Dr. rer. medic. Michael Schulz Darmstadt

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 Präsentation transkript:

Dr. rer. medic. Michael Schulz Darmstadt Was ist der „Body of Knowledge“ in der Psychiatrischen Pflege? Betrachtung einer pflegewissenschaftlichen Kontroverse in England Dr. rer. medic. Michael Schulz Darmstadt Jahrestagung DG-Pflegewissenschaft

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Gilead Krankenanstalten

Gliederung des Vortrages Wichtige Entwicklungsschritte der akademisierten psychiatrischen Pflege in England Darstellung von drei Konfliktfeldern Diskussion Bewertung des Konfliktes durch andere Autoren Implikationen für die psychiatrische Pflege in Deutschland

UK: 59 Mio. Einwohner NHS CPN EBN Personalmangel Drei Professoren

„Discussion and debate is the lifeblood of any discipline that aspires to intellectual status“ Phil Barker, 1997

Phil Barker Psychologe, RN Seit 1993 erster Professor for Psychiatric Nurrsing Practice University of Newcastle

Kevin Gournay Psychologe, RN Professor for Psychiatric Nursing practice Seit 1996 am Institute of Psychiatry in London Seit 1999 CBE

Die großen Debatten What to do with Nursing Models? (1995) What future for research in mental health Nursing? (1997) Prescribing for mental health nurses (2002)

Die großen Debatten What to do with Nursing Models? (1995) What future for research in mental health Nursing? (1997) Prescribing for mental health nurses (2002)

Ausgangspunkt: Assessmentinstrumente Pflegemodelle nutzen anachronistisches Wissen Peplau habe in ihrer Theorie keine biologischen Annahmen zu Halluzinationen berücksichtigt Ideologie vs. Evidence Psychologen erforschen kognitive Zusammenhänge Thorn Programme Multidisziplinarität Case Management

„What seems to be clear is, that over the next few years there will be a merging of roles of those working within mental health services“. Gournay, 1995

Wesentliche Aspekte der Theoriebildung Definition, Operationalisierng Empirische Überprüfung von Interventionen

Rediscovering the proper focus of nursing: - a critique of Gournay‘s position on theory and models J psychiatirc ment health nurs, 1996

Modelle sind keine Theorien und finden von daher keine universelle Anwendung Bei Peplau handelt es sich um eine Theorie Gournay‘s Kritik an Orem und Roy, kann nicht einfach als Kritik an allen Modellen und Theorien verallgemeinert werden. Keine biologischen Theorien haben Peplau‘s Theorie beachtet

Gournay verlangt, dass Pflege die Schärfung des eigenen Berufsprofils aufgibt und stattdessen gemeinsam mit Psychiatern einen biomedizinischen Ansatz zu verfolgen Will Gournay den „mental health worker“? Unterordnung unter den medizinischen Dienst Unser erstes Interesse gilt der Person und nicht dem, was Patienten „gewöhnlich von andern Menschen unterscheidet“

Gournay‘s Antwort Wesen der Schizophrenie und der Gebrauch von Diagnosen Das Thorn Programm Evidence-basierter Ansatz Das Wesen Psychiatrischer Pflege und die Position im interdisziplinären Team

Die großen Debatten What to do with Nursing Models? (1995) What future for research in mental health Nursing? (1997) Prescribing for mental health nurses (2002)

Eröffnung: Gournay (JPMHN, 4, 1997) Psychiatrische Pflegeforschung ist in einer sehr schlechten Verfassung Hat sich isoliert Folgt nicht dem evidenzbasierten Paradigma „Much of this work uses methods, that are completly unacceptabel to any conventional researchdisciplin“.

Kerninhalte Zu wenig quantitative Arbeiten Standard bei Dissertationen entspricht nicht dem in anderen Berufsgruppen Kaum Publikationen der Lehrenden Keine multiprofessionellen Forschungsteams Forschungsbedarf aus Gournay‘s Sicht: Wirksamkeit von Pflegeinterventionen Überprüfung von Schulungsprogrammen

Antworten „criticizing a car for beeing a bad bycicle“ Keine Probleme zwischen qualitativer und quantitativer Forschung bis Mitte der 90er Jahre, dann kam der Wendepunkt Rolfe, 1997

Report of the Taskforce on the Strategy for Research in Nursing, Midwifery and Health Visiting (DoH, 1994) Drei Empfehlungen: 1. Forschung im Gesundheitsbereich soll generalisierbare Ergebnisse erzielen. Um dies zu erreichen sollen RCT‘s zum Einsatz kommen, die schon lange die Basis der klinischen biomedizinischen Wissenschaft sind. 2. Pflegeforschung soll unter multidisziplinärer Forschung subsumiert werden 3. Wesentliche Aufgabe von Forschung ist es, klinische Interventionen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Hier wird deutlich, auf was Gournay und Ritter sich in ihrem Kommentar bezogen

Die großen Debatten What to do with Nursing Models? (1995) What future for research in mental health Nursing? (1997) Prescribing for mental health nurses (2002)

Sollen Pflegende Medikamente verschreiben? Hintergrund: Ärztemangel Entsprechende Überlegungen in der Regierung „Playing Doctores or natural extension of nurses‘ roles?“

Gournay: Ja, auf jeden Fall In den USA in jedem Staat möglich Ärzte haben nicht genug Zeit, um mit den Patienten Probleme mit Medikamenten zu besprechen Medication Management als eine pflegerische Aufgabe Entsprechende Trainingprogramme können gut auf das routinemäßige Verschreiben vorbereiten Ärzte gewinnen Zeit

Pflegende sind implizit seit langem an Medikamentenentscheidungen beteiligt Patient profitiert, Pflegende sind zufriedener, haben mehr Autonomy Ausbildung muss gut sein und Stellen müssen geschaffen werden

Barker: Das Privilegium der Verschreibung lenkt vom eigentlichen Auftrag Pflegender ab: Die individuellen Pflegemaßnahmen zu entwickeln, die der Patient benötigt Warum? Um sich im Licht der Psychiater zu sonnen? Weil man glaubt, dass sei der richtige Weg der weiterentwicklung? Nur Oberfläche, kein Inhalt Falscher amerikanischer Weg: je mehr verschreiben können um so besser Das bedeutet: weniger Professionelle, die mit weniger drastischen und alternativen Maßnahmen auf die Probleme der Menschen reagieren

„Compliance Therapie“ versagt das Recht, „nein“ sagen zu können, damit wird Pflege zum Kontrolleur, zum Spritzengeber usw. Im Rahmen eigenständiger Profile im Team macht diese Schritt keinen Sinn Falsche Verwendung der Zeitressourcen, falsche Prioritäten Nur wenigen dieses Privileg einzuräumen bringt der Berufsgruppe keine wirkliche Weiterentwicklung

Zwischenstand Barker: Gournay Evidence-based (RCT) Multiprofessionelles Team Biomedizinischer Ansatz Keine Pflegetheorien Medikamente verschreiben Kritik: Expertenzentriert, krankheitsorientiert, negative für Empowerment Barker: Individualisierten und patientenzentrierten Pflegemodellen Eigenes Pflegeprofil in Abgrenzung zu andren Berufsgruppen Medikamente nicht verschreiben

„Psychiatrische Pflege ist nicht wegen eines zu geringen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in einer schlechten Verfassung, sondern weil sie sich selbst überflüssig macht. Aber auf ein medizinisches Paradigma und das multidisziplinäre Team zu fokussieren, würde das Ende der psychiatrischen Pflege bedeuten“ Gary Rolfe, 1997

Bewertung der Debatte in der Literatur

Man kennt eine ähnliche Diskussion in zwischen dem Lager „Psychotherapie“ und „biologische Psychiatrie“ Für die psychiatrische Pflege hat der Streit aber eine tiefergehende philosophische Dimension

Forschuk, 2001: „Should Nursing follow medicine or position itself in an alternative / complementary position?“

Ramsay, 2006: Was sollen wir unseren Schülern vermitteln? Gefahr der Konfusion Solche Debatten fokussieren auf Unterschiede, nicht auf Gemeinsamkeiten Verweis auf Altschul (1997) Psychiatrische Pflegende brauchen biomedizinische Kenntnisse genauso wie Kenntnisse zur therapeutischen Interaktion Kein Ansatz ist der einzig richtige Curricularien versuchen heute beide Ansätze zu verbinden Es fehlt eine gemeinsame Grundlage, was auch in der Komplexität der Thematik begründet ist.

Barker über Gournay Ich yin, er yang Im Gegensatz zu Kevin bin ich sehr ängstlich im Hinblick auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse I‘m not the lone voice but the loudest different voice

Gournay über Barker (1998) Übereinstimmung mit Barker: Caring als Hauptaufgabe und nicht Intervention Das „dehumanising-Argument trifft mich hart“ Man kann nie sicher sein aber mit RCT‘s kommen wir der Wirklichkeit am nächsten Psychoanalyse ist Hokuspokus Psychiatrische Pflege ist nicht geteilt sondern hat einen reichen Schatz an Sichtweisen „Looking for the same thing in a different way“ Ich arbeite mit Patienten und schätze Phil‘s Arbeit mit den Patienten sehr

Und heute? Tidal Model Adherence Therapy Evidence-based Pflegende verschreiben Medikamente Gournay klingt anders

Entscheidungsgrundlage evidenzbasierter Pflege. Wünsche des Patienten Wissenschaft- liche Beweise Ressourcen Praktische Erfahrung - Ebx berücksichtigt unterschiedliche Entscheidungsgrundlagen Betrachten wir den Entscheidungsprozess wie er in der evidenzbasierten Medizin vorgesehen ist, dann ist davon auszugehen, dass eine klinische Entscheidung nicht nur auf der Grundlage wissenschaftliche Erkenntnis zu treffen ist. Grundlage einer evidenzbasierten Entscheidung sind neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand die zu Verfügung stehenden Ressourcen, die praktische Erfahrung der professionellen Pflegenden und der Wille des Patienten. Die Elemente leuchten ein, kritisch anzumerken ist aber, dass die Größe der Kreise je nach Situation unterschiedlich groß sind, was die Aussagekraft des Modells schwächt.

Rose D, Thornicroft G, Slade M „Who decides what evidence is? Developing a multiple perspectives paradigm in mental health“. ACTA PSYCHIATRICA SCANDINAVIA, 2006

Nutzer Angehörige ECT Behandlungsvereinbarung Partizipation www.mentalhealthcare.org

Diskussion Implikationen für Deutschland

Es fehlt ein akademischer Diskurs über den richtigen Weg in der psychiatrischen Pflege Forschungsagenda Strukturen (JPMHN) Problemfall Fachweiterbildung und Bologna Meinungsbildner ans Bett Entscheidungsdruck in der Praxis HORATIO

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Stiftungen v. Bodelschwinghsche Anstalten Bethel Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster Gilead Krankenanstalten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit