Einführung in die Phonetik und Phonologie

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 Präsentation transkript:

Einführung in die Phonetik und Phonologie Sitzung 2 Die anatomischen und physiologischen Grundlagen als Basis der phonetischen Beschreibung

(cf. Clark & Yallop, Kap. 2, 10-53) Logische Kausalkette für die phonetische und phonologische Strukturbeschreibung in der lautsprachlichen Kommunikation 1. Die phonologische Strukturierung beruht auf auditiven Unterschieden zwischen Sprachlauten 2. Auditive Unterschiede werden durch akustische Unterschiede verursacht …..  ….die von artikulatorischen Unterschieden herrühren. 3. Artikulatorische Ereignisse lassen sich (zunächst) leichter beobachten als akustische oder auditive. Warum ist die traditionelle phonetische Beschreibung eine physiologische, artikulatorische Beschreibung? Zunächst, weil – historisch gesehen – die Beobachtung (an sich selbst und z. T. an anderen) der artikulatorischen Bewegungen die einzige Möglichkeit war, das Gehörte (das Auditive) in eine quasi-objektive, wiederholbare und überprüfbare Beschreibung zu bringen. (cf. Clark & Yallop, Kap. 2, 10-53)

Drei Bereiche der Physiologie und der Artikulation sind zu untersuchen:  Sprechatmung  Stimmgebung (Phonation) Adduktion – Abduktion Myo-elastische Theorie (Bernoulli) Passive/aktive Stimmhaftigkeit bzw. Stimmlosigkeit  Artikulationsorgane Artikulator vs. Artikulationsstelle Bewegungsgrenzen Artikulatorische Abhängigkeiten Phonetische Lautbeschreibungsdimensionen Traditionelle Beobachtungen betrafen die Bewegungen der Artikulationsorgane. Von der Stimmgebung konnte man nur feststellen, dass die Stimmlippen vibrierten (stimmhafte Laute) oder nicht (stimmlose Laute). Das heißt, dass die Beobachtungen lediglich zur Lautkategorisierung beitrugen. Über die Sprechatmung wurde traditionell nicht viel gesagt, obwohl die Beziehung zwischen Atemmenge und Lautstärke bekannt war. ------------- In neuerer Zeit (im 20. Jahrhundert) konnten mit Fortschritten in der Technologie (zunächst mechanischen, später elektronischen) immer mehr objektiv festgehalten und objektiv beschrieben werden. So entstanden Erklärungen für die Sprechatmung und Modelle für die Stimmgebung.

Aus den drei Bereichen lassen sich die Kriterien zur Sprachlautklassifizierung ableiten:  Konsonanten vs. Vokale Artikulationsart Öffnungsgrad Artikulationsstelle Zungenposition Stimmhaftigkeit Lippenform Lautsymbole (IPA-Tabelle)

Aus den 3 Beobachtungsbereichen werden zwei Komponenten zur Erklärung der akustischen Sprachproduktion abgeleitet Quelle-Filter Theorie Filter Quelle Wir wissen, dass die Laute, die wir hören, auf Grund der akustischen Energie hörbar sind. Die Struktur der akustischen Energie stammt von der spezifischen Artikulation. Das heißt, dass der Akustiker die Beziehung zwischen der artikulatorischen Konfiguration (Form des Mund- und Rachenraums) und dem akustischen Signal modelliert. Das Grundmodell nimmt eine akustische Energiequelle an, die im Mund- und Rachenraum geformt (gefiltert) wird.

Quelle-Filter = Source-Filter Model Energiequelle: Luftstromerzeuger a) Lunge: Egressiver pulmonaler Luftstrom b) Larynx: In-/Egressiver laryngaler Luftstrom c) Velum: (Ingressiver) velarer Luftstrom Umwandlung in akustische Energie = akustische Quelle a) Stimmbandschwingungen b) Impulserzeugung durch Verschlusslösung c) Geräuscherzeugung durch Friktion Q U E L Die Energiequelle ist der Lufstrom, der durch Stimmbandschwingungen oder durch eine Explosion oder Reibung (Friktion) zu akustischer Energie wird. Der normale (egressive) Luftstrom in allen Sprachen kommt von der Lunge. Manche Sprachen benutzen aber auch andere Lufstromerzeugungs-mechanismen für bestimmte Laute: Das Senken oder Heben des Kehlkopfes erzeugt einen „ingressiven“ (für Implosive) bzw. einen „egressiven laryngalen“ Lufstrom (für Ejektive). Schnalzlaute werden mit einem ingressiven „velaren“ Lufstrom erzeugt (zwischen Zunge und Velum wird Luft eingeschlossen, dann wird der Raum vergrößert, so dass der Luftdruck sinkt. Wenn der Verschluss gelöst wird, implodiert die Luft).

Source-Filter Model (Forts.) Modifikation des Quellensignals = Filtererung Am Ausgang des Rachenraums (Pharynx): Weicher Gaumen (Velum) gesenkt (nasal) Velum gehoben (oral) An verschiedenen "Artikulationsstellen" im Vokaltrakt Lippen (labial) Zähne (dental) Zahndamm (alveolar) Harter Gaumen (palatal) Weicher Gaumen (velar) Zäpfchen (uvular) Rachenraum (pharyngal) Die Modifizierung der erzeugten Energie erfolgt durch Umformung des Vokaltraktes. In neutraler Konfiguration wird ein „neutraler Vokal“ ([]) produziert. Wenn Verschlüsse oder Verengungen an verschiedenen Artikulationstellen im Mund gebildet werden, entstehen verschiedene Verschlusslaute (Plosive) oder Reibelaute (Frikative).

Atmung: Leben oder sprechen Die Ruheatmung ist zeitlich in ca. 40% Ein- und 60% Ausatmung. Die Sprechatmung ganz anders! Zurück zum Atmen! Wir müssen atmen, um zu leben, aber die Sprechatmung ist eine starke Modifikation des normalen Atemrhythmus: Eingeatmet wird mehr (und schneller) als beim normalen ruhigen Atmen, und ausgeatmet wird langsamer und kontrollierter (dosiert, um die gewünschte Lautstärke zu halten). Die Ruheposition liegt bei 40% der Lungenkapazität

schichten haften anein- ander (Vakuum). Die beiden Lungenflügel sind in einem Luftdichten Raum. Die beiden Rippenfell- schichten haften anein- ander (Vakuum). Da alles durch die Pleuraschichten unterhalb der Rippen luftdicht gehalten wird, fließt Luft in die Lunge hinein, wenn das Zwerchfell gesenkt (abgeflacht) wird und die Rippen gehoben werden. Dadurch wird nämlich das Lungenvolumen größer, so dass der Luftdruck in der Lunge sinkt und Luft von außen hineinfließt, um den Druck auszugleichen. Wenn das Zwerchfell wieder gehoben wird und die Rippen gesenkt werden, verkleinert sich der Lungenraum, der Druck steigt, so dass die Luft wieder nach außen fließt.

Kräfteausgleich Die Lunge will schrumpfen, wird aber durch das am Brustkorbinnern befestigten Rippenfell verhindert. Der Brustkorb möchte ex- pandieren, wird aber von der Lunge verhindert. Die Ausgleichsposition ist bei 40% der Kapazität. Muskelkraft kann das Volu- men steigern (Einatmung) oder senken (Ausatmung). Entspannungskraft bringt die Struktur zur Ruheposition zurück. Die Mechanik der Lunge ist so, dass im Gleichgewicht der Kräfte ungefähr 40% des Maximalvolumens der Lunge vorhanden sind. D.h., dass man mit Kraft zur Senkung der Rippen noch etwas ausgeatmet werden kann sowie mit Kraft zur Abflachung des Zwerchfells und Hebung der Rippen eingeatmet werden kann. Aber wenn diese Kraftanwendung aufhört, wollen die Rippen zur Position des Kräftegleichgewichts wieder zurück. Dies ist die „Etspannungskraft“

Atemsteuerung beim Sprechen Nach dem tiefen Einatmen (um zu sprechen) ist die Entspannungskraft so stark, dass der Luftüberdruck für die benötigte Lautstärke zu hoch ist. In dieser Phase muss die Einatmungs- muskulatur bremsend weiterarbeiten. Erst wenn die Entspannungskraft den Punkt des benötigten Drucks erreicht, muss die Ausatmungs- muskulatur einsetzen. Damit die ganze Luft nicht sofort nach dem Einatmen auf einmal entweicht, sondern kontrolliert entsprechend der gewünschten Lautstärke herausgelassen wird, sehen wir, dass einige der Einatmungsmuskeln drosselnd wirken; sie „bremsen“ den Lufstrom (siehe die Muskelaktivität links von dem senkrechten Doppelpfeil). Wenn der Entspannungsdruck der Lunge dem gewünschten Druck gleich ist, müssen die Ausatmungsmuskeln einsetzen, um weiter mit der gleichen Lautstärke sprechen zu können (siehe die Muskelaktivität rechts von dem senkrechten Doppelpfeil).

Die Stimmmlippen schwingen …. 1. weil sie neben- einander liegen 2. weil die Luft hindurchfließt 3. weil das Gewebe elastisch ist = aerodynamische myoelastische Theorie der Stimmgebung Recht lange hat man geglaubt, dass die Stimmlippenschwingungen direkt durch Nervenimpulse gesteuert wurden (die neurochronaxische Theorie). Erst als man entdeckte, dass die Nerven nicht so schnell wiederholt feuern können, wie die Stimmlippen schwingen, nahm man die Alternativtheorie von der Interaktion zwischen der Aerodynamik und der Gewebe-Elastizität generell an.

Stimmlippen im Kehlkopf =Stellknorpel zum Öffnen (Abduktion) und zum Schließen (Adduktion) der Stimmlippen. Die Stimmlippen müssen richtig justiert sein, um schwingen zu können. Die Stellknorpel werden bewegt, um a) die Stimmlippen zusammenzubringen, damit sie schwingen (Adduktion) oder b) sie auseinander zu ziehen, damit sie nicht schwingen (Abduktion). Die Stimmlippenmuskeln selbst bedingen die innere Spannung und somit die Masse, die schwingen kann. Je mehr Masse schwingt, desto langsamer schwingen die Stimmlippen (desto tiefer ist die erzeugte Ton) Schild- knorpel (wegge- schnitten) Ringknorpel

Adduktion und Abduktion der Stimmlippen transverse and oblique arytenoid muscles Die Arytenoidmuskeln, die hier gezeigt werden, ziehen die Stellknorpeln hinten zusammen, wenn sie gespannt werden. Wenn der vordere Teil der Stellknorpel (durch die seitlichen Muskeln) auch zusammen sind, vibrieren die Stimmlippen völlig ohne Luftverlust. Wenn die Arytenoidmuskeln enstpannt sind, können die Stellknorpel hinten auseinander und man bekommt eine Flüsterstimme, weil Luft durch das Dreieck entweicht.

Grade der Adduktion bestimmen die Art der Stimm- gebung und damit die Qualität der Stimme: Normal (“modal”) fest (“gepresst”) Die Stimmgebung kann stark variieren (die Stimmqualität ist ein wichtiges Signal unserer Stimmung, unserer Haltung, unserer reaktion auf die Situation). locker (“behaucht”)

Der Schildknorpel Das Kippen des Schild- knorpels relativ zum Ring- knorpel dehnt oder ent- spannt die Stimmlippen Der Knorpelgerüst des Kehlkopfes ist für die Art der Stimme in anderer Weise wichtig: Der Winkel der Schildknorpelplatten ist bei Männern steiler als bei Frauen. Somit ist auch bei gleichgroßen Kehlköpfen die Stimmlippen der Frauen kürzer. (Damit haben sie weniger Masse und schwingen schneller). Natürlich ist der weibliche Kehlkopf auch sonst im Schnitt kleiner, so dass die Masse unabhängig vom Winkelunterschied weniger ist. Der Schildknorpel steht mit zwei „Beinen“ auf dem Ringknorpel und kann durch Kippen die Entfernung zu den Stellknorpeln verringern oder vergrößern und somit die Spannung der Stimmbänder verändern. Dies ist für die Melodie-gebung in Äußerungen wichtig. Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Schildknorpel

Die Zunge Die Zunge besteht aus Muskel. Gespannte Muskeln werden kürzer und dicker. Diese Muskeln ändern die Gestalt der Zunge Auch Teile von Muskeln können angespannt werden In der Formung sprachlicher Laute ist die Zunge der wichtigste Artikulator. Der Grund ist deutlich hier zu sehen. Sie besteht fast ausschließlich aus Muskeln, die ihre Form bestimmen und ihr große Flexibilität geben.

Wie ändert die Zunge ihre Position? Schädelbasis-Zungenmuskel Gaumen-Zungen-M. Oberer Längs-M. (Shape and position) Unterer Längs-M. Kinn-Zungen-M. (Shape and position) Andere Muskeln (die sogenannten extrinsischen) bestimmen hauptsächlich die Position der Zungenmasse im Mundraum. Der Genioglossus (der größte Muskel in der Zunge) hat eine Mischfunktion. Zungenbein-Zungen-M. Unterkiefer

Aber die Lippen bestimmen auch die Färbung der Laute Auch mit vielen Muskeln versehen sind die Lippen. Davon sind jedoch viele für den Gesichtsausdruck verantwortlich und recht wenige für die Artikulation sprachlicher Laute. Der Sphinktermuskel um den Mund herum ist sehr wichtig für Rundung und für Schließung.