Spuren des Türkischen: Vom „Gastarbeiterdeutsch“ zu einem neuen Ethnolekt des Deutschen Referentin: Riccarda Fasanella; fasanelr@uni-koeln.de Inhalte Sprachvergleich.

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 Präsentation transkript:

Spuren des Türkischen: Vom „Gastarbeiterdeutsch“ zu einem neuen Ethnolekt des Deutschen Referentin: Riccarda Fasanella; fasanelr@uni-koeln.de Inhalte Sprachvergleich (Türkisch und Deutsch) Gastarbeiterdeutsch Ethnolekt (primär, sekundär, tertiär, De-Ethnisierung) Jugendsprachlicher Mischcode Gründe für das Erlernen der türkischen Sprache Diskussion

Sprachvergleich Türkisch und Deutsch & Gastarbeiterdeutsch Referent: Erkan Türkoglu (siehe eigene Präsentation)

Ethnolekte Ethnolekt: eine Sprechweise, die von den Sprechern selbst oder anderen mit einer nicht-deutschen ethnischen Gruppe assoziiert wird Primärer Ethnolekt (v.a. türkische Jugendliche) Sekundärer Ethnolekt (Medien, z.B. Erkan und Stefan) Tertiärer Ethnolekt (v.a. deutsche Jugendliche) De-Ethnisierung („Erwerb“ des primären E. durch v.a. deutsche Jugendliche)

Primärer Ethnolekt Phänomen der gesprochenen Sprache Spezifische syntaktische, morphologische, lexikalische und prosodische Merkmale Merkmale Phonetik/Phonologie: „hämmerndes“, rhythmisiertes, „nuscheliges“ Sprechen, besondere Akzentsetzung, Assimilationen Falsches Genus (ein Ohrfeige geben), Ausfall von Artikeln (wenn ich Jacke abgenommen hab) und Präpositionen (wenn wir überhaupt Hochzeit gehen), veränderte Verbstellung, bestimmte Pronomen fehlen Viele Diskursmarker (ey Alter), Verstärker & Evaluativa (krass, korrekt) Lehrer, Erzieher und Sozialpädagogen: Kritik

Primärer Ethnolekt Frage: Sind die vom Standarddeutschen abweichenden Merkmale Resultat eines unvollständigen Deutscherwerbs? Frage: Türkische Interferenzen oder lernersprachliche Vereinfachungen? Aber: Genannte Phänomene sind auch beim gleichen Sprecher variabel (= gegen lernersprachliche Erklärung) Situationsspezifischer Einsatz, Selbst-Stilisierung, nicht die einzige Ausdrucksmöglichkeit

Sekundärer Ethnolekt „Türkendeutsch“ (= primärer Ethnolekt) als Gegenstand der Stilisierung in Medienformaten Charaktere dargestellt durch sprachliche und intellektuelle Defizite Themeninhalte meist Autos, Drogen, Kampfhunde (bestimmtes Milieu) Vertreter: Mundstuhl, Erkan und Stefan, Kaya Yanar Enthält Merkmale des primären Ethnolekts, erweitert das Repertoire aber noch Medien machen sich über die Sprecher des primären Ethnolekts lustig (Stereotypen)

Tertiärer Ethnolekt Deutsche Jugendliche stilisieren im Gespräch untereinander die Varietät „Türkendeutsch“ Tertiärer Ethnolekt wird in der direkten Interaktion mit Türken vermieden Nutzung hat unterschiedliche Zwecke: Spott-Varietät, Diskriminierung, spielerische Karikatur, Medienkenntnis beweisen (eher) negativ  Gegensatz De-Ethnisierung!

De-Ethnisierung Ausbreitung des primären Ethnolekts auf nicht-türkische Jugendliche (deutsche bzw. drittethnische Sprecher) Gebrauch sowohl untereinander als auch in der Interaktion mit Migranten Normale Umgangssprache, keine Abgrenzung oder Karikatur von „typischen“ Primärsprechern Kein genderlect Sprecher durchaus auch aufstiegsorientiert und schulisch erfolgreich Grenzen zwischen Ethnien werden aufgehoben Ethnolekt wird zu einem Soziolekt des Deutschen

Jugendsprachlicher Mischcode Untersuchung: Sprachlich kommunikatives Verhalten jugendlicher Sprecher türkischer Herkunft Breites sprachliches Repertoire: Standardnahes Deutsch, Mannheimer Substandard, dialektales Türkisch, sprachliche Mischungen Lehrer und Erzieher bewerten negativ („doppelte Halbsprachigkeit“) Linguisten sehen Code als „sprachliche Kreativität“ Sprachliche Mischungen: Form von Jugendsprache oder soziolektale Ausprägungen in Migrantenpopulationen?

Sprachwechsel Code Switching vs. Code Mixing Bedeutsamer Wechsel von einer Sprache zur anderen vs. bedeutungsloser Wechsel Hier: Code Mixing (Mischcode): Schnelle Verknüpfung von Elementen beider Sprachen, Wechsel verlieren an Bedeutung, jedoch rhetorische Funktionen möglich

Jugendsprache und Mischcode Typische Phänomene der Jugendsprache: Vereinfachte syntaktische Strukturen, viele Gesprächspartikel, Intensivierungspartikel, bestimmter Wortschatz und Tabuwörter, spezifischer Kommunikationsstil Mischcode enthält viele jugendsprachliche Phänomene Mischcode als Normalform der Ingroup-Kommunikation Unterschiedliche sprachliche Präferenzen & Kompetenzen Breites Spektrum sprachlicher Mischungen Alle Typen von Sprachwechseln im Mischcode

Merkmale des Mischcodes Schnelles, flüssiges Sprechen mit Anteilen beider, strukturell sehr verschiedener Sprachen Harmonische Verbindung ohne Holprigkeit Prosodisch-phonetische Besonderheiten Herausbildung „neuer Strukturen“, die es weder im Deutschen noch im Türkischen gibt (z.B. feiern yaptim ‚ich feierte‘: Dt. Verb im Infinitiv + Finitum von yapmak/etmek ‚machen/tun‘)

Merkmale des Mischcodes Morphologische Doppelungen Tags (weißt du, bilyon mu), Diskurs- (yani ‚also‘)und Verknüpfungspartikel (ondan sonra ‚und dann‘) Herausbildung besonderer Erzählmuster (z.B. Zitierweise)

Mischcode: Jugendsprache oder Soziolekt? Alle Besonderheiten sind Hinweise darauf, dass die Mischformen eine „eigene Sprache“ der Migranten sind Mischcode als Mittel und Symbol zur Abgrenzung gegenüber den türkischsprachigen Eltern einerseits und der deutschen Gesellschaft andererseits Mischcode meist an bestimmte Lebensphase gebunden (Jugendsprache) Bestimmte Migrantengruppen lehnen Mischcode ab (soziolektale Qualität)

Mischcode (Zitat) Hinnenkamp (2003) sieht die „vielfältige, gemischte, vielstimmige und multilinguale Sprache“ als „Resultat einer in Migrationsgeschichte und multikulturellen Gesellschaft begründeten polylingualen Entwicklung“ Kontinuum von bekannten Zweisprachigkeitsmustern bis hin zu neuen Formen

Gründe für das Erlernen der türkischen Sprache Untersuchung: Verwendung des Türkischen in gemischtethnischen Gruppen in Deutschland Gründe für den Türkischerwerb deutscher und drittethnischer Jugendlicher Drei Dimensionen, die einzeln oder verbunden gelten

Drei Dimensionen Affiliation mit ‚den Türken‘ Orientierung an subkulturellen Modellen der großstädtischen Außenseiterkultur („Ghetto“) Orientierung an jugendkulturellen Szenen

Literatur Inken Keim & Ralf Knöbel (2007): „Sprachliche Varianz und sprachliche Virtuosität türkisch-stämmiger ‚Ghetto’-Jugendlicher in Mannheim“. In: Standard, Variation und Sprachwandel in germanischen Sprachen / Ch. Fandrych, R. Salverda (Hrsg.); S. 157-200. Inken Keim & Ibrahim Cindark (2003): „Deutsch-türkischer Mischcode in einer Migrantinnengruppe“. In: Jugendsprachen – Spiegel der Zeit / Eva Neuland (Hrsg.); S. 377-394. Inken Keim (2003): „Sprachvariation und sozialer Stil am Beispiel jugendlicher Migrantinnen türkischer Herkunft in Mannheim“. In: Deutsche Sprache; 30; S. 97-123. Arnulf Deppermann (2007): „Stilisiertes Türkendeutsch in Gesprächen deutscher Jugendlicher“. In: Im Dickicht der Städte / hrsg. von Rita Franceschini; S. 43-62.

Literatur Peter Auer (2002): „Türkenslang: Ein jugendsprachlicher Ethnolekt des Deutschen und seine Transformationen“. In: Spracherwerb und Lebensalter / Annelies Häcki Buhofer (Hrsg.); S. 255-264. Inci Dirim & Peter Auer (2004): „Türkisch sprechen nicht nur die Türken“. De Gruyter, Berlin. Volker Hinnenkamp (2003): „Sprachalternieren – ein virtuoses Spiel? Zur Alltagssprache von Migrantenjugendlichen“. In: Jugendsprachen - Spiegel der Zeit / Eva Neuland (Hrsg.); S.395-416.