Kasusabbau bei schwachen Maskulina

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 Präsentation transkript:

Kasusabbau bei schwachen Maskulina Stephan Lange Universität Bielefeld Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft

Einleitendes zur schwachen Substantivflexion Im Deutschen werden traditionell drei unterschiedliche Deklinationstypen unterschieden: Schwache Substantive, ausnahmslos Maskulina, weisen das Suffix -(e)n im Singular in allen obliquen Kasus und im Plural in allen Kasus im auf.

Einleitendes zur schwachen Substantivflexion Insgesamt lassen sich hier fünf verschiedene Gruppen unterscheiden: native Maskulina: belebte Nomina auf Schwa, vgl. Bote, Kunde, Affe, Falke belebte Nomina, vgl. Bär, Fink, Held, Mensch   nichtnative Maskulina: belebte Nomina auf Schwa, vgl. Experte, Sklave, Virologe, Kleptomane belebte Nomina mit nichtnativem Wortausgang, vgl. Pilot, Demokrat unbelebte Nomina mit nichtnativem Wortausgang, vgl. Automat, Komet

Sprachwandelerscheinungen innerhalb der sw. Substantivflexion Entgegen dieser traditionellen Beschreibung existieren im Standarddeutschen der Gegenwart im Akk. u. Dat. Sg. aber zwei Varianten nebeneinander: Schwache Maskulina können in den genannten Kasus entweder mit oder ohne Kasussuffix -(e)n auftreten. Die zu beobachtende Variation legt nahe, dass im Bereich der schwachen Substantivdeklination ein Wandel stattfindet, vgl. etwa: [DPDat Dem Demokrat] gelang, woran etablierte Politiker regelmäßig scheitern. (focus.de 11/08) Carl von Linné, der Begründer der modernen botanischen und zoologischen Taxonomie, teilte [DPAkk den Bär] in nur zwei Arten ein. (br-online.de 03/08) Wo kann man [DPAkk den Komet] am Sternenhimmel finden? (welt.de 10/07)

Entwickeln sich sw. Maskulina zu st. Maskulina? Wie viele andere Grammatiken schreibt auch der Duden (2006), dass sich im Gegenwartsdeutschen eine gewisse Tendenz zeigt, „das schwache Deklinationsmuster zugunsten des Standardmuster für Maskulina, der starken Flexion, aufzugeben.“ (S. 218) Es zeigt sich jedoch, dass ein Kasusabbau im Akk. und Dat. Sg. keineswegs dazu führt, dass ein schwaches Substantiv stark flektiert. Von einem Wechsel zur starkem Flexionstyps lässt sich erst sprechen, wenn ein schwaches Maskulinum auch im Gen. Sg. und in allen Pluralformen das Suffix -(e)n abwirft.

Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Ieur.) Die schwache Deklination lässt sich bis zu den rekonstruierbaren Strukturen des Indoeuropäischen zurückverfolgen. In dieser Sprachstufe lassen sich acht Substantivklassen feststellen, deren Klassifikation sich durch unterschiedliche stammbildende Suffixe ergibt. Nomina der -n-Klasse weisen im Ieur. einen relativ starken semantischen Bezug auf: Sie benennen Körperteile und insbesondere Lebewesen. Das Flexionsverhalten der morphologischen -n-Klasse im Ieur. wird damit durch die außermorphologische Eigenschaft [+belebt] motiviert. Wurzelnomen st. b.Suffix Flexionsmorphem ghost -i- s kan -on- Ø

Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Mhd.) Während im Ahd. eine Klassenzuordnung einzelner Substantive noch auf Basis eines spezifischen vokalischen Wortausganges im Nom. Sg. noch möglich war, ist dieses im Mhd. nicht mehr der Fall. Einige starke und alle schwachen Maskulina weisen im Nom. Sg einen Wortausgang auf -e auf  -ere-/-e bei st. Mask. und -e bei sw. Mask. Da die maskulinen Paradigmentypen damit kein eigenes außer- morphologisches Merkmal mehr aufweisen, wäre eine Vereinheitlichung beider Klassen durchaus erwartbar. Da aber der Erhalt morphologischer Klassen gerade an bestimmte außer- morphologische Merkmale gekoppelt ist, ergeben sich für die Entwicklung der sw. Maskulina im Mhd. folgende Möglichkeiten: Das Flexionsverhalten einer msk. Klasse wird an and. Merkmale geknüpft. Die Klasse löst sich durch Übergang ihrer Substantive in andere Paradigmentypen vollständig auf.

Historische Entwicklung schwacher Maskulina (Mhd./Frnhd.)

Kasusabbau sw. Maskulina im Gwd. Im Gegenwartsdeutschen lässt sich nun beobachten, dass schwache Substantive nicht im gleichen Maße vom Abbau der Kasusflexion betroffen sind. Nach Köpcke (1995) lässt sich der Abbau der Kasusflexion bei schwachen Substantiven anhand einer Prototypikalitätsskala vorhersagen: Je weiter die Merkmale eines Substantivs von denen des Prototyps entfernt sind, desto eher tendiert es dazu, im Akk. oder Dat. Sg. kein Kasussuffix zu tragen. Gallmann (1996) spricht von einer syntaktisch gesteuerten Kasusen-dungslosigkeit, die vorliegt, wenn in einer DP kein adjektivisch flektiertes Element vorkommt, das seinen morphologischen Kasus an das Substantiv weitergibt („doppelt oder nichts“).

Fragestellung II (Gebrauchsfrequenz) In der Sprachwandelforschung wird angenommen, dass die Gebrauchsfrequenz Einfluss auf den Wandel morphologischer Formen hat (z.B. Nübling 2006). Diese Frequenz sieht Nübling (2006) als ein Motiv des flexivischen Wandels an. Hat ein Wort eine hohe Gebrauchsfrequenz, sind seine Formen gut im mentalen Lexikon verankert. Daraus folgt, dass die Wortform eines Lexems stärker im Lexikon verankert ist, je höher ihre Gebrauchsfrequenz ist. Daraus lässt in Bezug auf den Abbau der Kasusflexion bei schwachen Substantiven die folgende Vorhersage ableiten: Schwache Substantive mit einer frequenteren nicht-flektierten Form sind (im Akk. und Dat. Sg) stärker vom Abbau der Kasusflexion betroffen als solche mit einer frequenteren flektierten Form. Gallmann (1996) spricht von einer syntaktisch gesteuerten Kasusen-dungslosigkeit, die vorliegt, wenn in einer DP kein adjektivisch flektiertes Element vorkommt, das seinen morphologischen Kasus an das Substantiv weitergibt („doppelt oder nichts“).

Fragestellungen und Experimentbeschreibung In Anlehnung an die Überlegungen Köpckes (1995) und Nüblings (2006) stellt sich die Frage, inwiefern der Abbau der schwachen Kasusflexion von der Gebrauchsfrequenz einer Substantivform und vom Grad der Prototypizität eines schwachen Substantivs beeinflusst wird. Die Überprüfung dieser Hypothesen erfolgte durch die Befragung kompetenter Sprecher. Dem hierzu durchgeführten Experiment lag folgende Struktur zu Grunde: 40 Versuchspersonen bekamen je vier unterschiedliche Texte vorgelegt. In jedem Text wurden neben Ablenkerfehlern mehrere schwache Substantive in ihrer flexionslosen Form integriert. Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, sämtliche Wörter im Text zu kennzeichnen, die ihnen als nicht korrekt erschienen.

Experimentbeschreibung: Beispieltext Textbeispiel: Zuletzt hatten der damalige republikanischer Präsident Dwight Eisenhower 1957 der Todesstrafe gegen einen verurteilte Angehörigen der Streitkräfte zugestimmt. 1962 hatte es ein verurteilter Soldat dem überzeugten Demokrat und scharfen Gegnern der Todesstrafe John F. Kennedy zu verdanken, dass seine Hinrichtung in eine lebenslange Haftstrafe verwandelt wurde. Wann und wo Gray hingerichtet worden soll, war zunächst nicht bekannt. „Obwohl es eine ernster und schwierigen Entscheidung für den Präsident ist, ein Todesurteile gegen ein Mitglied der Streitkräfte zu bestätigen, glaubt er, dass die Fakten in diesem Fall kein Zweifel daran lassen, dass die Strafe gerecht und notwendig ist“, sagte Bushs Sprecherin Dana Perino in einer Erklärung. „Soldat Gray wurde wegen brutaler Verbrechens verurteilte, darunter zwei Morden und drei Vergewaltigungen. Die Opfer war eine Zivilistin und zwei Angehörige des Heer. Einen amerikanischen Held stellt man sich sicherlich ganz anders vor.“

Experimentbeschreibung: Frequenzklassen Um eine entsprechende Aussage über den Einfluss der Gebrauchsfrequenz treffen zu können, wurde neben der Frequenz der flexionslosen Form auch die der flektierten Form berücksichtigt. Hieraus ergaben sich drei unterschiedliche Frequenzklassen: GF (Grundform): Dieser Klasse gehören die Substantiv an, deren flexionslose Form frequenter ist als deren flektierte Form. AF (abgeleitete Form): Dieser Klasse gehören alle Substantiv an, deren flektierte Flexion frequenter ist als deren flexionslose Form. egal: Dieser Klassen gehören die Substantive an, bei denen der Unterschied zwischen den Frequenzen der flexionslosen und der flektierten Form nur gering ist. Grundform abgeleitete Form egal Präsident (513) Präsident-en (151) Demokrat (9) Demokrat-en (273) Referent (30) Referent-en (33)

Ergebnis I: Gebrauchsfrequenz und Kasusabbau Ist die Gebrauchsfrequenz der flexionslosen Form (GF) höher als die der flektierten Form (AF), tendiert das Lexem dazu, im Akk. und Dat. Sg. keine Kasusendung zu tragen. Präsident (35%) GF: 1151 AF: 513 Prinz (28%) GF: 309 AF: 75 Demokrat (48%) GF: 9 AF: 273 Graf (33%) GF: 423 AF: 96 Tendenz zum Kasusabbau Held (50%) GF: 105 AF: 155 Papagei (5%) GF: 13 AF: 7 Elefant (75%) GF: 8 AF: 48 Überwiegt bei einem Substantiv die abgeleitete Form (AF), so wurde das suffixlose Substantiv im Text in ca. 52% der Fälle als fehlerhaft erkannt. Überwiegt bei einem Substantiv dessen Grundform (GF), so wurde das suffixlose Substantiv im Text in nur ca. 26% der Fälle beanstandet.

Ergebnis II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau finales Schwa (Rabe) einsilbig, [+ menschlich] (Prinz) mehrsilbig, [+ menschlich] (Präsident) einsilbig, [+ belebt] (Bär) Tendenz zum Kasusabbau mehrsilbig, [- belebt] (Satellit) mehrsilbig, [+ belebt] (Elefant) zweisilbig, [- belebt] (Planet) zweisilbig, [+ menschlich] (Student)

Ergebnis II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau

Schlussbetrachtungen I: Gebrauchsfrequenz und Kasusabbau Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Gebrauchsfrequenz und der Tendenz zum Kasusabbau schwacher Maskulina lässt sich also Folgendes sagen: Das Kasussuffix am sw. Substantiv ist im Akk. u. Dat. Sg. eher erhalten, wenn die Gebrauchsfrequenz der flektierten Substantivform höher ist als die Gebrauchsfrequenz der kasuslosen Form.

Schlussbetrachtungen II: Gruppenzugehörigkeit und Kasusabbau Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Gruppenzugehörigkeit und der Tendenz zum Kasusabbau sw. Maskulina lässt sich feststellen: Die im Dt. beobachtete Tendenz zum Abbau von Kasussuffixen bei (mehrsilbigen) sw. Maks. kann entlang zweier Kriterien erklärt werden: durch das formale Kriterium des finalen Schwas durch das semantische Kriterium [+ belebt, + menschlich] Unterscheiden sich zwei Substantive nur darin, dass das eine einsilbig und das andere zwei-/mehrsilbig ist, so bleibt die Kasusendung eher bei dem Substantiv erhalten, das mehr als eine Silbe hat.