Ausschluss der Öffentlichkeit: in 2/3 der Fälle vom Gericht veranlasst, wird immer stattgegeben, wenn es das Opfer beantragt Begleitung der Kinder bei Vernehmungen: in knapp 2/3 der Vernehmungen durch eine Vertrauensperson (zu 80% sind dies Elternteile) nur 18,8 % der Gerichte bieten echte Beratung für Kinder an nur 6% der Gerichte verfügen über kindgerechtes Informationsmaterial für die Vorbereitung der Kinder als Zeugen Entfernung des Angeklagten in der Hauptverhandlung in 28,6% der Fälle nur in 5,7% der Fälle wird eine Konfrontation des Kindes mit dem Angeklagtem grundsätzlich vermieden Mehrfachvernehmungen: 10,3% wurden gar nicht vernommen, 52,8% nur einmal befragt, mehrfach vernommen wurden 36,9% Quelle: Kipper, Oliver: Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie, Internet-Erstausgabe 26.04.2002 © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger

Fakten und Zahlen 66,6% der Verfahren wegen sexuellem Missbrauchs werden eingestellt bei zunehmender Nähe zwischen Täter und Opfer steigt die Zahl der Einstellungen in 45% aller Fälle weigerte sich das Opfer gegen Familienangehörige auszusagen in 15% aller Fälle weigerte sich das Opfer gegen Bekannte auszusagen (bei Fremden 0%) nur in 2/3 aller Fälle werden die Betroffenen von der Einstellung der Verfahren schriftlich benachrichtigt Quelle: Kipper, Oliver: Der Schutz kindlicher Opferzeugen im Strafverfahren und die Verwendung von Videotechnologie, Internet-Erstausgabe 26.04.2002 © THÜTZ G. Kluwe-Schleberger