Vorbilder, Rivalen, Vertraute

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 Präsentation transkript:

Vorbilder, Rivalen, Vertraute Geschwister – Vorbilder, Rivalen, Vertraute

Einige Fragen, die wir uns immer wieder stellen Was ist eigentlich das Besondere an Geschwister-beziehungen (GB)? Worin unterscheiden sich Geschwister voneinander? Wie wichtig ist dabei der Geburtsrangplatz? Warum streiten sich Geschwister (immer wieder)? Warum sind sich Geschwister manchmal so ähnlich, manchmal so wenig ähnlich?

Einige Fragen, die wir uns immer wieder stellen (2) Was ist überhaupt eine „Beziehung“? Welche Rolle spielen Geschwister bei der Persönlichkeitsentwicklung? Gibt es eine besonders günstige Position in der Geschwisterreihe? Gibt es eine besonders günstige Geschwisterkonstellation? Warum gibt es in Deutschland immer weniger Kinder, die mit Geschwistern aufwachsen?

Zentrale Merkmale von Geschwisterbeziehungen (GB) GB werden faktisch immer seltener - im Durchschnitt werden in Deutschland nur noch ungefähr 1,35 Kinder pro Familie geboren – Tendenz: stagnierend auf diesem Niveau - größere Geschwisterreihen sind mittlerweile eine Rarität! GB sind die längsten Beziehungen, die wir haben. GB kann man sich nicht aussuchen, man wird in sie hineingeboren, haben dementsprechend etwas Schicksalhaftes. GB können nicht beendet werden (unterschwellig wirken sie immer fort, auch wenn kein Kontakt mehr besteht). 5. GB haben keine gesellschaftlichen oder gesetzlichen Vorschriften, nach denen sie gestaltet und reguliert werden.

Zentrale Merkmale von Geschwisterbeziehungen (2) 6. GB fußen deshalb auf mehr oder weniger deutlich ausgeprägten, ungeschriebenen Verpflichtungen und Verantwortungen, die füreinander empfunden werden (oder auch nicht), vor allem moralischer Art. 7. GB sind (durch das Aufwachsen in einem Nest) häufig durch große Nähe, Intimität, gegenseitige Sympathie und Vertrautheit gekennzeichnet. 8. bei gleichzeitigem Vorhandensein von negativen Gefühlen (Ablehnung, Rivalität, Eifersucht, Neid bis zu Hassimpulsen), 9. was in sehr vielen Fällen zu gefühlsmäßiger Zwiespältigkeit (Ambivalenz der GB) führt !

Zentrale Ergebnisse der Geschwisterforschung Geringer Altersabstand + gleiches Geschlecht bringt große Nähe, aber auch Rivalität mit sich Die „Optimale“ Geschwisterkonstellation Abgrenzung und Wiederannäherung Entwicklungsaufgaben über die Lebensspanne Tabuisierung von Rivalität Auswirkungen auf die Persönlichkeit

Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Geschwistern - Wie sind sie zu erklären ? Das schöne Beispiel von den eineiigen Zwillingspaaren, von denen die Hälfte getrennt, die Hälfte zusammen aufwächst... Welche entwickeln sich ähnlicher und bleiben ähnlichere Persönlichkeiten ? 2. Welchen Einfluss haben die Anlagen oder Gene? 3. Welchen Einfluss hat die Umwelt? Was gehört alles zur Umwelt? (z.B. Geschwisterzahl, Geburtsrangplatz, Altersabstand, Geschlechtskombination in der Geschwisterreihe, Familienstruktur, Erziehung, soziales Milieu z.B. Bildungsstand, Berufstätigung der Eltern, ethnische Zugehörigkeit, Wohnort/Wohnlage/Wohnung usw.) ?

Wie wirken sich Umweltfaktoren auf die Gene aus? Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Geschwistern - Wie sind sie zu erklären ? Wie wirken sich Umweltfaktoren auf die Gene aus? Fazit: Anlage und Umwelt können nicht auseinanderdividiert werden!!! Immer einbezogen werden müssen die Selbstregulationsfähigkeiten der Person sowie epigenetische Prozesse

Geteilte und nichtgeteilte Umwelterfahrungen von Geschwistern Was z. B. sind geteilte und was sind nicht geteilte Umwelterfahrungen? Wieso verfügen Geschwister über beide? Geteilte Umwelterfahrungen – unterschiedliche Wahrnehmung Wieso können daraus Geschwisterkonflikte entstehen?

Wurzeln der Geschwisterrivalität Urwüchsig und universell Entthronungstrauma Elterliche Zuwendung und Ungleichbehandlung Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft

Geschwisterbeziehung in der frühen Kindheit Veränderungen durch die Geburt des 2. Kindes Neue Rollenverteilung in der Familie Drei-Phasen-Modell Geschlechtsunterschiede Altersabstand Nachahmung und Vorbild Sozialverhalten Spiel(en) Rivalität (Streit/Aggression) und Abgrenzung Koalitionen (horizontal - vertikal) Solidarität Betreuungsaufgaben

GB während der Schuljahre (7-12 Jahre) De-Identifikation: Abgrenzungsprozesse Insgesamt weniger Interaktion und Kontakt Häufiger Solidarität: geschwisterlicher Schulterschluss Wechselseitiger Profit nimmt zu Trend: zunehmende Harmonisierung und Egalisierung

GB im Jugendalter Abgrenzung setzt sich fort, Peers werden immer wichtiger Differentielle Perspektiven und differenzierendes Elternverhalten Identitätsbildung: Rolle der Geschwister dabei wird kontrovers gesehen (Judith Harris contra Frank Sulloway) Intimität, Sexualität (G-Inzest), Geschlechtsrollenentwicklung

GB während der frühen Erwachsenenjahre Abnahme von Nähe (separate Entwicklungsaufgaben: Partnerschaft, Beruf, Elternschaft) Partnerwahl und Paarbildung (Tomans Duplizitätstheorie) Positive und negative Auswirkungen kritischer Lebensereignisse auf die GB

GB im mittleren Erwachsenenalter Wiederannäherungen sind möglich, i. a. aber gleich bleibende Nähe bzw. Distanz Oft asymmetrische Rivalitätsmuster Elternbezogene Aufgaben Ritualisierung der Kontakte Variablen, welche die Qualität der GB i. a. beeinflussen: Wohnort, Familienstand, Geschlecht(skombination), Altersabstand, Geschwisterzahl

GB im späteren Erwachsenenalter EA: Versorgung der alten Eltern Trend: Abnahme von Distanz, Zunahme von Nähe Langzeitauswirkungen kritischer Lebensereignisse („Tretminen“) GB-Qualität: Immer noch Wandel

GB im höheren Alter Rückschau und Validierung des Lebensentwurfes Tod eines Geschwisters „Blut ist dicker als Wasser“ Instrumentalisierung älterer Schwestern Zusammenleben? Lieber nicht!

GB im Lebensverlauf Verortung der GB-Qualität vor allem auf 3 Dimensionen (Nähe, Rivalität, Unterstützung) Typische Verlaufskurven: Zunahme – Abnahme – Wiederzunahme Viele Ausnahmen und Besonderheiten Umfassende, integrative Theorie fehlt

Weitere zu klärende Fragen - Gibt es feste Geschwisterproblematiken (GP), die grundsätzlich auftreten? - Wie lassen sich diese entschärfen? - Ist die GP abhängig von der Zahl der Kinder? - Welche Rolle spielt das Geschlecht der Geschwister? - Was tun, wenn Rivalität / Streit unerträglich wird? - Wo bekommt man Hilfe ? Buchtipps? Beratungsstellen?

Weitere zu klärende Fragen (2) Besteht ein Zusammenhang zwischen Geschwisterkonstellation und Partnerwahl? Welche Kompensationsstrategien entwickeln Geschwister und wie kann man dem entgegensteuern? Wie "bedauernswert" sind Sandwich-Kinder wirklich? Risiken und Chancen dieser Position? Sind Erstgeborene besser als ihr Ruf? Vorteile dieser Position und besondere Probleme? Wie wirkt sich ein großer Altersunterschied (>6 Jahre) auf das Verhältnis der Geschwister aus?

Weitere zu klärende Fragen (3) - Wie individuell muss ein Kind behandelt werden? - Nachwuchs kommt - wie vermeidet man Eifersuchtsreaktionen? - Das große Geschwister schützt das jüngere extrem im Kleinkindalter, wird es dadurch überfordert? - Inwieweit beeinflusst die Position in der Geschwisterfolge Leistungsbereitschaft, soziale Kompetenz u.a.? - Ein behindertes Kind in der Familie braucht besondere Zuwendung, wie stärkt man die Position des gesunden Geschwisters?

Die Geschwister-Beziehung ist ein hohes Gut - deshalb hegen und pflegen Sie sie, kehren Sie nichts unter den Teppich, gehen Sie offen und ehrlich miteinander um, reden Sie auch über Probleme und unterschiedliche Ansichten: Wir alle verändern uns – ein Leben lang – und mit uns auch unsere Beziehung zu unseren Geschwistern!

Die Geschwister-Beziehung ist ein hohes Gut - deshalb (an die Adresse der Eltern gerichtet) tun Sie von Anfang an das Ihre (also ggf. schon dann, wenn ein 2. Kind unterwegs ist), damit Ihre Kinder gut miteinander auskommen und es lernen, aufeinander einzugehen, und wenn sie sich streiten, es auch wieder schaffen sich zu vertragen und versöhnen: Die Geschwister-beziehung ist eine Spielwiese, auf der unzäh-lige soziale Kompetenzen, die für den Alltag wichtig sind, erworben werden.

Besondere Geschwisterbeziehungen GB aus interkultureller Sicht GB von Zwillingen und Mehrlingen GB von Behinderten GB von Stief- und Halbgeschwistern GB von Adoptiv- und Pflegegeschwistern

Podcast - Empfehlung Ein ganz unterhaltsamer Podcast mit mir zum Thema findet sich zum Anhören oder Download unter http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?key=standard_podcasting_hr2_doppelkopf&rubrik=22564&start=8 Es handelt sich um eine Sendung in der Reihe „Doppelkopf“ des Hessischen Rundfunks HR 2.

Buchempfehlung Hartmut Kasten (2005): Geschwister – Vorbilder, Rivalen, Vertraute. München: Ernst Reinhardt Verlag

Buchempfehlung Hartmut Kasten (2007): Einzelkinder und ihre Familien. Göttingen: Hogrefe

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit