Generelle methodische Aspekte

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 Präsentation transkript:

Generelle methodische Aspekte Kategorien: Autor – Werk – Überlieferung – Textgeschichte - Textgebrauch

Wozu brauchen wir den Autor? In welchem ursächlichen Zusammenhang stehen Autor und Werk? Welche Funktion hat unser Wissen vom Autor (Biographie, Umstände der Werkentstehung, Datierung etc.)? Wie wirkt sich die Situation der Werkentstehung auf das Werk aus?

Der „Tod des Autors“(s. Nünning) Roland Barthes (1968): es gibt keinen gottähnlichen Autor mehr, der seinen Text kontrolliert; vielmehr nur einen multidimensionalen textuellen Raum, ein Gewebe von Zeichen und Zitaten unterschiedlicher kultureller Provenienz; ->Intertextualität: dialogisches Verhältnis der Bestandteile des Textes.

Die Bedeutung des Lesers Im textuellen Gewebe der Zeichen und Zitate, die den Text ausmachen, gewinnt die Instanz des realen historischen Lesers eine neue, da den Sinn des Textes eigentlich erst konstituierende Funktion. Erst der Leser weist den Elementen des Textes ihre je aktuelle Bedeutung zu. Der Leser als Träger der Bedeutungskonstitution rückt an die Stelle des Autors. Defizit dieser Vorstellung: weitgehend ausgeblendet wird dabei die historische Dimension von Texten – oder besser: von Kultur (etwa der Nachkriegszeit, der Zeit um 1900, um 1800, um 1200 ...)

Gegen den „Tod des Autors“: M. Foucault (1979) Michel Foucault (1979): What is an Author? Begründet den Autor als „Urheber“ und Organisator von Diskursen. Diskurse (s. Nünning): Sprechen innerhalb bestimmter thematisch bestimmter Wissensfelder („Wahnsinn“, „Sexualität“, „Liebe“, „Normen“). Mediale Formen des Diskurses: Mündlich, schriftlich, in allen Äußerungsformen der Kultur. Literatur als „Schnittpunkt der Diskurse“.

Der Autor im Mittelalter Eine kausale Verbindung von Leben und Werk ist im Regelfall nicht möglich. Der Name des Autors als Ordnungskategorie Beispiele aus der Lyriküberlieferung im Codex Manesse: die Lieder sind einem „Namen“ zugewiesen und damit zugeordnet. Vielfach besteht Unsicherheit der Autorzuweisung. Die biographische, lebenswirklich Existenz eines Autors lässt sich kaum verifizieren und bleibt für die Textanalyse weitgehend bedeutungslos. Vielfach lässt sich aber die bildungs- und kulturgeschichtliche Einbindung eines Autors bestimmen; und damit auch die Dimension der in seinen Texten abgerufenen kulturellen/intellektuellen/textuellen Bezugsfelder. Das führt zu der Frage, mit welchem Wissen, welchen wahrnehmungs- und Deutungsmustern arbeitet ein Autor; was setzt er bei seinem Publikum voraus, womit wirkt er auf sein Publikum.

Was ist ein „Werk“? An die Existenz einer „Urheber-Instanz“ (lat. auctor) gebundene (künstlerische) Hervorbringung. Die Existenzform eines „Werks“ hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: Autorbedingt: Bearbeitung, Work in Progress, Doppel-/ Mehrfachfassungen. Autorunabhängig: Einwirkung von Faktoren in der Umgebung der Werkentstehung oder seiner Geschichte. Beispiele: Bearbeitung für bestimmte Anlässe durch Urheber: (Drama/Oper auf dem Theater/für die Aufführung; Änderung der Instrumentierung in der Musik etc.; Gattungswechsel: Roman zu Drama umgearbeitet etc.; Literaturverfilmung etc.), Bearbeitung durch andere: Kürzung, Erweiterung, Gattungswechsel; sonst wie Bearb. durch den Autor/Urheber.

Was ist ein „Werk“? Ausgangspunkt ist jeweils die Überlieferung in Handschriften, selten auch in frühen Drucken. Autographe Überlieferung deutscher Texte erst im 15. Jahrhundert (Hans Folz; Seb. Brant u.a.). Was ist der Wille des Autors? – Was bietet die Überlieferung? Der Weg zum Text: Die Aufgabe der Edition.

Was heißt Überlieferung? (s. RLW 3) Die Handschriften des Mittelalters stellen in der Regel Abschriften dar, die oft über größere Zeiträume von der Werkentstehung getrennt sind. Jede Abschrift ist fehlerhaft. Aufgabe der Edition (s. RLW): einen Text herzustellen, den es a) im Mittelalter gegeben hat und der b) dem Text des Autors am nächsten kommt. Außerdem: das Textmaterial so zu präsentieren, dass die gesamte Überlieferung erkennbar bleibt.

Was heißt Textgeschichte? Der Umgang mit Texten unterliegt verschiedenartigen Interessen und Intentionen. Diese je zeitgebundenen Interessen und Intentionen führen zu gezielten oder unbeabsichtigten Veränderungen der Texte. Beispiele: B. Brecht, Stücke der 20er Jahre und ihre Bearbeitung durch Brecht für das Theater am Schiffbauerdamm. G. Keller, ‚Der grüne Heinrich‘; E. Mörike, ‚Maler Nolten‘

Textgeschichte und Performanz Textveränderungen im Aufführungszusammenhang: Dramentext und Aufführung Beispiel: Schiller, ‚Don Carlos‘: für jede Aufführung zu lang. ‚Emilia Galotti‘ „nach Lessing“ (Frank Castorf)

Textgeschichte im Mittelalter (1) Hartmann von Aue, ‚Der arme Heinrich‘ (um 1180/90) Fassung der Handschrift E (Ende 13. Jh.): ohne Prolog; dadurch fehlen die Autornennung und die Angaben zu Ziel und Absicht des Textes. Fassung der Handschriftengruppe B (14. Jh.): mehrfach verdeutlichende Zusatzverse. Zusatzverse auch in Hs. D. Alternativer Erzählschluss in der Hss.-Gruppe B. Frage: Was ist eigentlich ‚Der arme Heinrich‘? Wie sind die unterschiedlichen Fassungen „autorisiert“?

Textgeschichte im Mittelalter (2) Heinrich von Morungen, In sô hôher swebender wunne (MF 125,19) Überlieferung in der Hs. A: nur 1. Strophe. Fragen: - an welcher Stelle der Textgeschichte steht die einstrophige Fassung, an welcher die mehrstrophige; - welche Fassung stammt von Morungen? Beide?

Folgerungen: Was ist das „Werk“? „Werk“ ist in der mittelalterlichen Literatur die Summe der überlieferten Werk-Zustände. Unterschiedliche Werkzustände verdanken sich unterschiedlichen Interessen und/oder Funktionen. „Werk“ als vom Autor stammende „Idee“ in unterschiedlichen „Aggregat-Zuständen“. Aufgabe der Textanalyse: die unterschiedlichen Werkzustände in ihrer je eigenen Historizität ernstzunehmen und als Hervorbringungen der jeweiligen Zeit zu analysieren.