Dr. Axel Rüdiger Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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 Präsentation transkript:

Dr. Axel Rüdiger Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Demokratie in Zeiten des Neoliberalismus. Das Beispiel der deutschen Wiedervereinigung Dr. Axel Rüdiger Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Teil: Diskussion des Zustandes der liberalen Demokratie Teil: Die deutsche Wiedervereinigung als neoliberales Experiment Erprobung neoliberale Praktiken Elitenaustausch

Aktuelle Debatte zum Zustand der westlichen Demokratie Benjamin R. Barber: Consumed. How markets corrupt children, Infantilize adults and swallow citizens whole (2007) Colin Crouch: Postdemocracy (2003)

B. Barbers Thesen neoliberaler Konsumkapitalismus ersetzt das demokratische Ethos durch Infantilität (neuer Patriarchalismus, „Spaßgesellschaft“) Ideologie der Privatisierung und Homogenisierung des Geschmacks sind Merkmale des Konsumkapitalismus untergräbt nicht nur die Grundlagen der Demokratie, sondern der Gesellschaft im Allgemeinen (Sozialpathologie) Sozialstaat wird nicht am Kriterium der politischen Partizipation, sondern der ökonomischen Ertüchtigung gemessen (Freiheit statt Gleichheit)

C. Crouchs Thesen Ungleichgewicht zwischen den Interessen der Unternehmen und den übrigen Gruppen der Gesellschaft Auseinanderdriften von demokratischen und liberalen Werten (Gleichheit und Freiheit) Krise der politischen Institutionen (strukturelle Handlungsunfähigkeit von Staat, Parlament und Parteien etc.) "Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind (...), entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vordemokratische Zeiten."

Postdemokratisches Phänomen der „Interpassivität“ Interpassivität: Delegation des eigenen Genießens auf einen anonymen Akteur (Gebetsmühle) Postdemokratie: Delegation des demokratischen Engagements auf formale institutionelle Rituale Bürger brauchen sich nicht demokratisch einzubringen, wenn es Institutionen gibt paradoxe Folge: Kritik an der Entdemokratisierung von Staat und Gesellschaft erscheint als Angriff auf die Demokratie

Postdemokratische Interpassivität in Deutschland? nur 66% stimmen der Aussage zu: "Mit der Demokratie können wir die Probleme lösen, die wir in Deutschland haben." nur 54% der Arbeitlosen halten das politische System der BRD für verteidigenswert

Quelle: Studie im Auftrag der FES (Juli 2008)

Quelle: Forsa-Studie „Einstellungen zur Demokratie“ (Juni 2008)

Quelle: Studie im Auftrag der FES (Juli 2008)

Führt postdemokratische Interpassivität zur Ablehnung der Demokratie?

Quelle: Studie im Auftrag der FES (Juli 2008)

Demokratie-Verdrossenheit? „Das Volk will von der wichtigsten gesellschaftlichen Errungenschaft der Neuzeit nichts mehr wissen.“ Franz Walter (Politikwissenschaftler Universität Göttingen)

Oder: Wie demokratisch ist das heutige Deutschland? „Ich halte das, was wir haben ja nicht für eine Demokratie. Deutschland fehlt ein ganzes Stück zur Demokratie. Sonst hätten wir es nicht mit massenhafter Kinderarmut und Hartz IV zu tun.“ Peter Sodann: ostdeutscher Schauspieler und Präsidentschaftskandidat für die Partei „Die Linke“

Stehen „Ostdeutsche“ der Demokratie ablehnender gegenüber oder artikulieren sie ein größeres politisches Unbehagen in der postdemokratischen Interpassivität als „Westdeutsche“?

Quelle: Studie im Auftrag der FES (Juli 2008)

Fazit der FES-Studie: Quelle: Studie im Auftrag der FES (Juli 2008)

Demokratie und Ethnomethodologie (Claude Lévi-Strauss)

2. Teil: Wiedervereinigung als neoliberales Experiment alternativlose Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt (THA) Finanzierung der Einheitskosten durch die Sozialkassen und Staatsverschuldung Politik der Rückgabe vor Entschädigung

Privatisierungspolitik 12.02.90 - Vorschlag zur Bildung einer Treuhandgesellschaft zur Wahrung der Anteilsrechte der DDR-Bürger am „Volkseigentum“ 01.03.90 – Gründung einer „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“ Währungsunion: 1:1 Umrechnungskurs von DDR-Mark und DM  Aufwertung der DDR-Mark um 400% führt zur Entwertung des Volksvermögens 17.06.90 - „Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)“ 03.10.90 – Treuhandanstalt wird zur bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts unter Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums 31.12.94 – Auflösung der THA

Politisches Credo der THA „Schnell privatisieren, weil wir der Auffassung sind, dass Privatisieren die beste Form der Sanierung ist. Das zweite Motto heißt: Entschlossen sanieren. Da, wo Zukunft möglich ist, soll Sanierung durchgeführt werden, um auch hier den Menschen mehr Mut und Hoffnung zu machen. Und das dritte Motto heißt: Behutsam stilllegen.“ Birgit Breuel (CDU, Präsidentin der THA 1991-1994)

Resultate der Privatisierungspolitik Einnahmen aus der Privatisierung: 60 Mio DM; Ausgaben: 300 Mio DM lediglich 6% der privatisierten Betriebe gehen an ehem. DDR-Bürger (Management by Out) Verlust von 2,5 Mio Arbeitsplätzen (1989: 4 Mio; 1994: 1,5 Mio) volkswirtschaftlicher Schaden aus Betrug: zwischen 3 und 10 Mrd. DM (Untersuchungsausschuss des Bundestages „DDR-Vermögen“) direkte und indirekte Kosten der Privatisierungspolitik werden an die Sozialkassen delegiert oder über Staatskredite finanziert

Finanzierung der Privatisierungspolitik Kreditfinanzierung: Anwachsen der Staatsschuld auf 1,2 Bio € Sozial- und Arbeitslosenversicherung Rentenkasse Solidaritätszuschlag auf die Lohnsteuer Verzicht auf eine Vermögensabgabe Absenkung der Steuerquote von 25,9% (1980) auf 22,4 (1991) und 22,6 (2002)

Folgen der neoliberalen Privatisierungspolitik Reformen der Sozialkassen (Umbau des Sozialstaates) Abkehr vom Versicherungsprinzip Haushaltkonsolidierung verhindert Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (Bildung und Kultur) Privatisierung öffentlichen Eigentums Elitenaustausch wachsende soziale Ungleichheit

Politische Rechtfertigungen des Scheiterns der neoliberalen Privatisierungspolitik maroder Zustand der DDR Volkswirtschaft demographischer Wandel Globalisierungsdruck Ausnahmezustand der ostdeutschen Transformationskrise wird auf ganz Deutschland ausgeweitet Rot-Grüne Reformpolitik (Agenda 2010)