Von der Selbstverwirklichung zur Beziehungsökologie

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 Präsentation transkript:

Von der Selbstverwirklichung zur Beziehungsökologie Von der Selbstverwirklichung zur Beziehungsökologie. Vom schwierigen Umgang mit dem Ich in Psychotherapie und Seelsorge. Dr. med. Samuel Pfeifer Klinik Sonnenhalde, Riehen Evang. Hochschule Tabor, Marburg

Eigenes Ego als höchstes Ziel? „Wir gehen auf eine Diktatur des Relativismus zu, die nichts als sicher anerkennt und als ihr höchstes Ziel das eigene Ego und die eigenen Wünsche hat.“ Kardinal Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI

Ich

Ich-Sucht und die Folgen

Rockgruppe TRIO Alles was du willst, wenn du willst, das muss sein. Alles was du brauchst, nimm‘s dir auch, es muss sein. Alles was dich stört, schmeiss es weg, lass es sein, lass es sein. Alles was dich nervt, mach kaputt, mach kaputt, kurz und klein.

Schluss mit lustig „Die bürgerliche Freiheit der Selbstbestimmung … ist rasend schnell zur hedonistischen Schwundstufe der Selbstverwirklichung pervertiert. Dabei ist Selbstverwirklichung, wie der grosse Psychotherapeut Victor E. Frankl meint, nichts anderes als ‚ein manipulatives Tarnwort für übersteigerten Egoismus‘. Ich, ich und noch mal ich!“ So rückt die Spassgesellschaft den einzelnen Menschen mit seinen Wünschen und Bedürfnissen in den totalen Mittelpunkt. … Was den Spass bremst, muss weg. Und seien es die einfachsten Regeln des Zusammenlebens. Peter Hahne

Übersicht Selbstverwirklichung Selbstverleugnung Kritik der beiden Begriffe Selbstkonzept und Selbstwertgefühl Beziehungsökologie statt Selbstverwirklichung Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!

1.1. Definition Selbstverwirklichung Selbstverwirklichung meint in der Alltagssprache die möglichst umfassende Ausschöpfung der individuell gegebenen Möglichkeiten, Talente, Sehnsüchte und Wünsche. Der Begriff hat für seine konservativen Kritiker einen negativen Beiklang von Egoismus und mangelndem Familiensinn…. In der Psychologie hat Abraham Maslow den Begriff prominent gemacht. Innerhalb einer Hierarchie der Bedürfnisse setzte er ihn an die oberste Stelle bzw. die letzte Stelle in der Reihung Körper / Sicherheit / Liebe / Anerkennung / Selbstverwirklichung. Quelle: Wikipedia

Du bist du und ich bin ich Ich tu, was ich tu; und du tust, was du tust. Ich bin nicht auf dieser Welt, um nach deinen Erwartungen zu leben, Und du bist nicht auf der Welt, um nach den meinen zu leben. Du bist du, und ich bin ich, Und wenn wir uns zufällig finden, - wunderbar. Wenn nicht, kann man auch nichts machen. Fritz Perls

1.2. Selbstverleugnung

Das Originalzitat Jesus: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir! Denn wer sein Leben erhalten will, der wird‘s verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird‘s finden.“ Matthäus 16:24-25

Leibfeindlichkeit? „Der Geist des Herrn jedoch will, dass das Fleisch abgetötet und verachtet, gering geschätzt und schimpflich behandelt werde.“ Franz von Assissi (nicht bullierte Regel). Buchtitel 2005: „Bitte schlag mein Ego tot!“

Der Weg zur Ekstase? „Man fragte einmal den ehrwürdigen Pater Johannes vom Kreuz, wie man zur Ekstase komme. Dieser antwortete, indem man den eigenen Willen verleugne und den Gottes tue. Denn Ekstase sei nichts anderes als ein Über-sich-Hinausgehen der Seele und Sich-von-Gott-Ergreifen-Lassen und das geschehe nur dem, der Gott Folge leiste. Das nämlich bedeute vom Eigenwillen fortgehen, und so befreit vom Ballast gehe man in Gott auf.“ Johannes vom Kreuz (1542 – 1591) Grundtenor bei Johannes vom Kreuz ist eine Loslösung vom eigenen Ich, mit dem Ziel eine unabhängige, in Gott ruhende Persönlichkeit zu werden. Selbstverleugnung in diesem Sinne wird damit zur Persönlichkeitsstärke, die sich nicht von Dingen und Strebungen leiten lassen. „Man fragte einmal den ehrwürdigen Pater Johannes vom Kreuz, wie man zur Ekstase komme. Dieser antwortete, indem man den eigenen Willen verleugne und den Gottes tue. Denn Ekstase sei nichts anderes als ein Über-sich-Hinausgehen der Seele und Sich-von-Gott-Ergreifen-Lassen und das geschehe nur dem, der Gott Folge leiste. Das nämlich bedeute vom Eigenwillen fortgehen, und so befreit vom Ballast gehe man in Gott auf. (S. 49) Vom Äussern gelöst, vom Innern nicht besessen, frei von Habgier nach göttlich Dingen, hält dich kein Vorteil auf und kann dich kein Nachteil behindern.

2. Kritik an den Konzepten Selbstverwirklichung und Selbstverleugnung Plakative Aussagen Differenzierte Analysen

2.1. Kritik der Selbstverleugnung „Das ‚Liebe deinen Nächsten‘ war ihm so tief eingebleut wie das Hassen seiner selbst, und so war sein ganzes Leben ein Beispiel dafür, dass ohne Liebe zu sich selbst auch die Nächstenliebe unmöglich ist, dass der Selbsthass genau dasselbe ist und am Ende genau dieselbe grausige Isoliertheit und Verzweiflung erzeugt wie der grelle Egoismus. Hermann Hesse, Steppenwolf

Verzicht auf Selbsterkenntnis? „Sich auf Gott zu fokussieren ohne uns selbst tiefer kennen zu lernen, mag eine äußere Form der Frömmigkeit erzeugen. Sie wird aber immer eine Kluft zwischen äußerem Schein und der Wirklichkeit erzeugen. Dies ist gefährlich für jede Seele – bei geistlichen Leitern aber kann sie katastrophale Folgen für diejenigen haben, die sie führen.“ Leaving the self out of Christian spirituality results in a spirituality that is not well grounded in experience. It is, therefore not well grounded in reality. Focusing on God while failing to know ourselves deeply may produce an external form of piety, but it will always leave a gap between appearance and reality. This is dangerous to the soul of anyone – and in spiritual leaders it can also be disastrous for those they lead. (p.20) David Benner David Benner: „The Gift of Being Yourself. The Sacred Call of Self-Discovery”

2.2. Kritik der Selbstverwirklichung „Selbstverwirklichung ist ein Ausdruck einer tiefen Verzweiflung, weil der Mensch es nicht schafft, etwas anderes als sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen.“ (Viktor Frankl)

Kritik der Selbstverwirklichung „Auf dem Weg zu Selbstverwirklichung und Autonomie haben wir die Fähigkeit verloren, die wir heute dringend bräuchten: Die Fähigkeit mit anderen Menschen zu leben und an ihrem Schicksal wirklich Anteil zu nehmen. Wir sind so beschäftigt, dass die anderen weitgehend Staffage für unser Leben geworden sind. Sie spielen für uns nur insoweit eine Rolle, als wir sie für unsere Selbstdarstellung brauchen.“ Ursula Nuber, Psychologie Heute (1993)

Neue Ursachen der Depression „Der Mensch ist emanzipiert, aber er trägt schwer an seinen neuen Freiheiten und an seiner Verantwortung. Er kann zwar nicht mehr schuldig werden, aber er kann an den neuen Herausforderungen scheitern und versagen.“ Alain Ehrenberg in seinem Buch: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Campus.

3. Psychologische Konzepte des Selbstwertgefühls Konzepte der Persönlichkeits-Pathologie Deskriptive Konzepte Von der Psychotherapie abgeleitete Konzepte

Das Ich ist immer noch ein Rätsel Neurobiologische und psychologische Forschungen zeichnen bis heut kein klares Bild von dem, was wir als „ICH“ oder als „SELBST“ bezeichnen.

Ich-Psychologie vs. Psychotherapie Ich-Psychologie versucht, die Funktion des Selbst als strukturelle und integrative Instanz zu beschreiben und zu erforschen. Wesentlich sind hier auch die Konzepte der Persönlichkeitspsychologie. Psychotherapiekonzepte, die aus der klinischen Erfahrung ihren Klienten persönlicher Erfüllung („Glück“) im Spannungsfeld mit den Anforderungen der Gesellschaft und den verinnerlichten Werten („ÜBER-ICH“), sowie mit den eigenen Trieben und Strebungen („ES“) vermitteln wollen. Definition des SELBST (nach Wikipedia) Das Selbst bezeichnet ein gedankliches Konstrukt, welches es einem Menschen ermöglicht, ein Ereignis bestimmten Subjekten (insbesondere Menschen) zuzuordnen. Dabei geht er vom Selbst als alleinigen Willensbilder und physikalischen Verursacher aus. Dass das Ich realitätsgerecht zwischen den Ansprüchen des Es, des Überich und der sozialen Umwelt zu vermitteln hat, besagt, dass es orientiert ist an seinen eigenen psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten und an den möglichen und realen Gegebenheiten der Naturwelt und der Kulturwelt. Den Wissens-Erwerb über die eigenen psychischen Fähigkeiten und Möglichkeiten und Realitäten und Möglichkeiten von Natur- und Kulturwelt nennt man Selbsterkenntnis: Erkenne dich selbst! (Wahlspruch in der Griechischen Philosophie) Selbsterkenntnis ist also Voraussetzung nahezu jeder glückenden Selbstverwirklichung. "Glück" soll hier jetzt nur ganz allgemein bedeuten, dass ein Mensch am Ende seines Lebens von sich sagen kann, sein Leben sei ihm geglückt: sinnstiftend, produktiv, erfahrungsreich gewesen. Das Ich benötigt also für seine Vermittlungs-Funktion realitätsgerechte Vorstellungen über sich selbst, die man >Selbst< bzw. >Selbstrepräsentanzen< nennt. Aus den Selbstrepräsentanzen bezieht ein Mensch seine Selbstdefinition, seine psycho-soziale Identität. Er bezieht von hierher "sein Selbstbewusstsein, seine Selbstachtung, sein Verständnis von Selbstverwirklichung." (Rupert Lay, Vom Sinn des Lebens, 38) Auf den ersten Blick scheint es, dass zwischen dem Ich und dem Selbst kaum Unterschiede bestehen. Der Schein trügt. Denn das Selbst, als die strukturierten Bilder über sich selbst, ist natürlich nicht reflexions- und kritikfähig. Nur das Ich mit seinen Funktionen des Wahrnehmens, Denkens und des Gedächtnisses vermag zu reflektieren und selbstkritisch zu sein. Die Ausbildung eines kritischen Selbst ist eine der Hauptfunktionen des Ich. Ein Selbst kann man dann kritisch nennen bzw. die Selbstrepräsentanzen sind dann vom Ich kritisch erfasst und ausgebildet worden, wenn sie die Grenzen des Selbst (der Person) zureichend realistisch erfassen und dem Bewusstsein widerspiegeln. Dass man sich realistisch wahrnimmt, setzt Selbsterkenntnis voraus. Selbsterkenntnis ist die oft demütigende und schmerzhafte Erkenntnis der realen Grenzen des Selbst. Schmerzhaft ist diese Erkenntnis, weil wir uns alle gerne ungefährdeter, bedeutender, sicherer... sehen, als wir in Wahrheit sind. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Narzissmus. Erwachsene sollten ein realistisches Bild von sich haben - am besten eines, das ihrer Realität am nächsten kommt. Und sie sollten sich lieben und annehmen lernen so wie sie sind - und nicht, wie ein unrealistische Überich-Ichideal sie gerne hätte. Und sie sollten sich nicht kleiner sehen, als es ihren Möglichkeiten entspricht, sonst können sie nicht der werden, der sie sein könnten und sein sollten.

Landkarte des „Ich“ (Fiedler) nach Fiedler 2003

Fazit Eine völlige Loslösung vom Selbst, wie sich das manche spirituellen Utopien erhoffen, ist unmöglich. Jeder Mensch ist „Selbst“. Ein gutes Selbstwertgefühl ist die Grundvoraussetzung eines gelingenden Lebens und darf nicht mit Selbstverwirklichung gleich gesetzt werden. Destruktiv wird Selbstverwirklichung dort, wo sie einseitig die kurzfristigen Interessen des Einzelnen – sein Bedürfnis nach Glück – in den Mittelpunkt stellt. Hier wird Psychotherapie anfällig für Weltanschauungen und Ideologien.

4. Beziehungsökologie statt Selbstverwirklichung

Jürg Willi: Beziehungsökologie „In einer Zeit der Destabilisierung von Beziehungen in Partnerschaft, Familie und am Arbeitsplatz verschieben sich die therapeutischen Schwerpunkte von Problemen um Autonomie und Befreiung von sozialen Zwängen zur wirksamen Gestaltung von Beziehungsprozessen. Veränderte Zeiten erfordern veränderte Therapieziele und neue Therapiemodelle.“

Jürg Willi: Beziehungsökologie

Schutz menschlicher Ökosysteme „Der Mensch droht heute nicht nur an der Zerstörung seiner natürlichen Umwelt zugrunde zu gehen, sondern auch an der Zerstörung seiner elementaren Gemeinschaftsstrukturen. .. Der Schutz menschlicher Ökosysteme, insbesondere der Familie, scheint mir heute ähnlich dringlich wie der Schutz unserer natürlichen Umwelt.“ Jürg Willi, Koevolution

Gestaltung der Beziehungsnische Beachte die unterschiedliche Selbstwert-Regulation! «Die Persönlichkeit entwickelt sich nicht nur durch einen innengeleiteten Prozess, sondern (wird) massgeblich bestimmt von den Wirkungen, die eine Person in ihrer Umwelt entfaltet, insbesondere der persönlichen Nische, die sie gestaltet.»

Jürg Willi: Beziehungsökologie „Bisher galt in der Psychotherapie als erstrebenswertes Ziel, unabhängig zu werden, sich abzugrenzen, nicht auf andere angewiesen zu sein. All das kann als Durchgangsstadium in einer Therapie sinnvoll sein, aber nicht als letzte Zielsetzung. Diese sehe ich ausdrücklich nicht im Unabhängigwerden von der Umwelt, sondern im besseren Gestaltenkönnen der Umwelt.“

Veränderte Therapieziele (J. Willi) Wenn eine Therapie am Ende nicht zu einer eindeutig verbesserten Gestaltung der Beziehungsnische führt, dann ist das für mich keine gut gelaufene Therapie. Wie laufen unsere Therapien, unsere Verläufe in der Seelsorge?

„Erfolgreiches Wirken“ Erfolgreiches Wirken setzt mühsame Realitätsprüfung voraus, erfordert Kritikfähigkeit, Lernfähigkeit, Anpassungsfähigkeit, Frustrationstoleranz, Bereitschaft zum Aufschieben der Bedürfnisbefriedigung, Flexibilität und gleichzeitig Beharrlichkeit. Jürg Willi: Ökologische Psychotherapie, S. 53

5. Christliche Konzepte im Umgang mit dem Selbst »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt[B], und deinen Nächsten wie dich selbst« (5.Mose 6,5; 3.Mose 19,18). B Mk 12,31 31 Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. -------------------------------------------------- Mk 12,33 33 und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, [a]das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer. a) 1.Sam 15,22; Hos 6,6; Mt 9,13

Selbstwert vs. Selbstverwirklichung Bewusstes Zurückstellen eigener Interessen im Wissen um eine tiefere Verankerung des Selbstwertes in Jesus Christus (oder in einer höheren Sache*) Selbstwertgefühl ist das Wissen um den eigenen Wert, um die eigene Würde, um die Einmaligkeit als Person. Es ist das Gespür für mein Selbst, für mein wahres Wesen, für das Bild, das Gott sich von mir gemacht hat. (A. Grün) Konzept der humanistischen Psychologie, das in seiner konsequenten Anwendung * ich-zentriert und nicht kompatibel mit christlichen Werten ist. Selbstverleugnung Selbstwert Selbstverwirklichung Matthäus 16:24-25 * Auch Menschen, die sich für ein Ideal einsetzen, leben letztlich in Selbstverleugnung für die höhere Sache (z.B. Widerstand gegen Hitler) vgl. Jesaja 43,4: wert geachtet und geliebt Selbstwert immer im Kontext des Gottesbezuges: „von ihm, durch ihn, zu ihm“ Römer 11,36 * Deutungsversuche der Selbstverwirklichung in einen christlichen Kontext sind inkonsequent, weil der Mensch zum Massstab gemacht wird.

Das Gebot der Nächstenliebe »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (Lukas 10,27) GOTT Selbst Nächster

1. 2. Zwei Gebote GOTT SELBST Nächster „Die Zusammenfassung des Gesetzes enthält keineswegs ein Gebot zur Selbstliebe. Jesus fasst das Gesetz zusammen in zwei Gebote – liebe Gott und liebe deinen Nächsten – nicht in drei: Liebe auch dich selbst. Er setzt die natürliche Neigung, sich selbst zu lieben, voraus. Davon ausgehend fordert er dazu auf, diese Liebe auch auf den Nächsten zu übertragen. Ein solches Verhalten ist nicht natürlich, sondern kann nur in der Nachfolge Jesu geschehen. Wer ihm nachfolgt, darf sich angenommen wissen, wird sich aber auch verleugnen müssen. Das zeigt sich eindeutig, wenn Jesusn darauf hinweist, dass die Liebe zum Nächsten auch die Liebe zum Feind mit einschliesst. Das Gebot der Nächstenlieben durchkreuzt auf diese Weise jegliches egozentrische Denken und Handeln.“ (van der Voet, S. 110)

Vier Themenkreise 5.1. Die Abgrenzung des Selbst von den Ansprüchen des Umfeldes 5.2. Fehlentwicklung: Das Selbst wird zum Massstab geistlichen Lebens. 5.3. Selbstkritik – der Blick in den eigenen Abgrund 5.4. Selbstverleugnung als positive Strategie.

5.1. Abgrenzung von Ansprüchen Die Bibel vertritt nicht eine rückgrat- und gedankenlose Unterwerfung unter die Ansprüche und Erwartungen des Nächsten. NEIN sagen ist erlaubt (Mt. 29,5) KONFLIKTE sind manchmal notwendig und müssen ausgetragen werden (1. Kor. 11,19) Die Beziehung zu Gott gibt die Kraft, auch in widrigen Umständen den eigenen Selbstwert aufrecht zu erhalten. (2. Kor. 3,5; 4,7)

5.2. Das Selbst als Massstab In manchen Frömmigkeitsstilen wird das Gefühl zum Massstab von Gottes Wirken gemacht. Das SELBST wird zum Gradmesser von Gottes Wirken. Bleiben die Gefühle aus, oder werden sie durch eine Depression getrübt, so wird auch die Gegenwart Gottes in Frage gestellt. Buch: Thomas Csordas. The Sacred Self. University of California Press 1994, ISBN: 0520083113

5.3. Selbstkritik - Spiritualität und unser „Schatten“ „Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!“ (Lukas 6,42) Christliche Spiritualität nimmt auch unseren Schatten, unsere verdrängten Selbstanteile wahr, exponiert sie der Liebe Gottes und erlaubt es ihm, sie in die neue Person hineinzuweben, die er schaffen will. Wenn ich Gott erlaube, mich so zu akzeptieren, wie ich bin, hilft das mir, mich ebenso zu akzeptieren. Dies ist wesentlich für eine echte geistliche Transformation. David Benner Christian spirituality involves acknowledging all our part-selves, exposing them to God’s love and letting him weave them into the new person he is making. To do this, we must be willing to welcome these ignored parts as full members of the family of self, giving them space at the family table and slowly allowing them to be softened and healed by love and integrated into the whole person we are becoming. (54) These von David Benner: Erst, wenn ich mich selbst annehme, so wie ich bin, kann Gott auch etwas in mir verändern. Wenn ich meine, das Ich zu kreuzigen, bedeute gleichzeitig, gar nicht auf die Schattenseiten zu sehn, dann entsteht daraus eine gefährliche Macht. Das Ich ist nicht gekreuzigt, sondern es ist verdrängt. (vgl. S. 56 – 60) Allowing God to acept me just as I am helps me accept myself in the same way. This is essential for genuine spiritual transformation. Reality must be embraced before it can be changed.

Selbstverleugnung als Problem Wo Selbstverleugnung zu Selbstabwertung führt. …zum Leiden ohne Notwendigkeit und Sinn. Wo Selbstverleugnung sich selbst und anderen Lebensgenuss versagt oder verbietet – unter Androhung von Strafe oder anderen negativen Konsequenzen … legitime Wünsche und Strebungen (nach Liebe und Wertschätzung) negativ besetzt.

5.4. Selbstverleugnung – positive Aspekte Nicht das Ich ist der Masstab, sondern eine höhere Sache – christlich und säkular. Viele grosse Dinge wären nicht geschehen, hätten nicht einzelne Menschen die Interessen der Sache über ihr eigenes Wohlergehen gestellt.

Selbstverleugnung für ein höheres Ziel Dietrich Bonhoeffer (*1906, † 09.04.1945) Kurzvita: Dietrich Bonhoeffer studierte Theologie in Thübingen und Berlin. Er promovierte 1927 und absolvierte anschließend sein Vikariat in Barcelona und Berlin. 1933 bis 1935 arbeitete er in der deutschen Gemeinde in London. 1939 bereist er die USA und erhält das Angebot dort zu bleiben, aber Dietrich Bonhoeffer kehrt mutig zurück nach Deutschland. Er arbeitet aktiv als Widerstandskämpfer unter Admiral Canaris. Im April 1943 wurde er von den Nazis verhaftet und ins Gefängnis Berlin-Tegel gebracht. Während der Haft entstand sein heute bekanntestes Buch »Widerstand und Ergebung«. Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg, gemeinsam mit anderen Widerstandskämpfern, hingerichtet. Wie arm wäre die Menschheit, würden alle nur nach Selbstverwirklichung streben!

5.4. Selbstverleugnung – positive Aspekte Bescheidenheit: „Wenn ich etwas kann, dann deshalb, weil Gott mich dazu befähigt.“ Bewusster Verzicht auf „Lustgewinn“, Genuss oder Annehmlichkeiten, weil sie dem Lebensziel hinderlich sind. Entbehrung (bzw. aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung) führt vielleicht auch zu Lustgewinn. „Denn wer sich hingibt, der empfängt; wer sich selbst vergisst, der findet.“ Franz von Assissi:

Neue Werte - Beziehungsökologie Wenn unsere Gesellschaft überleben soll, braucht es verantwortliche und lebbare Konzepte der Beziehungsgestaltung. Das Ziel einer Psychotherapie darf nicht nur individuelles Glück sein, sondern das Wohl des Ganzen – in Partnerschaft, Familie und grösseren Gemeinschaften – vom Arbeitsplatz bis hin zur Politik. Für eine solche therapeutische Zielsetzung sind Werte gefragt, Werte, die sich gerade auch im christlichen Glauben finden.

Die Starken und die Schwachen Den Starken gilt das Wort: „Verleugne dich selbst – behalte das Ganze im Auge!“ Den Ängstlichen und Selbstwert-geschwächten Menschen müssen wir unnötige Lasten abnehmen und sie ermutigen zu einem selbstbewussteren Leben – im Selbstwert, der von Gott kommt.

Das Bild, das Gott sich von mir macht Selbstwertgefühl ist das Wissen um den eigenen Wert, um die eigene Würde, um die Einmaligkeit als Person. Es ist das Gespür für mein Selbst, für mein wahres Wesen, für das Bild, das Gott sich von mir gemacht hat. Während der Selbstbewusste sich keine Schwäche leisten darf, erlaubt mir das Selbstvertrauen, auch schwach zu sein. Das Selbstwertgefühl bläht sich nicht auf, es ist vielmehr das Gefühl für den eigenen Wert in allen Schwächen und Grenzen. Anselm Grün

Fragen Welchen Raum darf Gott im Umgang mit dem Selbst und mit dem Nächsten einnehmen? Wie kann die Beziehung zu Gott den Menschen in einem Mass stärken, dass er auch seinem Nächsten (und notfalls seinem Feind) in Liebe begegnen kann? Und wie kann die Beziehung zu Gott Ihnen die Kraft geben, Konflikte konsequent anzugehen, ohne egoistisch zu sein?

Das Ich wird am Du und kann nicht leben ohne das Wir. « „Ich“ zu sagen macht nur in einer Gemeinschaft Sinn. Nur noch „Ich“ zu sagen ist eine Perversion, ein sich selbst auflösender Akt. Das Ich ist nur denkbar im Wir. » Fazit von Siefer und Weber, Autoren des Buches: „ICH“ – Wie wir uns selbst erfinden“ – Campus 2006.

Calvin (1509 – 1564) „Es gibt keine tiefe Gotteserkenntnis ohne eine tiefe Selbsterkenntnis und keine tiefe Selbsterkenntnis ohne tiefe Gotteserkenntnis.“

Literatur – Powerpoint-Download Benner D. G. (1998). Care of Souls. Revisioning Christian Nurture and Counsel. Grand Rapids: Baker. – ISBN Benner D. G. (2004): The Gift of Being Yourself. The Sacred Call of Self-Discovery, Downers Grove: Intervarsity Press. ISBN 0-8308-3245-9. Branden N (1995). Die 6 Säulen des Selbstwertgefühls. München: Piper. Cloud H. & Townsend J. (1998): Nein sagen ohne Schuldgefühle. Wie man sich gegen Übergriffe schützt. 8. Auflage 2005. Holzgerlingen: Edition Trobisch. Csordas T (1994). The Sacred Self. A Cultural Phenomenology of Charismatic Healing. Berkeley: University of California Press. Ehrenberg A. (2004). Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt: Campus. Fiedler P. (2001). Persönlichkeitsstörungen. Weinheim: Beltz. Freud S. (1930/1994). Das Unbehagen in der Kultur. Und andere kulturtheoretische Schriften. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag. Grün A.: Selbstwert entwickeln, Ohnmacht meistern. Spirituelle Wege zum inneren Raum. Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach. Hahne P. (2004). Schluss mit lustig. Das Ende der Spassgesellschaft. Lahr: Johannis. Hinsch R. & Pfingsten U. (1998): Gruppentraining sozialer Kompetenz. Grundlagen, Durchführung, Materialien. Weinheim: Beltz. Jaspers K. (1959) Allgemeine Psychopathologie. Springer, Berlin/Heidelberg/New York. Johannes vom Kreuz: Weisheit und Weisung. Die Aphorismen und andere Kurzprosa. Neu übersetzt und aus heutiger Sicht erläutert von Erika Lorenz. Kösel, München1997. Murken S. (2004). Selbstliebe, Nächstenliebe oder Gottesliebe? Überlegungen zur Klassifikation religiöser psychosozialer Konflikte. Zeitschrift für Religionspsychologie 12:113–139. Nuber U. (1993). Das Ende des Ich-Kults? Psychologie Heute, Juni 1993, 20 – 24. Nuber U. (1993). Die Egoismus-Falle. Warum Selbstverwirklichung so oft einsam macht. Stuttgart: Kreuz Verlag. Pfeifer S. (1999). Wenn der Glaube zum Problem wird. Wege zur inneren Heilung. Bendow, Moers. – Download als pdf: www.samuelpfeifer.com Schmid W. (2004). Mit sich selbst befreundet sein. Frankfurt: Suhrkamp. Schütz A. (2005). Je selbstsicherer, desto besser? Licht und Schatten positiver Selbstbewertung. Weinheim: Beltz. Siefer W. & Weber C. (2006). ICH – Wie wir uns selbst erfinden. Frankfurt: Campus. Tournier P.: Sich durchsetzen oder nachgeben? Die Frage, die sich jedem stellt. Bern, Humata Verlag (Ohne Jahresangabe) Trobisch W. (1975 / 2004). Liebe dich selbst. Wege zur Selbstannahme. Haan: Brockhaus. Van der Voet N. (1995) Warum muss ich immer helfen? Über Selbstbehauptung und Selbstverleugnung. Haan: Brockhaus. Von Schirach A. (2005). Der Tanz um die Lust. Spiegel 42:194-200. Willi J. (1989). Ko-Evolution – Die Kunst gemeinsamen Wachsens. Reinbek: Rowohlt. Willi J. (1991). Was hält Paare zusammen? Der Prozess des Zusammenlebens aus psychoökologischer Sicht. Reinbek: Rowohlt. Willi J. (1996). Ökologische Psychotherapie. Theorie und Praxis. Göttingen: Hogrefe. www.seminare-ps.net