„Sozialwissenschaftliche Daten als methodische Konstruktion“

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„Sozialwissenschaftliche Daten als methodische Konstruktion“ Westfälische Wilhelms-Universität Münster Zentrum für Wissenschaftstheorie Ringvorlesung: Daten und Belege in den Wissenschaften „Sozialwissenschaftliche Daten als methodische Konstruktion“ Franz Breuer Psychologisches Institut III der Universität Münster

„Sozialwissenschaftliche Daten als methodische Konstruktion“ Franz Breuer: „Sozialwissenschaftliche Daten als methodische Konstruktion“ Gliederung: Gegenstandsauffassungen und Methodologien in der Geschichte der Psychologie Gegenstandsauffassung, prominente Methoden und die resultierende Art der Daten in der derzeitigen wissenschaftlichen Psychologie Der Mainstream der akademischen Psychologie und die eigene Positionierung Zwei „Komplikationen“ bei der Produktion humanwissenschaftlicher Daten:  Subjektivität, Personbedingtheit  Interaktivität : „normalwissenschaftliche“ Standard-Positionen vs. Idee der Deutung als „Erkenntnisfenster“ Fazit und Ausblick

im deutschen Sprachraum (1) Derzeitige Standard-Einordnung der akademischen Psychologie im deutschen Sprachraum (1) wissenschaftliche Psychologie „Geisteswissenschaft“ „Sozialwissenschaft“ „Naturwissenschaft“ Experimentalpsychologie Kritischer Rationalismus

im deutschen Sprachraum (2) Derzeitige Standard-Einordnung der akademischen Psychologie im deutschen Sprachraum (2) „Im Zentrum der Philosophie von Sir Karl Popper, der sich heute vor allem die empirischen (insbesondere die naturwissenschaftlichen) Forschungsdisziplinen anschließen, steht der Kritische Rationalismus, welcher zumindest zwei Grund-annahmen enthält: Es gibt eine vom erkenntnissuchenden Menschen unabhängige (‚objektive‘) externe Welt. Diese externe Welt lässt sich wenigstens teilweise empirisch erfassen. Allerdings sind alle Beobachtungen immer schon ‚theoriegeladen‘, indem nämlich in die Beobachtungsvorgänge immer auch theoretische Vorannahmen des Untersuchers mit eingehen. Auch lassen sich Theorien nie beweisen, sondern bestenfalls nur ‚bekräftigen‘, insofern nämlich zunehmende unterstützende Einzeltatsachen bekannt werden. Die dabei zu untersuchenden Hypothesen sind nach Karl Popper im Sinne einer empirischen Prüfung und Widerlegbarkeit (‚Falsifizierbarkeit‘) zu erforschen.“ Viktor Sarris & Siegbert Reiß: Kurzer Leitfaden der Experimentalpsychologie. München u.a.: Pearson Studium 2005, S. 22

Beschreibungs-Differenz und „Tiefen“-Information „ ... Entstehung von Informationen eines neuen logischen Typs aus der Nebeneinanderstellung vielfältiger Beschreibungen ... Im Prinzip ist zusätzliche ‚Tiefe‘ in einem metaphorischen Sinne immer dann zu erwarten, wenn die Informationen für die beiden Beschreibungen unterschiedlich zusammengestellt oder unter-schiedlich codiert werden.“ Gregory Bateson: Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1982, S. 90.

Methodologische Standard-Auffassung von „Objektivität“ und „Reliabilität“ bei der Datenerhebung „Objektivität: Die Messergebnisse dürfen nicht vom Untersucher selbst abhängig sein; d.h. verschiedene Untersucher müssen bei ihrer Datenerhebung wenigstens im Prinzip zu identischen Ergebnissen gelangen; d.h. das Verfahren muss so geartet sein, dass es eine intersubjektiv übereinstimmende Auswertung ermöglicht. Mit Reliabilität ist die (messtechnische) Zuverlässigkeit des Ver-fahrens gemeint. Ein vollkommen reliables Verfahren führt ... zu verschiedenen Zeitpunkten im Prinzip zu identischen Messwerten für ein und denselben Sachverhalt. ... allerdings ... die Verfahren haben typischerweise einen ‚Messfehler‘, der ein Maß der Variation der Messwerte bei wiederholten Messungen ist ...“ Viktor Sarris & Siegbert Reiß: Kurzer Leitfaden der Experimentalpsychologie. München u.a.: Pearson Studium 2005, S. 90.

Übertragung und Gegenübertragung Übertragung: „Der Analysand, der gegenüber einer emotional signifikanten Person charakteristische Reaktionen entwickelt hat, neigt dazu, auf den Analytiker ... zu reagieren, als ob dieser die Person sei, und verzerrt dabei manchmal die Realität in grober Weise.“ Gegenübertragung: „ ... ist die Summe aller Verzerrungen, die im Wahrnehmungsbild des Psychoanalytikers von seinem Patienten und in seinen Reaktionen auf ihn auftreten. Sie führen dazu, daß er seinem Patienten antwortet, als sei er eine von dessen frühkindlichen Imagines, und sich in der analytischen Situation verhält, wie es seinen eigenen ... unbewußten Bedürfnissen, Wünschen und Phantasien entspricht.“ Georges Devereux: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. München: Hanser 1973, S. 64.

Standardauffassung zur Interaktionscharakteristik psychologischer Untersuchungssituationen „Der Vl soll dafür sorgen, dass sich die Vp in der Untersuchungssituation möglichst wohl fühlt. Angst, Unsicherheit etc. von Vpn oder Versuchstieren sind Störvariablen. Schon aus diesem Grund sollte man sie möglichst vermeiden. Die Vp sollte nicht nur freundlich und höflich begrüßt, sondern auch ebenso verabschiedet werden. ... Die anfängliche Angst, Spannung etc. von Vpn in einer Untersuchungs-situation kann man mildern durch eine so genannte Anwärmphase (Adaptationsphase). ... Empfehlenswert ist es z.B., mit der Vp zunächst ein wenig zu plaudern. ... Im Umgang mit der Vp und der Gestaltung des Ablaufs muss man unbedingt darauf achten, dass die Vp nicht die Hypothese des Vl errät. ...“ Oswald Huber: Das psychologische Experiment: Eine Einführung. Bern: Huber (4., vollständig überarbeitete Auflage) 2005, S. 127ff.

Interaktionsbedingtheit der Datenproduktion (1) „Der Verhaltensforscher muß lernen zuzugeben, daß er niemals ein Verhaltensereignis beobachtet, wie es in seiner Abwesenheit ‚stattgefunden haben könnte‘, und daß ein Bericht, den er zu hören bekommt, niemals mit dem identisch sein kann, den derselbe Berichterstatter einer anderen Person gibt.“ Georges Devereux: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. München: Hanser 1973, S. 29.

Interaktionsbedingtheit der Datenproduktion (2) „Statt die Störung, die durch unsere Anwesenheit im Feld oder im Laboratorium entsteht, zu beklagen und die Objektivität von Verhaltensbeobachtungen in Frage zu stellen, sollten wir das Problem konstruktiv zu lösen und herauszufinden suchen, welche positiven Erkenntnisse - die sich auf anderem Wege nicht erhalten lassen - wir von der Tatsache ableiten können, daß die Gegenwart eines Beobachters (der dieselbe Größenordnung hat, wie das, was er beobachtet) das beobachtbare Ereignis stört.“ Georges Devereux: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. München: Hanser 1973, S. 304.