Einführung in die Ringvorlesung „Geschlechtertheorie und -forschung

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 Präsentation transkript:

Einführung in die Ringvorlesung „Geschlechtertheorie und -forschung 14.10.09 Prof. Dr. Barbara Rendtorff Einführung in die Ringvorlesung „Geschlechtertheorie und -forschung in verschiedenen Disziplinen I“

Geschlechterforschung Stichwort: Geschlechtertheorie Geschlechterforschung

Theorie / Empirie Theorien: Erklärungsmodelle komplexer, nicht aus sich selbst heraus verständlicher und nicht unmittelbar sinnlich erfahrbarer Zusammenhänge Empirie (von „Erfahrung“): im Labor, durch Datenerhebungen oder durch Feldstudien erhobene Sammlung von Informationen. Diese beruhen auf gezielten Beobachtungen, Messungen usw.

Empirische Geschlechterforschung beobachtet also vorrangig die Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder die Prozesse der Unterscheidung Eher theoretisch orientierte Geschlechtertheorien suchen nach Erklärungen für diese Unterschiede oder die in den Unterscheidungsprozessen gefundene Dynamik. Wichtige Impulse kommen dabei aus der Philosophie, Soziologie und Geschichtswissenschaft.

Geschlecht sprachwissenschaftlich: Genus (grammatikalische Klasse von Wörtern) – i.Ggs. zu Sexus (nur in Bezug auf Lebewesen) historisch, rechtlich: Genealogie (Gruppe mit gemeinsamen Ahnen, Adelsgeschlecht) biologisch: Unterscheidung nach dem unterschiedlichen Beitrag zur Fortpflanzung; genetisch / chromosomale Ausstattung, gonadal / hormonelle Ausstattung, äußere Geschlechtszeichen

geschlechtstypisch / geschlechtsspezifisch erste brauchbare Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Merkmalen, die in Abhängigkeit vom biologischen Geschlecht auftreten (geschlechtsspezifisch) und solchen, die zwar gehäuft, jedoch nicht notwendig bei einer Geschlechts-gruppe vorkommen (geschlechtstypisch). Geschlechtstypisierend sind Verhaltensweisen, die Kinder in Richtung auf eine „Geschlechtsklasse“ hin beeinflussen.

Stichwort: sex / gender

sex / gender unterscheidet zwischen „biologischem“ und „sozialem“ Geschlecht (in der Geschlechterforschung teilweise kritisch diskutiert , denn auch „sex“ sei „konstruiert“) zur Betonung, dass der Sexus (die Zugehörigkeit zu einer biologischen Geschlechtsklasse) die im sozialen Leben beobacht-baren Verhaltensunterschiede zwischen weiblichen und männlichen Personen nicht notwendigerweise nach sich zieht macht geschlechtstypisches soziales Verhalten als eigenes Untersuchungsfeld zugänglich

sex / Sexus wird in den Sozialwissenschaften v.a. verwendet, um die körperliche Dimension von Geschlechterunterscheidungen zu kennzeichnen (primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale und unmittelbar aus diesen resultierende Faktoren)

gender wird in den Sozialwissenschaften v.a. verwendet, um das von sozialen, politischen, historischen und kulturellen Umständen beeinflusste geschlechtstypische Verhalten („gender roles“) von männlichen und weiblichen Individuen zu beschreiben, aber auch deren Selbst-Positionierung („gender identity“).

Mit dem Ausdruck „gender“ bzw Mit dem Ausdruck „gender“ bzw. „sex/gender-system“ wird Geschlecht daher als soziokulturelle Konstruktion begriffen, in die je historisch unterschiedliche Bewertungen von männlich und weiblich einfließen. Diese sind auch in scheinbar neutralen Kontexten wirksam. Die Wirkungen dieser Bewertungen beeinflussen die Entwicklung der Kinder von Geburt an und hinterlassen Spuren im Selbst- und Weltverhältnis jedes einzelnen Menschen.

Kritik „Gender“ ist eigentlich eine sehr unbestimmte und unscharfe Kategorie. Der Ausdruck „gender“ wird zunehmend synonym zu „geschlechtsspezifisch“ verwendet und trägt so dazu bei, die Komplexität und v.a. die Abhängigkeit der Geschlechter-konstruktionen von gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu verdecken.

Geschlechterforschung Stichwort: Geschlechterforschung

entstand als eigenständiger wissenschaftlicher Forschungs-zweig mit der Zweiten Frauenbewegung (in den 1970er Jahren), deshalb stark politisch motiviert und zunächst als „Frauenforschung“ bezeichnet in den USA früh institutionalisiert (als „Women’s Studies“). Wechsel der Selbstbezeichnung („Gender Studies“) in den 1990er Jahren um anzuzeigen, dass innerhalb patriarchaler politischer Machtverhältnisse die „soziale Konstruktion“ Geschlecht auch die Jungen und Männer bestimmten geschlechtstypischen Zwängen und Zuschreibungen aussetzt.

In den 1980er Jahren entstanden auch die „Gay and Lesbian Studies“ – heute von den „Queer Studies“ abgelöst, die lesbische und schwule Identität nicht mehr als eigene Kategorie begreifen, sondern vor allem die routinemäßige Einteilung in männlich und weiblich kritisiert. Mittlerweile gibt es auch eine (wenn auch noch nicht sehr intensive) eigenständige Männerforschung, die die Thematik aus der Perspektive von Männern betrachtet und Männlichkeit als soziales Konstrukt theoretisch zu fassen versucht.

Geschlechterforschung geht davon aus, dass alles Wissen, unsere Denkgewohnheiten und alle gesellschaftlichen Verhältnisse Bezug zu dem mit „Geschlecht“ umschriebenen Komplex haben, und dass deshalb alle Wissenschaften ihre Wissensbestände und -strukturen auf diese Frage hin überprüfen müssen fragt also nicht nur nach Frauen und Männern, sondern danach, wie das Denken über weiblich und männlich sich im Wissen, Handeln und Denken niedergeschlagen und so Eingang in gesellschaftliche Strukturen und die Wissen-schaften gefunden hat.

In der Geschlechterforschung wird „Geschlecht“ also nicht (nur) als individuelle Eigenschaft oder Kennzeichnung einer Person aufgefasst, sondern als soziales Verhältnis innerhalb politisch und historisch gewachsener und veränderlicher Gesellschaftsstrukturen (deshalb: „Geschlechterverhältnisse“ im Plural). Deshalb ist Geschlechterforschung immer interdisziplinär. Der Inhalt von Geschlechterstereotypen ist also historisch veränderlich. Sie sind aber nicht zuletzt immer auch Ausdruck der Auseinandersetzung mit der biologischen Dimension von Geschlecht.

Stichwort: Doing Gender

„Doing gender“ – betont (in einer konstruktivistisch inspirierten Sichtweise) die Wechselwirkung zwischen gesell-schaftlichen Strukturen und dem Handeln der Individuen: Geschlechterstereotypes Handeln bestärkt und bestätigt die Stereotype.

Zentrale Begriffe aus der kritischen feministischen Forschung

Hegemoniale Männlichkeit nimmt einerseits Bezug auf die (früher mit „Patriarchat“ bezeichnete) Tatsache der politischen Überlegenheit von Männern in allen gesellschaftlichen Feldern betont aber zugleich, dass sich hier eine bestimmte Form von Männlichkeit als hegemonial gesetzt hat, während andere Formen des Männlichseins repressiv abgewehrt werden (deshalb wird in der Männerforschung häufig im Plural von „Männlichkeiten“ gesprochen).

Zwangsheterosexualität / Heteronormativität betont die Tatsache, dass Heterosexualität als „normal“ angesehen wird und deshalb auch als Norm (normierend) wirkt, während gleichgeschlechtliche oder bisexuelle Orientierungen diskriminiert werden. Heterosexualität ist strukturierender Bestandteil der Symbolischen Ordnung. Die daraus entstehenden normativen Zwänge können für die einzelnen Individuen leidvolle Erfahrungen mit sich bringen.

Intersektionalität als aktuelles Paradigma Intersektionalität (von „intersection“ = Kreuzung) versucht die Tatsache auf den Begriff zu bringen, dass die Kategorie Geschlecht sozusagen „quer“ zu anderen zentralen Kategorien und Diskriminierungsformen liegt, die eine Gesellschaft organisieren (Klasse/Schicht, Einwanderung, Religion, Arbeit). Das (nicht unumstrittene) Konzept versteht sich als Modell, um verschiedene ungleichheitsstiftende Kategorien miteinander zu verbinden (v.a.: „race/class/gender“).

Alle Folien zur Einführungsveranstaltung können unter http://www.upb.de/zentrum-gender/studium-und-lehre/vorlesungen-und-seminare/ heruntergeladen werden. www.upb.de/zentrum-gender