Thesen zur Gewalt gegen ältere Menschen

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Herausforderungen und Perspektiven in der ambulanten pflegerischen
Advertisements

Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben älterer Menschen Ergebnisse einer Studie zu Gefährdungen im Alter und bei häuslicher Pflegebedürftigkeit.
Prävention vor sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit
Der gesetzliche Kinderschutzauftrag
Bevölkerung Münchens 2004 Bevölkerung Münchens 2015
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen als Chance für die ganze Familie Bundesverband e.V, Mai 2007 Anna Hoffmann-Krupatz An der stationären Vorsorge-
Kriminalität in Deutschland
Prävention vor sexueller Gewalt
Sehr geehrte Landfrauen,
Familiengesundheitspflege aus Sicht der Caritas – Chancen und Herausforderungen Vortrag anlässlich des Absolvent/innentreffens Familiengesundheitspflege.
Kommunikation Die Stimmungslage der Nation im Frühjahr 2008 März 2008 Prof. Dr. Frank Brettschneider Die Deutschen im Frühjahr 2008 Ein Gemeinschaftsprojekt.
Modul für Mitarbeitende in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Ehren-und Hauptamtlich) Ev. Bildungswerk, CHH 2012 Grundlagenwissen Sexualisierte Gewalt.
Prävention sexueller Gewalt in der Kinder- und Jugendarbeit Grundinformationen.
Gefährdungen und Präventionsansätze im höheren Alter Prof. Dr. Thomas Görgen Deutsche Hochschule der Polizei Münster.
Kanton Basel-Stadt Kriminalstatistik 2015 Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Basel, 22. März 2016.
Polizeiliche Kriminalstatistik 2012 P olizeiliche K riminal- S tatistik 2012 HERZLICH WILLKOMMEN im Polizeipräsidium Südosthessen.
Polizeiliche Kriminalstatistik 2010 P olizeiliche K riminal- S tatistik 2010 HERZLICH WILLKOMMEN im Polizeipräsidium Südosthessen.
Universität zu KölnHumanwissenschaftliche Fakultät SIGMA SIGMA Zur Situation gehörloser Menschen im Alter SIGMA Wissenschaftliche Untersuchung an der Universität.
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 11 Politisch motivierte Kriminalität in Niedersachsen im Jahr 2013.
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 11 Polizeiliche Kriminalstatistik Niedersachsen März Hannover.
© Private Universität Witten/Herdecke gGmbH, Institut für Pflegewissenschaft Das Verhältnis von pflegenden Angehörigen und Pflegefachkräften Andreas Büscher,
Einsperren statt resozialisieren Referat von Prof. Dr. Bernd Maelicke Vortrag im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2016 des Verein NEUSTART Verein.
Ist mir wichtig Beste Versorgung im Pflegefall Neues Urteil des Bundesgerichtshofs ! März
Familie ist alles – Alles ist Familie!? Timo Ackermann, Hochschule Neubrandenburg, Fachstelle AlFa, 25. Juni.
Altern als Prozess 1. Lizenzstufe Übungsleiter/-in-C Breitensport Aufbaumodul Schwerpunkt Ältere.
SCHUTZ MACHT SCHULE THEMENKOMPLEX: DEFINITION UND ZAHLEN.
Postmortale Organspender in Deutschland Januar bis Oktober vorläufig Stabsstelle Statistik, Stand Veränderung zum Vorjahr in Prozent -
Psychische Folgen von Gewalt und Vernachlässigung – Interventionen bei Kindeswohlgefährdung Lernsituation 8.9 Kindeswohlgefährdung FSP 15.
Pflege im Spannungsverhältnis zwischen Angehörigen und Beschäftigung
Entgrenzung von Arbeit
Polizeiposten Gundelsheim
Kriminalitätsentwicklung 2010
KINDER, DIE OPFER VON MENSCHENHANDEL SIND
Polizeiliche Kriminalstatistik Polizeiinspektion Celle 2010
50. Fachtagung des Berufs- und Fachverbandes Heilpädagogik
Grundsätze der Prozessbegleitung für gewaltbetroffene
Entwicklung einer offenen Austauschplattform "GenderMedWiki"
2. Pflege- und Gesundheitskonferenz im Landkreis Vorpommern-Greifswald
Geschlecht und Gewalt. Ein Überblick
Polizeiliche Kriminalstatistik Polizeipräsidium Neubrandenburg 2011
Polizeiliche Kriminalstatistik Niedersachsen 2016
Checkpoint Erasmus+ JUGEND IN AKTION
Polizeiliche Kriminalstatistik
Dienstbesprechung für die Berufsbereiche Ernährung und Hauswirtschaft
Pflegeleistungen bei Pflegegrad 4
Polizeiliche Kriminalstatistik 2016
Die Entwicklung der Pflegeressourcen im Bereich der Altenpflege
Vielfältiger Islam versus gewaltbereiter Salafismus
Hinweise auf sexuelle Gewalt
Neue Entwicklungen in der Pflegeversicherung
Grundlagen Sexualisierte Gewalt
Pädagogische Ansätze der Elementarpädagogik
ZENTRALE ZUKUNFTSAUFGABE:
Workshop Einladung zum Datum: 29. November 2018
Patientenumfrage Multiples Myelom
Zukunft der Pflege digital neu definiert
Grundwissen über sexualisierte Gewalt und Prävention
Präsentation der Evangelischen Jugend Schwerin
Finanzen 2016.
Finanzen 2016.
Pflegestärkungsgesetz
Gesundheit und Prävention bei Kindern und Jugendlichen in der Schule
Jugendhilfe im Strafverfahren
Berlin Gernot Kiefer, GKV-Spitzenverband
Prof. Dr. Petra Wihofszky
Bevölkerungsbefragung zur Lebensqualität in Laufen-Uhwiesen
Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier, MPH Kira Limbeck, B. Sc
Prof. Dr. med. Hans G. Schlack, Bonn
Prof. Dr. Norbert Frieters-Reermann KatHO NRW - Aachen
 Präsentation transkript:

Thesen zur Gewalt gegen ältere Menschen Prof. Dr. Thomas Görgen Deutsche Hochschule der Polizei Münster

(1) Das „insgesamt sichere höhere Alter“ Der Lebensabschnitt nach dem 60. Lebensjahr zeichnet sich nach behördlichen Statistiken wie nach den Ergebnissen großer Dunkelfeldbefragungen durch ein geringeres Risiko des Betroffenseins durch Kriminalität und Gewalt aus als alle anderen Phasen des Erwachsenenalters.

Polizeiliche Kriminalstatistik (Deutschland): Vollendete Gewaltdelikte Weibliche Opfer je 100.000 nach Alter, 1994–2015 Heranwachsende Jugendliche 2013 xnZ: Bevölkerungszahl auf Basis Fortschreibung nach Zensus 2011. Die Vergleichbarkeit mit den Vorjahren ist nur eingeschränkt möglich. Kinder 60 J. + PKS-Summenschlüssel Gewaltkriminalität

Dunkelfeldstudien LKA Niedersachsen 2013/2015: Opferraten 2012/2014 nach Alter in % schriftlich-postalische Befragung 18.940 Befragte 2013 20.468 Befragte 2015 Diebstahlsdelikte, Raub, Betrug, Cybercrime, Sexualdelikte, KV, Bedrohung, Sachbeschädigung - 2013: 18.940 Befragte / 2015: 20.468 Befragte - Diebstahlsdelikte, Raub, Betrug, Cybercrime, Sexualdelikte, KV, Bedrohung, Sachbeschädigung

Dunkelfeldstudie LKA Niedersachsen 2015: Opferanteile Einbruch/Körperverletzung 2014 nach Alter (in %)

(2) Die geringe Sichtbarkeit des sehr hohen Alters Opferwerdungsrisiken im hohen Alter („viertes Lebensalter“) und bei Pflegebedürftigkeit haben eine reduzierte Chance, in Kriminalstatistiken und Dunkelfeldbefragungen erkennbar zu werden und somit ein erhöhtes Risiko der „Unsichtbarkeit“.

(3) Viktimologische Spezifik von Hochaltrigkeit und Pflegebedürftigkeit Das „vierte Lebensalter“ ist: eine Phase hoher grundsätzlicher Vulnerabilität (erwachsend vor allem aus gesundheitlichen / funktionalen Einschränkungen und aus Abhängigkeiten von / Angewiesensein auf Dritte) bei gleichzeitiger reduzierter Exposition gegenüber Risiken im öffentlichen Raum und veränderten Sozialbeziehungen mit spezifischen Belastungen, Konfliktpotenzialen und Tatgelegenheitsstrukturen.

(4) Pflegebeziehungen als spezifischer Viktimisierungskontext In privaten und professionellen Pflegebeziehungen werden hochaltrige Menschen Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung. Pflegebeziehungen sind in mehrfacher Hinsicht ein spezifischer Viktimisierungskontext: grundsätzlich prosoziale Ausrichtung von Pflege vielfältige Belastungen und Konfliktpotenziale Machtunterschiede körperliche Nähe günstige Tatgelegenheiten für „motivierte Täter“ Bedeutung von (Vor-) Beziehung + Rahmenbedingungen

(5) „Gewalt in der Pflege“ als spezifische Viktimisierungsform Handeln + Nicht-Handeln (Misshandeln / Vernachlässigen) vielfach ohne Intention der Schädigung des Gegenübers häufig aus eskalierenden situativen Konstellationen erwachsend im Einzelfall gezieltes Ausnutzen der Vulnerabilität Pflegedürftiger im Bereich der Vermögensdelikte größte Nähe zu „klassischer Kriminalität“ Vereinzelte Dunkelfeldbefragungen: hohe 12-Monats-Prävalenz von "Problemverhalten Pflegender" in der häuslichen (ambulante Pflegekräfte: 40%; pflegende Angehörige: 53% ) wie der stationären Pflege (stationäre Pflegekräfte: 71.5%) deutliches Überwiegen weniger schwerer Formen (eher „grob anfassen“ als „treten“)

(6) Hochaltrige Menschen: „suitable targets“ in der Eigentums- und Vermögenskriminalität Insbesondere im Bereich der Eigentums- und Vermögenskriminalität wählen Straftäter gezielt alte Menschen als Opfer aus, weil sie hier günstige Tatgelegenheiten erwarten. Andere nutzen Tatgelegenheiten, die sich aus besonderen Vertrauenspositionen (z.B. als Angehöriger, mit Pflegeaufgaben befasste Person, Bevollmächtigter, Betreuer) ergeben.

(7) Spezifik von Prävention folgt der Spezifik von Viktimisierungskontexten und -formen Kriminal- und Gewaltprävention in Bezug auf Hochaltrige und Pflegebedürftige steht vor der Herausforderung, die Spezifika von Viktimisierungskontexten und Viktimisierungsformen aufzugreifen. Sie ist insgesamt damit konfrontiert, dass sie die letztendlichen Adressaten der Präventionsbemühungen nur in begrenztem Maße unmittelbar erreichen kann.

(8) Prävention von Misshandlung / Vernachlässigung in der Pflege nicht ohne Maßnahmen zur Entlastung / Kompetenzsteigerung Pflegender denkbar, kann sich aber nicht darin erschöpfen frühes Erkennen von Misshandlungs-/Vernachlässigungsindikatoren bedeutsam Familie: Stärkung / Befähigung potenzieller „guardians“ mit Kontakt zum Pflegearrangement Prüfung der Übertragbarkeit familienrechtlicher Interventionen auf „Altenwohlgefährdung“ institutionelle Pflege: Rahmenbedingungen; Sensibilisierung für freiheitsentziehende Maßnahmen und deren Alternativen

(9) Prävention finanzieller Ausbeutung Hochaltriger / Pflegebedürftiger Die Prävention von Angriffen auf das Vermögen hochaltriger und pflegebedürftiger Menschen kann im Wesentlichen über Aufklärung / Information (auch von Angehörigen), Reduktion von Tatgelegenheiten und Stärkung / Befähigung / Aktivierung potenzieller „Wächter“ („guardians“) erfolgen. Ansetzen an Konflikten oder Beziehungen kann hier nicht die primäre Strategie sein.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Thomas Görgen Deutsche Hochschule der Polizei (Münster) Fachgebiet Kriminologie und interdisziplinäre Kriminalprävention thomas.goergen@dhpol.de 14