Die Anwendung von Art. 4 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 bei Ausschreibungen

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 Präsentation transkript:

Die Anwendung von Art. 4 Abs. 5 VO (EG) 1370/2007 bei Ausschreibungen Dr. Markus Dönneweg Rechtsanwalt Fachanwalt für Arbeitsrecht Rechtsanwälte Abel und Kollegen www.abel-kollegen.de

Art. 4 Abs. 5 S. 1 VO 1370 ermächtigt den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes zu verpflichten, den Arbeitnehmern des bisherigen Betreibers, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang im Sinne der Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Art. 4 Abs. 5 S. 2 VO 1370 ermächtigt, den Betreiber zu verpflichten bestimmte Sozialstandards einzuhalten. Ob und in welchem Umfang die zuständige Behörde den neuen Betreiber gem. Art. 4 Abs. 5 VO 1370 verpflichtet, steht in ihrem Ermessen, da sie ermächtigt, aber nicht verpflichtet ist. Art. 4 Abs. 5 VO 1370 ist eine arbeitsrechtliche Regelung, die unabhängig davon gilt, ob Aufträge nach den Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, der Verordnung 1370 oder gemäß GWB i. V. m. der VOL/A vergeben werden. Die Verordnung ist insoweit spezieller als das Vergaberecht.

Warum sollte die zuständige Behörde von der Ermächtigung Gebrauch machen? Qualität der bisherigen Dienstleistungen bleibt erhalten, da qualifiziertes Personal, das mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist, weiterbeschäftigt wird , Verhinderung von Sozialdumping, insoweit gesetzgeberische Zielsetzung wie Tariftreueregelungen, Schutz vor Lohnkostenwettbewerb, Verhinderung von Arbeitslosigkeit: Bei Verlust des Auftrages sind häufig mangels alternativer Beschäftigungsmöglichkeit betriebsbedingte Kündigungen die Folge. Neueinstellungen beim neuen Betreiber erfolgen regelmäßig zu schlechteren Arbeitsbedingungen (Grenze Tariftreueregelungen), einhergehend mit Verlust des Sozialbesitzstandes, Stabilisierung und Schutz des Sozialversicherungssystems, Sicherung von Mindestarbeitsbedingungen.

Anordnung einer Personalüberleitung im Ausschreibungsverfahren   «Unbeschadet« des nationalen Rechts, des Gemeinschaftsrechts einschließlich der Tarifverträge bedeutet, dass die Regelungen der Richtlinie 2001/23/EG als Mindestinhalt angeordnet werden können, womit die Anordnung eines weitergehenden nationalen Arbeitnehmerschutzes gem. § 613a BGB oder tariflicher Regelungen nicht ausgeschlossen ist. Aufgrund der Ermächtigung können die Rechtsfolgen des § 613a BGB angeordnet werden, unabhängig davon, ob ein Betriebsübergang im Sinne dieser nationalen Vorschrift gegeben ist.

Welche Vorteile bietet eine Personalüberleitung? Vermeidung von Arbeitslosigkeit: Rechtssicherheit für die betroffenen Arbeitnehmer, was die Weiterbeschäftigung angeht. Je nach Umfang der Anordnung ist auch ihr Besitzstand vollständig, zumindest teilweise gewahrt. Ansonsten ist eine Neuvergabe nicht ohne weiteres mit einem Betriebsübergang verbunden, so dass den betroffenen Arbeitnehmern eine betriebsbedingte Kündigung droht. Durch die Ermächtigung soll die Belegschaft des bisherigen Betreibers davor geschützt werden, dass mit der Vergabe eines öffentlichen Dienstes an einen anderen Betreiber Arbeitsplätze verloren gehen. Wird die Personalüberleitung nicht angeordnet, trägt der bisherige Betreiber die Risiken, die mit evtl. betriebsbedingten Kündigungen einhergehen. Je nach Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ist die entsprechende Personalmaßnahme, soweit ein Betriebsrat existiert, sozialplanpflichtig, somit für den bisherigen Betreiber mit erheblichen Kosten verbunden. Er trägt das Risiko von Kündigungsschutzverfahren. Beteiligt sich der bisherige Betreiber am Ausschreibungsverfahren trägt er das Risiko, dass er unterlegen ist. Solange er sich am Ausschreibungsverfahren beteiligt, kann er rechtlich keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen, da noch nicht feststeht, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht gegeben ist. Sog. Vorratskündigungen sind unwirksam. Für den Fall, dass der bisherige Betreiber im Vergabeverfahren unterliegt, kann er erst mit Bekanntgabe dieser Entscheidung betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Er trägt also das Risiko, dass er die entsprechenden Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigen kann, sie allerdings während der möglicherweise langen Kündigungsfrist (gesetzlich bis zu 7 Monate zum Monatsende) weiter vergüten muss. Der neue Betreiber verfügt bei einer Personalüberleitung über entsprechend qualifiziertes ortskundiges Personal.

Anordnung der Einhaltung von Sozialstandards Der zuständigen Behörde ist Ermessen eingeräumt, ob sie den Betreiber verpflichtet, über die Rechtsfolge der Richtlinie 2001/23/EG hinaus zusätzlich bestimmte Sozialstandards einzuhalten oder unabhängig davon „nur“ bestimmte Sozialstandards einzuhalten.   Mit dieser Möglichkeit geht der Schutzzweck der Vorschrift über die Bestandssicherung des Arbeitsverhältnisses hinaus. Der Berücksichtigung sozialer Aspekte kommt bei der Auftragsvergabe neben rein wirtschaftlichen Zielsetzungen auch eine bedeutende sozialpolitische Lenkungsfunktion zu. Die zuständige Behörde hat hinsichtlich der Sozialstandards ein Auswahlermessen.

Sozialstandards Sozialstandards im weitesten Sinne: Sämtliche Übereinkommen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, die auf eine Verbesserung der Situation der Beschäftigten abzielen (z. B. Urlaubsregelungen, Sozialversicherung, Arbeitssicherheit) Weitere Sozialstandards: gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit von Mann und Frau Schutz erworbener Rechte bei Betriebsübergang einzelne Rechtsfolgen nach § 613a BGB können ebenfalls Sozialstandards sein Möglichkeit des Erziehungsurlaubes sog. Kernarbeitsrechte (z.B. die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Verbot der Zwangsarbeit, das Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz und das Verbot zur Kinderarbeit) Beschäftigung von Auszubildenden die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen Maßnahmen zur Frauenförderung gleiche Bezahlung für Leiharbeitnehmer Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz sieht es sogar für sozialpolitisch erstrebenswert an, wenn ausschließlich Unternehmen und/oder Nachunternehmer mit festangestellten Mitarbeitern beauftragt werden. § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB biete Handlungsmöglichkeiten, den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu untersagen Einhaltung eines Mindestlohns Tariftreuerklärung Anordnung der Geltung von § 112 Abs. 4 und Abs. 5 BetrVG Anordnung der Geltung bestimmter tariflicher Regelungen, z. B. Tarifentgelt oder auch bestimmter Tarifverträge.

Tariftreueerklärungen stehen in Einklang mit der sog Tariftreueerklärungen stehen in Einklang mit der sog. Rüffert-Entscheidung des EuGH. Der EuGH hat zwar Tariftreueklausel wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) beanstandet, diese ist jedoch nur zu beachten, wenn eine Harmonisierung im Verkehrsbereich gegeben wäre. Nur dann wäre die Dienstleistungsfreiheit auch im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 1370/2007 zu beachten. Eine Harmonisierung im Verkehrsbereich ist im öffentlichen Personennahverkehr bisher aber nicht erfolgt. Die Erteilung eines Auftrages kann daher an eine Tariftreueklausel gebunden werden.

Rechtsfolgen des § 613a BGB als Sozialstandards Durch die Möglichkeit der Festlegung bestimmter Sozialstandards kann auch hinsichtlich des Umfangs der Rechtsfolgenanordnung des § 613a BGB abgewichen werden. Einzelne Rechtsfolgen können für die Gesamtdauer der Vergabe angeordnet werden: Als sozialer Besitzmindeststandard kann angeordnet werden, dass Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, soweit sie nicht ohnehin kollektivrechtlich fortbestehen, nicht erst nach einem Jahr erstmals kündbar sind oder dass sie nicht abgelöst werden können durch verschlechternde Kollektivregelungen. Der persönliche Geltungsbereich kann hinter derjenigen eines rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs zurückbleiben. So ist es denkbar, dass nicht alle in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer übernommen werden sollen, sondern nur diejenigen, die unmittelbar zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, also nur die im Fahrdienst tätigen Arbeitnehmer. Anordnung eines anderen Stichtages: Es ist zweckmäßig, auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vergabe abzustellen. Die Festlegung dieses Zeitpunktes dient dem Schutz der Bieter, damit verhindert wird, dass der bisherige Betreiber bis zum Übergangsstichtag die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verändert.  

Praxisbeispiele und Umsetzungsprobleme Auskunftserteilung durch den bisherigen Betreiber Stichtagsregelung Fortgeltung von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, Fortgeltung einzelner tariflicher Bestimmungen (Entgelthöhe) Betriebliche Altersversorgung Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 5 BGB und Informationsschreiben Beamte des BEV Anreize des bisherigen Betreibers für die Arbeitnehmer der Personalüberleitung nicht zu widersprechen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit