Vortrag für Weinheimer Kontake Düsseldorf am

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Klinische Theorie der systemischen Therapie - Kurzform -
 Präsentation transkript:

Vortrag für Weinheimer Kontake Düsseldorf am 21.11.2009 Zum Störungsbegriff in der systemischen Therapie – sowie ein kurzes Update vorweg Vortrag für Weinheimer Kontake Düsseldorf am 21.11.2009 Dr. Kurt Ludewig © Hamburg / Münster

Systemische Therapie Literaturhinweise des Referenten Klett-Cotta 1992, 19974 Hogrefe 2000 Klett-Cotta 2002 Carl-Auer 2005, 20092 Dr. K. Ludewig November 2009

Themenbezogene Literatur des Referenten Ludewig, K., T, von Villiez (1984), Warum systemische Therapeuten Systeme wie die Psychiatrie nicht vermeiden sollten. In: Z system. Therapie 2(1): 29-38. Ludewig, K., R. Schwarz, H. Kowerk (1984), Systemische Therapie mit Fami-lien mit einem “psychotischen” Jugendlichen. In: Familiendynamik 9: 108-125. ***Ludewig, K. (1989), “Realität”, Realitäten - »Normale«, Verrückte. Refle-xionen zur Realität von Zuordnungskategorien am Beispiel der Schizophrenie. In: Rotthaus, W. (Hrsg.): Psychotisches Verhalten Jugendlicher. Dortmund (modernes lernen), S. 16-41. ***Ludewig, K. (1996), Zum Krankheitsbegriff in der Psychiatrie - eine systemi-sche Betrachtung. In: Greve, N., T. Keller (2002)(Hrsg.). Heidelberg (Carl-Auer-Systeme), S. 45-61. ***Ludewig, K. (2006), “Was wäre wenn... Psychiatrie systemisch gesehen”. Festvortrag zum 15-jährigen Jubiläum der Psychiatrischen Tagesklinik der Diakonie Flensburg. *** Zu finden unter: http://www.kurtludewig.de/allg-Texte November 2009 Dr. K. Ludewig

Literaturauswahl zum Thema - Hähnlein, V., J. Rimpel (Hrsg.)(2008), Systemische Psychosomatik. Stuttgart (Klett-Cotta) - Ruf, G.D. (2005), Systemische Psychiatrie. Stuttgart (Klett-Cotta) - Schweitzer, J., A. von Schlippe (2007), Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Göttingen (V&R). - Sydow, K. von, S. Beher, R. Retzlaff, J. Schweitzer (2007), Die Wirksamkeit der Systemischen Therapie / Familientherapie. Göttingen (Hogrefe). Aber auch: - Greve, N., Th. Keller (Hrsg.)(2002), Systemische Praxis in der Psychiatrie. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme) - Pritz, A., H. Petzhold (Hrsg.)(1992), Der Krankheitsbegriff in der modernen Psychotherapie. Paderborn (Junfermann). - Rotthaus, W. (Hrsg)(2001), Systemische Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapie. Heidelberg (Carl-Auer-Systeme). November 2009 Dr. K. Ludewig

Teil I Theoretisches Update November 2009 Dr. K. Ludewig

Systemische Praxis Nutzung systemischen Denkens für den professionellen Umgang mit Menschen bei der Linderung, Bewältigung, Klärung und/oder Auflösung ihrer persönlichen, zwischenmenschlichen und organisatorischen Probleme. November 2009 Dr. K. Ludewig

Systemische Therapie Pragmatische Umsetzung systemischen Denkens in die (psycho)therapeutische Praxis mit dem Ziel, menschliches Leiden zu verstehen, zu lindern und zu beenden. November 2009 Dr. K. Ludewig

Systemisches Denken Interdisziplinäre Denkbewegung: u.a. Systemtheorie, Selbstorganisation, Kybernetik, Auto-poiesis, Synergetik, Theorie dissipative Strukturen etc. Gegenstand: Komplexität und Vernetzung Ziel: „komplexitätserhaltende Komplexitätsreduktion“ Menschenbild: Polysystemisches Lebewesen, das zugleich biologisch selbst-ständig, psychisch polyphren und kommunikativ vielfältig eingebunden ist. Erkenntnistheorie: Theorie des Beobachtens bzw. Beobachter-Theorie November 2009 Dr. K. Ludewig

THEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN TEIL I THEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN Erkenntnistheoretische Grundlagen Sozialtheoretische Grundlagen Psychologische Grundlagen November 2009 Dr. K. Ludewig

Die Wirklichkeit der Wirklichkeit die zwei Säulen systemischen Denkens oder: die zwei Säulen systemischen Denkens < ein Cartoon von Hannes Brandau, 1991 > November 2009 Dr. K. Ludewig

Grundlagen systemischer Therapie: Beobachten und Beobachter “Beobachter” sind “linguierende” Lebewesen. “Beobachter” sind als autopoietisch organisierte Lebewesen zugleich einsame Erzeuger ihrer Realitäten und als „linguierende“ Lebewesen auf Konsensualität ausgerichtete, sozial konstituierte Lebewesen. November 2009 Dr. K. Ludewig

Systeme, Kommunikation und 2. Systeme, Kommunikation und Systemisches Denken November 2009 Dr. K. Ludewig

Einheiten und Systeme II Differenzierung R Relation E1 E2 Elemente G Grenze Differenz Einheit / Umwelt Differenz System / Umwelt November 2009 Dr. K. Ludewig

<nach N. Luhmann 1984 > Systeme <nach N. Luhmann 1984 > November 2009 Dr. K. Ludewig

Das soziale System <n. Niklas Luhmann> Systeme sind beschreibbar durch Angabe ihrer Elemente, Relationen und Grenze Für soziale Systeme gilt: Elemente = Kommunikationen Relationen = Anschlussbildungen Grenze = Sinngrenze November 2009 Dr. K. Ludewig

Kommunikation I <nach Niklas Luhmann> dreistelliger Selektionsprozess, bei dem erst der Adressat die Kommunikation als solche qualifiziert: 1) Wahl einer Information: was? 2) Wahl eines Mitteilungsverhaltens: wie? 3) Verstehen: Beobachten, d.h. Unterscheidung zwischen Information/Mitteilung und Auffassung der Beobachtung als Mitteilung 25.03.2017 Dr. K. Ludewig

? ! ... 25.03.2017 Dr. K. Ludewig

Kommunikation II <nach Niklas Luhmann> Die Folgen: ► Erst der Adressat qualifiziert eine Handlung als Kommuni- kation, wenn er der beobachteten Handlung den Sinn einer Mitteilung gibt. ► Kommunikation ist als selbstreferentielles, temporalisiertes (nicht räumliches), instabiles Geschehen prinzipiell offen für Zufälle, Unerwartetes, Missverständnisse, also ein riskanter Ablauf. ► Kommunikationen schließen sich zu einem Kommunikations- ablauf an ( => Anschlussbildungen) und bilden nach und nach Erwartungen (=> Erwartungsstrukturen), die das Risiko verringern, jedoch nicht ausschließen. November 2009 Dr. K. Ludewig

für die klinische Theorie: Nachtrag nach K. Ludewig 1987, 1992 Eine Bestimmung des Interaktionssystems für die klinische Theorie: Das Mitglied-Konzept November 2009 Dr. K. Ludewig

Ein Modell für die klinische Theorie Interaktionssystem I <nach K. Ludewig 1992> Ein Modell für die klinische Theorie Problem: Bestimmung der Elemente, Relationen und der Grenze Lösungen: Elemente = Mitglieder <Soziale Operatoren bzw. Funktionseinheiten> Relationen = Anschlüsse <durch Kommunikationen> Grenze = Sinngrenze <Sinnkontinuität in der Zeitdimension> November 2009 Dr. K. Ludewig

Interaktionssystem II <nach K. Ludewig 1992> November 2009 Dr. K. Ludewig

c. Psychologische Grundlagen: Systemtheorie psychischer Systeme November 2009 Dr. K. Ludewig

Über psychische Systeme - Thesen Thesen: Psychische Systeme sind unbeständige, nicht beobachtbare kognitiv-emotionale Kohären- zen, die nur in Selbstreflexion / Kommunikation rekonstruierbar sind, verweisen immer auf eine Relation zu einem speziellen oder generali- sierten Anderen (= relationale Kohärenzen, relationale Identitäten, Selbste oder psychische Systeme), werden als temporalisierte Prozesse immer neu als Reaktion auf innere oder äußere Ansprüche produziert und reproduziert (=> psychisches Gegenstück zu den sozialen Mitgliedschaften eines Menschen). Schlussfolgerung: Jeder Mensch verkörpert vielfältige psychische Systeme, ist also im Normalzustand polyphren. Polyphrenie ist Normalität. November 2009 Dr. K. Ludewig

Entwicklung relationaler Kohärenzen Psychische Systeme (Selbste – Iche – Identitäten) ⇆ KINDMUTTER ⇆ MUTTERKIND KINDMUTTER RELATIONALE MITGLIED MITGLIED IDENTITÄTEN INTERAKTIONSSYSTEM ⇆ MUTTERKIND ⇆ KINDMUTTER MUTTERKIND November 2009 Dr. K. Ludewig

Der Mensch beginnt mindestens zu zweit ! Zusammenfassung: Jedes ICH – ein Unterschied - bedarf, ob als psychisches System oder als Mitglied, einer faktischen oder gedachten Relation zu einem anderen ICH, also einem DU, um überhaupt im WIR entstehen zu können. Der Mensch beginnt mindestens zu zweit ! November 2009 Dr. K. Ludewig

Das systemische Prinzip 3. Das systemische Prinzip November 2009 Dr. K. Ludewig

Systemisches Denken - das systemische Prinzip - Menschen sind konstitutiv veranlagt, ihre biologische Individualität durch Konsensualisierung zu überschreiten. Dafür benötigen sie existentiell andere, denen Gleich-artigkeit zugeschrieben wird. Erkennen heißt Unterscheiden. ICH kann als ICH erst im Unterschied zu einem anderen Ich, also einem DU, ent-stehen. Ich und Du => WIR. Erst im WIR <Soziales System> entsteht das Menschsein. Das WIR hebt in sich die biologisch-individuelle und die sozial-kommunikative Identität des Menschen auf => das systemische Prinzip November 2009 Dr. K. Ludewig

Klinische Theorie: Gegenstand Störungskonzept Veränderungskonzept < Theorie der klinischen Praxis> Gegenstand Störungskonzept Veränderungskonzept Therapeutischer Prozess Methodischer Rahmen November 2009 Dr. K. Ludewig

Klinische Theorie: Gegenstand und Methode Konzeptualisierung psychischen Leidens unter Betonung auf: - Menschliche Autonomie statt heteronomer Bestimmung - Offenheit kommunikativer Prozesse statt kausaler Zwangsläufigkeit - Ressourcen- und Lösungsorientierung statt Problemfokussierung Methodologie: Beitrag zur Herstellung geeigneter/günstiger Randbedingungen für die auftragsbezogene Selbstveränderung des/der Klienten durch eine nützliche, passende und respektvolle therapeutische Interaktion --- statt lineal-kausal intendierte, pathologisch motivierte, allein auf Wirkung ausgerichtete, standardisierte Intervention. November 2009 Dr. K. Ludewig

„Handele wirksam, ohne im voraus zu wissen, wie, Konzepte systemischer Therapie: Das Therapeutendilemma I „Handele wirksam, ohne im voraus zu wissen, wie, und was Dein Handeln auslösen wird!" November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Das Therapeutendilemma II Denn psychische / soziale Systeme sind: undurchschaubar (nicht-trivial) nicht-instruierbar (autopoietisch) selbstreferentiell (Sinn) Das hat zur Folge: Unmöglichkeit exakten Diagnostizierens Unbestimmtheit von Interventionen Unvorhersagbarkeit von Kommunikation Folgen für die klinische Theorie: Akzeptanz subjektiver Problemdefinitionen Verzicht auf gezielt kausale Interventionen Vertrauen auf förderlichen Dialog Lösungen: Herstellung günstiger (Rand-) Bedingungen durch: Orientierung am ausgehandelten Auftrag (Ziel)  Nutzen Wahl "passender" Interventionen  Schönheit Verwirklichung einer respektvollen Haltung  Respekt November 2009 Dr. K. Ludewig

ANLIEGEN UND AUFTRAG – Kommunikationen AUFTRAG Anleitung Begleitung Hilfe Suchende Professionelle ANLIEGEN: HILFE ANLIEGEN: HELFEN AUFTRAG Anleitung Begleitung Beratung Therapie Durchführung Beendigung Kontrolle Spezifisches Hilfssystem November 2009 Dr. K. Ludewig

Individuelle „Lebensprobleme“ interaktionelle „Problemsysteme“ „Klinisch“ relevante „Probleme“ Individuelle „Lebensprobleme“ (Verhaltens- und Erlebensmuster <psychisches System> eines Individuums, das repetitiv reproduziert wird und Leid auslöst) und interaktionelle „Problemsysteme“ (kommunikativ-interaktionelles Muster <soziales System>, das ein leidvolles Problem sozial reproduziert). November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Thesen zur therapeutischen Veränderung Menschliche Probleme folgen der „Logik“ einer konservativen emotionalen Dynamik: Angesichts der Ungewissheit bezüglich Änderungen gilt es, lieber auszuhalten als eine Veränderung zu riskieren, die alles noch verschlimmern könnte (Vermeidungsaspekt). Notwendige Veränderungen, die als riskant erlebt werden, erfordern daher ein Wagnis. Psychotherapie soll Bedingungen schaffen, die ein Wagnis begünstigen und so auch einen Wechsel der Präferenzen ( mehr-vom-anderen). November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Veränderungsziele Individualtherapie zielt auf die Auflösung psychischer Systeme (psychische Probleme) Systemtherapie zielt auf die Auflösung interaktioneller Systeme (Problemsysteme) Dabei heißt „Auflösung“ := Beendigung der Prozesse, die intrapsychisch oder interaktionell ein Problem reproduzieren. November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Veränderungstheorie Systemische Therapie versteht sich als Beitrag zur Herstellung eines für die Selbstveränderung des Hilfe Suchenden günstigen Rahmens. Sie fördert Vertrauen durch eine stabile therapeutische Beziehung und regt einen Wechsel der Präferenzen an. Sie versteht sich nicht als kausales Verändern. November 2009 Dr. K. Ludewig

Therapeutischer Prozess - eine topologische Analogie November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Aufgaben des Therapeuten 1. Anliegen/Auftrag Klärung/Erarbeitung des/der Anliegen und Aushandlung/Verein-barung eines operablen Auftrags 2. Intervention a. Würdigung Das Anerkennen/Bestätigen der Klienten ist Grundlage für eine hilfreiche therapeutische Bezie-hung, die Vertrauen fördert und so die Bereitschaft zu den not-wendigen Wagnissen. b. Intervenieren Auftragsbezogene Anregung zum Wechsel der Präferenzen (=> Alternativen zu wagen) November 2009 Dr. K. Ludewig

Konzepte systemischer Therapie: Methodischer Rahmen: 10+1 Leitsätze/-fragen 1 Definiere Dich als Übernehme ich Verantwortung Therapeut!................ als Therapeut? 2 Sieh Dich! ................ Stehe ich zu meinen Möglichkeiten? Gehe von Deinen Klienten aus! .............. Wessen Maßstäbe lege ich an? 4 Werte förderlich! ........ Suche ich nach Öffnendem? 5 Beschränke Dich! ....... Fokussiere ich auf das Nötigste? 6 Sei bescheiden! ........... Sehe ich mich als Ursache? 7 Bleibe beweglich! ....... Wechsele ich meine Perspektiven? 8 Frage konstruktiv! ...... Stelle ich Fragen, die weiterführen? 9 Interveniere sparsam!.. Rege ich behutsam an? 10 Beende rechtzeitig!..... Kann ich schon beenden? +1 Befolge nie blind Leitsätze! Wende ich die Leitsätze kontextadäquat an? November 2009 Dr. K. Ludewig

Störungsbegriffe der Psychotherapie November 2009 Dr. K. Ludewig

Von Störungen, Problemen und Lösungen "Störung„ bedeutet nach dem Wörterbuch: Ablenkung, Unterbrechung, Hemmung bzw. eine irgendwie hervorgerufene Beeinträchtigung. „Störung“ meint also eine Abweichung von einer sonst normalen Funktionsweise. Um eine Störung zu erkennen, muss daher ein Wissen über den ungestörten Ablauf vorliegen (mechanistischer Begriff) Die biologischen Systeme setzen sich aber aus verschiedenen, komplex und rekursiv miteinander interagierenden Systemen zusammen. Ihr rekursiver Aufbau und die Variabilität ihrer Arbeitsweise erlauben es nicht, zu einer gegebenen Zeit den aktuellen Zustand eines biologischen Systems präzise zu erfassen. Daher kann bei diesen Systemen weder die klare Feststellung einer etwaigen Störung noch die einfache Durchführung einer Reparatur erwartet werden. Wobei wiederum: „Lösung“ ein Begriff aus der Mathematik ist, der sich vom „Problem“ direkt ableiten lässt (mathematische Begriffe). November 2009 Dr. K. Ludewig

Nachdenkenswerte Kontroverse aus der griechischen Antike Schule von Knidos Medizinhistoriker beschreiben sie als gewissenhafte, ganz dem selbstlosen Helfen verpflichtete Praktiker. Als detailverliebte Empiriker vernachlässigten sie aber den Gesamtzusammenhang und behandelten jedes Symptom eigenständig. Ihr Denken fiel - historisch gesehen - dem engen analytischen Streben zum Opfer: Sie blieben buchstäblich im Detail stecken. Schule von Kos Die Ärzte auf Koslehnten die knidische Medizin kategorisch ab - kritisierten ihre theoretische Begründung als oberflächlich und rein deskriptiv, geiβelten ihre Heilverfahren als willkürlich, ja sogar schädlich. Ihr wichtigster Vertreter, Hippokrates, gab der Medizin eine praktikable Theorie, indem er ihre Methoden auf das Menschenbild seiner Zeit abstimmte. Der Arzt sollte zwar Abweichungen vom Zustand völliger Gesundheit feststellen, zugleich aber die besondere Situation des Kranken berücksichtigen - das Indiduum und seine Symptome ebenso respektieren wie das Wesen des Menschen und der Krankheit. Zudem sollte der Arzt das gesamte Umfeld des Kranken einbeziehen. November 2009 Dr. K. Ludewig

Grundmodelle psychischer „Störungen“ Das sog. medizinische Modell fasst psychische Beeinträchtigung in Anlehnung an die somatische Medizin auf, und zwar als Symptom für körperliche Erkrankungen, erbliche Defizite oder erworbene organische Defekte bzw. als Symptom für verborgene seelische Konflikte und Defizite. Das sozionormative Modell geht vom Krankheitsmodell auf Abstand und fokussiert Verhaltensanomalien als Folge von Lernprozessen, deren Ergebnisse unüblich oder unerwünscht sind und so von statistischen Normen bzw. sozio- normativ vermittelten Erwartungen abweichen. Das interaktionelle Modell erweitert den Fokus auf den zwischenmenschlichen Kontext und betrachtet Lebensprobleme als Folge oder Begleitumstand ungünstiger Erfahrungen in sozialen Beziehungen, etwa Dysfunktionalitäten in Familien und anderen sozialen Systemen. Problem: Alle drei Modelle fokussieren auf nur einen der drei wesentlichen Aspekte menschlichen Seins: bio-psycho-sozial. November 2009 Dr. K. Ludewig

Störungsbegriffe der Psychotherapie In mehr oder weniger enger Anlehnung an medizinische Klassifikationsschemata mit dem Ziel, kausal anzusetzen: Erst Diagnose, dann Therapie Therapieschule Störungskonzept Therapie Psychoanalyse Psychischer Konflikt/Defizit Korrigierende Erfahrung (Übertragungsneurose) Verhaltenstherapie Lernstörung/Lerndefizit Umlernen, Verlernen, Anpassung (Störungsspezische Intervention) Humanistische Th. Blockiertes Selbstpotential Selbstentfaltung (Klientenzentrierter Dialog) Familientherapie Dysfunktionalität der Familie Veränderung der Familie (Systembezogene Intervention) Neuro- Folgen von Inkonsistenz Vereinbarkeit zwischen neuronalen psychotherapie und Inkohärenz (Grawe) und psychischen Prozessen November 2009 Dr. K. Ludewig

Ein systemisches Konzept: Bedingungen I Psychische „Störungen“: ein polysystemisches, bio-psycho-soziales Phänomen Bedingungen: biologisch = neurophysiologische, kognitive und emotionale Vulnerabilität („Begabung“) sozial = reale/wahrgenommene, überfordernde Erwartungen/ Forderungen/Wertungen im Umgang mit der sozialen Umwelt („Stressoren“) bei Mangel an protektiven Faktoren psychisch = „eigenartiger“ Sinngebungsprozess der inneren Empfindungen bzw. der äußeren Resonanz (Partieller bis totaler Rückzug aus der gemeinsamen Realität) November 2009 Dr. K. Ludewig

Ein systemisches Konzept: Elemente II Definition: Individuell und/oder interaktionell ausgelöstes und durch Wiederholung aufrecht erhaltenes Verhaltensmuster und/oder Erlebensmuster, das als Problem bewertet (= veränderungsbedürftig), als leidvoll erlebt und in der Regel als nicht gezielt beeinflussbar wahrgenommen wird. Elemente: Negative Wertung - leidvolles Erleben – autonomer Verlauf Differentielle Abwägung: Je nachdem, welcher Aspekt im Vordergrund steht oder am ehesten als veränderungsfähig erscheint, soll die Therapie auf die beteiligten biologischen, psychischen oder soziale Systeme ausgerichtet werden. November 2009 Dr. K. Ludewig

„Überlebensdiagnostik“ These: Menschen, die Probleme erzeugen und reproduzieren, können damit aufhören bzw. diese durch angenehmere, häufig bereits vorhandene Alternativen ersetzen. Systemische Praxis lenkt die Aufmerksamkeit von den Problemen auf Alternativen bzw. Ressourcen. Systemische Diagnostik sucht nach Bewältigungsstrategien, die bisher halfen, entsprechende Widrigkeiten, Mängel, Hindernisse usw. zu überstehen, also zu überleben. Systemische Diagnostik operiert mit der Leitdifferenz: "hilfreich-nicht hilfreich" bzw. "förderlich/nicht förderlich (anstelle von krank/gesund o.ä.). November 2009 Dr. K. Ludewig

Störungsspezifische systemische Therapie? November 2009 Dr. K. Ludewig

Allgemeine systemische Therapie Systemische Therapie versteht sich als praktische Umsetzung einer spezifischen Denkweise und der daraus abgeleiteten therapeutischen Haltung in die psychotherapeutische Arbeit, und zwar mit unein- geschränktem Anwendungsbereich – sie strebt daher keinen spezifischen Umgang mit verschiedenen Problemtypen an. Das technische Instrumentarium kann durch die Techniken anderer Ansätze problemlos ergänzt werden.

Dennoch: Manche „Störungsbilder“ zeigen untereinander Ähnlichkeiten im Verlauf, deren Beachtung sinnvoll sein kann, u.a. Adoleszenz-Magersucht, Jugendliche Psychose, PTBS, frühkindliche Deprivation, Enuresis usw.

Mermale systemischer Therapie Lebensproblem / Problemsystem: Beachtung des Unterschieds individueller / kommunikativer Probleme Erweiterung: Wege finden, um leidende, eingeschränkte Menschen auf die Breite ihres Möglichkeitshorizonts zu besinnen, sowie um jene, die isoliert oder zum Schweigen verurteilt leben, zur Aufnahme einer hilfreichen Kommuni- kation zu verhelfen. Kundenorientierung: Anliegenerkundung /Auftragsvereinbarung Ressourcenorientierung: Aktive, würdigende Suche nach Ressourcen Intervention: Balance zwischen Würdigung <versichernde Wertschätzung> und Öffnung <"Verstörung", Destabilisierung> Kriterien: nützlich, schön, respektvoll ✏✏✏ Methodischer Rahmen: 10 + 1 Leitsätze/Leitfragen November 2009 Dr. K. Ludewig

Techniken Fragen zirkuläres Fragen: Erkundung kontextueller Zusammenhänge konstruktives Fragen: Hypothetisches Umdeuten, Antesten von Alternativen dekonstruktives Fragen: Hinterfragen von Setzungen symbolisches Fragen: Genogramm, Metaphern Reflektieren Reflektierendes Team: Dialogisches Kommentieren im Team Abschlusskommentare: Ideenvermittlung am Ende der Sitzung 3 Empfehlen Hausaufgaben, "Symptomverschreibung", lösungsbezogene Ratschläge und Rituale (ermöglicht ein Neuerleben prägender Erfahrungen unter anderen Bedingungen) 4 Erzählen Metaphern, Geschichten, Neuordnen von "Fakten" 5 Dekonstruieren Dialektische Hinterfragung zugrunde liegender Setzungen und Glaubenssysteme 6 Externalisieren Personalisieren des Problems als extern zum Betroffenen 7 Darstellen Skulpturen, Stellungen, Familienbrett usw. Sonst Prinzipiell alle Techniken der bisherigen Psychotherapie. 25.03.2017 Dr. K. Ludewig

Fazit I Lösungsorientiertes Arbeiten benötigt kein spezifisches Störungswissen, nicht einmal Lösungswissen, aber beides kann unter bestimmten Umständen nützlich sein. Die Frage ist also nicht, ob wir Störungswissen, sozusagen, an- sich benötigen, sondern wann und wozu. Ein möglicher Bedarf entsteht, wenn man sich mit Vertretern traditioneller Ansätze koordinieren will: Man spricht dann die Sprache des anderen, vergisst aber hoffentlich die eigene nicht! November 2009 Dr. K. Ludewig

Fazit II Der in freier Praxis oder in psychotherapeutischen Institutionen arbeitende systemische Therapeut benötigt keinen Krankheitsbegriff . Ganz gleich, ob er systemische Therapie als lösungsorientiertes oder dialogisches Vorgehen versteht, kann er auf diagnostische Klassifikation und differentielle Indikation verzichten, kommt also ohne Krankheitsbegriff aus. Als Anlass für seine Arbeit betrachtet er das Ergebnis eines sinngebenden Bewertungsprozesses, der beim Betroffenen und/oder seinen Nächsten einen alarmierten Zustand ausgelöst und die Hilfesuche motiviert hat. Dabei hat man es nicht mit von Krankheit Befallenen zu tun, sondern mit Experten ihrer selbst, die neben ihren Beschwerden und Lebensproblemen auch über vielfältige Ressourcen bzw. Alternativen verfügen. Therapie kann deshalb als »Anregung zum Wechsel der Präferenzen«, aufgefasst werden. Der Betroffene wird ermuntert, sich zu vergegenwärtigen, dass er über Fähigkeiten und Möglichkeiten verfügt, die den leidvollen Prozessen entgegenstehen und zudem befriedigender sind November 2009 Dr. K. Ludewig

Fazit III Ob es sich um Ängste, Verwirrungen, Aggressionen, Depressionen oder Verrücktheiten handelt, geht diesen Beschreibungen immer die wertende Beobachtung von Prozessen voraus, die von Menschen 1) leibhaft ausgedrückt (biologischer Aspekt), 2) leidvoll erlebt und kognitiv verarbeitet (psychisch- emotionaler Aspekt) und 3) im Rahmen sozialer Interaktionen auffallen (sozio- normativer Aspekt). Diese Verwobenheit menschlicher Aspekte, die allesamt dem Reservoir menschlicher Erlebens- und Verhaltensqualitäten entstammen, bildet den Ausgangspunkt eines systemischen Verständnisses der psychopathologischen Auffälligkeiten. November 2009 Dr. K. Ludewig

Ende Präsentation zu finden unter: http://www.kurtludewig.de  Texte November 2009 Dr. K. Ludewig