Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung – Deutschland im internationalen Vergleich Regina Konle-Seidl IAB Nürnberg Werner Eichhorst IZA Bonn 3 November.

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Erwerbslosigkeit und soziale Ausgrenzung – Deutschland im internationalen Vergleich Regina Konle-Seidl IAB Nürnberg Werner Eichhorst IZA Bonn 3 November 2008 Friedrich Ebert Stiftung, Berlin

Studie „Aktivierung und soziale Ausgrenzung – Deutschland im internationalen Vergleich“ Internationale Vergleich umfasst folgende Länder: Deutschland, Frankreich und Niederlande, kontinentale Sozialstaatsmodell Spanien und Italien mediterrane Variante des kontinentalen Sozialmodells Großbritannien und die USA, angelsächsisch-liberale Modell Dänemark und Schweden, skandinavische Wohlfahrtsstaaten Polen post-kommunistisches Transitionsland Teilhabe und Inklusion eine unterschiedliche kulturspezifische Konnotation, die mit den verschiedenen sozialstaatlichen Traditionen der europäischen Staaten erklärt werden kann. Nach Kronauer (2007) ist in der angelsächsischen Vorstellung Teilhabe im Sinne von „Participation“ zu sehen. Teilhabe erfolgt über soziale Anrechte (Bürgerrechte), die den Zugang zu Institutionen sichern, die Lebenschancen entscheidend beeinflussen. Dazu gehören der Zugang zu Bildung, Gesundheit, soziale Sicherung und die finanzielle Absicherung eines Existenzminimums. Gesellschaftliche Teilhabe durch Integration in Erwerbsarbeit hat besonders in Deutschland und Frankreich einen herausragenden Stellenwert. Nach dem französischen Verständnis von „Inclusion“ bestimmt dagegen der Grad und die Qualität der Erwerbsbeteiligung soziale Wechselbeziehungen. Nach dem deutschen Modell des „Arbeitsbürger“ ist die Stellung über den Berufsstatus und die Absicherung eines statusorientierten Lebensstandards über Versicherungsleistungen entscheidend für Teilhabe. Der Sozialstaat Bismarckscher Prägung ist im Gegensatz zum angelsächsischen Modell traditionell eher auf Statuserhalt als auf Schutz vor Armut ausgerichtet. Fürsorgeleistungen als Hilfe zum Lebensunterhalt stellen in Frankreich oder Deutschland die letzte Säule (Last Resort) des sozialen Sicherungsnetzes dar. Zudem hat die Koppelung von Lohnarbeit mit starken Sozial- und Partizipationsrechten über Jahrzehnte hinweg einen Bürgerstatus konstituiert, der eine weitreichende Integration des Großteils der Lohnabhängigen in die Gesellschaft ermöglichte. Im deutschen Ernähermodell gab es stärker als in anderen Ländern eine Zentrierung auf Vollzeitbeschäftigung für den männlichen Haupternährer. Die Erosion der über Jahrzehnte stabilen Verklammerung von Lohnarbeit mit starken Schutzmechanismen kann deshalb mit als ein Grund für die „Wiederkehr sozialer Unsicherheit“ in der bundesrepublikanischen Gesellschaft betrachtet werden.

Fragestellungen ► Ist das Risiko sozialer Ausgrenzung in Deutschland gewachsen, und wie stellt es sich im Vergleich mit anderen Ländern dar? ► Worauf können ungleiche Teilhabechancen auf dem Arbeitsmarkt zurückgeführt werden? ► Können politische Maßnahmen, insbesondere die „aktivierende“ Ausgestaltung von sozialen Sicherungssystemen und das „Fördern und Fordern“ von Erwerbslosen, soziale Ausgrenzung vermindern? ► Gibt es hierzu vorbildliche Praktiken in andern Ländern? Einerseits soll geklärt werden, ob die in der Wissenschaft und in der beschäftigungspolitischen Diskussion etablierten Einschätzungen von beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern zutreffend sind. Treffen sie auch noch zu, wenn es nicht allein um den Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern um die Integration von Langzeiterwerbslosen und Inaktiven geht? Oder werden hier bei relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht? Welche Rolle kommt dabei der konkreten Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme zu? Annahmen über die Stärken und Schwächen der einzelnen Länder bzw. Wohlfahrtsstaatstypen werden in Bezug auf Inklusion einer empirischen Bewertung unterzogen. Andererseits soll untersucht werden, ob es Erfolg versprechende Ansätze zur Integration von nichterwerbstätigen Transferbeziehern mit geringer Beschäftigungsfähigkeit gibt, von denen die Politik in Deutschland lernen kann. Insbesondere soll es um die Identifikation von Politikmodellen und Reformansätzen gehen, die in der gegenwärtigen Situation zu Einstiegen in den Arbeitsmarkt von Inaktiven und Erwerbslosen sowie zu einer verbesserten Chance auf Aufwärtsmobilität führen können.

Soziale Ausgrenzung = mehrdimensionales Phänomen Mangel an Verwirklichungschancen (Amaryta Sen) ► Mangel an finanziellen Verwirklichungschancen ► Mangel an gesellschaftlich bedingten Chancen ► Mangelnde Teilhabechancen führen zu Mangel an Verwirklichungschancen, wenn finanzielle Ressourcen eingeschränkt sind und gesellschaftlich bedingte Chancen eingeschränkt sind, Speziell Zugang zu Erwerbsarbeit und Bildung Ausgestaltung des sozialen Sicherungssystems die Ausgestaltung der Bildungssystems durchlässige Gesellschaftsstrukturen Oder werden bei einem relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht?

Mangel an finanziellen Verwirklichungschancen Messung von Einkommensarmut ► EU-Ebene (relative Armut) Armutsgefährdungsquote: 60% des mittleren, bedarfsgewichteten HH-Nettoeinkommens Relative Armut: 50% ; strenge Armut: 40% Verfestigte Armut: Arm in zwei aufeinanderfolgenden Jahren ► SGB II (sozialstaatlich definierte Armut) Soziokulturelle Existenzminimum = Bedürftigkeitsgrenze Konsumausgaben der unteren EK-Gruppen, einschl. angemessenen Wohn- und Heizkosten (Grundlage: EVS) (1.1. 2008: Ø € 681; Alleinlebende; € 1.121 € Allein Erziehende mit 1 K < 7 J.; Ehepaar mit 2 K, € 1.643) ► Materielle Deprivation (Unterversorgungsschwellen) In Vergleichsländern ähnlich: sozialstaatlich festgelegt Bedürftigkeitsgrenze: DK: orientiert sich an allg. Lohnentwicklung SWE: ähnlich wie D; Warenkorb NL: Mindestlohn I: gesetzliche Mindestrente; aber kein generelle Grundsicherung für alle USA: In E: regional unterschiedlich festgelegt Lebenslagenansatz: materielle Deprivation (Entbehrung; Unterversorgungsschwellen) Einkommen, Wohnraumversorgung, beruflichen Bildung (Bildungsarmut) u. a. ermittelt

Armuts- und Reichtumsgrenzen ► Armuts- und Reichtumsgrenzen sind normativ gesetzte Werte Armutsrisikoschwellen (60% Medianeinkommen) Armutsrisikoquote EU-SILC 2006: 781 € netto/Monat 13% SOEP 2006: 880 € netto/Monat 18% SOEP 2007: 891 € netto/Monat 16,5 % EVS 2003: 980 € netto/Monat 14% EK- Reichtumsgrenze (200% Medianeinkommen) Reichtumsquote EVS 2003 3.268€ netto/Monat 6,4% SOEP 2007 2.970€ netto/Monat EVS 2003: integriertes Einkommens- und Vermögensverteilung: 3.418€/Monat =8,8% Paar mit 2 Kindern unter 14 Jahre = 6.863 € Seit 2001 werden dabei gemeinsam von allen Mitgliedsstaaten festgelegte Indikatoren, die sog. Laeken-Indikatoren, zur vergleichbaren Messung von „Armut und sozialer Ausgrenzung“ verwendet. Diese Indikatoren werden für die jährlich zu erstellenden nationalen Berichte über Strategien für Sozialschutz und soziale Eingliederung zur Messung der Fortschritte auf den Gebieten Armutsbekämpfung, Beschäftigung, Gesundheit und Bildung verwendet

Mangel an gesellschaftlich bedingten Chancen ► Zugang zu Erwerbsarbeit und Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme Messung anhand von Erwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit und Inaktivität ► Langzeiterwerbslosigkeit LZA-Quoten, Inaktivitätsquoten, Haushalte ohne Erwerbstätige ► Erwerbsbeteiligung ausgewählter Gruppen Beschäftigungsquoten Geringqualifizierte, Migranten, Jugendliche Anteil Jugendlicher weder erwerbstätig noch in Ausbildung Anteil früher Schulabgänger ► Prekäre Arbeitsmarktinklusion Anteil Beschäftigter im Niedriglohnsektor; Lohnspreizung, Anteil und Dynamik im Niedriglohnsektor) Anteil Erwerbstätiger in Armut; „prekäre“ Beschäftigungsverhältnisse Wichtiger als bestimmte Anteile an Erwerbslosen oder relativ Armen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu vergleichen, ist folglich die Dynamik von Armut und Erwerbslosigkeit auf individueller Ebene zu betrachten. Hierzu liegen im internationalen Vergleich jedoch nur begrenzt Daten bzw. nur für bestimmte Zeitpunkte Daten vor[1]. [1] Auf europäischer Ebene kann dabei im Wesentlichen auf das Europäische Haushaltspanel (ECHP, 1993 bis 2001) und das EU-SILC (1. Welle wurde 2005 erhoben) zurückgegriffen werden. Für die Jahre 2002 bis 2004 stehen jedoch keine Paneldaten zur Verfügung. Oder werden bei einem relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht? Wohnsituation, Arztbesuche u. a. Inwieweit Personen am Erwerbsleben teilnehmen und ein Existenz sicherndes Einkommen erzielen können, hängt einerseits von persönlichen Charakteristika wie Qualifikation, Alter und Erwerbsbiographie ab. Das Risiko, keiner Existenz sichernde Beschäftigung nachgehen zu können, wird insbesondere von folgenden individuellen Charakteristika und erwerbsbiographischen Faktoren getrieben: mangelnde schulische Bildung und beruflich nutzbare Qualifikationen, längere Phasen der „prekären“ oder dequalifizierenden Beschäftigung ohne Aufstiegsmöglichkeiten, längere Phasen der Erwerbslosigkeit, welche zu einer Entwertung früher erworbener Qualifikationen oder der Erosion der Arbeitsmarktorientierung führen, gesundheitlichen Einschränkungen und Behinderungen, familiäre Verpflichtungen, die eine Existenz sichernde Erwerbstätigkeit erschweren, etwa im Falle von Müttern mit kleinen Kindern, insbesondere bei Alleinerziehenden. eine ungleiche Verteilung von Arbeitslosigkeitsrisiken zwischen bestimmten Personengruppen. Geringqualifizierte, Alleinerziehende, Jugendliche oder Ausländer und Menschen mit Migrantionshintergrund sind besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen.

Exklusionsrisiken Ausschluss aus dem Erwerbsleben wichtigste Einzelursache für Armut und soziale Ausgrenzung Verfestigte Erwerbslosigkeit als Exklusionsgefahr Armut und Erwerbstätigkeit negativ korreliert, auch im Fall von Frauenerwerbstätigkeit / Kinderarmut Geringer Bildungsgrad und Haushaltsstruktur aber: nicht nur statistisch gemessene Langzeitarbeitslosigkeit, sondern auch langjährige Inaktivität… nicht nur verfestigte Arbeitslosigkeit, sondern auch eine prekäre Arbeitsmarktinklusion und niedrige Entlohnung…

Deutschland im internationalen Vergleich ► Im internationalen Vergleich ist die statistisch gemessene Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland besonders hoch ► Ist Risiko sozialer Ausgrenzung in Deutschland besonders hoch? ► Oder werden bei einem relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht? Länderübergreifend zeigt sich eine ungleiche Verteilung von Arbeitslosigkeitsrisiken zwischen bestimmten Personengruppen. Geringqualifizierte, Alleinerziehende, Jugendliche oder Ausländer und Menschen mit Migrantionshintergrund sind besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Dabei ist mehr das Risiko arbeitslos zu bleiben als das Risiko arbeitslos zu werden, eine wesentliche Determinante von Ausgrenzung. Langzeit-Erwerbslosigkeit wird neben individuellen und erwerbsbiographischen Charakteristika auch von institutionellen Rahmenbedingungen beeinflusst. Zu den institutionellen Rahmenbedingungen zählen wir auch die konkrete Ausgestaltung sozialer Sicherungssysteme, die sowohl mehr oder weniger starke Anreize für Erwerbsintegration setzen als auch eine sozialstaatlich subventionierte Ausgliederung aus dem Erwerbsleben befördern können. Letzteres stand bislang weniger im Mittelpunkt von internationalen Vergleichen, soll aber in den Fokus dieses Gutachtens gerückt werden, um die Determinanten sozialer Inklusion bzw. Exklusion angemessen untersuchen zu können

Erwerbstätige, Erwerbslose und Inaktive Inaktive Personengruppen, die nicht Existenz sichernd ins Erwerbsleben integriert Erwerbslose zählen zu den (ökonomisch aktiven) Erwerbspersonen gerechnet werden und damit nur eine vorübergehende Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt unterstellt wird, ist die Nichterwerbstätigkeit von inaktiven Transferempfängern ein Hinweis auf eine größere Distanz zum Arbeitsmarkt und auf eine tendenziell dauerhafte Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt. Oder werden bei einem relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht?

Erwerbsbeteiligung und Inaktivität, 2007

Gründe für Inaktivität, 2007 Oder werden bei einem relativ ähnlichem Niveau der Ausgrenzung aus dem Erwerbsleben lediglich unterschiedliche Verteilungen auf die Transfersysteme erreicht?

Fazit I ► Große Länderunterschiede im Hinblick auf die Struktur der Nichtbeschäftigung ► niedrige Arbeitslosenraten in den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Großbritannien und den USA gehen einher mit einer hohen Zahl von inaktiven Personen in „passiven Leistungssystemen“ (Erwerbsunfähigkeit, Vorruhestand) ► „verdeckte“ Arbeitslosigkeit in Deutschland im Ländervergleich niedrig Dies relativiert die Bedeutung von Arbeitslosenquoten, aber auch des Beschäftigungsniveaus als geeignete und häufig verwendete Indikatoren.

Bildungsgrad und Armutsgefährdung Bildungsgrad (ISCED 97) und Armutsrisiko: 4% der Personen mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss sind in D armutsgefährdet (EU: 3%), dagegen 10% mit Abschluss im Primärbereich im Sekundarstufe I (Haupt- und Realschule) Erhöhte Risiken sozialer Ausgrenzung durch einen vorzeitigen Abbruch der Schullaufbahn. In Bezug auf jüngere Kohorten erhöhen sich die Risiken sozialer Ausgrenzung durch einen vorzeitigen Abbruch der Schullaufbahn. Jeder achte Jugendliche erwirbt derzeit in Deutschland – wie auch in den skandinavischen Ländern - keinen qualifizierten Abschluss. Mit einem Anteil von 12 Prozent von Jugendlichen, die weder beschäftigt noch in Ausbildung sind, liegt Deutschland im Ländervergleich deutlich hinter den skandinavischen Ländern und den Niederlanden

Konzentration von Erwerbslosigkeit Die Analyse von armutsgefährdeten Personengruppen (Tabelle 7) bestätigt die Vermutung, dass insbesondere Haushalte mit Kindern, in denen kein Erwachsener erwerbstätig bzw. nur Teilzeit oder geringfügig beschäftigt ist, länderübergreifend das größte Armutsrisiko aufweisen. Mit der Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung durch ein oder mehrere erwerbsfähige Haushaltsmitglieder sinkt die Armutsgefährdung von Familien mit Kindern in Deutschland von 48 Prozent auf 8 Prozent bzw. 4 Prozent

Armutsrisiko nach Haushaltstyp

Erwerbsstatus und Armutsrisiko, 2005 Land Armut unter Personen im erwerbs-fähigen Alter Verän-derung 1995 - 2005 Alleinstehende Paarhaushalte Erwerbs-los Teil-zeit Voll-zeit Teilzeit Mind. 1 Vollzeit DE 8 + 0,8 49 32 5 25 2 FR 7 -0,6 31 6 18 4 SE + 1,0 23 16 1 21 DK + 1,2 22 28 15 UK - 0,3 38 11 3 US 80 54 14 63 12 ES - 0,4 62 27 46 26 IT 10 - 2,8 40 50 36 33

Prekäre Arbeitsmarktinklusion ► 1997-2007: starke Expansion atypischer Beschäftigungsverhältnisse und des Niedriglohnsektors atypisch ≠ prekär Alternative zu einer fortgesetzten Arbeitslosigkeit oder Inaktivität prekär, wenn längerfristige Ketten instabiler Beschäftigung (Sackgasse) UND wenn Erwerbstätigkeit nicht ausreicht, um ein Einkommen oberhalb des Existenzminimums zu sichern („Working Poor“) Empirische Befunde: Leiharbeit: senkt Risiko der Arbeitslosigkeit aber keine kausalen Effekte auf Wiedereingliederung in reguläre Beschäftigung gute Chancen auf Übergang von befristeten in unbefristete Jobs niedrig entlohnte Tätigkeit ist in Deutschland relativ schwer in Richtung höherer Entlohnung zu überwinden bislang unklar, ob durch „Fordern und Fördern“ beförderte Integrationen eindeutig mit geringer Entlohnung einhergehen Die Maßnahmen zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, wie die Liberalisierung der Zeitarbeit und die Erleichterung befristeter Beschäftigungsverhältnisse, zielen darauf ab, Unternehmern Möglichkeiten zur raschen Reaktion auf neue wirtschaftliche Situationen zu geben. Auch deshalb ist das Wachstum im Aufschwung beschäftigungsfreundlicher gewesen als im Aufschwung davor, auch deshalb wurden wieder mehr sozialversicherungspflichtige Stellen geschaffen und nicht hauptsächlich geringfügige Beschäftigungen. Sofern dadurch neue Marktsegmente erschlossen werden konnten, können auch sehr flexible Beschäftigungsverhältnisse den Abschwung gut überstehen. Im Grundsatz helfen sie jedoch den Unternehmen, Kosten durch Personalanpassung zu reduzieren und damit die Existenz über den Abschwung hinaus zu sichern. Die Schwankungsbreite der konjunkturellen Arbeitslosigkeit um die strukturelle Arbeitslosigkeit herum könnte insgesamt zunehmen. Auch die Lohnbildung wurde flexibilisiert. Die Verlagerung von mehr Zuständigkeiten in die Betriebe, die Öffnungsklauseln und tarifvertragliche Vereinbarungen über Arbeitszeitkonten und Minus-Arbeitszeit können dazu beitragen, dass die Krise bewältigt wird. Im Gegensatz zum Aufschwung Ende der neunziger Jahre und Anfang dieses Jahrzehnts war die Entwicklung des Arbeitsmarktes von 2005 bis 2008 jedoch auch von einem erneuten Zuwachs der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze verbunden. Dies erfolgte zum Teil auch in Teilzeit, war aber nicht mehr in dem Maße etwa auf Minijobs konzentriert wie zuvor (Bach et al. 2007). Von daher muss festgehalten werden, dass auf der aggregierten Ebene atypische Beschäftigungsverhältnisse für einen großen Teil der zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze verantwortlich sind – es aber nicht notwendigerweise zu einer ausgeprägten Verdrängung des Normalarbeitsverhältnisses kommen muss.

Anteil der Niedriglohnempfänger an allen Erwerbstätigen Eigene Auswertungen auf der Basis des SOEP zeigen, dass bei einer Niedriglohnschwelle von 2/3 des Medianeinkommens im Jahr 2006 (= 1802 €) rund 7 Prozent aller deutschen Erwerbstätigen als Working Poor bezeichnet werden können. Bei einer jährlichen Arbeitszeit von mindestens 1000 Stunden reduziert sich diese Quote auf 4,6 Prozent. In den USA ist diese Quote mit 11,2 Prozent (in 2005 auf Basis des PSID) bei einer ähnlich hohen Niedriglohnschwelle von US- $ 2222 mehr als doppelt so hoch.

Verbleib vollzeitbeschäftigter Niedriglohnbezieher Verbleib vollzeitbeschäftigter Niedriglohnbezieher* - 1998/1999 in 2005, in Prozent - Untersuchungen zeigen aber auch, dass die Sprungbrettfunktion auch in andern Ländern letztlich nicht genutzt wird, sondern der Verbleib in Niedriglohnbeschäftigung durch Gewöhnungs-, Entmutigungs- und Stigmatisierungseffekte befördert wird (Cappellari/Jenkins 2004; Stewart 2007). Quelle: IAB KB 14/2008

Working Poor nach Arbeitszeit, 2005 Eigene Auswertungen auf der Basis des SOEP zeigen, dass bei einer Niedriglohnschwelle von 2/3 des Medianeinkommens im Jahr 2006 (= 1802 €) rund 7 Prozent aller deutschen Erwerbstätigen als Working Poor bezeichnet werden können. Bei einer jährlichen Arbeitszeit von mindestens 1000 Stunden reduziert sich diese Quote auf 4,6 Prozent. In den USA ist diese Quote mit 11,2 Prozent (in 2005 auf Basis des PSID) bei einer ähnlich hohen Niedriglohnschwelle von US- $ 2222 mehr als doppelt so hoch.

Bedürftig trotz Arbeit? ► D: Bedürftigkeit trotz Arbeit (Aufstocker) hängt stark von Art und Dauer der Beschäftigung sowie vom Haushaltskontext ab ► ist in D eher ein vorübergehendes Phänomen Kurzfristige Aufstocker (bis 3 Monate); darunter ¼ Leiharbeiter Mehr als 50% der Leiharbeiter konnte innerhalb von 3 Monaten Hilfebedürftigkeit überwinden Vollzeitbeschäftigte: nach 22 Monaten noch 7% hilfebedürftig Teilzeitbeschäftigte: „ „ noch 12% „ geringfügig Beschäftigte: noch 14% „ Auf politischer Ebene stellt sich hier die Frage, ob mehr Geld für Sozialleistungen oder mehr Anreize zur Aufnahme einer Arbeit und eine intensivere Unterstützung bei der Erwerbsintegration größeren Erfolg versprechen.

Fazit II Armut ist vor allem eine Frage der Nicht- oder der partiellen Erwerbstätigkeit Konzentration von Erwerbslosigkeit ; D: hoher Anteil von „armen“ Haushalten ohne Erwerbstätige (zumindest bis 2005) Vollzeitbeschäftigung mindert die Armutsgefährdung in D um die Hälfte gegenüber Teilzeitbeschäftigung D: eher niedrige Armutsrisiken für Erwerbstätige (Working Poor) trotz starkem Anstieg des Niedriglohnsektors und atypischer Beschäftigungsverhältnisse Klarer Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Armutsrisiko Drop out Quote jüngerer Kohorten in D auf mittlerem Niveau; Ähnlich hohes Niveau bei frühern Schulabgängern; Länder wie DK und NL haben jedoch „aufgeholt“ Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung mindert Armutsrisiko (nach Steuern und Transfers) bei Alleinstehenden um 40 PP, bei Paaren mit 1-2 Kinder um 50 PP derzeit erwirbt jeder achte Jugendliche (18-24 J) keinen qualifizierten Abschluss (nur Hauptschulabschluss) Auffällig ist die Tendenz zur Verfestigung der Armut zulasten bestimmter Personengruppen in Deutschland, die faktisch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit der Überwindung von Armut besitzen. Armutsrisiko geht mit Erwerbstätigkeit deutlich zurück Jüngster Beschäftigungsaufbau führte zu niedriger Armut (Grabka/Frick 2008) Vollzeitarbeit ist gute Versicherung gegen Armut, Kombination von Vollzeitarbeit mit Bezug von Grundsicherung ist selten und meist kurzfristig Bildungsgrad (ISCED 97) und Armutsrisiko: 4% der Personen mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss sind in D armutsgefährdet (EU: 3%), dagegen 10% mit Abschluss im Primärbereich im Sekundarstufe I (Haupt- und Realschule)