Reformevaluation zum europäischen „Verfassungsgebungsprozeß“

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 Präsentation transkript:

Reformevaluation zum europäischen „Verfassungsgebungsprozeß“ Philosophische Fakultät / Institut für Politikwissenschaft Lehrstuhl für politische Systeme und Systemvergleich Hauptseminar: Evolutorischer Institutionalismus Dozent: Prof. Dr. Werner J. Patzelt / Jakob Lempp. M.A. Referent: Jens Raschke Studiengang: M.A. PoWi/ReWi/WiSo Reformevaluation zum europäischen „Verfassungsgebungsprozeß“ Empirische Fallstudie Dresden, den 12.01.2007

„China wird die Fabrik- und Werkhalle der Welt sein, Indien deren Büro; die Vereinigten Staaten werden das Einkaufszentrum sein, Lateinamerika, seiner erratisch-populistischen Politik wegen, wird den Zirkus übernehmen - und Europa wird der Welt Museum.“ Ehemaliger brasilianischer Finanzminister Quelle: Frankenberger, Klaus Dieter (24. Mai 2006): Europa als Museum der Welt? In diesem Jahrhundert wird vor allem Asien den Ton angeben, in: F.A.Z., S. 8.

Gliederung Europäische Integration 1.1 „Drei Säulen-Modell“ der EU 2. Vorbemerkungen zur Fallstudie 3. Fallstudie zum „Europäischen Verfassungsgebungsprozess“ 3.1 Die Nische der EU: Ausgangslage und Anpassungsdruck 3.2 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ Allgemeine Fitnessevaluation der „Europäischen Verfassung“ 4.1 Effizienz 4.2 Legitimität 4.3 Retentionsfähigkeit 4.3.1 Präambel der „Europäischen Verfassung“ 4.4 Anpassungsfähigkeit 4.5 Mutabilität 4.6 Responsivität Spezifische Nischenuntersuchung der EU (der 27) 6. Fazit und Zukunft des „Verfassungsgebungsprozesses“

1. Europäische Integration 18.04.1951: Gründung der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS, sog. „Montanunion“) in Paris 27.05.1952: Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) scheiterte am 1954 am Veto des französischen Parlaments 23.03.1957: Unterzeichnung der „Verträge über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG) und die „Europäische Atomgemeinschaft“ (EAG) in Rom 08.04.1965: die getrennt bestehenden Organe der Gemeinschaften (EWG, EAG, EGKS) wurden durch den „Fusionsvertrag“ zu einem gemeinsamen Rat und einer gemeinsamen Kommission zusammengeschlossen 01.01.1973: Norderweiterung der EU: Großbritannien, Irland und Dänemark („Europa der Neun“)

1. Europäische Integration 01.01.1981: Süderweiterung: Griechenland 01.01.1986: Westerweiterung: Spanien, Portugal („Europa der Zwölf“) 28.02.1986: Verabschiedung der „Einheitlichen Europäischen Akte“ (EEA) 07.02.1992: Unterzeichnung des „Vertrages über die Europäische Union“ (EU, „Maastricht-Vertrag“) 01.01.1995: Erweiterung der EU durch den Beitritt Schwedens, Finnlands und Österreichs („Europa der Fünfzehn“) 02.10.1997: nächste wesentliche Änderung der Verträge („Amsterdamer Vertrag“) 26.02.2001: „Vertrag von Nizza“

1. Europäische Integration 01.05.2004: „Osterweiterung“ der EU / Beitritt von Estland, Litauen, Lettland, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Malta, Zypern 28.02.2002: „Konvent zur Zukunft der Europäischen Union“ 18.06.2004: Annahme der „Verfassung“ durch den Europäischen Rat 2005: gescheiterte Referenden über die „Europäische Verfassung“ in Frankreich und den Niederlanden 18.06.2004: Beitritt von Rumänien und Bulgarien („Europa der 27“)

1.1 „Drei Säulen-Modell“ der EU     Europäische Union“, Art. 1 EU Gemeinschafts- recht GASP   Art. 11-28 EU Polizeiliche und justizielle Zu-sammenarbeit in Strafsachen   Art. 29-45 EU EG   EA Intergouvernementale Zusammenarbeit

2. Vorbemerkungen zur Fallstudie Die EU als „Staatenverbund“:  EU ist eine neue Form der Verbindung von Staaten, sie steht zwischen einem Staat im herkömmlichen Sinn und einer internationalen Organisation / die EU ist ein eigenständiges, keiner Rechtsordnung zuzuordnendes Gebilde, eine Staatenverbindung eigener Art (BVerfGE 37, 271, 278f.) Zeitrahmen der Fallstudie: Ausgangspunkt ist das „Europa der 27“, auf Grundlage des „Vertrages von Nizza“/ Besonderheiten: bei der spezifischen Fallstudie kann nur auf hypothetische Reaktionen eingegangen werden

3. Fallstudie zum europäischen „Verfassungsgebungsprozess“ 3.1 Die Nische der EU: Ausgangslage und Anpassungsdruck bisher ist die EU vorrangig eine Wirtschaftsgemeinschaft - Gemeinsamer Markt (Art. 3 I EG) - Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 4 I EG) - Binnenmarkt (Art. 14 I EG) erweitert auf 27 Mitgliedsstaaten (MS), obwohl die institutionellen Bedingungen für ein effektives Funktionieren der Union nicht bestehen keine Finalitätsvorstellung, weder bezüglich des politischen Systems der Union noch der Grenzen der Erweiterung „Demokratie-Defizit“ der EU

3.2 Der „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ dem „Vertrag von Nizza“ wurde eine „Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union beigefügt, die eine weiter gehende Reformdiskussion einleitete (sog. „Post-Nizza-Prozess“ Der „Konvent zur Zukunft der Europäischen Union“ legte Ende Mai 2003 den Entwurf eines „Verfassungsvertrages“ für die Union vor Von der Regierungskonferenz wurde der Entwurf mit einigen wenigen Änderungen am 18. Juni 2004 angenommen Dem Konvent wurde ein Mandat vom Europäischen Rat erteilt, dies bezog sich vor allem auf: - die Neuordnung der Kompetenzen der EU -       - die Reform der Handlungsinstrumente und Rechtsetzungsverfahren mit dem Ziel der Vereinfachung -     - die Reform der Organe, die Aufnahme der Grundrechtscharta der EU vom 07.12.2000 in das europäische Recht - die Rolle bzw. Einbindung der nationalen Parlamente

4. Allgemeine Fitnessevaluation 4.1 Effizienz ist gegeben, wenn die der Institution zur Verfügung stehenden Ressourcen effizient in jene Outputs verwandelt werden, die von ihr erwartet werden Demokratiebedingte Effektivität  ist keine organisatorische, sondern eine historisch politische Kategorie Effizienz setzt somit Transparenz und Akzeptanz voraus  effizient ist eine demokratische Institution wie die EU, wenn sie die Legitimation und Akzeptanz der Bürger besitzt, auch wenn die Umwandlung der zur Verfügung stehenden Ressourcen in die erwartbaren Outputs komplizierter und langsamer funktioniert Erfüllung der wesentlichen Aufgaben ist gegeben

4.2 Legitimität Das Kriterium der Akzeptanz bzw. Legitimität ist gegeben, wenn eine Institution von den mächtigen und relevanten Akteuren in ihrer Umwelt akzeptiert wird Verneinung einer demokratischen Verfasstheit der EU, z.B: Grimm, Kirchhof Doppelt begründete demokratische Legitimation in der EU  unitarische Legitimation  plural-territoriale Legitimation  direktdemokratische Legitimation (Verfassungsentwurf) mehr Rechte für das EP / Kontrolle bezüglich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips / Institutionalisierung des Konvents für zukünftige Verfassungsänderungen

4.3 Retentionsfähigkeit beinhaltet die Reproduktion der Leitideen und Strukturen einer Institution über einen längeren Zeitraum hinweg Die bewährten Organe der EU werden in ihrer Struktur durch die „Verfassung“ nicht angetastet Die EU verfügt nicht über eine konsistente Leitidee, sondern vielmehr über mehre einzelne Leitideen (Präambel; Definition und Ziele der Union Art. I-1 bis I-III EV)

4.3.1 Präambel der „Europäischen Verfassung“

4.4 Anpassungsfähigkeit Institutionen sind anpassungsfähig, wenn sie die Kriterien der Mutabilität und der Responsivität erfüllen Mutabilität: die Fähigkeit einer Institution über ausreichend flexible Strukturen und Leitideen verfügen, um auf Umweltveränderungen adäquat reagieren zu können Responsivität: eine Institution muss in der Lage sein, relevante Informationen aus ihrer Umwelt in nicht allzu verzerrter Weise aufzunehmen, um möglichen Anpassungs- und Reaktionsbedarf überhaupt erst zu realisieren

4.5 Mutabilität Die „Europäische Verfassung“ stattet die EU zwar mit einer eigenen Rechtspersönlichkeit aus, aber nicht mit einer „Kompetenz-Kompetenz“ D.h. die EU kann nur in den Bereichen tätig werden, in denen ihr Kompetenzen von den MS übertragen wurden  sie ist nicht in der Lage nationalstaatliche Kompetenzen an sich zu ziehen oder eigene Kompetenzen auszubilden Schwierige Entscheidungsfindung bei 27 MS mit teilweise gegenläufigen Interessen Die Ratifikation von europäischen Rechtsakten dauert länger, ebenso die Transformation von europäischem Recht in nationalstaatliches Recht

4.6 Responsivität Die Eu wird überwiegend von den Wahrnehmungsapparaten der Mitgliedsstaaten bedient Im „Verfassungsvertrag“ könnte der „Europäische Auswärtige Dienst“ als Wahrnehmungsapparat angesehen werden, dieser wäre dann auch für die Auswertung der Informationen verantwortlich

5. Spezifische Nischenuntersuchung der EU (der 27) Anpassungsleistung der institutionellen Struktur an die Erweiterung der EU Passungslücke zwischen dem bestehenden institutionellen Gefüge der EU und der Erweiterung um neue Mitgliedsstaaten, am Beispiel der Europäischen Kommission

6. Fazit und Zukunft des „Verfassungsgebungsprozesses“ Keine umfassende Steigerung der institutionellen Fitness der EU  die „Verfassung“ enthält Änderungen, die bereits während der Verhandlungen zum „Vertrag von Nizza“ nicht umgesetzt wurden Es existiert weiterhin kein konsistentes Leitbild der EU Kaum spürbarer Abbau des Demokratie-Defizits, damit weiterhin unzureichende demokratische Legitimation Weiterer möglicher Verlauf: verschiedene Teile der „Verfassung“ sollen gesondert in Kraft treten (z.B.: die Europäische Charta der Grundrechte) Die nächste Erweiterung der EU kann nicht ohne vorherigen institutionellen Wandel der Union erfolgen

Quellen- und Literaturverzeichnis Bacia, Horst (16. Dezember 2006): Keine einfache Formel. Die europäische Union denkt über ihre künftige Aufnahmefähigkeit nach, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung: Nr. 293, S. 8. Dorau, Christoph (2001): Die Verfassungsfrage der Europäischen Union. Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Verfassungsentwicklung nach Nizza. Baden-Baden. Grimm, Dieter (2005): Braucht Europa eine Verfassung?. München. Grimm, Dieter (12. Mai 2005): Der Vertrag. Die „europäische Verfassung“ ist keine echte Verfassung – aus der Europäischen Union wird kein Bundesstaat, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung: Nr. 109, S. 6. Isak, Hubert (2005): Eine Verfassung in Europa?, in: Blumenwitz, Dieter u.a. [Hrsg.]: Die Europäische Union als Wertegemeinschaft. Berlin. Kaps, Carola (29. Dezember 2006): Europa als globaler Spieler. Die deutsche Ratspräsidentschaft soll es richten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung: Nr. 302, S. 10. Patzelt, Werner J., Hrsg.(2007): Evolutorischer Institutionalismus. Theorie und exemplarische Studien zu Evolution, Institutionalität und Geschichtlichkeit. Würzburg [im Erscheinen]. Patzelt, Werner J. (2006): Europas Verfassung: eine Baustelle – was sonst? Ein analytischer Essay in evolutionstheoretischer Perspektive. [noch unveröffentlicht]. Tsatsos, Dimitris Th. (2002): Die Europäische Unionsgrundordnung. Beiträge zum institutionellen Verständnis der Europäischen Union im Hinblick auf einen zukünftigen europäischen Verfassungsvertrag. Baden-Baden.